Runenentfernung

Von Robert Hampton, übersetzt von Lucifex. Das Original Rune Scrape erschien am 28. Mai 2019 auf Counter-Currents Publishing.

Schweden verbietet vielleicht die Runen, um den Rassismus einzudämmen.

Der Justizminister Morgan Johannsson untersucht den Vorschlag, zu sehen, ob das Verbot die „Anstiftung zu ethnischem Hass“ unterdrücken würde. Zusammen mit den Runen könnten mehrere andere nordisch-heidnische Symbole gemäß dem Vorschlag verboten werden, wie Mjölnir (Thors Hammer) und der Valknut [Wotansknoten]. Der Schritt richtet sich eindeutig gegen die Nordische Widerstandsbewegung, die eine Tiwaz-Rune als Logo verwendet, und gegen andere weiße Nationalisten.

Natürlich sind viele Schweden über den Vorschlag verärgert. „Unsere Einstellung ist, daß Vorurteile und Mißverständnisse am besten mit Wissen und Fakten kuriert werden. Es ist nicht in Ordnung, die Bedeutung unserer Symbole durch die eigenen Vorurteile ersetzen zu wollen, oder durch eine politische Bedeutung, die ihnen völlig fehlt. Sie zu verbieten, würde einen Teil unserer Geschichte, unserer Kultur und unserer Überzeugungen auslöschen – und unsere Ausdrucksfreiheit wegen politischer Interpretationen, die nicht in die Asa-Gemeinschaft gehören“, sagte die Nordische Asa-Gemeinschaft, eine völkisch-heidnische Gruppe, in einer Erklärung.

Der Politiker Jeff Ahl von Alternativ för Sverige hat gelobt, einen Mjölnir als Protest gegen den Vorschlag zu tragen. „Unsere Regierung setzt sich für den Multikulturalismus ein, aber wir haben keinen Anspruch auf unsere eigene Kultur. Was die Regierung nun versucht, ist, unser eigenes Kulturerbe zu zensieren und unsere Wurzeln auszulöschen“, twitterte Ahl.

Der Schritt würde im Fall seiner Verwirklichung viele Dinge in Schweden zensieren. Viele Heavy-Metal-Alben, besonders solche von schwedischen Bands wie Amon Amarth und Bathory, würden wahrscheinlich verboten werden. Denkmäler wie die zahlreichen Runensteine würden verhüllt werden. In Geschichtsbüchern würde es Warnungen vor der gefährlichen Ausdrucksweise der schwedischen Vorfahren geben.

Der Vorschlag ist ein offenkundiger Versuch, das schwedische Erbe zu kriminalisieren. Die vormodernen Schweden würden effektiv für Proto-Nazis gehalten werden, und ihre Sprache und Religion wären Hassverbrechen. Es wäre ähnlich, als würde Italien das Latein und römische Symbole verbieten.

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Alexiej Shiropajews „Gefängnis der Nation“: Eine ethnonationalistische Geschichte Rußlands, Teil 1

Von Jarosław Ostrogniew, übersetzt von Lichtschwert (= Lucifex). Das Original Alexiey Shiropayev’s Prison of the Nation: An Ethnonationalist History of Russia, Part 1 erschien am 27. Januar 2016 auf Counter-Currents Publishing.

Алексей Широпаев
Тюрьма Народа. Русский взгляд на Россию
Москва 2001

[Alexiej Shiropajew, Gefängnis der Nation: Die russische Perspektive auf Rußland (Moskau, 2001).]

Es gibt verschiedene Ansätze beim Erzählen der Geschichte Rußlands und des russischen Volkes. Es gibt die patriotisch-orthodoxe Version der Geschichte, das kommunistische sowie das liberale und demokratische Narrativ. Es gibt natürlich einige wichtige Alternativen. Diejenige, die gegenwärtig die beliebteste unter europäischen Nationalisten zu sein scheint, ist die eurasianistisch-imperialistische Version, wie sie von Alexander Dugin beworben wird, aber in Wirklichkeit von Lew Gumiljow geschaffen wurde. Es gibt jedoch auch eine explizit weiß-nationalistische Erzählweise der Geschichte Rußlands. Die wichtigste Präsentation dieser Sichtweise ist Tyurma Naroda (Gefängnis des Volkes oder Gefängnis der Nation) von Alexiej Shiropajew. Wie Sie aus dem Titel allein ersehen können, ist Shiropajews Sicht auf den russischen Staat extrem kritisch.

Da das Buch nur auf Russisch erhältlich ist, und es extrem unwahrscheinlich ist, daß es jemals ins Englische (oder irgendeine andere Sprache) übersetzt werden wird, werde ich zuerst eine detaillierte Übersicht über Shiropajews Argument präsentieren, und dann eine Kritik an dem Buch.

Rus’ protiv Rossiyi: Rus’ versus Rußland

Ein Thema, das gleich einmal geklärt werden muß, ist die Terminologie. Zwei völlig verschiedene Wirklichkeiten werden durch die deutschen Begriffe „Rußland“ und „Russe“ zu einer gemacht. In der russischen Sprache gibt es zwei verschiedene Wörter als Name des Landes: „Rus‘“ und „Rossiya“. Rus‘ steht für die Länder, die ursprünglich von östlichen Slawen bewohnt wurden, wohingegen Rossiya den größeren russischen Staat bedeutet: das zaristische russische Reich, die Sowjetunion oder die zeitgenössische Russische Föderation. Und diese beiden Begriffe werden oft unter Verwendung eines Wortes ins Deutsche übersetzt: „Rußland“, was daher einige Verwirrung verursacht.

Im Russischen gibt es zwei verschiedene Begriffe: „Russkiy“ und „Rossiskiy“. „Russkiy“ (sowohl als Eigenschaftswort wie auch als Hauptwort) bedeutet einen ethnischen Russen, eine Person von ostslawischer Herkunft, die die russische Sprache spricht. „Rossiskiy“ (als Eigenschaftswort) oder „Rossiyanin“ (als Hauptwort) steht für eine Person, die Russisch spricht oder sich als Teil der russischen („rossiyskiy“) Kultur betrachtet und ein Bürger des russischen Staates sein kann – aber von jeder ethnischen Herkunft sein kann. Wiederum werden beide oft als ein Wort ins Deutsche übersetzt: „Russe“.

Daher ist ein moslemischer Tschetschene, dessen Muttersprache Tschetschenisch ist, der Grundkenntnisse in Russisch hat und sich als loyalen Bürger der Russischen Föderation betrachtet, unzweifelhaft ein „Rossiyanin“ und ohne Zweifel kein „Russkiy“. Ein heidnischer Russe, dessen Muttersprache Russisch ist und dessen Familie über zahllose Jahrhunderte auf russischem Boden gelebt und diesen bearbeitet hat, der die Russische Föderation verläßt und sich den ukrainischen Freiwilligenkräften anschließt, um gegen die Separatisten von Novorossiya zu kämpfen, ist kein „Rossiyanin“ mehr, aber er ist sicherlich ein „Russkiy“.

