Wachset und mehret euch: Pflanzenvermehrung selbst gemacht

Von Veronika Schubert, aus „Servus in Stadt & Land“, Ausgabe August 2015.

Viele Wege führen zu neuen Pflanzen. Wer den richtigen einschlägt, spart nicht nur Geld in der Gärtnerei, sondern darf sich auch als Geburtshelfer im eigenen Garten fühlen.
Wie man richtig Samen gewinnt, Stecklinge zieht und Absenker biegt.

Wer, wenn nicht die Gärtnerin, weiß nach jahrelanger Vermehrung von Pflanzen, welche Technik ans Ziel führt? Es ist ein umfassendes und oftmals auch außergewöhnliches Angebot an Blumen, Kräutern und Gemüse, das Eveline Bach in ihrem Familienbetrieb am Stadtrand von Wien in vierter Generation hegt. Doch das Besondere, nämlich Samen von Raritäten, ist nur schwer erhältlich, Eveline Bach musste also lernen, selbst für Nachschub zu sorgen – und ganz einfach ist das nicht.

„Ob von einer Pflanze Samen abgenommen werden können, hängt von vielen Faktoren ab“, sagt sie. „Zunächst müssen die Blüten überhaupt Samen ausbilden. Und dann stellt sich die Frage, ob sie nach der Mendel’schen Vererbungslehre stark aufspalten und ob die nächste Generation Veränderungen zeigt oder nicht.“

In der Gärtnerei Bach werden zur Vermeidung von unerwünschten Kreuzungen nur Samen von jenen Pflanzen abgenommen, die in der Mitte einer Reihe stehen. Dort ist – vor allem bei Paradeisern [Tomaten] ist das wichtig – weitgehend gesichert, dass es zu keiner Fremdbestäubung kommt, die die nächste Generation beeinflussen kann. Auch bei Chilis ist im Übrigen Vorsicht angebracht: Sie sind Windbestäuber und sollten isoliert angebaut werden. „Im Hobbybereich ist es aber sogar spannend, auch Neues zuzulassen und zu experimentieren“, sagt Eveline Bach ermunternd. „Mit etwas Glück gelingt sogar im Privatgarten eine neue taugliche Züchtung.“

Wer im nächsten Jahr keine genetischen Veränderungen im Beet haben will, entnimmt die Samen am besten aus dem Dickicht zwischen lauter gleich blühenden Pflanzen. Dort wurden sie höchstwahrscheinlich unter ihresgleichen von Bienen bestäubt oder haben sich selbst befruchtet.

STECKLINGE UND ABSENKER

Wer das Risiko von Veränderungen ganz ausschließen will, vermehrt seine Kulturen mit Stecklingen. „Stecklinge sind Teile von Pflanzen und somit Klone“, erklärt Expertin Eveline Bach. „Da weiß man, dass die exakt gleiche Pflanze heranwächst.“ Allerdings hat die Stecklingsanzucht auch einen Nachteil: Krankheiten der Mutterpflanze können auf den Klon übertragen werden – was bei Samen weitgehend auszuschließen ist.

Sowohl Samen als auch Stecklinge müssen während der Anzuchtphase feucht gehalten werden. Entweder werden die Keimlinge und Jungpflanzen besprüht, oder man schafft durch Folienabdeckung ein entsprechendes Kleinklima. Bei Stecklingen ist auch direkte Sonneneinstrahlung zu vermeiden, die Folien sollten gelegentlich geöffnet werden, um zu lüften.

Bei Samen muss zwischen Licht- und Dunkelkeimern unterschieden werden; Erstere bleiben unbedeckt, Letztere benötigen eine dünne Erdschicht, um zu keimen. Neben der Vermehrung durch Samen gibt es noch eine weitere Methode ähnlich der Stecklingsanzucht. Genauso wie oberirdische Pflanzenteile, also die Stecklinge, anwurzeln und weiterwachsen, tun es auch unterirdische. Man kann ganze Strauchzweige nach unten biegen und in die Erde absenken. Diese Absenker treiben rasch Wurzeln und bilden eine eigene Pflanze, die exakt der Mutterpflanze entspricht.

EINE SAMENBANK FÜRS BEET: WASCHEN, REBELN, TROCKNEN

„Wir suchen vor der Samenabnahme immer die gesündesten und wohlschmeckendsten oder aromatischsten Pflanzen aus und markieren sie“, sagt Eveline Bach, „um später genau diese reifen Früchte zu erhalten. Das heißt, wir selektieren zur Vermehrung nur die Besten.“ Und ganz wichtig bei der Samengewinnung: eine exakte Beschriftung der Säckchen, um spätere Verwechslungen auszuschließen.

