
Homanx-Raumschiff mit Abstrahlscheibe für das Posigravfeld des Kurita-Kinoshita-Antriebs am vorderen Ende (Titelbild von Tim White für Orphan Star / Der Waisenstern)
Von Lucifex.
Teil 2 von 4; zuvor erschienen: NWO-Propaganda in SF-Romanen: Alan Dean Fosters „Homanx“-Reihe (1) – „Das Tar-Aiym Krang“
Das Tar-Aiym Krang war der erste von Alan Dean Feinberg, äh, Foster veröffentlichte Roman um Philip Lynx, genannt Flinx, und der erste aus seinem Homanx-Commonwealth. Elf Jahre und mehrere danach spielende Flinx-Romane später brachte er unter dem Titel For Love of Mother-Not eine Vorgeschichte dazu heraus, die 1985 auf Deutsch unter dem Titel Flinx erschien.
Dieses Buch schildert, wie Flinx als Kind von der alten Händlerin Mutter Mastiff auf dem Sklavenmarkt von Drallar, der Hauptstadt des Planeten Moth, ersteigert und danach als Ersatzsohn aufgezogen wird, bis die „Meliorare Gesellschaft“, eine geheime Eugeniker-Organisation, ihn wieder unter ihre Kontrolle zu bringen versucht.
Der rassische Propagandagehalt ist hier geringer und uneindeutiger als in Krang, aber doch vorhanden. Generell wird die (((Propaganda))) in den Homanx-Geschichten unauffälliger und milder als in Robert Silverbergs „Nach all den Jahrmilliarden“ und ohne Schüren von Schuldgefühlen und „Culture of Critique“ verabreicht, gewissermaßen als Schluckimpfung auf Zuckerwürfeln statt als pieksende Spritze, sodaß sie einem leichter runtergeht und weniger als Propaganda bewußt wird. Dennoch ist es eine Ausblendung und Herabstufung von Weißen, vor allem von weißen Männern, und dient der geistigen Gewöhnung an eine zunehmend vielfältige und nichtweiße Zukunft, während die SF-Romanwelten ansonsten bis in die 1970er-Jahre überwiegend weiße Welten waren. Darin ähneln Fosters Homanx-Bücher dem heutigen Krieg gegen die Weißen in der Werbung, bei dem ebenfalls Weiße und speziell weiße Männer „ausgephast“ und Nichtweiße als interessant und attraktiv präsentiert werden.
Gleich am Anfang von Flinx bringt Foster jedoch eine weitsichtige Kritik an heuchlerischen wirtschaftsliberalen Einstellungen an, auf denen die heute schon zunehmend erkennbaren Bestrebungen in Richtung moderner Quasi-Sklaverei beruhen und wo ich ihm zustimme, weshalb ich diesen Anfang hier zitiere:
Das ist vielleicht ein zerschundener, wertloser, kleiner Knirps, dachte Mutter Mastiff. Sie preßte den Beutel mit Schnitzereien etwas fester an sich und vergewisserte sich, daß ihr Slicker ihn vor dem Regen schützte. Der ewige für den Herbst auf Drallar so typische Nieselregen perlte von dem wasserfesten Material.
Außenweltler hatten es schwer, zwischen den Jahreszeiten der Stadt irgendwelche Unterschiede festzustellen. Im Sommer war der Regen warm, im Herbst und Winter etwas kühler, im Frühjahr wich er einem beständig lastenden Nebel. Daß die Sonne einmal durch die fast ewige Wolkendecke schielte, war eine solche Seltenheit, daß die Behörden dann gewöhnlich einen öffentlichen Feiertag verfügten.
Eigentlich konnte man das, woran Mutter Mastiff jetzt vorbeitrottete, nicht gerade einen Sklavenmarkt nennen. Das war ein archaischer Begriff, wie ihn nur Zyniker benutzten. Es war einfach der Ort, wo Arbeit und Einkommen auf formelle Art aufeinander abgestimmt wurden.
