Von Larry Niven (hier wiedergegeben auch als Heranführung an das Thema der Mikro-Black-Holes, das in meinem kommenden SF-Roman Feuerfall eine bedeutende Rolle spielen wird). Das Original „The Hole Man“ wurde erstmals 1973 veröffentlicht, und die deutsche Fassung „Im freien Fall durch den Mars“ (übersetzt von Tony Westermeyer) ist in Jerry Pournelles Sammelband „Black Holes“ (1980) enthalten:
Von dieser Kurzgeschichte gibt es eine 10:30 min. lange englischsprachige Bild/Text-Videoadaptation von Leonardo Amézquita, der auch den Erzähltext spricht und das Video für den Unterricht über Schwarze Löcher und Zeitmaschinen an der Universidad nacional de Colombia produziert hat:
Naturgemäß kann das Video bei dieser Länge nur eine sehr vereinfachte, geraffte Wiedergabe der Geschichte im Stil eines „Graphic Novel“ sein, ist aber wegen der Bilder interessant.
Und hier ist die textliche Vollversion aus der deutschen Taschenbuchausgabe (Bild von mir eingefügt):
Eines Tages wird es den Mars nicht mehr geben. Andrew Lear sagt, es wird mit einem heftigen Beben beginnen und Stunden oder Tage später ganz plötzlich enden. Er muß es wissen. Das Ganze ist seine Schuld.
Lear meint auch, daß es Jahre bis Jahrhunderte dauern kann, bis es passiert. Deshalb bleiben wir, Lear und wir anderen. Wir studieren den Stützpunkt der fremden Wesen, so gut wir können, während der Kern der Welt, auf der wir stehen, langsam zerfressen wird. Das reicht durchaus, um einem Alpträume zu bescheren.
* * *
Es war Lear, der den Stützpunkt fand. Wir hatten den Mars erreicht, vierzehn Mann im engen, bauchigen Lebenssystem der „Percival Lowell“. Wir kreisten in einer Umlaufbahn, ließen uns Zeit, korrigierten unsere Karten und hielten Ausschau nach Dingen, die den Mariner-Sonden im Lauf von dreißig Jahren entgangen sein mochten.
Unter anderem registrierten wir Maskons. Diese Massekonzentrationen unter den Mondmaria waren fast mit Gewißheit durch ziemlich große Asteroiden entstanden, Felsberge, lautlos vom Himmel herabfallend, bis sie mit der Energie von Tausenden von Kernverschmelzungsbomben aufprallten. Der Mars fliegt seit vier Milliarden Jahren durch den Asteroidengürtel. Er würde größere und stärkere Maskons besitzen. Sie mußten unsere Umlaufbahn beeinflussen.
Andrew Lear arbeitete also angestrengt und beobachtete die Schreiber, während wir den Mars umkreisten. Neben dem Schiff rotierte eine Apparatur. In der dünnen Hülle befand sich ein belastetes Doppelhebelsystem, täuschend einfach: ein Masse-Detektor. Die Schreiber registrierten seine Zuckungen.
Über Sirbonis Palus begannen sie seltsame Kurven zu zeichnen.
Ein anderer hätte vielleicht geflucht und sich bemüht, das Ding zu reparieren. Andrew Lear dachte gründlich nach, dann übermittelte er das Signal, mit dem die Rotation des Apparats gestoppt wurde.
Er mußte rotieren, um eine stationäre Masse zu registrieren.
Aber jetzt zeigte er schlichte Sinuswellen an.
Lear hastete zu Kapitän Childrey.
Hastete? Es war eher Trapezartistik. Lear zog sich an Handgriffen entlang, stieß sich von Wänden ab, bremste mit ausgestreckten Händen oder Füßen. Im freien Fall voranzukommen ist mühsam, wenn man es eilig hat, und Lear war ein vierzigjähriger Astrophysiker, kein Athlet. Er keuchte nicht schlecht, als er die Steuerkugel erreichte.
