Gegen Mishima: Sex, Tod und Optik in der dissidenten Rechten

Von Dr. Andrew Joyce, übersetzt von Lucifex. Das Original Against Mishima: Sex, Death and Optics in the Dissident Right erschien am 8. Januar 2020 auf The Occidental Observer.

„Man erfährt aus Confessions of a Mask, wie Mishima „Tscherkessen“ (weiße Jungen) in seinen Träumen zu Dutzenden dem Schwert überantwortete.”
Henry Scott Stokes, The Life and Death of Yukio Mishima

„Mishima ist mehr eine Gestalt der Parodie als eine Kraft der Politik.”
Alan Tansman, The Aesthetics of Japanese Fascism

Ich las mit großem Interesse Guillaume Durochers kürzlich in Unz Review erschienenen Artikel über Yukio Mishimas Kommentar zum Hagakure, dem im achtzehnten Jahrhundert verfaßten Leitfaden zum Bushido, oder der japanischen Kriegerethik. Ich bewerte Durochers Arbeit sehr hoch, und als jemand, der einst sein Interesse an Mishima und an der japanischen Kultur allgemeiner teilte, erwartete ich, daß sein Artikel gut informiert, einsichtsvoll und anregend sei. So sehr ich von Durochers Text fasziniert war, denke ich doch, daß die dissidente Rechte von einer alternativen Sicht auf Mishima profitieren würde, und vielleicht auch auf das Thema der japanischen Kultur im Kontext europäischer rechter Einstellungen, besonders wenn andere rechte Betrachtungen Mishimas als jene von Durocher (die in der Bewertung von Mishimas Romanen angemessen wohlüberlegt ist) zur Hagiographie tendieren. Im folgenden Essay biete ich nicht unbedingt eine Widerlegung oder einen Tadel von Durocher, sondern eine alternative Linse, durch die man den japanischen Autor, sein Leben und seine Politik betrachten sollte. Nachdem die Auswahl der Helden einer Bewegung eine Auswirkung auf ihren Geist und ihr Ethos haben kann, sollte das Folgende als Versuch einer spirituellen Ophthalmologie betrachtet werden, oder bestimmte Perspektiven in einen klareren Fokus zu bringen. Dieser klarere Fokus, behaupte ich, kann nur zu dem Schluß führen, daß Mishima ein zutiefst ungesundes und unorganisches Individuum war, das als Greuel für europäisch-nationalistisches Denken betrachtet werden sollte.

Mein erster Kontakt mit Yukio Mishima erfolgte vor mehreren Jahren in Form einer Aufzeichnung eines 2011 vom verstorbenen Jonathan Bowden beim 10. New Right Meeting gehaltenen Vortrags.

Bowden war ein außergewöhnlicher Redner, für den man unter den gegenwärtigen Führern der dissidenten Rechten erst einen finden muß, der ihm gleichkommt. Tatsächlich fürchte ich, daß, während wir uns immer weiter in die Muster von YouTube-gestütztem „content producing“ bewegen, Redekunst in der Art von Bowden zu einer zunehmend seltenen Kunst wird. Eine von Bowdens großen Stärken als Redner war die Fähigkeit, dichte Themen und biographische Übersichten zu nehmen und sie auf etwa eine Stunde dynamischen, unterhaltsamen und extrem zugänglichen Kommentars zu reduzieren. Diejenigen, die sich im Publikum befanden oder auf andere Weise zuhörten, fanden es unmöglich, ihre Aufmerksamkeit abschweifen zu lassen. Ein Nachteil von Bowdens Redekunst war, daß sie sich nicht ganz so gut auf Papier übertragen ließ und oft Bowdens Bewußtseinsstrom folgte statt einem logischeren und strukturierterem Verlauf, mit dem Ergebnis, daß man beklagt, daß Bowden sich nicht auch auf eine formalere Art von Wissenschaft fokussierte, die sicherlich ein monumentales und dauerhaftes Vermächtnis für die Bewegung dargestellt hätte, der er soviel widmete. Nach Lage der Dinge ist die Rettung von Bowdens Vermächtnis zum Großteil die Aufgabe gewesen, verlorene Aufzeichnungen seiner Reden aufzuspüren, eine Aufgabe, bei der Counter-Currents in bewundernswerter Weise die Führung übernommen hat.

