Von „bedo“, aus dem Historie-Magazin „Karfunkel“ Nr. 80 Februar – März 2009, demselben Heft, in dem auch Götter, Götter, Götter: Die Macht der alten Mütter erschienen ist.
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Das Thema Slawen ist einfach zu umfangreich, um es in einem einzigen Titelthema abzuhandeln. In der letzten Ausgabe haben wir uns ausführlich mit der Geschichte der Slawen beschäftigt – wo kamen sie her, wo haben sie sich angesiedelt, welche verschiedenen Stämme gab es, mit welchen Nachbarn hatten sie wann Auseinandersetzungen und vieles mehr. Nun wollen wir uns intensiv dem Leben der Slawen widmen: Alltag, Gesellschaft, Tracht und Schmuck; Religion und Kult, Tempel und Heiligtümer; Burgen und Festungen; Handelsplätze und Wirtschaft. Archäologisch sind die Hinterlassenschaften dieses Volkes gut dokumentiert, und auch die Historiographien haben uns sehr interessante Einblicke in die slawische Welt überliefert. Eindrucksvolle Rekonstruktionen in Holstein, Mecklenburg und Vorpommern geben uns ein anschauliches Bild des Lebens dieses Volkes, das aus der Sicht der christlichen Chronistik viel zu lange als Barbaren angesehen wurde. Wollen wir also mit diesem Vorurteil aufräumen und die Slawen so zeigen, wie sie wirklich waren!
BURGEN UND FESTUNGEN
„Die Burg [Mecklenburg] wird Grâd genannt, das heißt große Burg. Südlich von Grâd befindet sich wiederum eine Burg, die in einem See erbaut wurde. So bauen die Slawen die meisten ihrer Burgen: Sie gehen zu Wiesen, reich an Wasser und Gestrüpp, stecken dort einen runden oder viereckigen Platz ab nach Form und Umfang der Burg, wie sie sie beabsichtigen, graben ringsherum und schütten die ausgehobene Erde auf, wobei sie mit Planken und Pfählen nach Art einer Bastion gefestigt wird, bis die Mauer die beabsichtigte Höhe erreicht. Auch wird für die Burg ein Tor abgemessen, an welcher Seite man will, und man geht auf einer hölzernen Brücke aus und ein. Von der Burg Grâd bis ans Weltmeer beträgt die Entfernung elf Meilen. Heere dringen in das Land […] nur mit großer Mühe ein, denn das ganze Land besteht aus Dickicht, Wiesen und Morast.“
So äußerte sich der islamische Reisende Ibrahim Ibn Jaquub um 960/65 über den Burgenbau bei den slawischen Stämmen im Gebiet des heutigen Mecklenburg-Vorpommern. Bei der hier erwähnten Burg Grâd handelt es sich um die Mecklenburg bei Wismar, die dem Land seinen heutigen Namen gegeben hat. Schon im 8. Jh. entstand hier eine erste Burganlage, nachdem die Niederung weitgehend trockengelegt worden war. Sie diente den obodritischen Stammesfürsten als Sitz. Ihre erste namentliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 995, als Otto III. der Michelenburg am 10. September eine Schenkungsurkunde ausstellte. Aus Michelenburg, das im Slawischen (Vili)Grâd heißt, wurde im Laufe der Zeit dann Mecklenburg. Sprachforscher übersetzen den Begriff mit „große Burg“, wie es auch Ibn Jaquub in seinem Bericht überliefert.

Eine typische slawische Herrscherburg: Ringwallanlage auf einer Halbinsel mit Torbau und Brücke (Rekonstruktion aus Groß Raden).
Ebenso läßt sich die Beobachtung des Chronisten, daß die Slawen ihre Burgen dort anlegten, wo die Umgebung einen natürlichen Schutz bot, archäologisch belegen. Außerdem paßten sie sie optimal an die jeweiligen topographischen Voraussetzungen an. So lassen sich die Burgen in verschiedene Typen klassifizieren: Beispielsweise legte man in bergigen Landschaften die Festungen auf Bergspornen oder –kuppen als Höhenburgen an. Hierbei mußte lediglich die Zugangsseite besonders gut befestigt werden, etwa durch einen Wall. An den übrigen Seiten reichte eine Umzäunung mit Holzpalisaden oder einfachen Hecken aus. Die häufigste Form stellen die sogenannten Niederungsburgen dar, die im Flachland konstruiert wurden und sich vorzugsweise in wasserreichen, sumpfigen Gebieten oder am Rand von Flußtälern, auf Inseln oder Halbinseln befanden. Der natürliche Schutz des umgebenden Wassers oder Sumpfes wurde dabei in das Verteidigungskonzept eingebunden.

Der Aufbau des Walls von innen wurde in Holzkästen angelegt, die mit Erde, Sand und Steinen verfüllt waren (Rekonstruktion aus Oldenburg/Holstein).
Fast alle Niederungsburgen sind als Ringwallanlagen konstruiert. Der Wall besaß ein Grundgerüst aus kastenartig zusammengefügten Baumstämmen (meist Eiche), die in mehreren Reihen hinter- und übereinander angeordnet waren. Die 2 – 3 m breiten „Holzkästen“ (= Hohlräume) zwischen den Balken wurden vollständig mit Steinen, Sand und Erde aufgefüllt. Für die Errichtung des Walls von Groß Raden beispielsweise wurden rund 12.000 Kubikmeter Erde und über 800 Kubikmeter Eichenholz verbaut. Das benötigte Holz stammte aus den umliegenden Wäldern, Erde und Sand ebenfalls aus der Nähe der Anlagen. In Groß Raden etwa fanden die Archäologen einige Gruben in der unmittelbaren Umgebung des Geländes. Oben auf dem Wall stand meist eine Palisade, die entweder einfach aus aneinandergereihten Brettern bestand oder auch sehr stabil gestaltet sein konnte, wie zum Beispiel die Rekonstruktion der Slawenburg von Raddusch zeigt, die in sogenannter Rostbauweise aus längs- und radialliegenden Hölzern zusammengesetzt war.