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Das geborstene Schwert (5): Tyrfing

„Incoming Sea at Rainbow Cleft“ von Ted Nasmith

Dies ist Poul Andersons allererster Roman, der 1954 erstmals veröffentlicht wurde und hier in der von ihm 1971 überarbeiteten Fassung, in der 1987 erschienenen deutschen Übersetzung von Rosemarie Hundertmarck vorliegt. Siehe dazu „Der Zauber des Nordens“: Einleitungen zu „Das geborstene Schwert“!

Zuvor erschienen:

Das geborstene Schwert (1): Skaflocs Geburt und Jugend
Das geborstene Schwert (2): Valgard
Das geborstene Schwert (3): Nach Trollheim
Das geborstene Schwert (4): Schwerttanz

XVIII

Skafloc und Frida suchten Unterschlupf in einer Höhle. Es war ein tiefes Loch in einer Klippe, die vom Meeresufer zurückfiel, ein gutes Stück nördlich von den Elfenhügeln. Dahinter lag ein im Frost erstarrter Wald, der nach Süden dichter wurde und im Norden in Moor und Hochland überging. Dunkel und öde war das Land, unbevölkert von Menschen oder Bewohnern des Feenreichs, und daher war der Ort so gut wie kein anderer zur Fortführung des Krieges geeignet.

Sie konnten nur wenige Magie benutzen, weil die Trolle sie sonst entdeckt hätten, aber Skafloc hatte Erfolg bei der Jagd, die er in Gestalt eines Wolfes, eines Otters oder eines Adlers unternahm, und er verwandelte Meerwasser in Bier. Bloß am Leben zu bleiben, war in dieser winterlichen Welt schon schwere Arbeit, und es war der härteste Winter, an den England sich seit der Eiszeit erinnerte. So war Skafloc die meiste Zeit des Tages auf der Suche nach Wild.

Feucht und kalt war die Höhle. Der Wind fing sich in ihrer Öffnung, und am Fuß der Klippe schäumte die Brandung. Aber als Skafloc von seiner ersten langen Jagd zurückkam, dachte er im ersten Augenblick, er sei an einen falschen Ort geraten.

Ein Feuer prasselte lustig auf einem Herdstein, und der Rauch wurde durch ein Rohr hinausgeleitet, das aus Zweigen und rohen Häuten hergestellt war. Andere Häute hielten die Kälte von Fußboden und Wänden ab, und eine hing vor der Öffnung und schützte den Innenraum vor dem Wind. Die Pferde waren im Hintergrund angepflockt und kauten das Heu, das Skafloc mit einem Zauberspruch aus Seetang hergestellt hatte, und die wenigen Waffen waren blankgeputzt und in einer Reihe aufgehängt, als sei dies eine Festhalle. Und hinter jeder Waffe steckte ein Sträußchen von roten Winterbeeren.

Frida saß vor dem Feuer und drehte ein Stück Fleisch an einem Spieß. Skafloc blieb wie gespannt stehen. Sein Herz setzte aus bei ihrem Anblick. Sie trug nur ein kurzes Hemd, und ihr schlanker, langbeiniger Körper mit den sanften Rundungen von Schenkeln und Taille und Brüsten wirkte im Feuerschein, als werde sie gleich wie ein Vogel entfliehen.

Sie sah ihn, und in dem geröteten, vom Rauch befleckten Gesicht unter dem verwirrten bronzefarbenen Haar leuchteten die großen grauen Augen froh auf. Wortlos sprang sie ihm in ihrer lieben, kindlichen Art entgegen, und für eine Weile hielten sie sich fest umschlungen.

Erstaunt fragte er: „Wie hast du denn das alles geschafft, mein Liebstes?“

Sie lachte leise.

„Ich bin kein Bär und auch kein Mann, daß ich mir einen Blätterhaufen zusammenscharre und das für den Winter meine Wohnung nenne. Einige dieser Häute hatten wir schon, und der Rest stammt von Tieren, die ich selbst erlegt habe. Oh, ich bin eine gute Hausfrau.“ Erschauernd drückte sie sich an ihn. „Du warst so lange weg, und die Tage waren so leer. Ich mußte mir irgendwie die Zeit vertreiben und mich genug beschäftigen, daß ich nachts schlafen konnte.“

Er streichelte sie mit bebenden Händen. „Dies ist keine Stätte für dich. Hart und gefährlich ist das Leben der Flüchtlinge. Ich sollte dich auf einen menschlichen Hof bringen. Dort könntest du unseren Sieg abwarten oder unsere Niederlage vergessen.“

„Nein – nein, das wirst du niemals tun!“ Sie faßte seine Ohren und zog seinen Kopf herab, bis sein Mund auf dem ihren lag. Dann stieß sie halb lachend, halb schluchzend hervor: „Ich habe gesagt, ich werde dich nicht verlassen. Nein, Skafloc, so leicht wirst du mich nicht los.“

„Um die Wahrheit zu sagen“, gestand er eine Weile später, „ich wüßte nicht, was ich ohne dich tun sollte. Es gäbe nichts mehr, was mir der Mühe wert schiene.“

„Dann verlaß mich nie, niemals wieder.“

„Ich muß doch auf die Jagd gehen, Geliebte.“

„Ich werde mit dir jagen.“ Sie wies auf die Häute und das bratende Fleisch. „Ich bin darin gar nicht so ungeschickt.“

„In anderen Dingen auch nicht“, lachte er. Doch gleich wurde er wieder ernst: „Es ist nicht nur Wild, das ich beschleiche, Frida. Auch Trolle jage ich.“

„Und diese Jagd will ich ebenso mitmachen.“ Das Gesicht des Mädchens wurde hart wie sein eigenes. „Glaubst du, ich hätte keine Rache zu nehmen?“

Er hob stolz den Kopf, und dann beugte er ihn wieder, um sie von neuem zu küssen, wie ein Fischadler, der auf seine Beute niederfährt. „Dann sei es so! Orm, der Krieger, würde Freude an einer solchen Tochter haben.“

Ihre Finger zogen die Linien seiner Wangenknochen und Kiefer nach. „Weißt du nicht, wer dein Vater war?“ fragte sie.

„Nein.“ Tyrs Worte fielen ihm wieder ein und schafften ihm Unbehagen. „Ich habe nie etwas darüber gehört.“

„Das macht nichts“, lächelte sie, „aber auch er könnte stolz auf dich sein. Ich glaube, Orm der Starke hätte all seinen Reichtum für einen Sohn wie dich hingegeben – nicht etwa, daß Ketil und Asmund Schwächlinge gewesen wären. Und da er dich nicht zum Sohn haben kann, muß er sich freuen, wenn er sieht, daß du der Mann seiner Tochter geworden bist.“

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Das geborstene Schwert (4): Schwerttanz

Dies ist Poul Andersons allererster Roman, der 1954 erstmals veröffentlicht wurde und hier in der von ihm 1971 überarbeiteten Fassung, in der 1987 erschienenen deutschen Übersetzung von Rosemarie Hundertmarck vorliegt. Siehe dazu „Der Zauber des Nordens“: Einleitungen zu „Das geborstene Schwert“! Das diesmal von mir gewählte Titelbild stammt von Ryan Church.