Childrey – der ein Athlet war – wartete mit geduldigem, ein wenig verächtlichem Lächeln, während Lear nach Atem rang. Er hielt Lear ohnehin für einen Verrückten. Lears Worte bestätigten ihn in seiner Meinung nur.
„Schwerkraft für die Übertragung von Signalen? Doktor Lear, würden Sie vielleicht so freundlich sein und mich mit Ihren seltsamen Ideen verschonen? Ich habe zu tun, wie alle hier.“
Ganz ungerecht war das nicht. Lear konnte sich für die ausgefallensten Dinge begeistern. Schwerkraft-Generatoren. Schwarze Löcher. Er fand, wir sollten nach Dyson-Sphären suchen: Sterne, die völlig von einer künstlichen Hülle umgeben waren. Er glaubte, daß Masse und Trägheit zwei verschiedene Dinge seien, daß es möglich sei, die Trägheit aus einem Raumfahrzeug sozusagen abzusaugen, damit es in wenigen Minuten auf Beinahe-Lichtgeschwindigkeit beschleunigen kann. Er war ein großäugiger Träumer, und in der Aufregung neigte er dazu, vom Thema abzuschweifen.
„Sie verstehen mich nicht“, sagte er zu Childrey. „Schwerkraftstrahlung ist schwerer zu blockieren als elektromagnetische Wellen. Strukturierte Schwerkraftwellen wären leicht wahrzunehmen. Die fortgeschrittenen Zivilisationen in der Galaxis verständigen sich vielleicht alle mit Hilfe von Schwerkraft. Manche modulieren unter Umständen sogar Pulsare – rotierende Neutronensterne. Das war der Fehler vom Projekt Ozma: man suchte nur nach Signalen im elektromagnetischen Spektrum.“
Childrey lachte.
„Sicher, Ihre kleinen Freunde gebrauchen Neutronensterne, um Ihnen Botschaften zu senden. Was hat das mit uns zu tun?“
„Da, sehen Sie!“ Lear zeigte ihm den dünnen, fast gewichtslosen Papierstreifen, den er aus dem Schreiber gerissen hatte. „Das habe ich über Sirbonis Palus erhalten. Wir sollten dort landen.“
„Wir landen im Mare Cimmerium, wie Sie ganz genau wissen. Die Landefähre ist schon bereit. Doktor Lear, wir haben dieses Gebiet vier Tage lang vermessen. Es ist flach. Es liegt in einem grün-braunen Bereich. Wenn nächsten Monat der Frühling kommt, werden wir feststellen, ob es da Leben gibt. Und alle wollen es so, außer Ihnen!“
Lear hielt ihm den Streifen immer noch vor die Nase. „Bitte. Noch einen Umlauf über Sirbonis Palus.“
Childrey entschied sich für den zusätzlichen Umlauf. Vielleicht überzeugten ihn die Sinuswellen, vielleicht auch nicht. Er machte uns in Lears Namen gern Schwierigkeiten, um ihn als Narren zu entlarven.
Aber beim nächsten Überflug zeigte sich auf Sirbonis Palus eine winzige, kreisrunde Erscheinung. Und Lears Massedetektor erzeugte wieder Sinuswellen.
* * *
Die fremden Wesen waren fort. In den ersten Monaten unseres Aufenthalts rechneten wir jeden Moment mit ihrer Rückkehr. Die Maschinen im Stützpunkt liefen glatt und fehlerlos, so als seien die Eigentümer nur einmal kurz vor die Tür gegangen.
Der Stützpunkt war ein umgestülpter Kuchenteller, zwei Stockwerke hoch, ohne Fenster. Die Luft im Inneren konnte man atmen, wie die Luft auf der Erde in drei Meilen Höhe, aber mit mehr Sauerstoff. Die Luft auf dem Mars ist viel dünner und giftig. Sie stammten also eindeutig nicht vom Mars.