Die Slawen, Teil 2: Alltag, Wirtschaft, Religion

Von „bedo“, aus dem Historie-Magazin „Karfunkel“ Nr. 80 Februar – März 2009, demselben Heft, in dem auch Götter, Götter, Götter: Die Macht der alten Mütter  erschienen ist.

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Das Thema Slawen ist einfach zu umfangreich, um es in einem einzigen Titelthema abzuhandeln. In der letzten Ausgabe haben wir uns ausführlich mit der Geschichte der Slawen beschäftigt – wo kamen sie her, wo haben sie sich angesiedelt, welche verschiedenen Stämme gab es, mit welchen Nachbarn hatten sie wann Auseinandersetzungen und vieles mehr. Nun wollen wir uns intensiv dem Leben der Slawen widmen: Alltag, Gesellschaft, Tracht und Schmuck; Religion und Kult, Tempel und Heiligtümer; Burgen und Festungen; Handelsplätze und Wirtschaft. Archäologisch sind die Hinterlassenschaften dieses Volkes gut dokumentiert, und auch die Historiographien haben uns sehr interessante Einblicke in die slawische Welt überliefert. Eindrucksvolle Rekonstruktionen in Holstein, Mecklenburg und Vorpommern geben uns ein anschauliches Bild des Lebens dieses Volkes, das aus der Sicht der christlichen Chronistik viel zu lange als Barbaren angesehen wurde. Wollen wir also mit diesem Vorurteil aufräumen und die Slawen so zeigen, wie sie wirklich waren!

BURGEN UND FESTUNGEN

„Die Burg [Mecklenburg] wird Grâd genannt, das heißt große Burg. Südlich von Grâd befindet sich wiederum eine Burg, die in einem See erbaut wurde. So bauen die Slawen die meisten ihrer Burgen: Sie gehen zu Wiesen, reich an Wasser und Gestrüpp, stecken dort einen runden oder viereckigen Platz ab nach Form und Umfang der Burg, wie sie sie beabsichtigen, graben ringsherum und schütten die ausgehobene Erde auf, wobei sie mit Planken und Pfählen nach Art einer Bastion gefestigt wird, bis die Mauer die beabsichtigte Höhe erreicht. Auch wird für die Burg ein Tor abgemessen, an welcher Seite man will, und man geht auf einer hölzernen Brücke aus und ein. Von der Burg Grâd bis ans Weltmeer beträgt die Entfernung elf Meilen. Heere dringen in das Land […] nur mit großer Mühe ein, denn das ganze Land besteht aus Dickicht, Wiesen und Morast.“

So äußerte sich der islamische Reisende Ibrahim Ibn Jaquub um 960/65 über den Burgenbau bei den slawischen Stämmen im Gebiet des heutigen Mecklenburg-Vorpommern. Bei der hier erwähnten Burg Grâd handelt es sich um die Mecklenburg bei Wismar, die dem Land seinen heutigen Namen gegeben hat. Schon im 8. Jh. entstand hier eine erste Burganlage, nachdem die Niederung weitgehend trockengelegt worden war. Sie diente den obodritischen Stammesfürsten als Sitz. Ihre erste namentliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 995, als Otto III. der Michelenburg am 10. September eine Schenkungsurkunde ausstellte. Aus Michelenburg, das im Slawischen (Vili)Grâd heißt, wurde im Laufe der Zeit dann Mecklenburg. Sprachforscher übersetzen den Begriff mit „große Burg“, wie es auch Ibn Jaquub in seinem Bericht überliefert.

Eine typische slawische Herrscherburg: Ringwallanlage auf einer Halbinsel mit Torbau und Brücke (Rekonstruktion aus Groß Raden).