Zuvor erschienen:

Das geborstene Schwert (1): Skaflocs Geburt und Jugend
Das geborstene Schwert (2): Valgard
Das geborstene Schwert (3): Nach Trollheim

XII

Einige Tage später ging Skafloc allein auf die Jagd. Er reiste auf Zauber-Skiern, die ihn wie der Wind bergauf und bergab trugen, über zugefrorene Flüsse und im Schnee erstickte Wälder, und bei Sonnenuntergang war er schon weit im schottischen Hochland. Er machte sich mit einem Reh über der Schulter auf den Heimweg, als er von weitem den Schein eines Lagerfeuers erblickte. Wer oder was mochte sich in dieser unwirtlichen Gegend aufhalten? Mit dem Speer in der Hand huschte er über den Schnee.

Nähergekommen entdeckte er im Zwielicht eine gewaltige Gestalt, die auf dem Schnee hockte und sich über den Flammen Pferdefleisch briet. Trotz des kalten Windes trug der Mann nur einen Kilt aus Wolfsfell, und die Axt, die neben ihm lag, leuchtete in unirdischem Glanz.

Skafloc spürte eine große, fremde Macht, und als er sah, daß der andere nur eine Hand hatte, erschauderte er. Es war nicht gut, Tyr, den Asen, allein im Dunkeln zu treffen. Aber es war zu spät, zu fliehen. Der Gott hatte ihn bereits gesehen. Kühn schritt Skafloc in den Lichtkreis und begegnete Tyrs schwermütigen dunklen Augen.

„Sei gegrüßt, Skafloc“, sprach der Ase. Seine Stimme klang wie ein langsamer Sturm, der durch einen metallenen Himmel zieht. Er ließ sich nicht dabei stören, den Spieß über dem Feuer zu drehen.

„Sei gegrüßt, Herr.“ Skafloc beruhigte sich ein wenig. Die Elfen, die keine Seelen hatten, beteten die Götter nicht an, aber es bestand auch kein Unfrieden zwischen ihnen und den Asen, ja, einige Elfen taten sogar Dienst in Asgard.

Tyr nickte Skafloc kurz zu und deutete damit an, er solle seine Last ablegen und sich ans Feuer setzen. Lange Zeit herrschte Schweigen, bis Tyr bemerkte: „Ich habe Krieg gerochen. Die Trolle wollen gegen Alfheim ziehen.“

„Das wissen wir, Herr“, antwortete Skafloc. „Die Elfen sind vorbereitet.“

„Der Kampf wird härter werden, als ihr denkt. Diesmal haben die Trolle Verbündete.“ Tyr blickte ernst in die Flammen. „Es steht mehr auf dem Spiel, als Elfen oder Trolle wissen. Die Nornen spinnen in diesen Tagen viele Fäden zu Ende.“

Wieder war es still, bis Tyr von neuem anhub: „Aye, die Raben fliegen niedrig, und die Götter beugen sich über die Welt, die unter dem Hufschlag der Zeit erzittert. Skafloc, ich sage dir: Du wirst des Namensgeschenkes der Asen dringend bedürfen. Die Götter selbst sind in Unruhe. Deshalb bin ich, der Wäger des Krieges, auf der Erde.“

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Das geborstene Schwert (3): Nach Trollheim

Boris Vallejo, „The Broken Sword“, 1971

Dies ist Poul Andersons allererster Roman, der 1954 erstmals veröffentlicht wurde und hier in der von ihm 1971 überarbeiteten Fassung, in der 1987 erschienenen deutschen Übersetzung von Rosemarie Hundertmarck vorliegt. Siehe dazu „Der Zauber des Nordens“: Einleitungen zu „Das geborstene Schwert“!

Zuvor erschienen:

Das geborstene Schwert (1): Skaflocs Geburt und Jugend
Das geborstene Schwert (2): Valgard

X

Für den Überfall auf Trollheim wurde eine große Streitmacht aufgeboten. Fünfzig Langschiffe wurden mit den besten Kriegern aus Britanniens Elfen bemannt und von Imric und seinen weisesten Zauberern mit magischen Sprüchen verhüllt und geschützt. Unter diesem Zauber konnten sie ungesehen bis in die Fjorde des Trollreichs in Finnmark segeln; wie tief sie danach ins Inland vorstoßen würden, hing davon ab, auf welchen Widerstand sie trafen. Skafloc hoffte, bis in Illredes eigene Halle zu kommen, und den Kopf des Königs zurückzubringen. Er brannte darauf, aufzubrechen.

„Sei nicht tollkühn“, mahnte Imric ihn. „Töte und brenne, aber verliere keine Männer auf bloßen Abenteuern. Von größerem Wert ist es, daß du einen Überblick über ihre Stärke erhältst, als daß du Tausende von ihnen vernichtest.“

„Wir werden beides tun“, lachte Skafloc. Er war ruhelos wie ein junger Hengst, die Augen leuchteten, das lohfarbene Haar lockte sich unter seinem Stirnband.

„Ich weiß nicht – ich weiß nicht.“ Imric blickte ernst drein. „Irgendwie habe ich das Gefühl, daß diese Fahrt nichts Gutes bringen wird, und am liebsten möchte ich sie absagen.“

„Wenn du das tust, werden wir trotzdem gehen“, sagte Skafloc.

„Aye, dann geh. Ich kann mich auch täuschen. Geh, und das Glück sei mit dir.“

Abends gleich nach Sonnenuntergang schifften die Krieger sich ein. Der eben noch volle Mond warf Silberlicht und Schatten auf die Höhen und Täler der Elfenhügel, auf den Strand, auf die Wolken, die ein heulender Wind nach Osten trieb. Das Mondlicht berührte die weißmähnigen Wellen, die auf den Felsen brausten und schäumten. Es schimmerte auf Waffen und Rüstungen der Elfenkrieger, und die schwarzweißen Langschiffe, die auf das Ufer gezogen waren, schienen nur aus Schatten und Lichtflecken zu bestehen.

Skafloc war in einen Umhang gehüllt, der Wind zauste sein Haar. Er wartete auf die letzten seiner Männer. Lia, bloß im Mondlicht, mit ihrem wolkengleichen Haar und ihren leuchtenden Augen, trat zu ihm.

