Warum ist der Sozialismus nicht tot?

Acht-der-Schwerter Titel

Übersetzt von Eisvogel, gepostet um 19:11 am 17. April 2008 auf ihrem nicht mehr existierenden Blog „Acht der Schwerter“.

Rote Barbarellas

Vorwort von Eisvogel:

Den unten stehenden Artikel von Lee Harris habe ich schon vor einiger Zeit in einem Link in einem der Fjordman-Artikel gefunden und gespeichert. Weil kürzlich in der Diskussion mehr und mehr das Thema aufkam, dass erstaunlicherweise die internationalistischen Bestrebungen großer Firmen und ihrer politischen Unterstützer einerseits und ausgemachte Sozialisten andererseits die Masseneinwanderung und die political Correctness fördern und daher beide zu einer Entwicklung beitragen, die vielen bedrohlich erscheint, habe ich ihn jetzt vollkommen übersetzt.

Sozialisten beantworten Kritik, die sich auf das hoffnungslose Scheitern ihrer Ideologie bezieht, bekanntermaßen damit, dass dies (z.B. in der Sowjetunion) ja keineswegs der wahre Sozialismus gewesen sei, dieser erst noch verwirklicht werden müsse, dann aber tatsächlich eine gute Sache sei. Man neigt dazu, nur noch den Kopf über so viel Dummheit zu schütteln. Allerdings ist mir durch den untenstehenden Artikel erstmals aufgefallen, dass sie vielleicht nicht vollkommen unrecht haben.

Unrecht haben sie darin, dass der Sozialismus wünschenswert ist, recht haben sie aber damit, dass der Sozialismus nach Marx – der so genannte wissenschaftliche Sozialismus – tatsächlich noch nicht realisiert worden ist. Marx war der Ansicht, Kapitalismus sei eine wünschenswerte und notwendige Vorstufe zum Sozialismus, und dieser könne erst erfolgreich eingeführt werden, wenn der Kapitalismus seinen maximalen Reifegrad erreicht hat und innerlich von selber zusammenbricht. Er fand es daher möglich, dass der Sozialismus aus der Demokratie ohne Revolution entstehen kann, wenn – wie ich es verstanden habe – der Kapitalismus zum Exzess getrieben wird. Insbesondere die USA schienen ihm für eine solche Entwicklung geeignet, allerdings wurde die Idee auch von Europäern übernommen. Harris sieht die Sozialdemokratie, insbesondere die deutsche vor dem 1. Weltkrieg (aber möglicherweise auch die heutige, die schon weit in die CDU hineingewuchert ist), als Vertreterin dieser Schule.

Sorel hingegen verwarf diesen Ansatz und vertrat den utopischen Sozialismus, der religionsähnliche Züge hat und von einem Mythos lebt, dessen Verwirklichung irrelevant ist – Hauptsache revolutionäre Gesinnung. Diese Sorte Sozialisten sind uns wohlbekannt. Lee Harris geht zwar vorwiegend auf ihre Ausprägung in Ländern der Dritten Welt insbesondere Südamerika ein, wo ich noch nachvollziehen kann, warum die dort lebenden bitter armen Menschen auf Rattenfänger reinfallen, die ihnen schnelle Auswege aus ihrer Not versprechen. Aber es gibt sie auch hier und sie werden mehr anstatt weniger. Warum?

Sehen wir, wenn linke Chaoten gegen den G8-Gipfel demonstrieren, in Wirklichkeit einen Kampf utopischer Sozialisten gegen wissenschaftliche Sozialisten, die – sicher zum Teil nicht vorsätzlich – den Kapitalismus zum Exzess treiben und damit dem reinen Marxismus näher kommen als diejenigen, die an den Mythos glauben und steinewerfend den schnellen revolutionären Weg gehen wollen?

Was ist mit der EU-Gorbatschow-Connection, die schon vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion bestand, insbesondere in Gestalt italienischer Sozialisten und deutscher Sozialdemokraten? War der Zusammenbruch der Sowjetunion vielleicht gar keine Abkehr vom Sozialismus sondern nur die Rückbesinnung auf die reine Lehre von Marx und dessen Ansicht, dass funktionierender Sozialismus die “Ochsentour” über einen Kapitalismus gehen muss, der keine Grenzen mehr kennt und sich schließlich selbst vernichtet, um im Sozialismus zu enden?

