
Birgu, Blick auf Fort St. Angelo
Von Ernle Bradford, erschienen in „Das Beste aus Reader’s Digest“, Februar 1986, als Auszug aus seinem 1961 veröffentlichten Buch „The Great Siege of Malta“ (ins Deutsche übertragen von Ernst Theo Rohnert).
Noch heute wirft der militante Islam immer wieder beunruhigende Schatten auf seine Nachbarn, ja die ganze Welt. In der Mitte des 16. Jahrhunderts aber stand er auf dem Gipfelpunkt seiner Machtentfaltung. Seine Angriffsspitze, das osmanisch-türkische Militärreich, drohte die christliche Welt in die Knie zu zwingen. In diesem kritischen Augenblick der europäischen Geschichte trafen die von Sieg zu Sieg eilenden Moslems auf eine Christenheit, die ihnen an Streitbarkeit, Entschlossenheit und Opferbereitschaft nicht nachstand. Auf der kleinen, strategisch wichtigen Insel Malta stemmte sich eine an Zahl weit unterlegene Legion fremder christlicher Krieger dem mächtigen Osmanischen Reich in einem Kampf entgegen, der auf beiden Seiten mit äußerster Härte geführt wurde.

Das Osmanische Reich im 16. und 17. Jahrhundert
„Sultan der Osmanen, Allahs Stellvertreter auf Erden, Herr der Herren dieser Welt, König der Gläubigen und Ungläubigen, Schatten des Allmächtigen, der der Erde Frieden schenkt“ – wie Trommelwirbel schallten die Titel Solimans des Prächtigen durch den Sitzungssaal des Hohen Rates.
Es war 1564. Soliman II., von den Türken Süleiman der Gesetzgeber genannt, war 70 Jahre alt. Seit er mit 26 Sultan geworden war, hatte er die Türkei zum größten Militärstaat der Welt gemacht. Seine Galeeren durchpflügten die Meere vom Atlantik bis zum Indischen Ozean. Sein Reich erstreckte sich von Österreich bis zum Persischen Golf. Doch auch im Alter war Soliman noch ganz vom Wunsch nach mehr Macht und weiteren Eroberungen erfüllt. Und wäre er nicht selbst so ehrgeizig gewesen, dann hätten ihm seine Berater keine Ruhe gelassen.
„Solange sich Malta in der Hand der Johanniter befindet“, warnte einer von ihnen, „läuft aller Nachschub aus Konstantinopel Gefahr, vernichtet zu werden.“ Ein anderer sagte: „Wenn Ihr diesen vermaledeiten Fels nicht erobert, wird er bald den gesamten Verkehr zwischen Euren nordafrikanischen Besitzungen und den griechischen Inseln abschnüren.“

Kleine Johanniter-Schebecke um 1600
42 Jahre waren vergangen, seit Soliman die christlichen Johanniterritter von der Inselfestung Rhodos vertrieben hatte. Aber Malta, wo der heimatlos gewordene Orden Zuflucht gefunden hatte, hatte sich für den Sultan als ein noch größerer Störfaktor erwiesen als Rhodos. Alle Schiffe, die die Wasserstraße zwischen Sizilien und Nordafrika passierten, waren den marodierenden Galeeren der Ritter auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Der Gipfel der Provokation schien erreicht, als die Ritter ein reich beladenes Handelsschiff kaperten, das dem Obereunuchen in Solimans Serail gehörte. Die Odalisken des Harems warfen sich vor dem Sultan zu Boden und schrien nach Rache. Der Imam der Großen Moschee erinnerte den Sultan daran, daß auf den Ruderbänken der Ordensgaleeren Rechtgläubige mit Peitschenhieben angetrieben wurden.
Es ist unwahrscheinlich, daß sich der Sultan durch dieses Geschrei beeinflussen ließ. Allein aus Unmut oder aus Prestigegründen hätte Soliman den Inselstützpunkt der Ritter schwerlich angegriffen. Aber das kleine Malta war mit seinen großartigen Häfen der Schlüssel zum Mittelmeer und zu Westeuropa. So berief Soliman im Oktober 1564 einen Staatsrat oder „Diwan“ ein, der die Möglichkeiten einer Belagerung Maltas erörtern sollte. Der oberste Aga des Sultans erklärte: „Diese maltesischen Hundesöhne, die durch Eure Gnade auf Rhodos verschont geblieben sind – sie sollen endlich niedergeworfen und vernichtet werden!“ Als jeder seine Meinung gesagt hatte, wies der Sultan darauf hin, daß Malta das Sprungbrett nach Sizilien und damit nach Italien und Südeuropa sei. Der Diwan faßte den Beschluß, Malta zu zerschlagen.
„Dieser vermaledeite Fels“
Die maltesische Inselgruppe liegt rund 90 Kilometer südlich von Sizilien und umfaßt zwei Hauptinseln, Malta und Gozo. Malta ist etwa 27 Kilometer lang und 14,5 Kilometer breit, während Gozo 14,5 mal 7 Kilometer mißt. Die Inseln waren dem heimatlosen Johanniterorden von Kaiser Karl V. zu Lehen gegeben worden, „damit die Ritter ihre Waffen wieder gegen die gottlosen Feinde des heiligen Glaubens einsetzen können.“