„Ich freue mich, dich zu sehen!“ rief Skafloc. „Sag mir Lebewohl, und sing mir ein Lied für mein Glück.“

„Ich kann dir nicht richtig Glück wünschen, weil ich nicht zu nahe an deine eiserne Rüstung kommen darf“, antwortete sie mit der Stimme, die wie eine Brise und plätscherndes Wasser und von weit her läutende Glöckchen klang. „Und ich habe das Gefühl, daß mein Zauber gegen das dir drohende Schicksal nichts ausrichten wird.“ Ihre Augen suchten die seinen. „Ich weiß ganz sicher, daß du in eine Falle läufst, und bei der Milch, die ich dem Kind, und den Küssen, die ich dem Mann gegeben habe, bitte ich dich, dieses eine Mal zu Hause zu bleiben.“

„Das wäre eine großartige Tat für den Anführer einer Truppe, die den Kopf des Feindes zurückbringen mag“, sagte Skafloc zornig. „Etwas so Schändliches würde ich für niemanden tun.“

„Aye – aye.“ Tränen schimmerten in Lias Augen. „Die Menschen, deren Leben doch so grausam kurz ist, eilen dessen ungeachtet in ihrer Jugend in den Tod, als gehe es in die Arme eines Mädchens. Vor wenigen Jahren habe ich dich gewiegt, Skafloc, vor wenigen Monaten habe ich in den hellen Sommernächten bei dir gelegen, und für mich, die Unsterbliche, ist das eine kaum länger her als das andere. Und mit gleicher Schnelligkeit rückt der Tag näher, an dem dein zerfleischter Körper auf die Raben warten wird. Ich werde dich niemals vergessen Skafloc, aber ich fürchte, ich habe dich zum letztenmal geküßt.“

Und sie sang:

Seewärts bläst der Wind heut nacht,
singt ums Haus ein Lied ganz leise,
und der Krieger ist erwacht,
denkt an nichts mehr als die Reise.
Frau und Kind und Heim und Herd
wollen ihn zum Bleiben zwingen,
doch aufs Meer hinaus er fährt,
weil ihn lockt des Windes Singen.
Und die See wird ihn verschlingen.

Wind, du kommst von weit, weit her,
deine Stimme spricht vom Sterben.
Dich verflucht die Frau, von der
du den Mann rufst ins Verderben.
Wellen küssen seinen Mund,
tun, als ob sie Liebe meinen.
Bald schon auf dem Meeresgrund
spielen sie mit den Gebeinen.
Seine Frau wird um ihn weinen.

Dieses Lied gefiel Skafloc gar nicht, denn es kündete von Unglück. Er wandte sich ab und rief seinen Männern zu, sie sollten die Schiffe ins Wasser bringen und an Bord gehen. Und sobald er selbst an Deck war, verlor er jedes Gefühl von nahendem Unheil in neu aufflammender Kampfeslust.

„Dieser Sturm bläst jetzt schon seit drei Tagen“, sagte Goltan, einer seiner Kameraden. „Und er riecht nach Zauberei. Vielleicht segelt irgendein Hexenmeister ostwärts.“

„Es war freundlich von ihm, daß er uns die Mühe erspart hat, unseren eigenen Wind zu beschwören“, lachte Skafloc. „Wenn er jedoch einen drei Tage dauernden Wind brauchte, wurde sein Schiff von Sterblichen gebaut. Wir haben etwas Besseres!“

Die Masten wurden aufgestellt, die Segel gesetzt, und das schlanke Fahrzeug mit dem Drachenkopf am Bug sprang vorwärts. Wie der Sturm selbst flog es dahin. Zu Fuß oder im Sattel oder mit einem Schiff waren die Elfen immer die schnellsten von allen Bewohnern des Feenreichs, und noch ehe es Mitternacht war, kamen die Klippen Finnmarks in Sicht.

Skafloc lachte und sang:

Elfen ziehen ostwärts
zum Ufer Trollheims,
das Spiel mit Speer
und Schwert zu spielen.
Wo ist der Waghals,
der den Weg uns verstellt?
Wir durchbohren die Brust ihm,
schlitzen den Bauch auf
.

Tod den Trollen!
Sie werden taumeln,
Angst vor den Elfen
öffnet Gedärme.
Hört, Freunde, helft
den heulenden Trollen:
Ist Kopfweh ihr Kummer,
köpft sie schnell
.

Die Elfen grinsten dazu. Sie ließen Segel und Masten herab, griffen zu den Rudern und ruderten die Flotte in den Fjord. Sie waren bereit zum Kampf, aber ihre Augen konnten keine Spur von den feindlichen Wachen entdecken. Statt dessen sahen sie andere Fahrzeuge auf dem Strand – drei von Sterblichen erbaute Langschiffe, und die Besatzung lag in Stücke gehauen zwischen den Steinen.

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Das geborstene Schwert (2): Valgard

Dies ist Poul Andersons allererster Roman, der 1954 erstmals veröffentlicht wurde und hier in der von ihm 1971 überarbeiteten Fassung, in der 1987 erschienenen deutschen Übersetzung von Rosemarie Hundertmarck vorliegt. Siehe dazu „Der Zauber des Nordens“: Einleitungen zu „Das geborstene Schwert“! Zuvor erschienen: Das geborstene Schwert (1): Skaflocs Geburt und Jugend. (Das von mir eingefügte Titelbild ist eine Illustration von Kat Menschik zur isländischen „Njáls Saga“ und stellt Njáls Frau Hallgerð dar.)

VI

Die Hexe lebte allein im Wald. Nur ihre Erinnerungen leisteten ihr Gesellschaft, und im Lauf der Jahre fraßen sie ihre Seele auf und ließen nur Haß und Rachedurst zurück. In vielen magischen Experimenten lernte sie, wie sie ihre Macht ein wenig vergrößern konnte. Schließlich gelang es ihr, Geister aus der Erde zu rufen und mit den Dämonen der Luft zu sprechen, und diese lehrten sie mehr. Sie ritt auf einem Besenstiel zum Schwarzen Sabbath auf dem Brocken. Ein grauenhaftes Fest war das, bei dem abstoßende Gestalten aus alter Zeit um den dunklen Altar sangen und Blut aus Kesseln tranken, aber vielleicht am schlimmsten waren die jungen Frauen, die sich bei den Riten mit scheußlichen Wesen paarten.

Die Hexe kehrte klüger zurück und brachte sich einen Rattenmann als Vertrauten mit, der mit seinen scharfen kleinen Zähnen in ihre verwelkten Brüste biß und Blut daraus sog und des Nachts auf ihrem Kissen hockte und ihr im Schlaf ins Ohr flüsterte. Und so glaubte die Hexe, sie habe jetzt genug Kraft, um den zu rufen, nach dem sie schon lange verlangte.

Donner und Blitz rollten um ihre Hütte, blaues Licht und der Gestank des Höllenpfuhls. Aber das dunkle Wesen, vor dem sie sich zu Boden warf, war auf seine Art schön, wie jede Sünde dem bereitwilligen Sünder schön erscheint.