Ebenso läßt sich die Beobachtung des Chronisten, daß die Slawen ihre Burgen dort anlegten, wo die Umgebung einen natürlichen Schutz bot, archäologisch belegen. Außerdem paßten sie sie optimal an die jeweiligen topographischen Voraussetzungen an. So lassen sich die Burgen in verschiedene Typen klassifizieren: Beispielsweise legte man in bergigen Landschaften die Festungen auf Bergspornen oder –kuppen als Höhenburgen an. Hierbei mußte lediglich die Zugangsseite besonders gut befestigt werden, etwa durch einen Wall. An den übrigen Seiten reichte eine Umzäunung mit Holzpalisaden oder einfachen Hecken aus. Die häufigste Form stellen die sogenannten Niederungsburgen dar, die im Flachland konstruiert wurden und sich vorzugsweise in wasserreichen, sumpfigen Gebieten oder am Rand von Flußtälern, auf Inseln oder Halbinseln befanden. Der natürliche Schutz des umgebenden Wassers oder Sumpfes wurde dabei in das Verteidigungskonzept eingebunden.

Der Aufbau des Walls von innen wurde in Holzkästen angelegt, die mit Erde, Sand und Steinen verfüllt waren (Rekonstruktion aus Oldenburg/Holstein).

Fast alle Niederungsburgen sind als Ringwallanlagen konstruiert. Der Wall besaß ein Grundgerüst aus kastenartig zusammengefügten Baumstämmen (meist Eiche), die in mehreren Reihen hinter- und übereinander angeordnet waren. Die 2 – 3 m breiten „Holzkästen“ (= Hohlräume) zwischen den Balken wurden vollständig mit Steinen, Sand und Erde aufgefüllt. Für die Errichtung des Walls von Groß Raden beispielsweise wurden rund 12.000 Kubikmeter Erde und über 800 Kubikmeter Eichenholz verbaut. Das benötigte Holz stammte aus den umliegenden Wäldern, Erde und Sand ebenfalls aus der Nähe der Anlagen. In Groß Raden etwa fanden die Archäologen einige Gruben in der unmittelbaren Umgebung des Geländes. Oben auf dem Wall stand meist eine Palisade, die entweder einfach aus aneinandergereihten Brettern bestand oder auch sehr stabil gestaltet sein konnte, wie zum Beispiel die Rekonstruktion der Slawenburg von Raddusch zeigt, die in sogenannter Rostbauweise aus längs- und radialliegenden Hölzern zusammengesetzt war.

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Die Slawen, Teil 1: Ihre Geschichte

Von „bedo“, aus dem Historie-Magazin „Karfunkel“ Nr. 79 Dezember 2008 – Januar 2009, demselben Heft, in dem auch Götter, Götter, Götter: Donner und Fruchtbarkeit, sowie Das „jüdische“ Khanat: Geschichte und Religion des Reiches der Chasaren erschienen ist.

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„Dieses ganze Volk der Slawen ist dem Götzendienst ergeben, ist immer unstet und beweglich und treibt Seeraub, indem es auf der einen Seite die Dänen, auf der anderen die Sachsen anfeindet. Oft und auf vielerlei Weise haben daher der große Kaiser und Bischöfe sich bemüht, diese rebellischen und ungläubigen Völker irgendwie zur Erkenntnis Gottes und zum Glauben zu bringen. Unter allen Völkern des Nordens bleibt allein das der Slawen unempfänglicher und zum Glauben weniger geneigt als die anderen. Aber Gastlichkeit und Fürsorge für die Eltern gelten bei ihnen als erste Tugenden.“
So schreibt der Chronist Helmold von Bosau 1170 über die slawischen Stämme in Nord- und Nordostdeutschland. Sie galten lange Zeit auch in der modernen Geschichtsforschung als Barbaren jenseits der östlichen Reichsgrenze – völlig zu Unrecht, wie wir im folgenden zeigen werden! Ihre Handwerkskunst, der Handel mit den anderen Völkern ihrer Zeit, ihre gesellschaftlichen Strukturen, all das war den Germanen und ihren Nachfolgern gar nicht so unähnlich. Und faszinierend sind ihre Sitten und Gebräuche, ihre Religion und die damit verwobene Mythologie bis heute.

WAS SAGEN DIE GESCHICHTSSCHREIBER?

