Israels Malaise: Vorbereitung auf eine neue Diaspora?

Von Peter Stuyvesant, übersetzt von Deep Roots.

Das Original Israel’s Malaise: Prepare for the Next Diaspora? erschien am 3. August 2011 im Occidental Observer.

In der Diskussion um den Status und die Zukunft Israels neigen die meisten Leute dazu, dessen soziale und wirtschaftliche Struktur wegen seiner politischen und militärischen Leistungsfähigkeit zu übersehen. Aber die größte Bedrohung für den jüdischen Staat scheint nicht aus dem Ausland zu kommen, trotz des Lobbyings gegen den Iran. Der Arabische Frühling kommt nach Tel Aviv, aber nicht so wie vorhergesehen.

Als der Zionismus im 19. Jahrhundert von Theodor Herzl auf den Weg gebracht wurde, war er für die Juden nicht sehr reizvoll, nicht zuletzt weil Palästina ein Teil des wirtschaftlich rückständigen und politisch instabilen Osmanischen Reiches war. Wenn europäische Juden sich zur Auswanderung entschlossen, zogen sie Nordamerika vor, wo die Industrie sich schnell entwickelte und die Wirtschaft boomte. Der Zionismus war nicht nur ohne Reiz, sondern wurde auch weithin als unrealistisch betrachtet – konnte das ländliche Palästina den Millionen städtischer Juden, die in der Diaspora lebten, einen wirtschaftlichen Lebensunterhalt bieten?

Heute ist die Frage der wirtschaftlichen Erhaltung Israels dringender als je zuvor. Israel hat jahrzehntelang großzügige wirtschaftliche und militärische US-Unterstützung und deutsche Reparationen genossen, aber Milliarden Dollars in die israelische Wirtschaft zu pumpen, hat nicht ausgereicht, um die israelischen Ausgaben aufzuwiegen. Israels Wirtschaft wird von seinem Verteidigungsbudget belastet, das nahe an 25 % des BIP liegt, und von seinem riesigen Staatsapparat, der ein Drittel der Beschäftigten umfaßt. Sein aufwendiges soziales Wohlfahrtssystem ist ebenfalls eine große Bürde für das Staatsbudget, das von dem niedrigen Ausmaß der Teilnahme am Arbeitsmarkt unter der wachsenden Zahl der orthodoxen Juden geplagt wird. Diese Juden sind auch vom Militärdienst befreit.

Ein Blick auf die offiziellen Zahlen fürdie Bildung und Teilnahme am Arbeitsmarkt unter den jungen Israelis enthüllt einige interessante Tatsachen. Seit nahezu einem Jahrzehnt sind etwa 25 % der 15-19jährigen und 40 % der 20-24jährigen weder beschäftigt noch in Ausbildung. In diesem Licht überrascht es nicht, daß es die Jugend ist, die heutzutage in Tel Aviv auf die Straße geht. Zigtausende von Protestierenden füllen die Straßen und fordern bessere Lebensstandards, mehr Wohnungen etc. Anders als der Arabische Frühling, der wochenlang in den Schlagzeilen war, wird über diese Neuigkeiten kaum berichtet.

Anhaltende Unsicherheit und der Mangel an wirtschaftlichen Aussichten treibt die Israelis aus dem Gelobten Land. Viele bewerben sich um einen zweiten Paß, nur für den Fall. Rt.com hat bereits im Juni dieses Jahres eine Geschichte zu diesem Thema gebracht und kommt zum Schluß, daß jedes Jahr mehr Israelis nach Europa und in die Vereinigten Staaten weggehen als umgekehrt. Diejenigen, die gehen, sind diejenigen mit der Aussicht auf Beschäftigung anderswo, wobei die Armen zurückbleiben. Falls dieser Trend sich fortsetzt, wird Israel in einer Abwärtsspirale landen, die zur Implosion des Siedlerstaates führen kann: Die verbleibenden Juden werden zunehmend die mit relativ niedrigem IQ begabten religiösen Fanatiker sein, die zu wirtschaftlichem und militärischem Parasitentum neigen – eindeutig ein Rezept für politische Instabilität und wirtschaftliche Malaise.

Diese wachsende Emigration aus Israel ist ein Trend, aber es ist zu früh, um von einer neuen Diaspora zu sprechen, auch wenn einer von fünf russischen Juden nach Rußland zurückgekehrt ist. Dieser Trend wird die Entschlossenheit der Juden in der Diaspora stärken, die Grenzen für ihre jüdischen Brüder offen zu halten, im Gegensatz zu der öffentlichen Meinung, die Grenzen gegenüber der Flut von Einwanderern zu schließen, die von der anderen Seite des Mittelmeers kommen.