Bevor ich Bowden über Mishima zuhörte, hatte ich bereits ein Interesse an der japanischen Geschichte und Kultur entwickelt. Ich trainierte mehrere Jahre lang Jiu-jitsu, verbrachte in meinen frühen 20ern viel Zeit mit dem Lesen der Werke von D. T. Suzuki und Shunryu Suzuki über den Zen-Buddhismus (Ersterer hatte auch einige interessante und sympathisierende Dinge über Nationalsozialismus und Antisemitismus zu sagen), und Brian Victorias Zen at War von 1997 bleibt eines der interessantesten Werke über die Geschichte von Religion und Kriegführung, die zu lesen ich bisher das Vergnügen hatte. Irgendwie war jedoch Mishima bis zu Bowdens Vortrag, der in Wirklichkeit nur die gröbste und grundlegendste Vorstellung des Mannes bot, meiner Aufmerksamkeit entgangen. Bowden präsentierte Mishima als rechten Denker, erläuterte aber nie so recht, warum. Er deutete an, daß Mishima einige Relevanz für die europäische Rechte hatte, konnte aber nicht artikulieren, wie. Der Vortrag plazierte Mishima nur ungeschickt in die beinahe zeitgenössische japanische Kultur, und Bowden selbst bekundete Zweideutigkeit und Unverständnis über die Gründe, warum Mishima seine nun berüchtigte finale Selbstmordaktion unternahm. Wer war Mishima? Warum war er relevant? Im Versuch, bei diesen losen Enden nachzuhaken, und im Vertrauen auf Bowden, daß der Versuch die Mühe wert sein würde, verbrachte ich etwa ein Jahr damit, mich durch Mishimas Romane und Biographien, durch wissenschaftliche Arbeiten und anderen Formen von Kommentaren über Mishimas Leben und Tod zu lesen. Das Ergebnis meiner Recherche war eine Flut von Notizen, von denen nun viele den Weg in diesen Artikel finden werden, und tiefe Enttäuschung darüber, daß solch eine Gestalt jemals in unseren Kreisen beworben werden konnte.

Die Erläuterung, wie und warum es dazu kam, daß Mishima in Winkeln der europäischen Rechten beworben wurde, erfordert, daß man sich dem stellt, was man „den Mishima-Mythos“ nennen könnte, oder den vagen und propagandisierten Umrissen dessen, was Yukio Mishimas Biographie und vermutete Ideologie ausmachte. Der Mishima-Mythos geht ungefähr so:

Yukio Mishima war ein begabter und produktiver japanischer Autor und Dramatiker, der über den politischen und spirituellen Entwicklungsweg des modernen Japan zutiefst desillusioniert wurde; beeinflußt von der Samurai-Tradition und von westlichem Denken, besonders von der Philosophie Nietzsches, unternahm er ein Programm der radikalen Selbstverbesserung; er begann mit dem Bodybuilding und gründete seine eigene 100köpfige Privatarmee – die Schildgesellschaft; er führte seine Armee in einen versuchten Staatsstreich an einer Militärbasis, nahm einen sehr hochrangigen Offizier als Geisel und forderte, daß alle Soldaten ihm in seiner Ablehnung der Nachkriegsverfassung folgen und die Wiedereinsetzung des Kaisers in seinen Vorkriegsstatus als Gottheit und höchster Führer unterstützen; und schließlich, als er von den Soldaten abgelehnt und verspottet wurde, nahm er sich das Leben mittels seppuku, die rituelle Ausweidung in der Tradition der Samurai.

Gelegentlich werden rechte Bewerber von Mishima wegen der zusätzlichen Wirkung hinzufügen, daß er 1968 ein Stück mit dem Titel Mein Freund Hitler schrieb, das trotz des provokanten Titels politisch mittelmäßig ist und genauso oft als antifaschistisch wie als faschistisch interpretiert worden ist. Zusammengefaßt nimmt man an, daß die relevanten Faktoren hier die sind, daß Mishima ein autoritärer, monarchistischer „Mann der Tat“ war, der die Kontrolle über sein eigenes Leben übernahm und seine Nation vom leeren Konsumismus abzubringen versuchte (Stichwort für den Applaus). Somit wird Mishimas Ideologie im Mishima-Mythos, statt sich auf seine tatsächlichen Schriften über Faschismus und Politik zu fokussieren, aus ausgewählten Kapiteln seines Lebens gelesen, besonders aus seinen letzten Handlungen. Mishima wird zu einem Mann der Rechten, weil er Mishima war, wegen, dem, was er tat. Dies, so lautet das Narrativ, ist der Grund, warum er für uns relevant sein sollte.

