Von Lucifex.
Im GEO-Heft August 2022 ist auf Seite 118 ein Artikel über das Danach der Ahrtal-Katastrophe erschienen („HILFE!“ von Diana Laarz), der mich veranlaßt hat, ausnahmsweise doch noch einmal einen allerletzten Beitrag zu bringen als passenden Abschluß für mein Programm hier. Ich zitiere hierfür nur den ersten von fünf Abschnitten des GEO-Artikels:
I. DIE AHRTAL-SUCHT
Die Flut, die das Dorf verwüstete, hat die Helferinnen zusammengeführt. Damals, vor einem Jahr, als im Ahrtal ein Flüsschen zur Flutwelle anschwoll, Menschen, Brücken und Häuser mit sich riss. „Es war die tollste Zeit meines Lebens“, wird Nadine Eßer rückblickend sagen.
Eßer, 37 Jahre alt, hilft seit Tag eins nach der Flut. Vielen Freiwilligen ist es wichtig, das zu erwähnen. „Tag eins“ ist so etwas wie ein inoffizieller Orden.
Jetzt ist Eßer einige Zeit nicht mehr in Laach gewesen. Sie kommt gerade zurück aus einem Urlaub mit ihrer Tochter. Längst überfällig. Zwei Wochen Lübecker Bucht. Bei einer Fahrradtour habe sie zu ihrer Tochter gesagt: „Du fährst aber ziemlich wacklig.“ Das Mädchen antwortete: „Mama, ich konnte gar nicht üben, du warst ja nie da.“ Nadine Eßer sagt: „Da ist mir bewusst geworden, dass ich ihr fünftes Lebensjahr verpasst habe. Was habe ich nur getan.“
Es beginnt am 15. Juli 2021. In der Nacht ist die Flutwelle durch das Ahrtal gerollt. Nadine Eßer wohnt einige Kilometer abseits des Hochwassergebiets. Sie arbeitet als Justizfachangestellte am Gericht in Ahrweiler. Akten bearbeiten, Sitzungsdienst, Protokolle führen. Um fünf Uhr morgens schaltet sie ihr Handy an und liest: Die Autobahn könnte bald einstürzen! Kollegen schicken Videos und Nachrichten. „Du brauchst heute nicht zur Arbeit zu kommen.“ Eßer fährt los Richtung Ahr.
In den ersten Tagen hilft sie in einem Spendenlager oberhalb des Tals. Später bringt sie Essen, Schippen und Kleidung runter an den Fluss. Sie watet in Gummistiefeln durch den Schlamm und will nicht mehr fort. Wenn das Telefon klingelt und der Anrufer sagt: „Nadine, wir brauchen einen Radlader und einen Bagger“, dann besorgt Nadine Eßer Radlader und Bagger. Einmal heißt es: „Jetzt fehlt ein Helikopter.“ Eßer: „Das schaffe ich auch.“
Wenn Nadine Eßer von der „tollsten Zeit“ ihres Lebens spricht, dann könnte das inmitten einer zertrümmerten Heimat widersinnig oder sogar zynisch klingen. Eßer möchte den Satz erklären. „Es gab kein Corona“, sagt sie. „Es war so unkompliziert. Ich konnte wirklich etwas bewegen.“
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