„O du mit den vielen Namen, Fürst der Dunkelheit, Böser Gefährte“, rief die Hexe, „ich möchte, daß du mir meinen Wunsch erfüllst, und dafür will ich dich in hergebrachter Weise bezahlen.“

Der, den sie gerufen hatte, sprach, und seine Stimme klang sanft und geduldig: „Du bist schon ein gutes Stück auf meinem Weg gewandert, aber du bist noch nicht ganz und gar mein. Die Gnade von oben ist unendlich, und wenn du sie nicht zurückweist, bist du auch noch nicht verloren.“

„Was frage ich nach Gnade?“ meinte die Hexe. „Durch Gnade werden meine Söhne nicht gerächt. Ich bin bereit, dir meine Seele zu geben, wenn du mir meine Feinde in die Hände lieferst.“

„Das kann ich nicht tun“, erwiderte ihr Gast, „aber ich kann dir die Mittel zur Hand geben, wie du ihnen eine Falle stellen kannst, wenn du schlauer bist als sie.“

„Das genügt mir.“

„Aber bedenke, hast du nicht bereits Rache an Orm genommen? Dein Werk ist es, daß er einen Wechselbalg als ältesten Sohn hat, und dieses Geschöpf kann großes Übel über ihn bringen.“

„Orms echter Sohn blüht und gedeiht jedoch in Alfheim, und seine jüngeren Kinder wachsen heran. Ich will diese faule Saat bis zum letzten Blutstropfen auslöschen, ebenso wie er meine ausgelöscht hat. Die heidnischen Götter werden mir nicht helfen, und sicher wird Er es nicht tun, dessen Namen ich besser nicht ausspreche. Deshalb mußt du, Schwarze Majestät, mein Freund sein.“

Flämmchen, die kälter waren als der Winter, flackerten in seinem Blick, und lange sah er sie an. „Die Götter sind bei dieser Sache nicht aus dem Spiel, wie du vielleicht gehört hast. Odin, der die Geschichte der Menschen voraussieht, schmiedet Pläne, die weit in die Zukunft reichen…. Aber du sollst meine Hilfe haben. Stärke und Wissen werde ich dir geben, auf daß du eine mächtige Hexe wirst. Und ich werde dir sagen, wie du deine Feinde treffen kannst, falls sie nicht klüger sind, als du glaubst.

Es gibt drei Kräfte in der Welt, gegen die Götter und Dämonen und Menschen machtlos sind, gegen die es keinen Zauber gibt. Das sind der Weiße Christus, die Zeit und die Liebe.

Von dem ersten hast du nichts anderes zu erwarten, als daß er deine Pläne durchkreuzen wird, und du mußt Obacht geben, daß er und die Seinen auf keine Weise in den Kampf hineingezogen werden. Du kannst es verhindern, indem du dir vor Augen hältst, daß der Himmel geringeren Wesen ihren freien Willen läßt und sie nicht auf seine Wege zwingt; selbst die Wunder haben den Menschen nur eine Möglichkeit eröffnet, mehr nicht.

Das zweite, das mehr Namen hat als ich selbst – Schicksal, Bestimmung, Gesetz, Wyrd, die Nornen, Notwendigkeit, Brahma und zahllose andere – kannst du nicht anrufen, weil es nicht hört. Auch wirst du nicht begreifen, wie es gleichzeitig mit dem freien Willen, von dem ich gesprochen habe, bestehen kann, ebenso wenig wie daß es sowohl alte Götter als auch den neuen gibt. Aber damit der größere Zauber wirkt, mußt du darüber nachdenken, bis du ganz von dem Wissen durchdrungen bist, daß die Wahrheit so viele Gesichter hat, wie es Seelen gibt, die danach streben, sie zu erkennen.

Und die dritte Kraft ist etwas Sterbliches, und daher kann sie ebenso schaden wie nützen, und dies ist die Kraft, die du benutzen mußt.“

Nun schwor die Hexe einen bestimmten Eid und wurde unterrichtet, wo und wie sie das Wissen zu trinken habe, das sie benötigte, und damit endete die Besprechung.

Doch da war noch etwas: Als ihr Besucher die Hütte verließ und sie ihm nachsah, entdeckte sie, daß der, der ging, nicht der gleiche war wie vorher. Es war die Gestalt eines sehr großen Mannes, der mit jugendlicher Schnelligkeit ausschritt, obwohl sein Bart lang und wolfsgrau war. Er war ganz in einen Mantel eingehüllt und trug einen Speer, und es schien, daß unter seinem breitrandigen Hut nur ein Auge leuchtete. Sie dachte daran, wem ebenfalls nachgesagt wurde, daß er sehr schlau sei und oft hinterlistig und sich bei seinen Wanderungen auf der Erde gern verkleidet, und ein Schauder überlief sie.

Aber es konnte ja auch eine durch das Sternenlicht hervorgerufene Täuschung gewesen sein. Sie grübelte über diese Frage nicht länger nach, sondern richtete ihre Gedanken allein auf ihren Verlust und ihre zukünftige Rache.

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Das geborstene Schwert (1): Skaflocs Geburt und Jugend

Dies ist Poul Andersons allererster Roman, der 1954 erstmals veröffentlicht wurde und hier in der von ihm 1971 überarbeiteten Fassung, in der 1987 erschienenen deutschen Übersetzung von Rosemarie Hundertmarck vorliegt. Siehe dazu „Der Zauber des Nordens“: Einleitungen zu „Das geborstene Schwert“! (Das Titelbild wurde von mir eingefügt und zeigt das im Roskildefjord gefundene Wikingerschiff Skuldelev 2, dessen Nachbau „Havhingsten fra Glendalough“ [„Seehengst von Glendalough“] heute im Wikingerschiffsmuseum von Roskilde zu besichtigen ist.)

I

Es war ein Mann, Orm der Starke genannt, ein Sohn von Ketil Asmundssohn. Ketil war Freisasse im Norden von Jütland, und seine Sippe lebte dort schon seit Menschengedenken und besaß viel Land. Ketils Frau hieß Asgerd. Sie war das Kind einer Buhle von Ragnar Fellhose. Also war Orm von guter Herkunft, aber da er der fünfte lebende Sohn seines Vaters war, hatte er kein großes Erbteil zu erwarten.

