Frank Herberts „Dune – Der Wüstenplanet“, richtig gelesen

Ornithopter, die in „Dune“ verwendeten Schlagflügelflugzeuge, fliegen durch einen Einschnitt im Schildwall in die offene Wüste von Arrakis hinaus.

Von Lucifex, unter Verwendung von Zitaten aus „Dune“ und aus Greg Johnsons Artikel dazu sowie zweier Videos aus David Lynchs Dune-Verfilmung. Die Bilder sind – mit Ausnahme der Karten – Illustrationen von John Schoenherr zu „Dune“. (Ergänzt am 21. Mai 2021 um zwei Videos aus David Lynchs Film.)

„Das Fazit der Dune-Trilogie ist: nehmt euch vor Helden in Acht. [Es ist] viel besser, sich auf sein eigenes Urteil und auf seine eigenen Fehler zu stützen.“ („The bottom line of the Dune trilogy is: beware of heroes. Much better [to] rely on your own judgment, and your own mistakes.“

Frank Herbert, 1979.

Dune zielte auf diese ganze Idee vom unfehlbaren Führer ab, denn meine Sicht auf die Geschichte sagt, daß Fehler, die von einem Führer (oder im Namen eines Führers) gemacht werden, durch die Zahlen derer multipliziert werden, die ohne zu fragen folgen.“ („Dune was aimed at this whole idea of the infallible leader because my view of history says that mistakes made by a leader (or made in a leader’s name) are amplified by the numbers who follow without question.“

Frank Herbert, 1985.

Vor Kurzem habe ich Frank Herberts Science-Fiction-Roman „Dune“ („Der Wüstenplanet“) wieder einmal gelesen. Das Buch handelt ganz im Sinne dessen, was George R. R. Martin in Bat Durston, oder: Das Herz im Widerstreit über die Essenz guter Literatur geschrieben hat, von Liebe und Treue, von Ehre und Stolz versus Schändlichkeit, Intrigen und Verrat, von Mitleid und Grausamkeit, Leidenschaft und Opferbereitschaft und vom menschlichen Herz, das mit sich selbst im Widerstreit liegt. Aber es ist eines ganz bestimmt nicht: das Plädoyer für einen angeblich als Regierungsform überlegenen „archäofuturistischen“ Feudalismus, als den Greg Johnson es in Archeofuturist Fiction: Frank Herbert‘s Dune (deutsche Übersetzung hier) interpretiert hat.

Dies hat mich zu meiner eigenen vorliegenden Darstellung veranlaßt. Warnung 1: Darin werden Spoiler enthalten sein, aber das macht nicht allzu viel, da das Werk bei allen sonstigen Qualitäten die erzählerische Schwäche aufweist, selbst zu viel vorab zu verraten: Der Hauptschurke Baron Harkonnen erklärt in Besprechungen mit seinen Leuten und in seinen privaten Gedanken immer wieder, was er vorhat und wie er Dr. Yueh, den Arzt der Familie Atreides, zum Verrat erpreßt hat, und Yueh bestätigt das selbst in seinen gewissensgeplagten Gedanken, sodaß für den Leser nur noch die Einzelheiten neu sind, wenn der Angriff tatsächlich stattfindet. Und am Beginn jedes Kapitels steht ein Zitat aus einer der Schriften der Imperatorstochter Irulan, die darin in offenbarer Unkenntnis des Begriffs „Spoileralarm“ erkennen läßt, was später geschehen wird. Wer dennoch Spoilern ausweichen möchte, überfliegt am besten den Schluß der Inhaltszusammenfassung und scrollt zu „Interpretationen“ hinunter. Warnung 2: Für SF-Muggels wird dieser Artikel definitiv zu lang sein. (Video unten: der Prolog von Virginia Madsen als Prinzessin Irulan in David Lynchs Verfilmung)