Harris geht auf diese Fragen nicht ein, er befasst sich ausschließlich mit dem viel auffälligeren utopischen Sozialismus und wie man ihm entgegentreten kann. Aber ich finde sie hochinteressant. Insbesondere der von Freie Welt und Serbian Girl verlinkten Artikel von John Laughland, in dem dieser seinen eigenen Meinungswandel der letzten zehn Jahre beschreibt, beschreibt auch eine merkwürdige und ihm unangenehme Nähe der totalitären Rücksichtslosigkeit des globalen Kapitalismus und Sozialismus. Ich sympathisiere keineswegs mit den so genannten “Globalisierungsgegnern”, ich frage mich nur: Sind das nur ungeduldige utopistische Revolutionäre, die letztendlich exakt jene bekämpfen, die (manche vorsätzlich, manche unwissentlich) auf dasselbe Ziel zusteuern wie sie selber – und nur einen langsameren Weg wählen? Einen Weg, den Marx persönlich als den einzig erfolgversprechenden zum Sozialismus ausgeführt hat?

Hier ist der ganze Artikel:

Warum ist der Sozialismus nicht tot?
von Lee Harris

Original vom 6. Mai 2006: Why Isn’t Socialism Dead?

Der Präsident Boliviens Evo Morales feierte den 1. Mai [2006], indem er Truppen sandte, um die natürlichen Erdgasfelder des Landes zu besetzen. Der Zweck dieser Übung war nicht militärischer, sondern ökonomischer Natur: Morales hatte gefordert, dass alle ausländischen Firmen, die auf diesen Gasfeldern fördern, einen Vertrag mit Bolivien unterzeichnen müssen, in dem ihnen zugestanden wird, 18% ihrer Produktion zu behalten, während der Rest an die staatliche Ölgesellschaft Boliviens fallen soll. Das 18-Prozent-Zugeständnis an die ausländischen Firmen war keine Großzügigkeit seitens Morales, sondern schlicht und einfach Pragmatismus: Bolivien braucht diese Firmen, um seine natürlichen Gasvorkommen zu fördern, weil es zumindest derzeit unfähig ist, es selber zu tun.

Morales, ein feuriger Populist, der in einem erdrutschartigen Sieg gewählt wurde, folgt ganz offensichtlich den Fußspuren von Venezuelas hitzköpfig populistischem Präsidenten Hugo Chavez. Darüber hinaus trafen sich Morales und Chavez letzte Woche mit Fidel Castro, wobei sie eine Art sozialistisches Love-Festival feierten, im Rahmen dessen sie ein Partnerschaftsabkommen unterzeichneten, das darauf abzielt, ein Netz von Allianzen in Südamerika aufzubauen, um den tückischen Verlockungen des freien Handels amerikanischen Stils zu widerstehen – sein ultimatives Ziel soll die ökonomische Autarkie der Region sein, frei von ausländischer Kontrolle.

Zusätzlich zum Einsatz von Truppen, setzt Morales auch eine ganze Menge flammender Rhetorik ein. Wenn er von den ausländischen Firmen spricht, die Boliviens natürliche Rohstoffe fördern, bezeichnet er das als “Ausplünderung”, und dass er seine Truppen am 1. Mai, dem traditionellen sozialistischen Feiertag, losschickte, war sicher kein Zufall. In einer ähnlichen Stimmung predigte Morales’ Mentor Hugo Chavez, dass Reichtum Niedertracht bedeute und Armut Tugend – und wenn er auch die Heilige Schrift zur Unterstützung seiner Argumente zitieren mag, kann doch kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass der Populismus in der Art von Chavez schlicht und einfach Sozialismus mit südamerikanischem Akzent ist.

Und das führt mich zu der Frage, auf die ich eingehen will: Warum ist der Sozialismus nicht tot?

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