Wo genau die Slawen herkommen, darüber streiten die Forscher bis heute. Erst seit dem 1. Jh. n. Chr. berichten antike Schriftsteller wie Plinius der Ältere, Ptolemäus von Alexandria oder Tacitus über Völker, die heute den Slawen zugerechnet werden. Eigene Aufzeichnungen haben uns diese Menschen leider nicht hinterlassen, denn sie waren eine noch schriftlose Kultur. Und auch die Archäologie kann keine konkreten Ergebnisse vorweisen, denn die materiellen Hinterlassenschaften sind nicht so eindeutig in bestimmte ethnische Gruppen einteilbar, daß sie daraus konkrete Aussagen ableiten ließen.

Rekonstruierte slawische Siedlung in Groß Raden

Wenn wir uns also auf die antiken Historiographen stützen, begegnet uns zuerst ein Volksstamm, der östlich der Weichsel gesiedelt haben soll und als Venedi, Venadi oder Veneti bezeichnet wird. Diesen Namen gibt es heute noch: die Wenden. Jordanes, der Geschichtsschreiber der Goten, berichtet im 6. Jh., die Goten hätten im 3./4. Jh. bei ihrem Aufenthalt in Südrußland die Veneter (venethi) besiegt, ein Volk, das aus demselben Geschlecht stamme wie die Slawen (sclaveni). Insgesamt zählt er drei Völker auf, die denselben Ursprung hätten: Slawen und Veneter sowie die Anten (antes). Als Siedlungsgebiet der Veneter gibt auch er den Weichselraum an, die Slawen siedelt er zwischen Weichsel und Donau an und die Anten zwischen Dnister und Don. Eine ethnische Gemeinsamkeit zwischen Venetern/Wenden und Slawen jener Zeit zweifeln manche Forscher jedoch an, weil sich ihre Keramik unterscheidet.

Den nächsten Hinweis auf den Begriff Slawen liefern oströmische Quellen, genauer gesagt der sogenannte Pseudo-Kaisarios im 6. Jh. (sclavenoi). Noch während der Regentschaft Kaiser Justinians I. (527-565) tauchten slawische Stämme, aus den Karpaten, dem unteren Donauraum und den Regionen am Schwarzen Meer kommend, in den Donauprovinzen des Oströmischen Reiches auf, wie Prokop von Caesarea, Menander Protektor, Agathias und andere berichten (sclavenoi und antes). Prokop beobachtet, daß Slawen und Anten dieselbe Sprache sprächen, dieselben Bräuche pflegten und auch ansonsten sehr ähnlich seien.

DER URSPRUNG DER „SLAWEN“

„Die Slawen“ als prototypisches Urvolk hat es – wie „die Kelten“, „die Germanen“ – nicht gegeben. Zwischen mittlerer Weichsel und Bug sowie mittlerem Dnjepr konnte die Forschung inzwischen zumindest das Kerngebiet der ursprünglichen slawischen Sprache ausmachen, und von hier aus haben sich zahlreiche kleinere Volksgruppen ausgebreitet (hauptsächlich nach Ostmittel- und Osteuropa).

Der Untergang des Römischen Reiches hatte große Umwälzungen in Europa zur Folge gehabt. Während des 4. und 5. Jahrhunderts hatten sich zahlreiche germanische Stämme auf Wanderschaft begeben und neue Siedlungsgebiete erschlossen. Es gibt viele Faktoren, deren Zusammenspiel dieses als Völkerwanderung bezeichneten Phänomens verursacht hat, und sicherlich war der allmähliche Zusammenbruch der römischen Herrschaft nicht der einzige Grund, wenn auch ein gewichtiger. Die Bevölkerung des heutigen West-Mecklenburg beispielsweise folgte dem historisch bekannten Zug der Langobarden über Mähren (489) und Pannonien (528) nach Italien (568), die Odergermanen zogen mit den Goten über die Schwarzmeerregion (208/230) nach Spanien (418) und Italien (489).

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Götter, Götter, Götter: Donner und Fruchtbarkeit

Bronzene Zeusstatue von ca. 470 v. Chr., gefunden im Meer vor Kap Artemision.

