Von Steve Sailer, übersetzt von Deep Roots. Das Original It’s a Borges Borges Borges Borges World (Sometimes) erschien am 21. Juni 2006 in Steve Sailers Blog „Steve Sailer: iSteve“.
Ich finde Geschmack an Geschichten, die wie bizarre Fiktionen sind, die Jorge Luis Borges sich ausgedacht hat, die aber in Wirklichkeit wahr sind. Mein Favorit ist die Geschichte von der schockierenden Entdeckung, die der Ökonom John Maynard Keynes machte, als er eine Kiste voller Papiere von Isaac Newton kaufte.
Ein weiterer, Borges-würdiger historischer Charakter ist der Falsche Messias Sabbatai Zevi. Als eine der Hauptfiguren in Paul Johnsons A History of the Jews ist der Mystiker Sabbatai Zevi aus dem 17. Jahrhundert, ein bipolarer Ekstatiker aus Smyrna, der sich mit der Hilfe seines brillanten Werbeagenten Nathan von Gaza zum Erlöser der Juden erklärte. Seine Behauptungen verursachten wilde Aufregung in jüdischen Gemeinden überall auf der Welt. Aber als Sabbatai Zevi (es gibt alternative Schreibweisen wie Shabbetai Zevi und Shabbtai Tzvi) 1666 nach Konstantinopel reiste, bedrohte ihn der osmanische Sultan mit dem Tod, falls er nicht ein Wunder vollbringen oder zum Islam konvertieren würde. Er entschied sich für Letzteres.
Nun hätte dies das Ende des Kults sein können, aber Nathan von Gaza war kein gewöhnlicher PR-Sprecher. Johnson schreibt (auf S. 268 – 272):
Nathan war ein herausragendes Beispiel eines sehr fantasiereichen und gefährlichen jüdischen Archetyps, der Weltbedeutung erlangen sollte, als der jüdische Intellekt säkularisiert wurde. Er konnte ein System von Erklärungen und Vorhersagen von Phänomenen konstruieren, das sowohl sehr plausibel war als auch gleichzeitig ausreichend ungenau und flexibel, um sich neuen Ereignissen anzupassen, wenn sie geschahen. Und er hatte die Gabe, seine vielgestaltige Theorie mit ihrer eingebauten Fähigkeit zur Absorbierung von Phänomenen durch Osmose mit enormer Überzeugungskraft und Selbstsicherheit zu präsentieren. Marx und Freud sollten eine ähnliche Fähigkeit ausnutzen…
Der Glaubensabfall wurde in ein notwendiges Paradox oder einen dialektischen Widerspruch umgewandelt. Weit davon entfernt, ein Verrat zu sein, war er in Wirklichkeit der Beginn einer neuen Mission zur Freisetzung der lurianischen Funken [Kabbala], die unter den Nichtjuden und insbesondere im Islam verteilt wurden… Es bedeutete, in das Reich des Bösen hinabzusteigen. Zum Schein unterwarf er [Zevi] sich ihm, aber in Wirklichkeit war er ein trojanisches Pferd im Lager des Feindes. Als er sich in seiner Aufgabe aufgewärmt hatte, wies Nathan darauf hin, daß Zevi immer seltsame Dinge getan hatte. Dies war bloß das seltsamste – selbigen Glaubensabfall als finales Opfer anzunehmen, bevor er die volle Herrlichkeit des messianischen Triumphs offenbarte… Nathan lieferte schnell massive Dokumentation in biblischen, talmudischen und kabbalistischen Texten.
Johnson schreibt:
Als Ergebnis überlebte die shabbatäische Bewegung, manchmal offen, manchmal im Geheimen, nicht nur das Debakel des Glaubensabfalls, sondern existierte über ein Jahrhundert lang weiter.
Aber gibt es eine gleichermaßen borgesianische Fortsetzung zu dieser Fortsetzung? Gibt es die Shabbatäer, auch als Dönmeh oder Dönme bekannt, heute immer noch? Die israelische Zeitung Haaretz berichtete 2002:
Auf der Suche nach Anhängern des falschen Messias
Von Orly Halpern
Aubrey Ross ist ein ungewöhnlicher Mann mit einem ungewöhnlichen Zeitvertreib. Er sucht nach jüdischen Moslems. In der Türkei. Mit Hilfe des Internets. Und er ist überzeugt, daß er ein paar gefunden hat.
In einem Buch mit dem Titel “The Messiah of Turkey”, das in diesem Winter von Frank Cass Publishers in Großbritannien veröffentlicht werden soll, enthüllt Ross, daß es eine Anzahl von Schlüsselfiguren in der gegenwärtigen Regierung der Türkei gibt, die Sabbatäer sind – d. h., Anhänger von Shabbtai Tzvi, eines Juden, der im 17. Jahrhundert behauptete, er sei der Messias, Gott Israels, und später zum Islam konvertierte.
Ross, ein orthodoxer Jude aus London, der an der Hebräischen Universität in Jerusalem Vorlesungen über Mystizismus gehalten hat – aber Universitätsabschlüsse in Ökonomie und in der Geschichte des politischen Denkens hat und ein Pensionsberater des National Health Service in Großbritannien ist – wurde von dem Thema fasziniert, als er das Kapitel über falsche Messiasse in Gershom Scholems „Major Trends in Jewish Mysticism“ las.
„Ich war fasziniert von einem kurzen Satz, in dem es hießt: ‘1970 gab es noch immer viele von ihnen’“, sagt er…
Nach Shabbtai Tzvis Tod, erzählt er, zogen seine Familie und Anhänger nach Salonika. Als Griechenland es 1924 übernahm, kehrten Nachkommen dieser Gemeinschaft in die Türkei zurück…
Ross, der auch Leiter der Hendon United Synagogue ist, einer der größten in London, beschloß vor vier Jahren, ein Buch über seine Entdeckungen zu schreiben. Er begann Türkisch zu lernen und reiste zweimal in die Türkei. „Ich drang in die sabbatäische Struktur ein. Ich traf mich mit dem Präsidenten der sabbatäischen Gemeinschaft. Sie waren soweit, mir eine ihrer geheimen Synagogen zu zeigen, bekamen aber Angst“…
Laut Ross ist die geheime Sabbatäergemeinde mit geschätzten 20.000 Mitgliedern den Sicherheitskräften in der Türkei bekannt, aber nicht der allgemeinen Öffentlichkeit. Die meisten von ihnen leben in Istanbul in großen Luxuswohnblocks im jüdischen Viertel Shishli – ihren Nachbarn unbekannt.