
Vorwort: Das Folgende ist ein weiteres Abenteuer aus den Sterntagebüchern von Stanislaw Lems kosmischem Münchhausen Ijon Tichy. Dessen „Dreizehnte Reise“ soll ihn zum fernen Planeten Hinterschein führen, wo er eine der hervorragendsten Persönlichkeiten des Kosmos kennenlernen will, nämlich Meister Oh, genannt der „Wohltäter des Kosmos“. Dieser weise Mann widmete sein ganzes Leben der Beglückung ungezählter galaktischer Stämme und schuf dabei die Lehre von der Erfüllung aller Wünsche. Spuren seines Wirkens waren im Kosmos immer wieder zu finden. So lebte auf dem Planeten Ardelurien ein berühmter Astronom, der behauptete, der Planet drehe sich um seine eigene Achse. Diese These widersprach jedoch dem Glauben der Ardeluren, demzufolge der Planet der unbewegliche Mittelpunkt des Universums sei. Das Priesterkollegium zitierte den Astronomen vor ein Gericht und verlangte, daß er seine ketzerische Lehre widerrufe. Als er sich weigerte, verurteilte man ihn zum Tode auf dem Scheiterhaufen; worauf Meister Oh nach Ardelurien reiste und die Planetenbremse erfand, mittels derer die Rotation des Planeten gestoppt wurde. So konnte der Astronom seine These guten Gewissens widerrufen und das Dogma von der Unbeweglichkeit Ardeluriens akzeptieren. Auf der jahrelangen Reise nach Hinterschein vertreibt Ijon Tichy sich die Zeit, indem er sich aus einem Riesenvorrat Bücher weiterbildet, um sich auf den Höhen des Intellekts von Meister Oh bewegen zu können. Hiermit sei nun dem wackeren Raumfahrer das Wort erteilt:
* * *
Als ich etwa sechstausend Bände durchgesehen hatte und mich darin auskannte wie in meiner Westentasche, trennten mich noch etwa acht Trillionen Kilometer vom Planeten Hinterschein. Ich nahm gerade das nächste Regal in Angriff, das mit der Kritik der reinen Vernunft ausgefüllt war, da drang heftiges Klopfen an mein Ohr! Überrascht hob ich den Kopf, da ich ja allein in der Rakete war und eigentlich keine Gäste aus dem Weltraum erwartete. Das Klopfen wurde hartnäckiger, und ich vernahm nun auch eine gedämpfte Stimme: „Aufmachen!“
Eilends schraubte ich die Luke auf, und herein kamen drei Geschöpfe in Raumanzügen, die über und über mit Milchstaub bedeckt waren.
„So! Da hätten wir einen Wassermann auf frischer Tat ertappt!“ rief der erste Ankömmling, und der zweite fragte: „Wo ist Ihr Wasser?“
Bevor ich, starr vor Staunen, antworten konnte, sagte der dritte etwas zu ihnen, was sie ein wenig sanfter stimmte. „Woher kommst du?“ fragte mich der erste.
„Von der Erde. Und wer seid ihr?“
„Die freiheitliche Fipo von Pinta“, knurrte er und reichte mir einen Fragebogen, den ich ausfüllen sollte.
Kaum hatte ich einen Blick auf die Spalten dieses Dokuments und sodann auf die Skaphander der Geschöpfe geworfen, die bei jeder Bewegung einen glucksenden Laut von sich gaben, da wurde mir klar, daß ich aus Unachtsamkeit in die Nähe der Zwillingsplaneten Pinta und Panta geraten war; dabei empfehlen sämtliche Ratgeber, einen möglichst großen Bogen um sie zu machen. Leider war es dazu zu spät. Während ich den Fragebogen ausfüllte, notierten die Wesen in den Raumanzügen systematisch sämtliche Gegenstände, die sich in der Rakete befanden. Plötzlich entdeckten sie eine Büchse Sprotten in Öl; sie stießen einen triumphierenden Schrei aus, versiegelten die Rakete und nahmen sie ins Schlepptau. Ich versuchte ein Gespräch mit ihnen anzuknüpfen, jedoch ohne Erfolg. Mir fiel auf, daß die Skaphander, die sie anhatten, in einen breiten, flachen Schößling ausliefen, so als hätten die Pinter Fischschwänze anstelle von Füßen. Bald setzten wir auf dem Planeten auf. Er war ganz mit Wasser bedeckt, allerdings nicht hoch, denn die Dächer der Gebäude ragten daraus hervor. Als die uniformierten Pinter auf dem Flugplatz ihre Raumanzüge ablegten, stellte ich fest, daß sie den Menschen sehr ähnlich waren und nur eigenartig verbogene, verrenkte Gliedmaßen hatten. Man setzte mich in ein bootähnliches Gefährt, das insofern seltsam anmutete, als es Löcher im Boden hatte und bis zur Bordkante mit Wasser gefüllt war. In halber Tauchfahrt näherten wir uns langsam dem Zentrum der Stadt. Ich fragte, ob man diese Löcher nicht zustopfen und das Wasser ausschöpfen könnte, dann erkundigte ich mich auch nach anderen Dingen, doch meine Gefährten antworteten nicht, sie notierten lediglich fieberhaft meine Worte.