Orm war ein Seefahrer und verbrachte die meisten Sommer auf Beutefahrt. Er war noch jung, als Ketil starb. Asmund, der älteste Bruder, übernahm den Hof. Das ging so lange, bis Orm in seinem zwanzigsten Winter zu ihm ging und sagte:

„Jetzt sitzt du seit einigen Jahren hier auf Himmerland und machst guten Gebrauch von dem, was dein ist. Wir übrigen wollen einen Anteil. Aber wenn wir den Boden in fünf teilen, ganz zu schweigen von dem Leibgedinge für unsere Schwestern, sinken wir zu Kleinbauern herab, und wenn wir tot sind, wird sich niemand mehr an uns erinnern.“

„Das ist wahr“, antwortete Asmund. „So arbeiten wir am besten zusammen.“

„Ich will nicht der fünfte Mann am Ruder sein“, sagte Orm, „und deshalb mache ich dir dies Angebot. Gib mir drei Schiffe mit Gut und Vorräten und an Waffen genug, um die, die mir folgen wollen, auszurüsten, und ich will mir eigenes Land suchen und den Anspruch auf das unseres Vaters aufgeben.“

Das hörte Asmund gern, besonders, da zwei der Brüder erklärten, sie wollten mit Orm gehen. Ehe es Frühling wurde, waren die Langschiffe bereit und ausgestattet, und viele der jüngeren und ärmeren Männer waren froh, mit Orm westwärts zu segeln. Beim ersten guten Wetter, als aber die See noch rauh war, führte Orm seine Schiffe aus dem Limfjord, und Asmund sah ihn niemals wieder.

Sie ruderten schnell nach Norden, bis die Moore und tiefen Wälder unter dem hohen Himmel von Himmerland hinter ihnen lagen. Als sie das Skagerrak umrundet hatten, bekamen sie guten Wind und konnten Segel setzen. Nun zeigten ihre Hintersteven auf ihr Heimatland, und da zogen sie am Bug die Drachenköpfe auf. Das Tauwerk ächzte, die Wellen schäumten, die Möwen schrien um die Rahnock. Frohen Herzens sang Orm:

Weißmähnige Rosse wiehern,
nach Westen sie eilen,
schnaubend und schäumend
schütteln sie sich.
Wild wie die Winde
des Winters
toben und trotzen sie,
tragen sie Lasten für mich.

Da er die Fahrt so früh angetreten hatte, erreichte er England vor den meisten anderen Wikingern und machte reiche Beute. Als der Sommer zu Ende ging, suchte er in Irland ein Winterquartier. Von dieser Zeit an blieb er für immer auf den westlichen Inseln. Die Sommer verbrachte er auf Beutefahrt und tauschte im Winter einiges von seinem Reichtum gegen weitere Schiffe ein.

Endlich jedoch wuchs in ihm der Wunsch nach einem eigenen Heim. Er schloß sich mit seiner kleinen Flotte der großen Guthorms an, den die Engländer Guthrum nannten. Er gewann viel, während er diesem Herrn an Land und zur See folgte, aber er verlor auch viel, als König Alfred den Tag bei Ethandun gewann. Orm und eine Anzahl seiner Männer gehörten zu denen, die sich durchschlugen. Später hörte er, daß Guthrum und den anderen eingeschlossenen Dänen ihr Leben dafür geschenkt worden war, daß sie die Taufe annahmen. Orm sah voraus, daß es irgendwann zwischen seinem Volk und dem Alfreds zum Frieden kommen würde. Dann konnte er in England nicht mehr so frei zugreifen, wie er es bisher getan hatte.

Daher steuerte er die Gegend an, die später Danelaw genannt wurde, und suchte nach einem Ort, wo er sich niederlassen konnte.

Er fand einen grünen, schönen Platz an einer kleinen Bucht, die als Hafen für seine Schiffe dienen konnte. Der Engländer, der dort wohnte, war ein reicher und ziemlich mächtiger Mann und wollte nicht verkaufen. Aber Orm kam des Nachts zurück, umstellte mit seinen Männern das Haus und verbrannte es. Der Eigentümer, seine Brüder und die meisten seiner Knechte fanden den Tod. Es hieß, die Mutter des Mannes, die eine Hexe war, kam davon – denn die Angreifer ließen alle Frauen, Kinder und Mägde, die es wünschten, aus dem Haus gehen – und sprach über Orm den Fluch, sein ältester Sohn solle außerhalb der Welt der Menschen aufwachsen, während Orm an seiner Stelle einen Wolf großziehen solle, der ihn eines Tages zerreißen werde.

Da schon viele Dänen in dieser Gegend lebten, wagte die Sippschaft des Engländers nichts anderes zu tun, als von Orm Wergeld und Landpreis anzunehmen, und damit gehörte der Hof nach dem Gesetz ihm. Er baute ein schönes neues Wohnhaus und andere Gebäude, und mit seinem Gold, seinen Gefolgsleuten und seinem Ruhm galt er bald als ein großer Häuptling.

Als er ein Jahr auf seinem Hof gesessen hatte, hielt er es für angebracht, sich eine Frau zu nehmen. Mit vielen Kriegern ritt er zu dem englischen Edelmann Athelstane und warb um dessen Tochter Älfrida, die als die schönste Jungfrau im Königreich galt.

Athelstane erging sich in Ausflüchten, aber Älfrida sagte Orm ins Gesicht: „Einen Heidenhund will ich nicht heiraten, und ich kann es auch nicht. Und wenn du mich mit Gewalt nimmst, wirst du wenig Freude daran haben – das schwöre ich.“

Sie war schlank und zart mit weichem, rötlichbraunem Haar und großen grauen Augen. Orm dagegen war ein großer, mächtiger Mann, dessen Haut von Wind und Wetter gerötet und dessen Mähne von der Sonne beinahe weißgebleicht war. Und doch hatte er irgendwie das Gefühl, sie sei die Stärkere. Nachdem er eine Weile nachgedacht hatte, antwortete er: „Jetzt, da ich in einem Land lebe, wo die Menschen den Weißen Christus verehren, wäre es wohl klug, wenn ich mit Ihm und mit Seinem Volk Frieden machte. Die Wahrheit ist, daß schon viele Dänen desgleichen getan haben. Ich werde mich taufen lassen, wenn du mich heiraten wirst, Älfrida.“

„Das ist kein Grund!“ rief sie.

„Bedenke“, sagte Orm schlau, „wenn du mich nicht heiratest, werde ich ein Heide bleiben, und dann ist meine Seele verloren, wenn wir den Priestern trauen können. Du wirst dich vor deinem Gott dafür verantworten müssen.“ Athelstane flüsterte er zu: „Außerdem werde ich dieses Haus niederbrennen und dich von den Klippen ins Meer werfen.“

„Aye, Tochter, wir dürfen es nicht zulassen, daß eine menschliche Seele verlorengeht“, erklärte Athelstane schnell.

Älfrida widersetzte sich nicht mehr lange, denn auf seine Art hatte Orm weder ein häßliches Aussehen noch schlechte Manieren. Abgesehen davon konnte Athelstanes Sippe einen so starken und reichen Verbündeten wohl brauchen. Also wurde Orm getauft, und bald danach heiratete er Älfrida und führte sie in sein Haus. Sie lebten recht zufrieden miteinander, wenn auch nicht immer friedlich.

