
Dies ist Poul Andersons allererster Roman, der 1954 erstmals veröffentlicht wurde und hier in der von ihm 1971 überarbeiteten Fassung, in der 1987 erschienenen deutschen Übersetzung von Rosemarie Hundertmarck vorliegt. Siehe dazu „Der Zauber des Nordens“: Einleitungen zu „Das geborstene Schwert“! (Das Titelbild wurde von mir eingefügt und zeigt das im Roskildefjord gefundene Wikingerschiff Skuldelev 2, dessen Nachbau „Havhingsten fra Glendalough“ [„Seehengst von Glendalough“] heute im Wikingerschiffsmuseum von Roskilde zu besichtigen ist.)
I
Es war ein Mann, Orm der Starke genannt, ein Sohn von Ketil Asmundssohn. Ketil war Freisasse im Norden von Jütland, und seine Sippe lebte dort schon seit Menschengedenken und besaß viel Land. Ketils Frau hieß Asgerd. Sie war das Kind einer Buhle von Ragnar Fellhose. Also war Orm von guter Herkunft, aber da er der fünfte lebende Sohn seines Vaters war, hatte er kein großes Erbteil zu erwarten.
Orm war ein Seefahrer und verbrachte die meisten Sommer auf Beutefahrt. Er war noch jung, als Ketil starb. Asmund, der älteste Bruder, übernahm den Hof. Das ging so lange, bis Orm in seinem zwanzigsten Winter zu ihm ging und sagte:
„Jetzt sitzt du seit einigen Jahren hier auf Himmerland und machst guten Gebrauch von dem, was dein ist. Wir übrigen wollen einen Anteil. Aber wenn wir den Boden in fünf teilen, ganz zu schweigen von dem Leibgedinge für unsere Schwestern, sinken wir zu Kleinbauern herab, und wenn wir tot sind, wird sich niemand mehr an uns erinnern.“
„Das ist wahr“, antwortete Asmund. „So arbeiten wir am besten zusammen.“
„Ich will nicht der fünfte Mann am Ruder sein“, sagte Orm, „und deshalb mache ich dir dies Angebot. Gib mir drei Schiffe mit Gut und Vorräten und an Waffen genug, um die, die mir folgen wollen, auszurüsten, und ich will mir eigenes Land suchen und den Anspruch auf das unseres Vaters aufgeben.“
Das hörte Asmund gern, besonders, da zwei der Brüder erklärten, sie wollten mit Orm gehen. Ehe es Frühling wurde, waren die Langschiffe bereit und ausgestattet, und viele der jüngeren und ärmeren Männer waren froh, mit Orm westwärts zu segeln. Beim ersten guten Wetter, als aber die See noch rauh war, führte Orm seine Schiffe aus dem Limfjord, und Asmund sah ihn niemals wieder.
Sie ruderten schnell nach Norden, bis die Moore und tiefen Wälder unter dem hohen Himmel von Himmerland hinter ihnen lagen. Als sie das Skagerrak umrundet hatten, bekamen sie guten Wind und konnten Segel setzen. Nun zeigten ihre Hintersteven auf ihr Heimatland, und da zogen sie am Bug die Drachenköpfe auf. Das Tauwerk ächzte, die Wellen schäumten, die Möwen schrien um die Rahnock. Frohen Herzens sang Orm:
Weißmähnige Rosse wiehern,
nach Westen sie eilen,
schnaubend und schäumend
schütteln sie sich.
Wild wie die Winde
des Winters
toben und trotzen sie,
tragen sie Lasten für mich.
Da er die Fahrt so früh angetreten hatte, erreichte er England vor den meisten anderen Wikingern und machte reiche Beute. Als der Sommer zu Ende ging, suchte er in Irland ein Winterquartier. Von dieser Zeit an blieb er für immer auf den westlichen Inseln. Die Sommer verbrachte er auf Beutefahrt und tauschte im Winter einiges von seinem Reichtum gegen weitere Schiffe ein.
