„Er ist intelligent, aber seine Kraniche sind nicht akkurat“: Japan wählt einen Astronauten aus

Kennedy Space Center, Florida: Nach einer Willkommenszeremonie für die Experiment Logistics Module Pressurized Section des japanischen Experimentmoduls spricht Kumiko Tanabe, die Leiterin der Abteilung für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der japanischen Weltraumbehörde JAXA, mit dem Astronauten Takao Doi. (Bild nicht aus dem Buch von Mary Roach.)

Von Mary Roach; ein Kapitel (am Schluß gekürzt) aus ihrem Buch „Was macht der Astronaut, wenn er mal muss? Eine etwas andere Geschichte der Raumfahrt“; Rowohlt Taschenbuchverlag 2012, ISBN 978 3 499 62790 3 (Originaltitel: „Packing for Mars. The Curious Science of Life in the Void“, 2010). (Bilder nicht aus diesem Buch, sondern von Cernunnos eingefügt.)

Am Eingang zieht man seine Schuhe aus, so wie man es beim Betreten eines japanischen Hauses tun würde. Man bekommt ein Paar spezielle Isolationskammer-Badeschlappen, hellblaues PVC bedruckt mit dem Logo der Japan Aerospace Exploration Agency. Der JAXA-Schriftzug ist rasant geneigt, als würde er mit gigantischer Geschwindigkeit in den Weltraum rasen. Die Isolationskammer, ein freistehendes Modul im Gebäude C-5 der Jaxa-Zentrale in Tsukuba Science City, ist tatsächlich eine Art Zuhause, zumindest für eine Woche. So lange werden die zehn Finalisten des JAXA-Auswahlverfahrens hier darum kämpfen, eine von zwei ausgeschriebenen Stellen im japanischen Astronautenkorps zu ergattern. Als ich im letzten Monat hierherkam, gab es noch nicht viel zu sehen – einen Schlafraum mit durch Vorhänge abgetrennten „Schlaf-Boxen“ und daneben den Gemeinschaftsraum mit langem Esstisch und Stühlen. Es geht mehr darum, gesehen zu werden. Fünf Überwachungskameras in Deckennähe erlauben einer Auswahlkommission aus Psychiatern, Psychologen und JAXA-Managern, die Bewerber zu beobachten. Ihr Verhalten und der Eindruck, den sie während ihres Aufenthalts auf die Kommission machen, werden den Ausschlag dafür geben, wer künftig das JAXA-Logo auf einem Raumanzug statt auf seinen Pantoffeln tragen wird.

Man will einen besseren Eindruck davon bekommen, wer diese Männer und Frauen sind und wie gut sie sich für das Leben im Weltraum eignen. Einem intelligenten und hochmotivierten Bewerber fällt es nicht schwer, unerwünschte Charakterzüge in einem Interview* oder einem Fragebogen (mit deren Hilfe die Kandidaten mit offensichtlichen Persönlichkeitsstörungen bereits im Vorfeld aussortiert wurden) zu verheimlichen. Unter wochenlanger Beobachtung ist das kaum möglich. JAXA-Psychologe Natsuhiko Inoue formuliert es so: „Es ist schwer, immer ein guter Mensch zu sein.“ Isolationskammern sind auch eine gute Methode, um Dinge wie Teamwork, Führungsstärke und Konfliktmanagement zu beurteilen – Gruppenfähigkeiten, die in einem Einzelinterview nicht bewertet werden können. (Die NASA arbeitet nicht mit Isolationskammern.)

[* So wie der Astronaut Mike Mullane, der von einem NASA-Psychiater gefragt wurde, was auf seinem Grabstein stehen solle. Mullane antwortete: „Ein liebender Ehemann und hingebungsvoller Vater.“ In Wirklichkeit, so sagte er scherzhaft in Riding Rockets, „hätte ich für einen Flug ins All meine Frau und meine Kinder in die Sklaverei verkauft.“]

Der Beobachtungsraum befindet sich über der Kammer. Es ist Mittwoch, der dritte Tag der siebentägigen Isolation. Eine Reihe von Überwachungsmonitoren steht vor den Beobachtern, die, mit Notizblöcken bewaffnet, an langen Tischen sitzen. Momentan sind drei von ihnen hier, Psychiater und Psychologen von der Universität. Sie starren auf die Bildschirme wie Kunden, die beim Elektronikmarkt den Kauf eines Geräts erwägen. Einer der Fernseher zeigt unerklärlicherweise eine Nachmittags-Talkshow.

Inoue sitzt am Steuerpult vor Kamera-Zooms und Mikrophonreglern. Über seinem Kopf hängt eine zweite Reihe von kleinen TV-Monitoren. Mit seinen 40 Jahren ist er eine weithin bekannte Autorität auf dem Feld der Weltraumpsychologie, doch irgendetwas in seiner Erscheinung und seinem Auftreten weckt in einem das Bedürfnis, rüberzugehen und ihn in die Wange zu kneifen. Wie viele der männlichen Angestellten hier trägt er Badeschlappen und Socken. Als Amerikanerin ist meine Kenntnis der japanischen Schlappen-Etikette begrenzt, doch habe ich den starken Eindruck, dass JAXA sein zweites (wenn nicht sein erstes) Zuhause ist. Für diese Woche wäre das ohnehin verständlich: Seine Schicht beginnt um sechs Uhr morgens und endet kurz nach zehn Uhr abends.

Auf den Monitoren sieht man nun einen der Bewerber, der einen Stapel von 23 mal 28 Zentimeter großen Umschlägen aus einem Pappkarton hebt. Jeder Umschlag trägt den Kennbuchstaben eines Bewerbers – von A bis J – und enthält ein Blatt mit Anweisungen sowie ein quadratisches, in Zellophan gehülltes Päckchen. Es handelt sich, wie Inoue mir erklärt, um Materialien, mit denen Geduld und Genauigkeit der Kandidaten unter Zeitdruck getestet werden sollen. Die Kandidaten reißen die Päckchen auf und ziehen Bündel von farbigen Papierbögen heraus. „Bei dem Test muss man … tut mir leid, ich weiß das englische Wort nicht. Eine Art Basteln mit Papier.“

„Vielleicht Origami?“

„Origami, genau!“ Vorhin habe ich die Behindertentoilette im Flur benutzt. Dort befand sich an der Wand ein Bedienfeld mit einer verwirrenden Zahl von Hebeln, Kippschaltern und Zugketten. Es sah aus wie das Cockpit eines Spaceshuttles. Ich zog an einer der Ketten, um abzuspülen, und löst damit den Notruf aus. Mein Gesichtsausdruck beim Auftauchen der Schwester war der gleiche, den ich jetzt habe. Es ist mein Hä?-Gesicht. Für die nächsten anderthalb Stunden werden die Männer und Frauen, die darum wetteifern, Japans nächste Astronauten zu werden, Papierkraniche falten.

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