Die Gedanken-Falle

Von Clifford D. Simak. Das Original „Junkyard“ erschien im Mai 1953 in GALAXY SCIENCE FICTION; deutsche Übersetzung von Lothar Heinecke aus Ullstein 2000 – Science Fiction Stories 66, 1977 (ISBN 3-548-03323-7). Das Bild in Abschnitt 9 ist eine Illustration von Don Sibley aus der Urveröffentlichung in GALAXY.

1

Sie glaubten, das Geheimnis enträtselt zu haben. Sie hatten ein paar scharfsinnige Überlegungen angestellt, die entsprechenden Schlüsse gezogen – aber sicher waren sie sich ihrer Sache nicht. Es war dies zwar nicht die Art, in der üblicherweise eine Abteilung des Vermessungsdienstes ihre Arbeit tat. Für gewöhnlich griffen sie ein Problem auf, schüttelten es kräftig durch und ließen nicht locker, bis sie herausgeholt hatten, was herauszuholen war, und konnten abschließend immer mit einer eindrucksvollen Liste von Tatsachen aufwarten. Hier jedoch gab es keine einzige greifbare Tatsache außer der einen, die selbst einem zwölfjährigen Kind als solche erschienen wäre.

Commander Ira Warren machte sich deshalb Sorgen, und er äußerte sich auch in diesem Sinne, als er sich mit Schlappohr Brady, dem Schiffskoch und etwas anrüchigen Kumpan seiner Jugendzeit unterhielt. Die beiden fuhren jetzt schon seit mehr als dreißig Jahren zusammen und konnten, obwohl oder weil sie an entgegengesetzten Enden der Rangliste standen, sich gegenseitig doch Dinge sagen, die sie keinem anderen an Bord sagen konnten oder einem anderen Mann hätten erlauben können zu sagen.

„Schlappohr“, sagte Warren, „ich mach mir Sorgen.“

„Du machst dir immer Sorgen“, gab Schlappohr zurück. „Das gehört nun mal zu deinem Job.“

„Die Sache mit dem Schrottplatz…“

„Du wolltest schließlich was werden“, sagte Schlappohr, „und ich hab dir gesagt, was dann passieren würde. Ich hab dich gewarnt. Autorität – das heißt Verantwortung, und das heißt Sorgen. Damit mußt du dich abfinden. Hm, also es geht um diese Schrottplatz-Geschichte? Ich hab da noch irgendwo eine Flasche stehen. Wie wär’s denn mit einem kleinen Schluck?“

Warren wies den Gedanken weit von sich. „Eines Tages werde ich es dir schon mal besorgen. Ich kann mir nicht denken, wo du das Zeug immer versteckt hältst, aber auf jeder Fahrt…“

„Aber Ira! Nun reg dich bloß nicht unnütz auf.“

„Aber auf jeder Fahrt schleppst du genug totes Gewicht an Alkohol mit, um immer halb beduselt herumlaufen zu können.“

„Es ist Gepäck“, meinte Schlappohr störrisch. „Schließlich darf man doch wohl sein Reisegepäck mitnehmen. Ich hab sonst nicht viel anderes. Ich bringe eben meine Getränke mit.“

„Eines Tages“, sagte Warren heftig, „wirst du erleben, daß man dich deshalb fünf Lichtjahre von Nirgendwo aus dem Schiff hinauswirft.“

Die Drohung war nicht neu und konnte deshalb Schlappohr auch nicht weiter aufregen.

„Diese Sorgen machen dich noch ganz krank“, sagte Schlappohr, „und sie bringen dich auch nicht weiter.“

„Aber unser wissenschaftliches Team hat versagt“, widersprach Warren. „Begreifst du denn nicht, was das heißt? Zum ersten Mal in mehr als hundert Jahren Vermessungsarbeit haben wir Anzeichen gefunden, die darauf hindeuten, daß noch eine andere Rasse außer der menschlichen die Raumfahrt kennt. Und wir wissen nichts darüber. Aber wir sollten es. Bei der Menge des Plunders, der da draußen herumliegt, sollten wir inzwischen ein dickes Buch darüber schreiben können.“

Schlappohr spuckte verächtlich aus. „Du meinst, diese Wissenschaftler sollten es.“

Auf die Art und Weise, wie er „Wissenschaftler“ aussprach, klang es wie ein unanständiges Wort.

„Die sind schon in Ordnung“, sagte Warren. „Die besten, die es gibt.“

„Erinnerst du dich noch an die alten Tage, Ira?“ fragte Schlappohr. „Damals, als du noch ein kleiner Leutnant warst und wir uns ab und zu einen hinter die Binde gossen und…“

„Was hat das mit dieser Sache zu tun?“

„Damals hatten wir noch richtige Männer an Bord. Wir haben uns einen Knüppel gegriffen, uns ein paar Eingeborene geschnappt und ihnen mit dem Knüppel ein bißchen nachgeholfen. Und auf diese Weise haben wir in ein paar Stunden mehr in Erfahrung gebracht als diese Wissenschaftler mit ihren Methoden in einem Monat.“

„Du übersiehst eine Kleinigkeit“, sagte Warren. „Hier gibt es keine Eingeborenen.“

Tatsache war, daß es auf diesem Planeten weder Eingeborene gab noch sonst was zu holen war. Es war ein ausgesprochen armseliger Planet, und er würde auch die nächste Milliarde Jahre nicht viel ansehnlicher werden. Verständlicherweise war der Vermessungsdienst nicht allzu sehr an Planeten interessiert, die erst in einer Milliarde Jahren etwas darstellen würden.

Seine Oberfläche bestand zum größten Teil aus gewachsenem Fels und herumliegenden Gesteinstrümmern. Während der letzten halben Million Jahre waren die ersten primitiven Pflanzen aufgetaucht. Moose und Flechten füllten die Felsspalten und krochen über das Gestein, aber davon abgesehen schien kein anderes Leben vorhanden zu sein. Obwohl, um genau zu sein, man dessen nicht sicher sein konnte, denn keiner hatte sich eingehender für den Planeten interessiert. Sie hatten ihn weder genauer untersucht noch nach Leben geforscht. Dafür war jedermann viel zu sehr an dem Schrottplatz interessiert gewesen.

Ursprünglich hatten sie nicht einmal die Absicht gehabt, hier zu landen. Sie hatten den Planeten umkreist, die üblichen Messungen vorgenommen und die üblichen Angaben in das Logbuch eingetragen.

Dann hatte jemand, der hinter einem Teleskop saß, den Schrottplatz entdeckt, und sie waren gelandet, um ihn sich näher anzusehen, und hatten ein Vexierspiel vorgefunden, das sie fast an den Rand des Wahnsinns trieb.

Sie hatten die Stelle Schrottplatz getauft, und etwas anderes war sie auch nicht. Ringsherum verstreut lag ein Haufen Zeug, das allem Anschein nach Maschinenteile waren, obwohl niemand etwas Bestimmtes sagen konnte. Pollard, der Ingenieur, war über der Aufgabe, einige von ihnen zusammenzubauen, bald verrückt geworden. Schließlich hatte er drei Stücke irgendwie zusammenbekommen, aber klüger war er dadurch auch nicht geworden. Deshalb wollte er sie wieder auseinandernehmen, schon um zu sehen, wie er sie zusammenbekommen hatte. Er bekam sie nicht wieder auseinander. Das war der Moment, wo Pollards Nerven mit ihm durchgingen.

(mehr …)