Von „bast“, aus dem Historie-Magazin „Karfunkel“ Nr. 79 Dezember 2008 – Januar 2009. Dort ist der Artikel unter dem Originaltitel „Götter, Götter, Götter, Teil 3: Donner und Fruchtbarkeit“ erschienen; das mit „Teil 3“ habe ich wie bei „Teil 4: Die Macht der alten Mütter“ weggelassen, um den irrigen Eindruck zu vermeiden, daß die anderen Teile ebenfalls hier erschienen seien.

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Diesmal beschäftigen wir uns mit den wahrhaft merkwürdigen Gemeinsamkeiten in den Vorstellungen über die heidnischen Götter und stellen zwei davon näher vor: die Donnergötter (Zeus, Jupiter, Taranis, Donar/Thor etc.) und die Fruchtbarkeitsgöttinnen.

Wenn wir heute ein Gewitter erleben, ruft das kaum noch eine nennenswerte Reaktion hervor. Die Mutter meiner Grundschullehrerin pflegte sich jedoch bei nächtlichen Gewittern noch vollständig anzukleiden. Sie nahm eine Tasche mit den wichtigsten Papieren zur Hand und machte sich bereit, notfalls vor den Naturgewalten die Flucht zu ergreifen. Was uns heute mehr als übertrieben erscheint, war für die Menschen früherer Zeiten eine durchaus vernünftige Handlungsweise. Denn Blitz und Donner waren keine nette Garnierung eines gemütlichen Krimiabends, sondern ernstzunehmende Zeichen einer Wesenheit, der man einen Namen geben wollte, um mit ihr in Verhandlungen zu treten und sie womöglich bannen zu können.

Daß außerordentliche Naturereignisse Beweis einer göttlichen Macht waren, wurde nicht in Frage gestellt. Der Zorn der Götter war vielmehr die ganz normale Antwort auf die uralte Frage, von wem um alles in der Welt eine solch gewaltige Kraft ausgehen könne. Konnte man diese näher bezeichnen, sie Thor, Zeus, Jupiter oder Taranis nennen, rückte ein Übereinkommen mit ihr in den Bereich des Möglichen. Man konnte versuchen, den Gott mit Opfergaben gnädig zu stimmen, ihm durch Anbetung und die Errichtung von Tempeln oder Statuen zu bezeugen, welche Macht man ihm zusprach, und dies mit der Hoffnung verbinden, er möge es für obsolet halten, diese dann durch übertrieben heftige Gewitter, womöglich mit Blitzeinschlägen in die eigene Hütte zum Ausdruck zu bringen.

Der Grashalm wächst nicht schneller, wenn man daran zieht

Dennoch wollten die Menschen zu keiner Zeit die Möglichkeit außer acht lassen, die Fruchtbarkeit der Felder irgendwie günstig zu beeinflussen. Also suchte man auch für sie Ansprechpartner und fand sie in den zahllosen Fruchtbarkeitsgöttinnen der vorchristlichen Religionen: Isis, Astarte, Aphrodite, Aschera, Demeter, Ceres und Inanna; die Namen sind oft austauschbar, denn die Kulte weisen eine bemerkenswerte Kontinuität auf und neigen – auch bei gänzlich verschiedenen Herkunftsregionen – dazu, einander zu ergänzen und zu bereichern.

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Götter, Götter, Götter: Die Macht der alten Mütter

Maria lactans (stillende Maria)

Von „bast“, aus dem Historie-Magazin „Karfunkel“ Nr. 80 Februar-März 2009 (einschließlich der Bilder, außer jenem von der Mondsichelmadonna im Bonner Münster und jenen in meinem Anhang). Dort ist der Artikel unter dem Originaltitel „Götter, Götter, Götter, Teil 4: Die Macht der alten Mütter“ erschienen; das mit „Teil 4“ habe ich weggelassen, um den irrigen Eindruck zu vermeiden, daß die Teile 1 – 3 ebenfalls hier erschienen seien. Auch habe ich den vorletzten Abschnitt dieses Artikels, „Gott oder Göttin – die Standpunkte in der theologischen Diskussion“ hier weggelassen, weil es darin fast nur um die Auseinandersetzung innerhalb der christlichen Theologie und die – von „bast“ offenbar eher distanziert gesehene – „feministische Theologie“ geht, was hier nicht das Thema sein soll (man muß auch bei Angaben zu heidnischen Göttinnen immer aufpassen, daß man nicht feministischem Unsinn aufsitzt). Mir geht es hier hauptsächlich um die Kultkontinuität alter heidnischer Vorstellungen (hier vor allem am Beispiel der Göttinnen-Trinität), die unter christlicher Herrschaft fortlebte, sowie um die daraus erkennbare europaweite Verwandtschaft dieser heidnischen Kulturelemente untereinander.