Endlich jedoch wuchs in ihm der Wunsch nach einem eigenen Heim. Er schloß sich mit seiner kleinen Flotte der großen Guthorms an, den die Engländer Guthrum nannten. Er gewann viel, während er diesem Herrn an Land und zur See folgte, aber er verlor auch viel, als König Alfred den Tag bei Ethandun gewann. Orm und eine Anzahl seiner Männer gehörten zu denen, die sich durchschlugen. Später hörte er, daß Guthrum und den anderen eingeschlossenen Dänen ihr Leben dafür geschenkt worden war, daß sie die Taufe annahmen. Orm sah voraus, daß es irgendwann zwischen seinem Volk und dem Alfreds zum Frieden kommen würde. Dann konnte er in England nicht mehr so frei zugreifen, wie er es bisher getan hatte.
Daher steuerte er die Gegend an, die später Danelaw genannt wurde, und suchte nach einem Ort, wo er sich niederlassen konnte.
Er fand einen grünen, schönen Platz an einer kleinen Bucht, die als Hafen für seine Schiffe dienen konnte. Der Engländer, der dort wohnte, war ein reicher und ziemlich mächtiger Mann und wollte nicht verkaufen. Aber Orm kam des Nachts zurück, umstellte mit seinen Männern das Haus und verbrannte es. Der Eigentümer, seine Brüder und die meisten seiner Knechte fanden den Tod. Es hieß, die Mutter des Mannes, die eine Hexe war, kam davon – denn die Angreifer ließen alle Frauen, Kinder und Mägde, die es wünschten, aus dem Haus gehen – und sprach über Orm den Fluch, sein ältester Sohn solle außerhalb der Welt der Menschen aufwachsen, während Orm an seiner Stelle einen Wolf großziehen solle, der ihn eines Tages zerreißen werde.
Da schon viele Dänen in dieser Gegend lebten, wagte die Sippschaft des Engländers nichts anderes zu tun, als von Orm Wergeld und Landpreis anzunehmen, und damit gehörte der Hof nach dem Gesetz ihm. Er baute ein schönes neues Wohnhaus und andere Gebäude, und mit seinem Gold, seinen Gefolgsleuten und seinem Ruhm galt er bald als ein großer Häuptling.
Als er ein Jahr auf seinem Hof gesessen hatte, hielt er es für angebracht, sich eine Frau zu nehmen. Mit vielen Kriegern ritt er zu dem englischen Edelmann Athelstane und warb um dessen Tochter Älfrida, die als die schönste Jungfrau im Königreich galt.
Athelstane erging sich in Ausflüchten, aber Älfrida sagte Orm ins Gesicht: „Einen Heidenhund will ich nicht heiraten, und ich kann es auch nicht. Und wenn du mich mit Gewalt nimmst, wirst du wenig Freude daran haben – das schwöre ich.“
Sie war schlank und zart mit weichem, rötlichbraunem Haar und großen grauen Augen. Orm dagegen war ein großer, mächtiger Mann, dessen Haut von Wind und Wetter gerötet und dessen Mähne von der Sonne beinahe weißgebleicht war. Und doch hatte er irgendwie das Gefühl, sie sei die Stärkere. Nachdem er eine Weile nachgedacht hatte, antwortete er: „Jetzt, da ich in einem Land lebe, wo die Menschen den Weißen Christus verehren, wäre es wohl klug, wenn ich mit Ihm und mit Seinem Volk Frieden machte. Die Wahrheit ist, daß schon viele Dänen desgleichen getan haben. Ich werde mich taufen lassen, wenn du mich heiraten wirst, Älfrida.“
„Das ist kein Grund!“ rief sie.
„Bedenke“, sagte Orm schlau, „wenn du mich nicht heiratest, werde ich ein Heide bleiben, und dann ist meine Seele verloren, wenn wir den Priestern trauen können. Du wirst dich vor deinem Gott dafür verantworten müssen.“ Athelstane flüsterte er zu: „Außerdem werde ich dieses Haus niederbrennen und dich von den Klippen ins Meer werfen.“
„Aye, Tochter, wir dürfen es nicht zulassen, daß eine menschliche Seele verlorengeht“, erklärte Athelstane schnell.
Älfrida widersetzte sich nicht mehr lange, denn auf seine Art hatte Orm weder ein häßliches Aussehen noch schlechte Manieren. Abgesehen davon konnte Athelstanes Sippe einen so starken und reichen Verbündeten wohl brauchen. Also wurde Orm getauft, und bald danach heiratete er Älfrida und führte sie in sein Haus. Sie lebten recht zufrieden miteinander, wenn auch nicht immer friedlich.
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