Samen müssen zum jeweils richtigen Zeitpunkt geerntet werden; Fruchtgemüse wie Paradeiser und Gurken erst, wenn sie voll ausgereift sind; Salat, Korbblütler und diverse Kräuter, wenn der Samen knapp davorsteht, selbst auszufallen; Hülsenfrüchte und Schoten von Radieschen und Kohl, wenn sie trocken und brüchig sind.

Vor dem Einlagern des Saatguts in Papiersäckchen werden die Samen gereinigt. Schoten und Hülsen von Bohnen und Erbsen werden trocken gedroschen und gerebelt, anschließend mit dem Sieb gereitert und von Staub befreit. Bei Chilis ist das ein heikler Vorgang, da manche Samen so scharf sind, dass der in der Luft schwebende Schärfewirkstoff Capsaicin in Innenräumen zu Tränen und Atemnot führen kann.

Samen von Paradeisern und Gurken werden nass gereinigt; meist lässt man sie gären, um die keimhemmende Schicht, die das Samenkorn umgibt, zu lösen.

Die Gärung funktioniert so: Zuerst wird das Fruchtfleisch in ein Glas gelöffelt, dann lässt man dieses luftdurchlässig verschlossen, ohne direktes Sonnenlicht stehen. Bei Paradeisern dauert der Gärprozess 2 bis 3 Tage, bei Gurken nur einen Tag.

Danach werden die Samen gründlich mit Wasser ausgeschwemmt, indem das Glas ein paarmal gefüllt und nach Absenkung der Samen wieder geleert wird. Zuletzt alles mit einem Sieb durchspülen und auf einem Porzellanteller trocknen (nicht auf Papier, damit die Samen nicht kleben bleiben).

ABSENKER: WIE AUS EINER VERBEUGUNG NEUE PFLANZEN ENTSTEHEN

Krautige Pflanzen und Halbsträucher, deren Zweige auch waagrecht wachsen, bilden auf natürliche Weise sogenannte Absenker: Ihre Sprosse entwickeln bei Erdkontakt Wurzeln und wachsen dann als eigenständige Pflanze weiter.

Diese Eigenschaft von Trieben, bei Erdkontakt Wurzeln zu schlagen, macht sich der Gärtner zunutze, indem er sie zu Boden biegt und fixiert (mit einem Haken, einem Hering, einem Stein oder einem Stück Holz). Die Triebspitze ragt dabei aus der Erde. Sobald sich Wurzeln gebildet haben, kann die Jung- von der Mutterpflanze getrennt werden.

Voraussetzung für eine Vermehrung durch Absenker sind biegsame Zweige. Ribiseln [Johannisbeeren], Hartriegel, Felsenbirne, Fächerahorn, Scheinhasel und die im Winter blühende Zaubernuss lassen sich gut durch Absenker vermehren.

STECKLINGE WACHSEN SCHNELLER

Stecklinge wachsen schneller zu großen Pflanzen heran. Bei Samen muss nämlich erst die Saat auflaufen, und dann werden noch die Keimlinge vereinzelt. Bis die Pflanze also all ihre Energie in das Größenwachstum investieren kann, vergeht viel Zeit. Stecklinge haben hier einen deutlichen Wachstumsvorsprung.

Der oft empfohlene saubere Schnitt mit scharfem Messer, um einen Steckling zu gewinnen, ist nicht immer die einzige Vorgangsweise: Man kann die Zweige auch mit der Hand abbrechen. „Sie dürfen nicht zu weich sein“, erklärt Eveline Bach, „denn dann können sie nicht gut gebrochen werden, und auch nicht zu hart, sonst lösen sie sich nicht mehr ohne Wunde von der Mutterpflanze.“ Das Brechen ist in der Gärtnerei Bach eine gängige Methode. „Mit der Zeit bekommt man ein Gefühl dafür, welche Pflanzen sich eignen. Zu holzige treiben schlecht aus, solche mit großen Blättern verdunsten zu viel Wasser.“ Krankheiten von Mutterpflanzen werden übrigens durch Hände seltener auf die abgebrochenen Triebe übertragen als durch unsaubere Messerklingen.