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Das Bewußtsein für die Wanderungsbewegungen der Gottesvorstellungen ist so alt wie die Welt. Denn Religionen entstehen nicht im luftleeren Raum. Der Kirchenvater Augustinus sagt: „Die Wirklichkeit, die jetzt christliche Religion genannt wird, gab es schon bei den Alten, und sie fehlte nicht von Anbeginn des Menschengeschlechts, bis Christus im Fleische erschien, von wann ab die wahre Religion, die schon da war, begann die christliche zu heißen.“ Und das heißt, daß auch in Bezug auf die weiblichen Gottesbilder, die sich in der Verehrung der vielen heidnischen Göttinnen niederschlugen, mit einer Kultkontinuität im Rahmen des Christentums zu rechnen ist.

Belege dafür gibt es viele. Da ist zum Beispiel die Stadt Ephesus, in der die Göttin Diana verehrt wurde. Gerade hier errichtete der Apostel Paulus ein Zentrum seiner missionarischen Tätigkeit. Heute ist Ephesus die Stadt, die als Sterbeort der Gottesmutter Maria gilt. Diana waren im August Rituale gewidmet, die mit dem Untertauchen der Statue im Meer die Leben spendende Fruchtbarkeitsgöttin ehrten. Die katholische Kirche feiert am 15. August die leibliche Aufnahme Marias in den Himmel, und in vielen Gegenden wird der sogenannte Frauendreißiger begangen, in dem Kräuterbusche gesammelt werden, deren heilende Kräfte sich in Aufgüssen und Räucherungen entfalten. Das Pantheon ist heute der Verehrung aller Heiligen geweiht. Die Kirche Santa Maria sopra Minerva verweist schon mit dem Namen auf den Kultort, über dem sie errichtet worden ist, und die dreigestaltige Göttin, in deren Verehrung die Menschen früherer Zeiten sich die zyklischen Abläufe des Lebens vergegenwärtigten, zeigt sich im süddeutschen Raum heute in Gestalt der drei heiligen Madl.

Drei Frauen, eine Göttin

Die Verehrung der Göttinnentrinität läßt sich in zahlreichen Religionen nachweisen, und auch dort, wo, wie bei Holle oder Perchta, eine Göttin im Zentrum des Kultes steht, sind die Aspekte der Bewältigung der Lebenszyklen deutlich erkennbar. Im keltischen Bereich verbindet sich die Vorstellung der dreigestaltigen Göttin mit dem Gedanken der Wiedergeburt. Die Eine in drei Personen konkretisiert sich z. B. in der Verehrung der Borbeth, die Heilung und Geborgenheit schenkt. Ihre Zeit ist der Neumond, ihr Symbol der Turm und ihre Wohnung die Anderswelt, in deren dunklem Schoß das neue Leben heranreifen konnte. Ihr folgt die lichte Wilbeth, deren Zeit der wachsende Mond ist. Ihr Gewand ist weiß, und als ihr Symbol trägt sie das Rad der Wiedergeburt. Die Fruchtbarkeit verkörpert Ambeth, die im Zeichen des vollen Mondes ein rotes Gewand trägt und deren Symbol die Schlange ist. Ebenso wie Demeter und Persephone oder die im Rheinland vielfach verehrten drei Matronen steht die dreigestaltige Göttin zugleich für die Lebensphasen der Jugend, der Fruchtbarkeit und des Alters. In vorgeschichtlicher Zeit finden sich Hinweise auf ihre Verehrung in Felsritzungen, die die Symbolzahl drei verwenden. Dabei treten vor allem drei Formen in Erscheinung: das Labyrinth, drei in Dreiecksform angeordnete Schälchen und drei nebeneinander verlaufende Linien.