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Der Lebenskampf in der Prosa-Edda

Friedrich Wilhelm Heine, „Die Esche Yggdrasil“, 1886

Von Guillaume Durocher, übersetzt von Lucifex. Das Original The Struggle for Life in the Prose Edda erschien am 29. März 2018. (Die Seitenverweise beziehen sich auf das im Originalartikel genannte Buch „The Prose Edda Translated by Jesse L. Byock“, London: Penguin, 2005; die altnordische Originalfassung von „Das Vieh stirbt…“ am Schluß wurde vom Übersetzer hinzugefügt.)

Die ältesten religiösen Texte sind immer von einer Aura des Geheimnisvollen umgeben. Der Großteil davon wurde nach und nach durch mündliche Traditionen entwickelt, weitergegeben und dann von Generation zu Generation entwickelt. Wir wissen typischerweise wenig oder nichts über ihre Autoren, ob es nun die Brahmanen sind, die die Upanishaden verfaßten, oder der notorisch schwer faßbare „Homer“. Während diese Texte zweifellos die aristokratischen und/oder Priesterklassen widerspiegeln, die sie konsumierten, verzeichnen sie vor allem die spirituelle Geschichte eines Volkes und drücken sie aus. Diese Geschichten sind das, was ihre ganze Geschichte hindurch Widerhall bei ihnen fand und sie dazu inspirierte, sie für ihre Nachkommen zu bewahren. Die Werte und die Psychologie eines Volkes werden über die Generationen hinweg auf ihre heiligen Mythen und höchsten Gottheiten projiziert. Der Tanach, der Rig-Veda und die homerischen Epen sind alle von den Werten bronzezeitlicher Völker durchtränkt, die sich gewaltsam im Überlebenskampf behaupteten.

Die germanische Mythologie hat das Schicksal, vergleichsweise unbekannt zu bleiben. Die germanischen Stämme und die Nordmänner schufen keine Fülle geschriebener Texte, die ihre religiösen Überzeugungen aufzeichneten. Unsere ausführlichsten Quellen, die beiden Eddur (Einzahl: Edda), existieren, weil die frisch christianisierten Isländer des dreizehnten Jahrhunderts beschlossen, ihre alten heidnischen Gedichte und Geschichten zu bewahren. Es ist eine gute Sache, daß das Kopieren alter Texte ein beliebter isländischer Zeitvertreib war! (Zweifellos ein Produkt des stereotypischen nordischen Fleißes und des Mangels an alternativen Tätigkeiten auf der Insel.) Die Eddur, die im dreizehnten Jahrhundert geschrieben wurden, widerspiegeln mündliche Traditionen, die auf das neunte bis zwölfte Jahrhundert zurückgehen.

Die Eddur drücken das Ethos der mittelalterlichen Nordmänner als konkurrenzorientiertes, dynamisches und kriegerisches Volk aus, eines Volkes, das in einem wahrhaft unwirtlichen, weit nördlichen Klima als sparsame Bauern, seefahrende Händler und Forscher und als Banditen und Eroberer lebte. Zu den Leistungen der Wikinger zählen die Entdeckung Amerikas, die Kolonisierung Islands, die Eroberung der Normandie und Siziliens und möglicherweise die Gründung des ersten russischen Staates (Kiewer Rus). Die sogenannte Lieder-Edda bewahrt, wie der Name andeutet, verschiedene Gedichte, am bekanntesten das Hávamal, oder des Hohen Lied, eine Zusammenstellung weiser Sprichwörter. Die Prosa-Edda von Snorri Sturluson erzählt die Geschichten in einem geradlinigeren Stil und kommentiert oft die Gedichte.

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Das Havamal: des Hohen Lied

Aus der Älteren Edda, hier in der von Dr. Manfred Stange überarbeiteten Übersetzung des deutschen Philologen und Dichters Karl Simrock aus dem Jahr 1851. Mit „dem Hohen“ ist Odin gemeint, der hier Ratschläge erteilt und von seinen Erfahrungen erzählt.

1. Teil

1) Der Ausgänge halber, bevor du eingehst,
Stelle dich sicher,
Denn ungewiß ist, wo Widersacher
Im Hause halten.

2) Heil dem Geber! Der Gast ist gekommen:
Wo soll er sitzen?
Atemlos ist, der unterwegs
Sein Geschäft besorgen soll.

3) Wärme wünscht, der vom Wege kommt
Mit erkaltetem Knie;
Mit Kost und Kleidern erquicke den Wandrer,
Der über Felsen fuhr.

4) Wasser bedarf, der Bewirtung sucht,
Ein Handtuch und holde Nötigung.
Mit guter Begegnung erlangt man vom Gast
Wort und Wiedervergeltung.

5) Witz bedarf man auf weiter Reise;
Daheim hat man Nachsicht.
Zum Augengespött wird der Unwissende,
Der bei Sinnigen sitzt.

6) Doch steife sich niemand auf seinen Verstand,
Acht hab er immer.
Wer klug und wortkarg zum Wirte kommt
Schadet sich selten:
Denn festern Freund als kluge Vorsicht
Mag der Mann nicht haben.

7) Vorsichtiger Mann, der zum Mahle kommt,
Schweigt lauschend still.
Mit Ohren horcht er, mit Augen späht er,
Und forscht zuvor verständig.

8) Selig ist, der sich erwirbt
Lob und guten Leumund.
Unser Eigentum ist doch ungewiß
In des andern Brust.

9) Selig ist, wer selbst sich mag
Im Leben löblich raten,
Denn übler Rat wird oft dem Mann
Aus des andern Brust.

10) Nicht beßre Bürde bringt man auf Reisen
Als Wissen und Weisheit.
So frommt das Gold in der Fremde nicht,
In der Not ist nichts so nütze.

11) Nicht üblern Begleiter gibt es auf Reisen
Als Betrunkenheit ist,
Und nicht so gut als so mancher glaubt
Ist Äl den Erdensöhnen,
Denn umso minder, je mehr man trinkt,
Hat man seiner Sinne Macht.

12) Der Vergessenheit Reiher überrauscht Gelage
Und stiehlt Besinnung.
Des Vogels Gefieder befing auch mich
In Gunnlöds Haus und Gehege.

13) Trunken ward ich und übertrunken
In des schlauen Fialars Felsen.
Trunk mag taugen, wenn man ungetrübt
Sich den Sinn bewahrt.

14) Schweigsam und vorsichtig sei des Fürsten Sohn
Und kühn im Kampf.
Heiter und wohlgemut erweise sich jeder
Bis zum Todestag.

15) Der unwerte Mann meint ewig zu leben,
Wenn er vor Gefechten flieht.
Das Alter gönnt ihm doch endlich nicht Frieden,
Obwohl der Speer ihn spart.

16) Der Tölpel glotzt, wenn er zum Gastmahl kommt,
Murmelnd sitzt er und mault.
Hat er sein Teil getrunken hernach,
So sieht man, welchen Sinns er ist.

17) Der weiß allein, der weit gereist ist,
Und hat vieles erfahren,
Welchen Witzes jeglicher waltet,
Wofern ihm selbst der Sinn nicht fehlt.