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Ein Kommentar

  1. Deep Roots

     /  April 9, 2017

    Auf orf.at ist heute dieser Artikel erschienen

    http://anonym.to/?http://orf.at/stories/2386002/

    EXPERTE: „ISRAELS GRÖSSTE BEDROHUNG“

    Was das in Österreich auslösen würde

    Israels Politik und Gesellschaft haben in den letzten zwei, drei Jahrzehnten einen grundlegenden Wandel durchlaufen. Als wichtigsten Faktor macht dabei der israelische Politologe Jizchak Galnur die Einwanderung von rund einer Million Juden aus Russland und Äthiopien aus. „Stellen Sie sich vor, was das in Österreich auslösen würde“, gibt Galnur im ORF.at-Interview zu bedenken. Das habe die Fliehkräfte in der Gesellschaft nochmals deutlich verstärkt. Das größte Problem ist Galnur zufolge längst nicht mehr der Konflikt mit den Palästinensern, sondern die riesige soziale Kluft innerhalb Israels.

    Ein Problem für alle

    Vor rund sechs Jahren haben monatelange Proteste in zahlreichen israelischen Städten, vor allem aber mitten in Tel-Aviv, das Land aufgerüttelt. Es ging aber nicht um den Konflikt mit den Palästinensern und auch nicht um den Dauerkonflikt zwischen Säkularen und Religiösen – vielmehr kam mit einem Mal eine andere Bruchlinie innerhalb der sehr diversen israelischen Gesellschaft an die Oberfläche.

    Sichtbar wurde die immer größere Kluft zwischen den wenigen, oft Superreichen und der zunehmenden Anzahl an Menschen, die nicht einmal genügend Geld haben, um ihre monatlichen Rechnungen zu bezahlen. Sie zieht sich durch alle Gruppen der israelischen Gesellschaft: Egal, welcher ethnischen Herkunft, ob religiös oder säkular, ob arabisch oder jüdisch. Das zeigten eben jene sozialen Proteste 2011, bei denen Tausende ihre Zelte mitten auf dem zentral gelegenen Rothschild-Boulevard – dem Herzen der vor 108 Jahren gegründeten Stadt Tel-Aviv – aufschlugen.

    Für den israelischen Politikwissenschaftler Jizchak Galnur (Itzhak Galnoor), der sich vergangene Woche auf Einladung des Center for Israel Studies in Wien aufhielt, wurden mit den sozialen Protesten von 2011 starke Veränderungen in der israelischen Gesellschaft manifest. Das Land befinde sich – im Vergleich etwa zu den 1990er Jahren – mit einem deutlichen Rechtsruck und dem Aufgehen der Einkommensschere zwar durchaus im internationalen Trend. Spezifisch israelische Gegebenheiten würden diese Entwicklungen aber noch verschärfen, ist Galnur, der sich selbst als „realistischer Zionist“ und „links von der Arbeiterpartei“ stehend einordnet, überzeugt.

    Fehlendes Gefühl der Sicherheit

    Die Hauptursache für die politischen wie sozialen Radikalisierungstendenzen in Israel sieht Galnur in der großen Einwanderungsbewegung in den 1990er Jahren. Aus der ehemaligen Sowjetunion seien damals rund eine Million Menschen eingewandert, aus Äthiopien etwa 100.000. In einem kurzen Zeitraum seien damals um die 18 Prozent der damaligen Bevölkerung dazugekommen. „Stellen Sie sich einmal vor, was das in Österreich, einem ähnlich großen Land, auslösen würde, wenn plötzlich eine Million Einwanderer dazukämen – aus einer anderen Kultur, einer anderen Welt!“

    Die israelische Gesellschaft sei noch immer überwiegend eine Migrationsgesellschaft – und „typisch dafür ist es, weniger Sicherheit zu spüren: Ängste, Unsicherheit und ein Gefühl der Instabilität“ seien groß. Und das seien „Dinge, mit denen die Politiker zu spielen wissen“. Politisch bewirke das ein Gefühl, als ob es nur noch „Stämme“, also Klientelgruppen, gebe: „Den Stamm der Aschekanen, der Sefarden, der Russen, der Äthiopier, der Araber, der alten Einwanderer usw.“

    Neoliberale Wende

    Die Entwicklung der israelischen Gesellschaft ist laut Galnur aber durch hausgemachte Entscheidungen der Politik weiter erschwert worden. Der Politologe macht dafür vor allem eine in den 1980er Jahren eingeläutete Wende hin zum Neoliberalismus verantwortlich. Das habe durchaus einem Trend in westlichen Industriestaaten entsprochen – in Israel sei der wirtschaftspolitische Politikwechsel aber „viel abrupter und radikaler“ vollzogen worden als anderswo.

    In Israel sei jedenfalls nicht nur die Globalisierung verantwortlich, sondern die Politik habe sich „klar entschieden, nur der Hightech-Branche zu helfen“. Das treffe bis heute die wirtschaftlich schwachen und weniger gebildeten Bevölkerungsschichten.

    Das wiederum führte laut Galnur dazu, dass Israel die höchste Armutsrate innerhalb der OECD hat und neben den USA und Mexiko die Industrienation mit dem größten Maß an Ungleichheit ist. Noch vor 30 Jahren sei Israel dagegen noch einer der sozial ausgeglichensten Staaten gewesen.