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Die Fechtschule „Alte Kampfkunst“

Eine authentische Rekonstruktion der Schwertkampfkunst basiert auf echten historischen Quellen, den Fechtbüchern.

Aus dem Historie-Magazin „Karfunkel Combat“, Ausgabe Nr. 10 (einschließlich der Bilder).

Historisches Fechten ist etwas ganz anderes als choreographierter Schaukampf. Vielmehr geht es darum, genau jene Techniken zu erlernen, die unsere Vorfahren im ernsthaften Kampf um Leib und Leben einsetzten. „Alte Kampfkunst“ ist eine der wenigen professionellen Schulen für Historisches Fechten.

Auch wenn mittlerweile beim Schaukampf etwas mehr A-Faktor als früher zu finden ist und auch einige historische Elemente Einzug gefunden haben, so ist er dennoch von richtiger Kampfkunst weit entfernt. „Schau-Kampf“ ist eben eine Schau zur Unterhaltung von Zuschauern und kein echter Kampf. Historische Fechter widmen sich dagegen der Rekonstruktion der echten Kampftechniken, wie sie in den alten Quellen überliefert wurden. Auch wenn heutzutage nicht mehr auf Leben und Tod gekämpft wird, ist die Authentizität der Methoden wichtig. In der Schule „Alte Kampfkunst“ in Wuppertal wird Historisches Fechten mit dem Langen Schwert und dem Kavalleriesäbel gelehrt sowie die historische Selbstverteidigungskunst Bartitsu. Karfunkel sprach mit Inhaber und Trainer Stefan Dieke über Historisches Fechten und den A-Faktor.

Stefan Dieke ist hauptberuflicher Lehrer für Historisches Fechten.

K.: Stefan, deine Schule heißt „Alte Kampfkunst – Historical European Martial Arts Academy“. Warum diese Anglizismen?

S.D.: Zum einen kommen auch Schüler und Seminarteilnehmer aus dem Ausland zu mir, zum anderen ist „Historical European Martial Arts“ (HEMA) der international gebräuchliche Begriff für das, was wir trainieren.

K.: Ist HEMA denn nicht das Gleiche wie Schwertkampf?

S.D.: Das kann man so allgemein nicht sagen. Zum einen gibt es im Rahmen der Historischen Europäischen Kampfkunst ein großes Arsenal an Waffen, zum anderen ist nicht jede Form des „Schwertkampfes“ auch Historische Fechtkunst.

Die Beherrschung des Schwerts, die Kontrolle über die Waffe wird bei der Alten Kampfkunst immer und immer wieder geübt.

K.: Was ist bei der Historischen Fechtkunst anders als bei anderen Formen des Schwertkampfes?

S.D.: Uns interessiert die erfolgreiche Rekonstruktion von Kampfsystemen – überliefert in alten Quellen, wie den seit dem Spätmittelalter existierenden Fechtbüchern. Dabei möchten wir so wenig Abstriche bei den Techniken machen wie möglich. Wir nutzen moderne Schutzkleidung, um dies ohne ein ernsthaftes Verletzungsrisiko ermöglichen zu können.

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Das „jüdische“ Khanat: Geschichte und Religion des Reiches der Chasaren

Aus dem Historie-Magazin „Karfunkel“, Ausgabe Nr. 79 Dezember 2008 – Januar 2009 (einschließlich der Bilder). Der Autor ist dort mit „jpk“ angegeben.

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Als „jüdisches Atlantis“ oder „dreizehnten Stamm“ bezeichnete man das Reich der turkstämmigen Chasaren, die vom 7. bis zum 10. Jahrhundert die Steppen nördlich des Kaspischen und Schwarzen Meeres beherrschten und von denen sich ein Teil zum Judentum bekehrte. Auch die letzte umfangreichere deutschsprachige Publikation zu den Chasaren spricht vom „vergessenen Großreich der Juden“. Tatsächlich stellt die Existenz eines mächtigen Staates mit einem jüdischen Herrscher im Mittelalter ein einzigartiges und faszinierendes Phänomen dar, doch darf die tatsächliche Rolle des Judentums in diesem Steppenreich auch nicht überschätzt werden.