Drallar war die größte Stadt der Welt, die sich Moth nannte, die einzige echte Metropole, die sie besaß, und zwar keine besonders wohlhabende. Die Behörden hielten die Steuern niedrig und hatten es dadurch geschafft, eine ganze Anzahl Gewerbetreibender und Handelsunternehmen auf einen günstig gelegenen, aber im wesentlichen unwirtlichen Planeten zu ziehen. Den Ausgleich dafür schafften sie, indem sie kommerzielle Lästigkeiten wie Zölle oder einengende Vorschriften weitgehend abgeschafft hatten. Das führte zwar zu beträchtlichem Wohlstand für einige, brachte aber der Stadtregierung praktisch keine Einnahmen.
Zu den zahlreichen Bereichen des öffentlichen Lebens, die darunter litten, gehörte auch die Fürsorge für die Armen. In Fällen von Bedürftigkeit, wenn das betreffende Individuum noch dazu durch die Umstände isoliert war, hielt man es daher für vernünftig, es wohlhabenderen Bürgern zu überlassen, der Regierung die Verantwortung abzunehmen.
Das reduzierte die Ansprüche an den Wohlfahrtsetat und sorgte dafür, daß die Bürokratie zufrieden blieb und verschaffte gleichzeitig dem betreffenden Individuum ein höheres Maß an Fürsorge – so behaupteten die Beamten wenigstens – als er oder sie von mit zu knappen Mitteln ausgestatteten Regierungsbehörden je erwarten konnte.
Die Vereinigte Kirche, der geistliche Arm des Commonwealth, war von solch einseitiger Wirtschaftspolitik nicht gerade begeistert. Aber das Commonwealth hielt nicht viel davon, sich in die inneren Angelegenheiten einzelner Welten einzumischen, und die Beamten von Drallar beeilten sich, gelegentlich zu Besuch erscheinende Padres oder Ratsherren davon zu überzeugen, daß es genügend gesetzliche Sicherheitsvorkehrungen gab, die den Mißbrauch von auf diese Weise „adoptierten“ Individuen verhinderten.
So kam es, daß Mutter Mastiff sich auf ihren Stock stützte und ihren Beutel mit den kunstgewerblichen Gegenständen an sich drückte und etwas verschnaufte, während sie die zugedeckte Plattform musterte. Ein neugieriger Zuschauer drängte sich zu nahe an sie heran und blickte böse, als sie ihn mit dem Stock anstieß, trat aber zur Seite, da er die Auseinandersetzung mit ihr scheute.
Auf der Plattform, innerhalb des Kompensationskreises, stand ein hagerer, ernst blickender Knabe von acht oder neun Jahren. Der Regen hatte ihm das rote Haar, das in scharfem Kontrast zu seiner ziemlich dunklen Haut stand, an den Kopf geklebt. Weite, unschuldige Augen, so groß, daß sie sein ganzes Gesicht zu erfüllen schienen, starrten über die vom Regen eingeweichte Zuschauergruppe. Er hielt die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Das einzige, was sich an ihm bewegte, waren seine Augen, und ihr Blick huschte wie ein Insekt über die nach oben gerichteten Gesichter der Menge. Die Mehrzahl der Kauflustigen schien seine Anwesenheit überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Rechts von dem Jungen stand die großgewachsene, schlanke Vertreterin der Regierung, die im Auftrag der Wohlfahrtsbehörde den offiziellen Verkauf – man bezeichnete ihn hier als „Zuteilung von Verantwortung“ – durchführte. Auf der anderen Seite konnte man von einem großen Bildschirm die wesentlichen Daten des Jungen ablesen, und diesen Bildschirm studierte Mutter Mastiff gerade.