    Krise „ist eine Chance“

    „Ausgerechnet dieser Zustand ist aber eine Chance“, ist sich der Politikwissenschaftler sicher – nämlich „zu sagen, wir konzentrieren uns auf den Aufbau der Gesellschaft“. Israels Wirtschaft sei stark, „aber nur für die Starken“. Es gebe mittlerweile ein starkes Bedürfnis nach Solidarität. Anders als in den politischen Kernfragen, wie dem Konflikt mit den Palästinensern, gebe es daher „eine Mehrheit für einen Kurswechsel hin zu einer sozial ausgerichteten Politik. Auch bei jenen, die rechts wählen.“

    Denn immer mehr Israelis leben in prekären Verhältnissen und viele können sich heute nicht einmal mehr eine Wohnung leisten. Die immer größere Kluft zwischen Armen und Reichen verläuft nach Ansicht Galnurs quer zu den vielen anderen Bruchlinien, und sei dadurch ein verbindendes Element. Das hätte nicht zuletzt die Teilnahme von Religiösen und Siedlern an den Protesten von 2011 gezeigt.

    Kompromittierter Kompromiss

    Galnur warnt indirekt davor, die Vergangenheit zu verklären. Einen breiten gesellschaftlichen Konsens – über die Sicherung der Existenz des Staates hinaus – habe es in Israel jedenfalls auch in der Vergangenheit nie gegeben. Gesellschaft und Politik seien immer gespalten gewesen. Selbst die einst so mächtige Mapai von Staatsgründer David Ben-Gurion (Vorgängerpartei der heutigen oppositionellen Arbeiterpartei, Anm.) habe niemals eine absolute Mehrheit gehabt, sondern immer Koalitionspartner gebraucht.

    Zusehends verloren gehe aber die Fähigkeit, auf Regierungsebene einen Interessenausgleich zu schaffen – also Kompromisse zu finden. Alle würden sich darüber aufregen, dass in der Politik immer gestritten werde und Kompromisse geschlossen würden – aber in der Vergangenheit sei genau das Teil des Erfolgs gewesen. Galnur erklärt dies unter anderem damit, dass die Parteienlandschaft heute noch viel zersplitterter sei und es keine tonangebende Partei mehr gebe. Vor allem die innerisraelische Kluft zwischen Juden und Arabern habe sich dadurch vergrößert.

    Der „Schlüssel“ zur Lösung

    Für den bekennenden Linken Galnur lassen sich freilich die gesellschaftspolitischen Fragen, vor denen Israel steht, nicht vom Konflikt mit den Palästinensern abkoppeln. Der Abzug aus den besetzten Gebieten sei der „Schlüssel“ für die Lösung der sozialen Probleme. Neben der moralischen Dimension gebe es auch keinen Grund, „so gewaltige Summen jenseits der Grenze zu investieren“.

    Auch wenn viele Politiker, vor allem rechts der Mitte, hier anderer Ansicht sind, zeigt sich Galnur von einem überzeugt: Nicht äußere Bedrohungen sind das größte Problem. „Wenn Sie mich fragen, was bedroht Israel in seiner Existenz, dann antworte ich darauf: nicht die Hamas, nicht der Iran, nicht die Hisbollah, auch nicht die Konflikte zwischen Säkularen und Religiösen, sondern die soziale und wirtschaftliche Kluft. Sie ist meiner Meinung nach die größte Bedrohung für die israelische Gesellschaft.“

    Pessimistisch sei er deshalb aber „überhaupt nicht“, betont Galnur. Die israelische Gesellschaft sei trotz der vielen Konflikte stark – und habe sich in Krisenzeiten als widerstandfähig erwiesen. Es brauche „einfach“ die richtigen Führungspersönlichkeiten, „die die Dinge in die Hand nehmen und auf eine Lösung hinarbeiten“.

    Es kann durchaus sein, daß das „Rückkehrgesetz“ für alle Nachkommen von Juden, die 1492 aus Spanien vertrieben wurden, über das Emily Harris in ihrem Artikel Spanien strebt nach 523 Jahren Wiedergutmachung für die Judenvertreibung an schreibt und das inzwischen schon beschlossen worden ist, wie Osimandia nach der Veröffentlichung ihrer Übersetzung herausgefunden und in einem Kommentar zum AdS-Originalstrang mitgeteilt hat, auch in diesem Zusammenhang angestrebt worden ist.

    Denn dadurch würde vielen israelischen Juden die Möglichkeit eröffnet, einfach eine solche Abstammung zu behaupten (welcher Behördenmensch würde es wagen, solche Behauptungen genauer zu überprüfen und sich dem Vorwurf des „Antisemitismus“ auszusetzen?) und sich die spanische Staatsbürgerschaft zu beschaffen, worauf sie Bewegungs- und Ansiedlungsfreiheit im gesamten Schengenraum hätten. Die würden sich wie Mehltau über Europa legen, sich in allen Angelegenheiten einschließlich Jobs eine Vorzugsbehandlung ertrotzen, immer sofort kollektiv „Antisemitismus!“ kreischen, wenn sie etwas nicht bekommen, und zu dem Myzel der europäerfeindlichen Aktivismen aller Art beitragen.