Durch die Straßen wateten die Einwohner; sie hielten die Köpfe unter Wasser, tauchten jedoch alle Augenblicke auf, um Atem zu holen. Durch die gläsernen Mauern konnte man in die Häuser blicken. Die Zimmer waren etwa bis zur Hälfte mit Wasser gefüllt. Als unser Vehikel an einer Kreuzung neben der Hauptverwaltung für die Bewässerung halten mußte, hörte ich durch die offenen Fenster das Glucksen der Beamten. Auf den Plätzen standen himmelragende Fischdenkmäler, geschmückt mit Kränzen aus Wasserpflanzen. Als unser Boot wieder einen Augenblick hielt (es herrschte sehr reger Verkehr), entnahm ich den Gesprächen der Passanten, daß kurz zuvor an der Ecke ein Spion entlarvt worden sei, als er Sengel triftete.
Dann schwammen wir durch eine breite Allee, die mit prachtvollen Fischporträts und verschiedenfarbigen Transparenten geschmückt war, wie: „Hoch lebe die wäßrige Freiheit!“ – „Flosse an Flosse bekämpfen wir Wassermänner die Dürre!“, und vielen anderen, die ich alle gar nicht lesen konnte. Schließlich legte das Boot bei einem gewaltigen Wolkenkratzer an. Seine Fassade war mit Girlanden verziert, und über dem großen Portal hing ein smaragdgrünes Schild: „Freiheitliche Fipo“. Mit einem Fahrstuhl, der Ähnlichkeit mit einem kleinen Aquarium besaß, fuhren wir ins 16. Stockwerk. Man führte mich in einen Raum, der bis über den Schreibtisch mit Wasser gefüllt war, und befahl mir zu warten. Der Raum war ganz mit herrlichen smaragdgrünen Schuppen ausgeschlagen.
Ich legte mir in Gedanken genaue Antworten auf Fragen zurecht: Woher ich komme und wohin ich zu reisen gedenke, aber es fragte mich niemand danach. Der Untersuchungsbeamte, ein Pinter von kleiner Statur, betrat das Zimmer, musterte mich mit strengem Blick, stellte sich dann auf die Zehenspitzen und fragte, den Mund aus dem Wasser haltend: „Wann hast du deine verbrecherische Tätigkeit begonnen? Hat man dir viel dafür gegeben? Wer sind deine Komplizen?“
Ich erwiderte, daß ich durchaus kein Spion sei, und erläuterte auch die Umstände, die mich auf den Planeten geführt hätten. Als ich jedoch erklärte, ich hätte mich nur zufällig auf Pinta eingefunden, lachte der Vernehmende laut und sagte, ich solle mir etwas Besseres einfallen lassen. Dann widmete er sich dem Studium der Protokolle und überschüttete mich alle Augenblicke mit Fragen. Das bereitete ihm Mühe, denn er mußte jedesmal aufstehen, um Luft zu holen, einmal verschluckte er sich sogar und mußte lange husten. Später stellte ich fest, daß dies den Pintern sehr oft widerfuhr.
Der Untersuchungsbeamte redete mir freundlich zu, alles zuzugeben, als ich aber immer wieder entgegnete, ich sei unschuldig, sprang er plötzlich auf, deutete auf die Büchse mit den Sprotten und fragte: „Und was bedeutet das?“
„Nichts“, erwiderte ich verblüfft.
„Wir werden ja sehen. Führt diesen Provokateur ab!“ schrie er. Damit war das Verhör beendet.
Der Raum, in dem man mich einschloß, war völlig trocken. Ich stellte das mit wahrer Freude fest, denn das lästige Naß hatte sich bei mir bereits bemerkbar gemacht. Außer mir befanden sich in der Zelle sieben Pinter, die mich sehr freundlich aufnahmen und mir, dem Ausländer, auf der Bank Platz machten. Von ihnen erfuhr ich, daß die Sprotten, die in der Rakete gefunden worden waren, im Sinne der Gesetze eine furchtbare Beleidigung der höchsten pintischen Ideale bedeuteten, und zwar wegen der sogenannten „verbrecherischen Anspielung“. Ich wollte wissen, welcher Art diese Anspielung sei, aber sie konnten – oder so schien mir – wollten es mir nicht sagen. Da ich sah, daß ihnen derlei Fragen unangenehm waren, verstummte ich. Sie erzählten mir noch, daß die Räume hinter Schloß und Riegel die einzigen wasserfreien Örtlichkeiten auf dem Planeten seien. Ich wollte wissen, ob sie sich im Laufe ihrer Geschichte schon immer im Wasser aufgehalten hätten, und erfuhr, daß Pinta einst viele Kontinente und wenig Meere besaß und daß es eine Unmenge scheußlicher trockener Stellen gab.
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