18) Lange zum Becher nur, doch leer’ ihn mit Maß,
Sprich gut oder schweig.
Niemand wird es ein Laster nennen,
Wenn du früh zur Ruhe fährst.

19) Der gierige Schlemmer, vergißt er der Tischzucht,
Schlingt sich schwere Krankheit an;
Oft wirkt Verspottung, wenn er zu Weisen kommt,
Törichtem Mann sein Magen.

20) Selbst Herden wissen, wann zur Heimkehr Zeit ist,
Und gehen vom Grase willig;
Der Unkluge kennt allein nicht
Seines Magens Maß.

21) Der Armselige, Übelgesinnte
Hohnlacht über alles
Und weiß doch selbst nicht, was er wissen sollte,
Daß er nicht fehlerfrei ist.

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Die Mythologie und Religion der Wikingerzeit

wikinger-grabsteine

Von Rudolf Simek, erschienen im Ausstellungskatalog zur Ausstellung „Die Wikinger“ in der Kunsthalle Leoben 2008; ISBN 987-3-9500840-4-0.

„Alle im Kampf auf dem Schlachtfeld gefallenen Krieger seit Anbeginn der Welt kommen nach Walhall zu Odin. Dort ist daher eine riesige Menschenmenge, aber für alle ist genug Fleisch vom Eber Saehrimnir da, der jeden Tag aufs Neue vom Koch Andhrimnir gesotten wird und am Abend wieder ganz ist. Odin aber füttert mit dem Fleisch nur seine beiden Wölfe, Geri und Freki, er selbst lebt nur vom Wein allein. Seinen Kriegern aber, unter denen sich natürlich viele Könige und Fürsten befinden, läßt er Met vorsetzen, der unablässig vom Euter der Ziege Heidrun in ein Gefäß tropft, sodaß alle Einherier – so heißen die gefallenen Krieger Odins – genug bekommen. Die Ziege aber steht auf dem Dach von Walhall und frißt die Blätter eines Baumes namens Laeradr. – Walhall hat 540 Tore, und durch jedes Tor können gleichzeitig 800 Krieger ausziehen, sodaß Odin ein riesiges Heer befehligt. Wenn die Einherier aber nicht gerade trinken oder essen, dann gehen sie am Morgen hinaus und kämpfen miteinander und erschlagen sich gegenseitig: das ist ihr Zeitvertreib, aber am Abend reiten sie heim nach Walhall und setzen sich alle wieder gemeinsam zum Trinken nieder.“ 1

Diese Schilderung von Odin und seinem Kriegerparadies Walhall prägt heute wie schon vor 100 oder 200 Jahren das neuzeitliche Bild von der Religion der Wikingerzeit und scheint die Todesverachtung der Wikingerkrieger angesichts dieses attraktiven Jenseits zu erklären. Sie fehlt in kaum einem Wikingerfilm und hat die Phantasie von deutschen, englischen und skandinavischen Schriftstellern der letzten Jahrhunderte beflügelt.

Dieses Bild ist aber lange nach der Wikingerzeit entstanden: Der christliche Dichter und Staatsmann Snorri Sturluson (1179 – 1241) hat es um 1225 auf Island als Teil seiner Edda verfaßt, zeitlich und räumlich fernab von wikingerzeitlichem Schlachtgetümmel. Seine Beschreibung ist stark beeinflußt von höfisch-romantischen, christlichen und antiken Vorstellungen des Hochmittelalters, aber als geschickter Autor hat er uns in dieser und vielen anderen mythologischen Beschreibungen ein in sich stimmiges und attraktives Bild der nordischen Vorzeit hinterlassen, das bis heute nachwirkt.

Wir müssen uns aber hüten, die wissenschaftliche und literarische Aufarbeitung nordischer Mythologie durch die christlichen mittelalterlichen Autoren in Snorris Edda ebenso wie der Liederedda mit dem wahren Glauben oder religiösem Brauchtum der Wikingerzeit zu verwechseln, auch wenn diese Werke und noch mehr die Sagas, die historischen Romane des 13. Jahrhunderts, ein romantisches Bild des wikingerzeitlichen Skandinavien vorgaukeln.

Was aber war wirklich die Vorstellung der wikingerzeitlichen Krieger von ihrem Nachleben? Zwei Erinnerungsgedichte (die Eiriksmál und die Hákonarmál), in den 960er-Jahren von zwei isländischen Skalden in Norwegen auf gefallene Fürsten verfaßt, zeigen ein etwas anderes Bild: Der Tod ist hier ein unausweichliches Schicksal, Odin ruft die Krieger zu sich, weil er sie zum Kampf gegen die Mächte der Unterwelt am Ende der Welt benötigt. Die ganze gefallene Armee zieht Richtung Walhall, aber nur der Fürst darf eintreten, und er ist voller Furcht vor dem unberechenbaren Gott, auch wenn einige Halbgötter oder Heroen den Helden in Walhall begrüßen.

Solche Diskrepanzen zwischen literarischer Darstellung des Hochmittelalters und Glaubenswelt der Wikingerzeit sind zwar bei einem zeitlichen Abstand von 250 Jahren zu erwarten, dürfen aber bei der Rekonstruktion der wikingerzeitlichen Religion nicht vernachlässigt werden, sodaß in erster Linie Quellen der heidnischen Zeit, also vor dem Ende des 10. Jahrhunderts, herangezogen werden müssen. Dazu kommt, daß die Glaubensvorstellungen der Wikingerzeit nicht einfach aus allen möglichen Quellen homogenisiert werden können, denn niemand konnte sich auf eine kodifizierte Buchreligion berufen wie etwa im Christentum. Von Gegend zu Gegend waren die Bräuche und Riten etwas abweichend, und auch die Mythenerzählungen finden wir nicht selten in mehr als einer Variante. Dies kann ebenfalls nicht überraschen, wenn wir uns vor Augen halten, daß die Wikinger in England und Irland, die schon ab etwa 800 in ständigem Kontakt mit der christlichen Bevölkerung der Inseln lebten, ihren eigenen Glauben einerseits anders erlebten als Menschen in den schwedischen Wäldern, zum anderen aber auch unterschiedliche Einflüsse, von keltischen Sagen in Irland oder antiken Stoffen in England bis zu slawischen oder byzantinischen Geschichten im Osten, auf die Religion der Skandinavier gewirkt haben müssen.

Im Folgenden können daher immer nur einzelne Schlaglichter aus den Quellen auf die religiösen Vorstellungen geworfen werden, ohne daß diese für alle Skandinavier der Wikingerzeit, von den Schweden in der kaiserlichen Warägergarde von Konstantinopel bis zu den isländischen Siedlern auf Grönland, Gültigkeit gehabt haben.

1 Frei paraphrasiert nach Snorri Sturluson: Edda, Gylfaginning, Kap. 38 – 41.

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