Aus dem Französischen ins Englische übersetzt von Giuliano Adriano Malvicini; deutsche Übersetzung auf dieser Basis von Deep Roots. Das Original Christopher Gérard Interviews Dominique Venner erschien am 9. Oktober 2013.
Anmerkung des Übersetzers Giuliano Adriano Malvicini:
Das Folgende ist ein Interview mit Dominique Venner von 2001, das ursprünglich anläßlich des Erscheinens seines Buches Dictionnaire amoureux de la chasse veröffentlicht wurde. Es erscheint passend, als letztes Lebewohl, Dominique Venner selbst sprechen zu lassen.
Christopher Gérard: Wer sind Sie? Wie definieren Sie sich? Als Werwolf, als weißer Falke?
Dominique Venner: Ich bin ein Franzose aus Europa, oder ein Europäer, dessen Muttersprache Französisch ist, von keltischer und germanischer Abstammung. Väterlicherseits bin ich von altem Lothringer Bauernstamm, aber sie wanderten ursprünglich im siebzehnten Jahrhundert aus dem deutschen Teil der Schweiz aus. Die Familie meiner Mutter, aus der viele sich für eine Militärkarriere entschieden, stammt ursprünglich aus der Provence und aus dem Vivarais. Ich selbst wurde in Paris geboren. Ich bin ein Europäer durch Abstammung, aber Geburt an sich ist nicht genug, wenn man nicht das Bewußtsein besitzt zu sein, was man ist. Ich existiere nur durch Wurzeln, durch eine Tradition, eine Geschichte, ein Territorium. Ich füge hinzu, daß ich dazu bestimmt war, mich den Waffen zu widmen. Sicherlich gibt es eine Spur davon im Stahl meiner Feder, dem Instrument meines Berufes als Schriftsteller und Historiker. Sollte ich diesem kurzen Porträt den Beinamen „Werwolf“ hinzufügen? Warum nicht? Als Schrecken für „vernünftige“ Leute, als Eingeweihter in die Mysterien des Waldes ist der Werwolf eine Gestalt, in der ich mich wiedererkennen kann.
CG: In Le Cœur rebelle („Das Rebellenherz“, 1994) erinnern Sie mitfühlend an „einen intoleranten jungen Mann, der in sich gewissermaßen den Geruch eines kommenden Sturmes trug“: das waren Sie, als Sie zuerst als Soldat in Algerien kämpften und dann als politischer Aktivist in Frankreich. Wer war also dieser junge Kshatriya, wo kam er her, wer waren seine Lehrer, seine Lieblingsautoren?
DV: Das war es, worauf der „weiße Falke“ in Ihrer ersten Frage anspielte, die Erinnerung an berauschende und gefährliche Zeiten, in denen der junge Mann, der ich war, dachte, er könnte ein feindseliges Schicksal durch eine Gewalt umdrehen, die er als notwendig akzeptiert hatte. Es erscheint vielleicht extrem überheblich, aber zu der Zeit akzeptierte ich niemanden als Lehrer. Sicher, ich suchte nach Anregungen und Handlungsrezepten in Lenins Was ist zu tun? und in Ernst von Salomons Die Geächteten. Ich könnte hinzufügen, daß die Lektüre meiner Kindheit dazu beigetragen hatte, eine bestimmte Weltsicht zu formen, die letztendlich ziemlich unverändert blieb. Ohne bestimmte Reihenfolge erwähne ich Militärische Erziehung und Disziplin in der Antike, ein kleines Buch über Sparta, das meinem Großvater mütterlicherseits gehörte, einem ehemaligen Offizier; La Légende de l’Aigle von Georges d’Esparbès, La Bande des Ayaks von Jean-Louis Foncine, Ruf der Wildnis von Jack London, und später das bewundernswerte Martin Eden. Das waren die formativen Bücher, die ich im Alter von zehn oder zwölf las. Später, mit zwanzig oder fünfundzwanzig, war ich natürlich dazu übergegangen, andere Dinge zu lesen, aber die Buchhandlungen waren damals schwach sortiert. Jene Jahre waren eine Zeit intellektuellen Mangels, den man sich heute schwer vorstellen kann. Die Bibliothek eines jungen Aktivisten, selbst von einem, der Bücher verschlang, war klein. In meiner gab es neben historischen Arbeiten an prominenten Werken Über die Gewalt von George Sorel, Die Eroberer von Malraux, Die Genealogie der Moral von Nietzsche, Service inutile von Montherlant und Le Romantisme fasciste von Paul Sérant, das für mich in den Sechzigern eine Offenbarung war. Wie Sie sehen können, reichte das nicht sehr weit. Aber selbst wenn meine intellektuellen Horizonte beschränkt waren, reichten meine Instinkte tief. Sehr früh, als ich immer noch ein Soldat war, hatte ich das Gefühl, daß der Krieg in Algerien etwas ganz anderes war als das, was die naiven Verteidiger des „französischen Algerien“ sagten oder dachten. Ich hatte verstanden, daß es ein identitärer Kampf für Europäer war, nachdem sie in Algerien von einem ethnischen Widersacher in ihrer ganzen Existenz bedroht waren. Ich hatte auch das Gefühl, daß das, was wir dort – sehr schlecht – verteidigten, die Südgrenzen Europas waren. Grenzen werden immer auf der anderen Seite von Ozeanen und Flüssen gegen Invasionen verteidigt.
