
Von John Morressy. Originaltitel: „Under a Calculating Star“ (1975); deutsche Fassung (Übersetzung: Karl H. Schulz) 1980 als Ullstein-Buch Nr. 31018 (ISBN 3 548 31018 4). Bildauswahl von Lichtschwert (Lucifex / Deep Roots).
Prolog: Die Seraph
Das Eigenantriebsschiff Seraph befand sich auf der Reise zu irgendeinem Ziel jenseits des „Verbotenen Gürtels“. Drei Wachen hinter dem Dus’sh’kor drosselte es auf Unterlichtgeschwindigkeit. Dann öffnete sich die atmosphärische Schleuse. Eine Zeitlang hatte das Raumschiff zwei kleine Satelliten bei sich. Sie trudelten neben ihm durch den Raum, die Spanne zwischen ihnen und dem Mutterschiff wurde immer breiter, dann glitten sie ab und begannen als Doppel-Orbit ihre eigene Reise durch die Leere. Nun verschwand die Seraph in die unsichtbare Dimension der Superlichtgeschwindigkeit und nahm Kurs auf den Rand der Galaxis. Gegen Ende der nächsten Wache wurde auf Befehl Kian Jorrys, des Kommandanten, ein Schiffsrat einberufen. Jorry hatte den einzelnen Platz an einer Seite des dreieckigen Messetisches inne; dort saß er bequem zurückgelehnt und fuhr sich mit der Hand durch das graumelierte, kurzgeschorene Haar. Die Mannschaft wartete darauf, daß er zu sprechen beginnen würde.
Sie waren ein buntscheckiger Haufen, Humaniden und Humanoiden verschiedener Größe, Körperform und Hautfarbe. Bis auf einen hatten sich alle zum Schiffsrat eingefunden.
Gleich zur Rechten Jorrys waren zwei Quipliden; sie hockten auf der Tischplatte, um in Augenhöhe der anderen zu sein. Sie waren Brüder, Fimm und Jimm genannt. Keiner an Bord der Seraph wußte ganz genau, wer Fimm und wer Jimm war, und so wurden sie ständig miteinander verwechselt. Doch das schien sie nicht sonderlich zu stören.
Neben ihnen saß ein großer Mann mit wetterrotem Gesicht, Kopfhaar und Bart waren hellblond, beinahe weiß, obwohl er zweifellos noch jung war. Sein Haar war lang, und er trug es zu Zöpfen geflochten, wie es bei den Skeggjatt-Kampfschulen Brauch war. Sein muskelbepackter Körper war zusammengesunken; das Kinn in die mächtige Hand gestützt, starrte er vor sich hin. Bral hieß der Skeggjatt.
Neben ihm saß Collen, die Verteidigungsexpertin. Sie war Thorumbianerin, schlank, blauäugig, ihre glatte Haut war schwarzblau wie vergossenes Öl.
An der dritten Seite des Tisches, von Jorry am weitesten entfernt, saß Dolul, ein Angehöriger des Stammes der Onhla, von der Eiswelt Hraggellon. Er war ein großer Mann mit ausdruckslosem Gesicht und sprach selten. Neben ihm saß einer, der überhaupt nicht sprach, ein Thanist namens Rull-Lamat. Er trug eine Haube, und der untere Teil seines Gesichts war verdeckt.
Jorry räusperte sich und rückte mit seinem Stuhl vor. Erwartungsvoll blickten seine Leute ihn an. Bedeutsam sah er auf die Tischplatte hinunter, dann stand er auf und begann: „Meine guten Freunde und Kameraden, wir haben viel zu besprechen. Doch wie ihr wißt, bin ich ein alter Sternfahrer, dem die Traditionen des Kosmos heilig sind; und so möchte ich diese Versammlung eröffnen mit einer Schweigeminute zum Gedenken an unsere Schiffsgenossen, die sich von uns getrennt haben.“
Er faltete die Hände und neigte den Kopf. Bral warf einen raschen Blick auf die anderen und einen längeren, prüfenden auf Jorry, doch in der Miene des Kapitäns war kein Fünkchen Ironie zu entdecken. Endlich blickte Jorry auf, lächelte und setzte sich wieder. „Und nun, nachdem wir diesem Verräterpaar die letzte Ehre erwiesen haben – zum Dienstlichen“, sagte er munter.