Aber die von den Rittern entsandte Kommission, die die Inseln erkunden sollte, war entsetzt gewesen. Malta sei „nichts als ein Fels aus weichem Sandstein“, berichteten sie, „für den Anbau von Weizen oder anderem Getreide ungeeignet“. Holz sei so knapp, daß es pfundweise verkauft werde. In den Küchen werde mit Kuhdung oder wilden Disteln geheizt. Die Sommerhitze sei „fast unerträglich.“
Wäre der Orden nicht in solcher Not gewesen, er hätte das karge Geschenk des Kaisers zurückgewiesen. Aber seine Führer hatten die Höfe Europas jahrelang bekniet, ihm bei der Suche nach einem festen Sitz zu helfen – vergebens. So geachtet der Orden wegen seiner Tapferkeit im Kampf auch war, beliebt war er nicht. Die Ritter vom heiligen Johannes zu Jerusalem waren der letzte geistliche Militärorden, der noch aus der Zeit der Kreuzzüge übriggeblieben war. Sie kamen aus allen Teilen Europas, schuldeten aber nur dem Papst Gehorsam – und waren deshalb den Herrschern der gerade emporgekommenen souveränen Staaten Europas verdächtig.
Was die Ritter mit Malta versöhnte, waren seine hervorragenden Häfen. Die Johanniter waren ursprünglich ein zu Lande operierender Orden gewesen, nach ihrer Vertreibung aus dem Heiligen Land aber notgedrungen Seefahrer geworden und lebten jetzt von einer Art „organisierter Piraterie“ – anders kann man es kaum nennen. Ein guter Hafen war für sie das Wichtigste. Und so hatten sie 1530 von ihrer neuen Heimat Besitz ergriffen.
Wie die Kundschafter vorausgesagt hatten, fanden sie Malta geradeso unwirtlich, wie sie den alten Herren der Insel unwillkommen waren. Den 12.000 Bauern auf Malta und den 5.000 auf Gozo war es wahrscheinlich einerlei, wer ihr Herr war. Ihr Leben war Plackerei, unterbrochen von brutalen Überfällen moslemischer Seefahrer; schlimmer konnte es für sie gar nicht kommen. Aber dem Inseladel waren die hochmütigen Neuankömmlinge ein Dorn im Auge; grollend zog er sich in seine Paläste in der ummauerten Stadt Mdina zurück.
Die Ritter hatten nicht vor, ihn zu belästigen. Sie zogen in das kleine Fischerdorf Birgu im Inneren des Großen Hafens. Und dort begannen die ihrer Sache verschworenen wehrhaften Männer, die durch die Geschichte Maltas geistern wie Besucher von einem anderen Stern, mit der Anlage von Verteidigungswerken. Sie rechneten fest damit, daß die Türken versuchen würden, den Erfolg von Rhodos zu wiederholen.
Großmeister La Valette
Die Johanniter waren ursprünglich eine Bruderschaft gewesen, die sich der medizinischen Forschung und der Ausbildung von Ärzten widmete. Die beiden Jahrhunderte auf Rhodos hatten dann aber den Charakter des Ordens verändert. Waren sie vorher in erster Linie „Hospitaliter“ (Krankenpfleger) und in zweiter Soldaten gewesen, so stand nun die Seefahrt an erster Stelle, und erst dann kam die Medizin. Auf Rhodos, das einem auf die Flanke der Türkei gerichteten Speer glich, waren sie zu den besten Seeleuten geworden, die das Mittelmeer je befahren hatten.
Sie waren jetzt ein Amalgam aus Angehörigen aller europäischen Nationen – eine Fremdenlegion militanter Christen. Gegliedert war sie in acht „Zungen“, die acht europäische „Provinzen“ repräsentierten: Auvergne, Provence und Frankreich (alle drei französischsprachig), Aragonien und Kastilien (spanisch) sowie Deutschland, Italien und England (zur deutschen Zunge gehörten damals die Großpriorate Deutschland, Böhmen-Österreich, Ungarn und Dacien [Skandinavien]). Als sich Heinrich VIII. von Rom lossagte, löste er die „alte und edle Zunge von England“ auf, und England war nur noch mit einem einzigen Ritter vertreten.
Der Mann, der seit 1557 an der Spitze des Ordens stand und sich jetzt rüstete, der Macht Solimans die Stirn zu bieten, war der provenzalische Großmeister Jean Parisot de La Valette. Er war Ordensritter mit Leib und Seele. Seit er den Johannitern mit 20 Jahren beigetreten war, hatte er den Konvent nie mehr verlassen – es sei denn, die Pflichten hätten es erfordert. Ein Zeitgenosse schildert ihn als „stattlichen Mann, hochgewachsen, ruhig, nüchtern und fähig, sich auf italienisch, spanisch, griechisch, arabisch und türkisch geläufig zu unterhalten.“ Die beiden letztgenannten Sprachen hatte er gelernt, als er in Gefangenschaft geraten und türkischer Galeerensklave geworden war. Ein Jahr lang hatte er in der Hölle der Ruderbänke zugebracht, ehe er durch einen Gefangenenaustausch wieder freikam.