Der Kosmos von Dune

„Als mein Vater, der Padischah-Imperator, vom Tode Herzog Letos – und von der Art, auf die er umkam – unterrichtet wurde, bekam er einen Wutanfall, wie wir ihn bis dahin nie gekannt hatten. Er beschuldigte meine Mutter und die Organisation, der sie angehörte, ihm eingeredet zu haben, er müsse eine Bene Gesserit auf den Thron setzen. Er verwünschte die Gilde ebenso wie den tückischen alten Baron. Er verfluchte jeden, der sich in seiner unmittelbaren Nähe aufhielt und nahm nicht einmal mich davon aus und sagte, ich sei eine Hexe wie alle anderen. Als ich versuchte, ihn mit den Worten zu beruhigen, daß dies auf der Basis eines alten Gesetzes der Selbstverteidigung geschehen sei, dem auch die meisten früheren Herrscher ihre Zustimmung nicht versagt hätten, knurrte er mich an und fragte, ob ich ihn für einen Schwächling hielte. Ich verstand schließlich, daß sein Zorn nicht der Tatsache galt, daß Herzog Leto aus dem Leben geschieden war, sondern was dies für den Adel an sich – und sein Ansehen – bedeutete. Aus heutiger Sicht glaube ich zu erkennen, daß er bereits damals schon von Vorahnungen über sein eigenes Schicksal gequält wurde, was darauf zurückzuführen ist, daß er und Muad’dib der gleichen Linie entstammten.“

„Im Hause meines Vaters“, von Prinzessin Irulan (am Beginn von „Zweites Buch: Muad’dib“).

Morgendämmerung beim Palast von Arrakeen, der alten Hauptstadt von Arrakis.

Dune spielt einundzwanzig Jahrtausende in der Zukunft und zehn Jahrtausende nach einer „Butler’s Djihad“ genannten Revolte, seit der ein Verbot von Computern und Robotern mit künstlicher Intelligenz besteht, das verschiedene Organisationen zur Weiterentwicklung der menschlichen Fähigkeiten veranlaßt hat. Die politische Ordnung des von Menschen besiedelten Teils der Galaxis beruht auf einem Gleichgewicht zwischen drei Hauptkräften: der Raumgilde, dem nur aus Frauen bestehenden Orden der Bene Gesserit und einer Feudalaristokratie mit einem Padischah-Imperator an der Spitze.

Die Raumgilde hat das Monopol auf die interstellare Raumfahrt und kontrolliert durch ihre Transportgebühren die Preise für interstellar gehandelte Güter. Alle anderen Akteure, auch die Adelshäuser einschließlich des Imperators, sind darauf angewiesen, ihre nicht mit Überlichtantrieben ausgestatteten Raumschiffe von der Gilde in ihren gigantischen Heighlinern in andere Sonnensysteme mitnehmen zu lassen. Die Gilde garantiert vordergründig ihre Neutralität zwischen den Adelshäusern und bietet Verlierern von Konflikten die Möglichkeit, auf ihren außerhalb des Imperiums liegenden neutralen Planeten Tupile ins Exil zu gehen. Da die Kommunikation zwischen den Sonnensystemen ebenfalls nur über die Gildeschiffe läuft, hat die Gilde auch das Monopol des interstellaren Bankwesens. All dies verschafft der Gilde eine enorme Macht, die es den Aristokraten verunmöglicht, gegen sie vorzugehen. Als Konsequenz des Computerverbots sind die Gildenavigatoren neben ihrer gesteigerten mathematischen Begabung auf die hellseherischen Fähigkeiten angewiesen, die ihnen die bewußtseinserweiternde Droge Melange, meist einfach Gewürz genannt, für die Wahl des richtigen Kurses gibt, wenn sie den Raum mit den Holtzman-Generatoren ihrer Sternenschiffe falten (unten die Szene aus David Lynchs Film, wo die Atreides mit der Raumgilde von ihrem Heimatplaneten Caladan nach Arrakis fliegen).

Dieses Gewürz, das außerdem die menschliche Lebensspanne auf bis zu drei Jahrhunderte verlängern kann und auch von anderen wie den Bene Gesserit und den Mentaten für ihre Zwecke genutzt wird, ist die wertvollste Substanz im bekannten Universum, und da es nicht synthetisiert werden kann und nur auf dem Wüstenplaneten Arrakis alias Dune vorkommt, ist diese Welt eine der wichtigsten und am profitabelsten auszubeutende der Galaxis.

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