Eine Kritik am Mishima-Mythos ist daher notwendigerweise ad hominem, nachdem es ein offenkundiges Fehlen von Ideen gibt, gegen die man argumentieren könnte, und nachdem der Mythos bloß ein Gemisch aus Ausschnitten editierter und stark gesäuberter Biographie ist. Trotz einer Fülle englischsprachiger Biographien betreiben rechte Bewerber von Mishima selten eine ernsthafte Erforschung von Mishimas Leben und ziehen es vor, sich auf hagiographische Darstellungen ausgewählter Episoden zu fokussieren, besonders auf ihre Interpretation des dramatischen Todes. Dies sollte der erste Grund zur Vorsicht sein, und es war sicherlich meiner. Der Hauptgrund für dieses Ausweichen ist, wie ich herausfinden sollte, tiefe Peinlichkeit, nachdem Mishimas Leben hinsichtlich rechter Politik, oder eigentlich Politik jeder Art, dünn ist, und eine starke Schlagseite in Richtung homosexueller Sadomasochismus hat (was bei weitem nicht der einzige fragwürdige Aspekt des Mishimaismus ist). Aber wir greifen vor. Fangen wir am Anfang an.

Yukio Mishima wurde am 14. Januar 1925 als Kimitake Hiraoka in eine Familie der oberen Mittelschicht geboren. Eines der ersten Dinge, die mir an Mishimas Leben auffielen, und besonders an seiner Kindheit, ist, daß es Scharen von Psychoanalytikern anzog [1], wofür der Grund der ist, daß er ein wichtiges und sichtbares Beispiel für das ist, was diese Autoren als die Verbindung zwischen unterdrückten und von Mißbrauch geprägten Kindheiten, latenter Homosexualität, Sadismus, Masochismus und autoritärer und faschistischer Politik sehen. Wenn man argumentiert, daß Mishima tatsächlich ein Faschist war, dann beginnt man in der Tat einigen der zentralen Thesen der Frankfurter Schule zuzustimmen. Mishima hatte sicherlich eine seltsame und psychologisch deformierende Kindheit, und ich pflichte Sadanobu Ushijimas Schlußfolgerung bei, daß sie dazu führte, daß Mishima während des Großteils seines Lebens unter einer Persönlichkeitsstörung litt, zu der „wiederholte Episoden von Depression mit schweren selbstmörderischen Tendenzen“ gehörten.[2]

Laut Henry Scott Stokes, meiner Meinung nach Mishimas bester Biograph, der auch der einzige Westler war, der zu seinem Begräbnis eingeladen wurde, beschloß Mishimas Großmutter (Natsuko), sobald er geboren war, „persönliche Verantwortung für seine Erziehung zu übernehmen, und entführte den kleinen Jungen buchstäblich von seiner Mutter“, worauf sie das Kind fast zur Gänze in ihrem Krankenzimmer aufzog.[3] Natsuko erzog Mishima „als kleines Mädchen, nicht als Jungen“, und er wurde gezwungen, im Haus zu bleiben, ihm wurde verboten, mit dem Großteil seines Umfeldes zu spielen, und er wurde angewiesen, wegen der Beschwerden seiner Großmutter über ständige Kopfschmerzen fast völlig still zu sein.[4] Nach einigen Jahren wurde seiner Mutter erlaubt, ihn ins Freie zu bringen, aber nur, wenn es keinen Wind gab.[5] Es gibt einige Andeutungen, daß er geschlagen oder auf andere Weise psychologisch schwer mißhandelt wurde, mit dem Ergebnis, daß er eine Reihe psychosomatischer Krankheiten erlitt, zu denen Harnverhaltung gehörte. Es gibt auch einige Hinweise auf sexuellen Mißbrauch oder „obszöne“ Behandlung durch die Krankenpflegerin seiner Großmutter. Quasi-inzestuöse Nähe wird durch seine spätere Bezeichnung seiner Großmutter als „Schätzchen und wahre Liebe“ angedeutet, und bei seinem Tod bezeichnete seine Mutter ihn als ihren „Liebhaber“.[6] Mishima wurde von den Menschen um ihn allgemein als „ein ungewöhnlich empfindliches Kind“ betrachtet.[7]