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Im hebräischen Antwortbrief des chasarischen Herrschers Joseph an den am Hof des Kalifen von Cordoba Ab dar-Rahman III. sehr einflußreichen jüdischen Arzt und Gelehrten Hasday ibn Shaprut (ca. 905 – 975) – eine unserer wichtigsten Quellen für die Geschichte der Chasaren – wird erklärt, daß der Urvater der Chasaren von Togarma, einem Sohn des Gosmer und Enkel des Noahsohnes Japhet, abstamme; somit war erfolgreich der Anschluß an die Völkertafel der Genesis hergestellt. Dieser Stammbaum findet sich auch in verschiedenen arabischen Quellen, von denen manche sogar eine Abkunft der Chasaren von Abraham behaupten, der nach dem Tod seiner ersten Gattin Sarah eine Araberin namens Kantura geehelicht habe und mit ihr nach Chorasan im Nordostiran übersiedelt sei, wo sich seine Sippe mit den Chasaren vermischt hätte. Schließlich wurde in manchen Texten auch die Theorie aufgestellt, die Chasaren seien Reste der zehn verlorenen Stämme Israels, also jener Juden, die bei der Eroberung des israelitischen Nordreichs durch die Assyrer 722 v. Chr. verschleppt wurden.

Solche Konstruktionen dienten natürlich dazu, die (in ihrer Oberschicht) nunmehr jüdischen Chasaren mit dem Geschick des Volkes Israel zu verbinden.

Chasaren = Nomaden?

Die moderne Geschichts- und Sprachwissenschaft kommt erwartungsgemäß zu einem anderen Ergebnis: Die Chasaren, deren Namen sich eventuell vom alttürkischen q’azar („Nomade“) ableitet, stellten ein turkstämmiges Volk dar, das sich ab der Mitte des 6. Jh. n. Chr. in den Steppen nördlich des Kaspischen Meeres nachweisen läßt. Dort stand es Anfang des 7. Jh. unter der Oberhoheit des köktürkischen Großreiches, dessen westlicher Khagan um 625 ein Bündnis mit dem byzantinischen Kaiser Herakleios gegen das persische Reich der Sasaniden einging und mit seinen Einfällen nach Transkaukasien zum Sieg der Byzantiner beitrug. Spätere Autoren identifizierten schon diese wertvollen Bundesgenossen mit den Chasaren (während die zeitnaheren Quellen von Türken sprechen), doch stellten sie nur eines – wenn vielleicht auch wichtiges – unter den Völkern im Heer des Khagans dar. Erst als das köktürkische Reich nach 630 zerfiel und das westliche Khaganat 659 von den Chinesen zerstört wurde, konnten die Chasaren, deren Herrscher nun selbst den Titel eines Khagan annahm, eine eigene Machtposition in den Steppen nördlich des Kaspischen und Schwarzen Meeres erringen.

Das Wolgadelta bei Astrachan, in dessen Nähe sich vermutlich auch die chasarische Hauptstadt Itil befand.

Das Wolgadelta bei Astrachan, in dessen Nähe sich vermutlich auch die chasarische Hauptstadt Itil befand.

Die Entstehung des Chasaren-Reiches

Zur Vormacht in diesem Raum wurden die Chasaren um 660, als sie das sogenannte großbulgarische Reich besiegten; Stämme dieses Reiches gelangten nun unter chasarische Oberhoheit, andere wanderten nach Westen, unter anderem an die Donau, wo sie um 680 ein neues Reich begründeten.

Der Sieg über die Bulgaren wird auch im Brief des Joseph als „Gründungsdatum“ chasarischer Herrschaft erwähnt. Das Zentrum der chasarischen Macht lag damals im heutigen Daghestan nördlich des Kaukasus, wo die Städte Balanjar (vermutlich am Mittellauf des Sulak in Daghestan, heute in einem Stausee verschwunden) und Samandar (vermutlich nahe der heutigen Hauptstadt Machatschkala) die wichtigsten Stützpunkte der Chasaren darstellten.

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