Jean Parisot de La Valette
„Manchmal“, schrieb ein anderer Franzose, dem es ähnlich ergangen war, „rudern die Galeerensklaven zwölf, ja zwanzig Stunden hintereinander. Offiziere gehen herum und stecken den Unglücklichen in Wein getunktes Brot in den Mund, damit sie nicht schlappmachen. Wenn ein Sklave erschöpft über dem Ruder zusammenbricht, wird er gepeitscht, bis man ihn für tot hält, und dann über Bord geworfen.“
La Valette war ein lebender Beweis dafür, daß Männer, die ein solches Martyrium hinter sich hatten, nicht notwendig krank und gebrechlich sein mußten, sondern sehr alt werden konnten. Unverwüstlich wie die salzgebeizte Eiche eines Schiffskiels, war er jetzt ebenso alt wie Soliman – 70. Wenn ein Mann, der ein Leben lang ständig im Kriegseinsatz war, ein so hohes Alter erreichte, mußte er schon außergewöhnlich zäh sein. Wenn er darüber hinaus im Vollbesitz seiner körperlichen und geistigen Kräfte blieb, mußte er fast ein Übermensch sein. War er dazu noch von eine fanatischen religiösen Glauben beseelt, so gab es nicht viel, was ihm standzuhalten vermochte.

Im April 1565 erfuhr La Valette, daß die Flotte des Sultans aus dem Goldenen Horn ausgelaufen war. Den ganzen April und Mai hielten schnelle Schiffe den Orden über das Näherrücken der Türken auf dem Laufenden. Mitte Mai rief der Großmeister seine Brüder zusammen.
„Die große Schlacht zwischen Kreuz und Koran muß jetzt geschlagen werden“, sagte er. „Wir sind die erwählten Soldaten des Kreuzes, und wenn der Himmel die Hingabe unseres Lebens fordert, kann es keine bessere Gelegenheit geben als diese. Laßt uns zum Altar eilen, um unsere Gelübde zu erneuern und durch unseren Glauben die Todesverachtung zu erlangen, die allein uns unbesiegbar machen kann.“
Insel in Waffen
Als sich am Freitag, dem 18. Mai, der Frühnebel vom Wasser hob, sahen die Wachtposten im Nordosten eine große, fächerförmig gestaffelte Formation auftauchen: die 180 Schiffe der feindlichen Flotte. Die Spitze bildeten die Fahrzeuge der beiden türkischen Befehlshaber: Mustafa Paschas 28bänkige Galeere und die mit 32 Ruderbänken ausgestattete Riesengaleere Pialis, des Admirals der osmanischen Kriegsflotte.
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