In Übereinstimmung mit wissenschaftlichen Studien, die stark darauf hindeuten, daß kleine Jungen als Mädchen zu kleiden oder sonstwie als solche zu behandeln zu Homosexualität führen kann [8], und mit Studien, die zeigen, daß Homosexuelle mit größerer Wahrscheinlichkeit als die sexuell Normalen für „brutale“ Gewalt prädisponiert sind [9] (ganz zu schweigen von dem, was anekdotisch ein überproportionales Vorherrschen homosexueller Serienmörder und Kannibalen zu sein scheint), sollte Mishima später in seinem halb autobiographischen Confessions of a Mask (1949) schreiben, daß er schon seit jungen Jahren homosexuelle Fantasien hatte und daß viele davon sadistischer Natur waren. An dieser Stelle sollte ich innehalten und einräumen, daß das britische „antifaschistische“ Kollektiv, das als Hope Not Hate operiert, mich als den vielleicht „homophobsten rechtsextremen Kommentator“ in der dissidenten Rechten bezeichnet hat und meine Sichtweise auch dahingehend simplifiziert hat, daß ich „Homosexualität und moderne Vorstellungen von Gender als Sozialkonstrukt als Symptom des gesellschaftlichen Verfalls“ bezeichne, „und Rechte von LGBT+ als Werkzeug einer jüdischen Verschwörung zur Untergrabung der weißen Gesellschaft. Diese Denkweise resultiert manchmal sogar in offenen Forderungen nach der Vertreibung oder gewaltsamen Auslöschung von Menschen, die LGBT+ sind.“

Dies mag eine völlig zutreffende Darstellung meiner Ansichten sein oder nicht, aber mein Punkt ist hier, daß meine Kritik an Mishima nicht auf seiner Homosexualität als solcher beruht, nachdem manche argumentieren könnten, daß ein homosexueller Faschist immer noch ein Faschist ist (obwohl solche Argumente leicht problematisiert werden könnten, und ich werde seinen „Faschismus“ an und für sich später kritisieren). Piven bemerkt, daß es in Frankreich seit langem einen „Mishima-Kult“ gegeben hat (vielleicht kann Durocher das bestätigen), und fügt hinzu: „obwohl seine Anhängerschaft außerhalb Japans zum Großteil aus Schwulenpopulationen besteht, die ihn verteidigen.“[10] Mein Argument gegen den Mishima-Mythos ist hauptsächlich, daß, wenn Schlüsselaspekte seiner Biographie, einschließlich seines Todes, bedeutend mehr mit seiner Sexualität in Verbindung gebracht werden als mit seiner Politik, dies ein Grund ist, den Wert der Werbung für solch eine Gestalt, die schon einmal nichtweiß ist und keine bedeutende kulturelle Wirkung auf den Westen hat, innerhalb der dissidenten Rechten zu überdenken.

Mishima war „ewig aus den Leben gewöhnlicher Männer und Frauen ausgeschlossen“ und entwickelte frühe Fantasien über Taxifahrer, Bartender, aber besonders Soldaten.[11] Er war besonders fixiert auf die Vorstellung von sterbenden Soldaten und vom Tod allgemein, und „der gewaltsame oder unerträglich schmerzhafte Tod eines gutaussehenden Jugendlichen sollte ein Thema vieler seiner Romane werden.“[12] In seiner Kindheit genoß Mishima es, sich totzustellen, und er hatte von seiner frühen Pubertät an erotisierte Vorstellungen von Selbstmord. In seinen eigenen Worten hatte er „einen Zwang zum Selbstmord, diesen subtilen und geheimen Impuls.“[13] Seine erste erotische Erfahrung scheint das Masturbieren zu einem Druck von Guido Renis heiligem Sebastian gewesen zu sein, der den halbnackten und blutenden Heiligen an einen Baum gefesselt und von Pfeilen durchbohrt darstellt. Mishima sollte später erklären, daß er „sich an allen Formen der Todesstrafe und allen Hinrichtungsgeräten ergötzte, solange sie ein Spektakel herausströmenden Blutes boten.“[14] Stokes kommentiert: „In Mishimas Ästhetik war Blut letztendlich erotisch.“ Mishima fantasierte über verwundete, sterbende Soldaten und stellte sich vor: „Ich würde die Lippen jener küssen, die zu Boden gefallen waren und sich immer noch krampfhaft bewegten.“[15] Er hatte Tagträume von Hinrichtungsapparaten, die mit Dolchen besetzt waren, dazu bestimmt, die Körper junger Männer zu zerfetzen, und hatte eine „Fantasie von Kannibalismus“, in der er einen sportlichen Jugendlichen verzehrte, der „betäubt, ausgezogen und nackt auf einen riesigen Teller genagelt“ worden war.[16] Jerry Piven bemerkt, daß Mishimas Romane voll von „unzähligen Fantasien vom Vergewaltigen und Töten schöner junger Knaben sind, von Szenen des Masturbierens zu Bildern getöteter Männer, von unaufhörlicher Verachtung für verabscheuungswürdige Frauen.“[17]