Größe und Gewicht entsprachen dem, was sie sehen konnte. Haar-, Augen- und Hautfarbe hatte sie bereits wahrgenommen. Lebende Verwandte, zugeteilt oder sonst – keine Angabe. Persönliche Vorgeschichte – wieder keine Angabe. Ein Zufallskind, dachte sie, das man, wie so viele andere, der gleichgültigen Barmherzigkeit der Regierung zugeschoben hatte. Ja, so wie er aussah, würde es tatsächlich besser für ihn sein, wenn er unter die Fittiche eines privaten Individuums käme. Zumindest würde er dann vielleicht ordentlich zu essen bekommen.
Und doch war da noch etwas Besonderes an ihm, etwas, das ihn irgendwie von der teilnahmslosen Schar von Waisen abhob, die Jahr für Jahr in gleichmäßiger Prozession über die vom Regen durchnäßte Plattform zogen. Mutter Mastiff spürte etwas, das hinter jenen weiten, traurigen Augen lauerte – eine Reife, über seine Jahre hinaus, mehr Intensität in seinem Blick, als man von einem Kind in seiner Lage erwarten durfte. Und dieser Blick schweifte immer noch über die Menge, suchte, tastete. Der Junge wirkte eher wie ein Jäger als wie ein Gejagter.
Und der Regen fiel ohne Unterlaß. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer konzentrierte sich in erster Linie auf die rechte hintere Ecke der Plattform, wo ein einigermaßen attraktives, sechzehnjähriges Mädchen als nächstes an der Reihe war. Mutter Mastiff rümpfte geringschätzig die Nase. Was auch immer die Regierungsbeamten behaupteten, ihr würde keiner weismachen, daß diese drängelnden Schnösel in der vordersten Reihe nicht noch etwas anderes im Sinn hatten, als unschuldige altruistische Sorge um die Zukunft des Mädchens. O nein!
[…]
Die Augen des Jungen schweiften immer noch über die Zuschauerschar und erreichten schließlich die ihren – und hielten an. Plötzlich empfand Mutter Mastiff eine Art Schwindelgefühl. Ihre Hand griff an ihren Leib. Zu fett gefrühstückt, dachte sie Die Augen waren bereits weitergewandert. Seit sie fünfundachtzig geworden war, mußte sie sehr aufpassen, was sie zu sich nahm. Aber dann hatte sie auch einer Freundin einmal gesagt, „lieber sterbe ich mit Verdauungsschwierigkeiten und mit vollem Bauch, als mich mit Pillen und Konzentraten dahinzuquälen.“
„Zur Seite!“ hörte sie sich plötzlich sagen, ohne selbst recht zu wissen, was sie tat oder warum. „Zur Seite!“ Sie bahnte sich einen Weg durch die Menge, stieß einem der Zuschauer mit dem Stock in die Seite, brachte das prunkvolle Arrangement von Schwanzfedern eines Ornithorpen in Unordnung und veranlaßte eine übergewichtige Matrone zu einem erregten Schnattern. Sie arbeitete sich bis zu der freien Fläche unmittelbar vor der Plattform durch. Der Junge achtete nicht auf sie; seine Augen fuhren fort, die gleichgültige Menge abzusuchen.
* * *
Mutter Mastiff ersteigert Flinx gegen die Gebote eines hünenhaften Mannes, der noch während der Auktion vor der Polizei flieht. Sie gibt dem stillen Jungen ein Zimmer in ihrer kleinen Laden-Wohnung, und von ihr und befreundeten Bewohnern der Altstadt von Drallar lernt er, was er für das Leben dort wissen muß. Mit der Zeit stellt sich heraus, daß Flinx ein empathischer Telepath ist, der zwar keine Gedanken lesen, aber Gefühle auffangen kann – ein erratisch funktionierendes Talent, über das er kaum Kontrolle hat und das zum Geheimnis zwischen ihm und Mutter Mastiff wird. Diese argwöhnt jedoch, daß er auch andere Menschen unbewußt beeinflussen kann und sie dazu veranlaßt hat, ihn zu ersteigern (so wie er später auf dem Flug zum Krang Malaika auf die Idee mit dem Neutronenstern bringt).