Für Stecklinge bricht man in der Regel Stücke mit 2 bis 3 Nodien (verdickte Knoten am Blattansatz) ab. Es gibt Kopfstecklinge (Triebspitze mit einigen Blättern; sie wachsen am besten an), Triebstecklinge (Triebstück ohne Triebspitze mit einigen Blättern) und Blattstecklinge (Blatt ohne Triebstück). Fast alle Stecklinge werden frisch gebrochen in die Erde gesteckt, eine Ausnahme sind Pelargonien, deren Bruchstellen abtrocknen sollen.

Da bei Anzuchttöpfen das sandige Substrat fest angedrückt wird, benötigt man ein Pikierholz, mit dem man Löcher in die Erde bohrt. Während des Anwachsens muss die Erde immer feucht gehalten werden. Sind die Stecklinge bewurzelt, werden sie vereinzelt: Man pflanzt sie, je nach Topfgröße, einzeln oder zu dritt um, damit sie mehr Platz für ihr weiteres Wachstum haben.

ZWIEBEL: GROSSE UND KLEINE ZEHEN

Eine besondere Art der Vermehrung lässt sich bei allen Zwiebelpflanzen nutzen. Knoblauch (Bild unten) etwa bildet als Überdauerungsorgan eine Zwiebel, die aus mehreren Zehen besteht. Um eine Hauptzehe sind etwa 20 Nebenzehen angeordnet. Als Kuriosum erscheinen außerdem oberirdisch neben den unfruchtbaren Blütchen am Blütenstand etwa 10 bis 20 runde winzige Brutzwiebeln. Vermehren lässt sich der Knoblauch sowohl durch die Tochterzwiebeln, die sogenannten Zehen, als auch durch die Brutzwiebeln. Alle 15 cm werden sie ca. 5 cm tief in die Erde gesteckt und dabei nicht an jener Stelle gepflanzt, an der im Vorjahr Zwiebeln, Lauch oder andere Zwiebelgewächse wuchsen. Knoblauch ist im Übrigen eine beliebte Mischkulturpflanze, da er durch seinen Geruch Schädlinge bei anderen nahen Gewächsen vertreibt.

Anstatt Blüten und Samen zu treiben, bildet auch die Etagenzwiebel, ähnlich wie der Knoblauch, oberirdische Brutzwiebeln.

GUT ZU WISSEN

Die Wurzelstöcke von Blütenstauden wie Indianernessel, Sonnenhut und Katzenminze oder von manchen Kräutern wie Liebstöckl können nach einigen Jahren mit Spaten, Grabgabel oder Gartenschere geteilt werden. Damit vermehrt man nicht nur die Pflanzen, sondern fördert auch die Blüte im nächsten Jahr bzw. einen frischen, verjüngten Austrieb. Bei knolligen Wurzelstöcken von Taglilien und Pfingstrosen schneidet man mit einem scharfen Messer die Rhizome durch.

Erdbeeren bilden Kindeln. Das sind kleine, vollständige Pflänzchen, die an langen Trieben (Ausläufern) sitzen. Sie werden im August einfach abgeschnitten und neu gepflanzt. Die Jungpflanzen dürfen nicht zu tief, aber auch nicht zu hoch gesetzt werden – das empfindliche Herz in der Mitte der Pflanze sollte knapp über der Erde liegen.

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Leseempfehlungen:

Die EU-Saatgutverordnung als Vorbereitung einer neuen Hungerwaffe von mir (als Deep Roots)

Im Gartenratgeberteil der Novemberausgabe 2014 von „Servus in Stadt & Land” gibt es einen kurzen Abschnitt über das richtige Lagern von Saatgut, der für künftige Saatgut-Guerillas brauchbar sein könnte:

SAATGUT LAGERN
Samen sollten trocken, kühl (bei 0 bis 10°C) und dunkel gelagert werden, am besten im Keller, denn in Wohnräumen sind die Temperaturen immer höher.
Sind Samenvorräte aus dem Vorjahr übrig geblieben, dann bewahrt man diese luftdicht verschlossen, z. B. in Marmelade- und Einmachgläsern, auf. Feines, selbst gesammeltes Saatgut sollte ebenfalls luftdicht gelagert werden. Wer daheim noch schwarze Filmdöschen findet, hat Glück, denn die sind ideal. Ein paar dazugemischte Reiskörner oder kleine Packerln mit Kieselgel aus dem Schuhkarton entziehen der Luft die Feuchtigkeit und halten die Samen trocken und keimfähig.

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