„Ohne das Urteil unseres Kapitäns anzweifeln zu wollen – aber bist du sicher, daß sie Verräter waren?“ fragte der Skeggjatt. „Mir ist Saston eigentlich nie so vorgekommen… es fällt mir schwer zu denken, daß er uns alle betrogen hat.“
„Und Verdniak schien mir auch nicht der Typ zu sein“, fügte die Thorumbianerin hinzu. „Er war ein guter Kämpfer.“
Kian Jorry lächelte väterlich. „Ihr beiden seid vertrauensvolle Naturen“, sagte er, „und ich mag euch deswegen umso lieber. Ich war auch einmal so. Doch über Saston und Vedniak habe ich nicht mehr die geringsten Zweifel. Ich glaube meinen eigenen Augen. Als wir auf dem Dush’k’kor waren, habe ich gesehen, wie sie Bestechungsgelder von einem Sternverein-Agenten genommen haben. Sie wollten uns an die Schwarzjacken verkaufen.“
„Und das ist noch nicht das Schlimmste“, schrillte einer der beiden Quipliden, und der andere fügte hinzu: „Erzähle doch, was sich in deiner Kabine zugetragen hat.“
„In der dritten Wache habe sich sie in meine Kabine gerufen und es ihnen klipp und klar vorgehalten; Fimm und Jimm waren Zeugen. Erst haben sie alles geleugnet. Dann haben sie versucht, uns zu bestechen, damit wir uns ihnen anschließen. Dann zogen sie ihre Waffen, und wenn meine kleinen Freunde hier nicht gewesen wären, dann wäre ich jetzt draußen im leeren Raum, und Saston und Vedniak würden euch in den Hinterhalt der Schwarzjacken führen – in den Tod.“
Der eine Quiplide sagte: „Verräter verdienen, was sie bekommen“, und der andere bestätigte: „So ist es.“
„Ich kann also annehmen, daß ihr alle befriedigt seid, und wir können somit zu anderen Dingen übergehen“, begann Jorry wieder. Er blickte sich um, ob jemand etwas dagegen hätte, doch das war nicht der Fall.
„Wie ist es mit Ersatz, Kapitän?“ fragte Bral. „Nun sind wir doch unterbesetzt.“
„Wir sind genau richtig besetzt. Diese Beiden waren für das, was vor uns liegt, überhaupt nicht geeignet. Gut, daß wir sie los sind. Wir sind jetzt aktionsbereit, Bral, und haben genau die richtige Kampfstärke. Wir haben die Mannschaft, die Waffen, komplette Sonderausrüstung -“
„Tatsächlich?“ fragten die beiden Quipliden gleichzeitig, „und was haben wir vor?“
„Jawohl, die haben wir“, versicherte der Kapitän, ohne zunächst auf die zweite Frage der Kleinen einzugehen. „Bei jeder Planetenlandung hat euer Kapitän – während ihr euch amüsiert habt – Einkäufe gemacht. Ich habe mir, das kann ich euch sagen, kein Vergnügen gegönnt, bis ich die Schiffsgeschäfte erledigt hatte.“
„Jorry denkt an alles“, sagte einer der Quipliden bewundernd. „Das tut er wirklich“, stimmte der andere zu.
Der Kapitän nickte gnädig. „Ich versuche, mein Bestes zu tun. Darum ist die Seraph auch so ein gutes Schiff. Sie hat einen erstklassigen Kapitän, und jetzt hat sie auch eine erstklassige Mannschaft.“
„Nicht ganz“, murmelte der Skeggjatt und schwieg dann.
„Wenn du etwas auf dem Herzen hast, Bral, dann spuck es aus. Ich bin nicht wie der alte Kapitän York – Friede seinen Gebeinen. Meine Besatzung kann frei heraus reden; ich höre. Was ist los?“
Der Skeggjatt zögerte. Er war ein Kämpfer von Natur, kein Disputierer. In Brals Welt kämpfte man, wenn man verschiedener Meinung war, und wer siegte, hatte recht. Jorry war groß, stark und schnell; doch Bral zweifelte nicht daran, daß er seinen Kapitän im offenen Kampf besiegen konnte. Und trotzdem ließ er sich von Jorry Dinge sagen, die ein Skeggjatt allenfalls seinem nächsten Verwandten auszusprechen gestatten würde. Die Sache war die, daß er sich Jorry gegenüber unsicher fühlte. Jorry war zu schlau, zu listenreich. Im richtigen Moment hatte er stets die richtige Waffe parat. Sogar jetzt, wo er ihm gegenüber am Tisch saß und ihn freundschaftlich anlächelte, waren seine Hände unsichtbar, unter Tischhöhe.
Und schließlich war er der Kapitän der Seraph, dem man gehorchen mußte. Bral ließ alle halbausgeformten Gedanken an Opposition fahren. Zu tief saß ihm die Borddisziplin im Blut.
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