CG: In diesem Buch, das eine Art Autobiographie ist, schreiben Sie: „Ich komme aus dem Land der Bäume und Wälder, der Eichen und Wildschweine, der Weinberge und steilen Dächer, der epischen Gedichte und Märchen, der Winter- und Sommersonnenwenden.“ Was für eine Art seltsamer Kerl sind Sie?
DV: Sehr kurz gesagt, bin ich zu bewußt Europäer, um mich in irgendeiner Weise als spirituellen Nachfahren von Abraham oder Moses zu empfinden, aber ich fühle, daß ich gänzlich ein Nachfahre von Homer, Epiktet und der Tafelrunde bin. Das bedeutet, daß ich in mir selbst nach meiner Orientierung suche, nahe an meinen Wurzeln, und nicht an weit entfernten Orten, die mir völlig fremd sind. Der heilige Ort, wo ich meditiere, ist nicht die Wüste, sondern der tiefe und geheimnisvolle Wald meiner Herkunft. Mein heiliges Buch ist nicht die Bibel, sondern die Ilias, das Gründungsgedicht der westlichen Psyche, das auf wundersame Weise und siegreich das Meer der Zeit überquert hat. Ein Gedicht, das sich auf die gleichen Quellen stützt wie die keltischen und germanischen Legenden und dieselbe Spiritualität offenbart, wenn man sich die Mühe macht, es zu entschlüsseln. Dennoch ignoriere ich nicht die Jahrhunderte des Christentums. Die Kathedrale von Chartres ist genauso sehr ein Teil meiner Welt wie Stonehenge oder der Parthenon. Das ist das Erbe, das wir zu unserem eigenen machen müssen. Die Geschichte der Europäer ist nicht einfach. Nach Tausenden Jahren eingeborener Religion wurde uns das Christentum durch eine Reihe historischer Zufälle aufgezwungen. Aber das Christentum selbst wurde teilweise umgewandelt, „barbarisiert“ durch unsere Vorfahren, die Franken und andere. Das Christentum wurde von ihnen oft für einen Austausch der alten Kulte gehalten. Hinter den Heiligen verehrten die Menschen weiterhin die alten Götter, ohne zu viele Fragen zu stellen. Und in den Klöstern kopierten die Mönche oft antike Texte, ohne sie notwendigerweise zu zensieren. Diese Fortsetzung des vorchristlichen Europa geht heute immer noch weiter, aber sie nimmt andere Formen an, trotz all der Bemühungen biblischen Predigens. Es erscheint als besonders wichtig, die Entwicklung der katholischen Traditionalisten zu berücksichtigen, die oft Inseln der Gesundheit sind, die sich dem umgebenden Chaos mit ihren robusten Familien widersetzen, mit ihren zahlreichen Kindern und ihren Gruppen körperlich fitter Jugendlicher. Ihr Festhalten am Fortbestand von Familie und Nation, an Disziplin im Schulunterricht, die Wichtigkeit, die sie dem festen Stand im Angesicht von Widrigkeiten beimessen, sind natürlich Dinge, die in keiner Weise spezifisch christlich sind. Sie sind der Überrest des römischen und stoischen Erbes, das die Kirche bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts mehr oder weniger weitergeführt hatte. Auf der anderen Seite sind Individualismus, zeitgenössisches Kosmopolitentum und die Religion der Schuld natürlich säkularisierte Formen des Christentums, wie auch der extreme Anthropozentrismus und die Entheiligung der Natur, worin ich eine Quelle einer verrückt gewordenen faustischen Moderne sehe, und wofür wir einen hohen Preis bezahlen werden müssen.
CG: In Le Cœur rebelle sagen Sie auch: „Drachen sind verwundbar und sterblich. Helden und Götter können immer wiederkehren. Es gibt keine Unabwendbarkeit außerhalb der Köpfe von Menschen.“ Man denkt an Jünger, den Sie persönlich kannten, und der Titanen und Götter am Werk sah…
DV: Alle fatalistischen Versuchungen in sich abzutöten, ist eine Übung, in der man nie ruhen darf. Davon abgesehen, nehmen wir den Bildern nicht ihr Mysterium und ihre vielfachen Ausstrahlungen, löschen wir ihr Licht nicht mit rationalen Interpretationen. Der Drache wird immer Teil der westlichen Fantasie sein. Er symbolisiert abwechselnd die Kräfte der Erde und die zerstörerischen Kräfte. Durch den siegreichen Kampf gegen ein Ungeheuer erlangten Herkules, Siegfried oder Theseus den Heldenstatus. In Abwesenheit von Helden ist es nicht schwer – in unserer Zeit -, die Anwesenheit verschiedener Ungeheuer zu erkennen, die ich nicht für unbesiegbar halte, selbst wenn sie es zu sein scheinen.