Der heilige Sebastian, von Guido Reni (ca. 1625)

In Deadly Dialectics: Sex, Violence and Nihilism in the World of Yukio Mishima (1994) kommentiert Roy Starrs:

Wenige Schriftsteller seit dem Marquis de Sade selbst haben eine öffentlichere und provokantere „Performance“ aus ihrer „perversen“ Sexualität gemacht… Er fand sich nicht von Bildern nackter Frauen erregt, sondern von nackten Männern, vorzugsweise unter Folter. Wiederum findet er, daß homosexuelles Vergnügen für ihn untrennbar mit sadistischem Vergnügen verbunden ist, und er schwelgt in den abscheulichsten Fantasien vom Betreiben eines „Mordtheaters“, in dem muskulöse junge Männer zu seinem Vergnügen langsam zu Tode gefoltert werden.[18]

Mishima las sowohl Freud als auch die Werke des jüdischen Sexologen Magnus Hirschfeld und stimmte dem Letzteren (ebenfalls ein Homosexueller und Transvestit) zu, daß Bilder des sterbenden heiligen Sebastian ein Favorit unter Homosexuellen waren, wobei Mishima selbst behauptete: „Die homosexuellen und die sadistischen Triebe sind untrennbar miteinander verbunden.“[19] Weit vom Bild des asketischen Samurai entfernt, war der zunehmend bipolare Mishima, als er sich dem mittleren Alter näherte, dafür bekannt, daß er in Schwulenbars mit einer 17jährigen Drag Queen tanzte [20] und einmal allein zu dem Zweck nach New York flog, einen weißen Mann zu finden, der sexuell „grob“ zu ihm sein würde. Seine ehemaligen Liebhaber erinnern sich daran, wie er „gern so tat, als würde er seppuku begehen“, wobei sie zusehen mußten, bevor er sie bat, mit einem Schwert über ihm zu stehen, als ob sie ihn gleich enthaupten würden. Er pflegte ein rotes Tuch hervorzuziehen, das er quer über seinen Bauch zog und erklärte, das seien „sein Blut und seine Eingeweide“.[21] Mishima bezeichnete sich einmal als „seltsam erbärmlich“.[22] Durocher kann in seiner Rezension von Mishima über das Hagakure durchaus recht damit haben, daß „Mishima vor allem wollte, daß Männer volle, würdige und noble Leben führen“, aber den Lesern sollte nun bewußt sein, warum ich das Gefühl hatte, daß unserer Sicht eine alternative Linse hinzugefügt werden sollte.

Eine Theorie drängt sich somit auf, daß Mishimas sorgfältig orchestrierter Tod ein homosexuell-sadomasochistisches Theaterstück war statt irgendetwas Politisches, ganz zu schweigen von etwas Faschistischem oder etwas in der Tradition der Samurai. Um diese Frage voller zu verstehen, ist es notwendig, Mishimas Politik und Spiritualität zu untersuchen, oder was zumindest in dieser Richtung zu erkennen ist.

Eines der bemerkenswerten Dinge an Mishima ist, daß er kaum überhaupt politisch gewesen zu sein scheint. Seine Romane, die von frühen Kritikern aller politischen Schattierungen als voll von „bösem Narzissmus“ und „ohne Realität“ gebrandmarkt wurden, sind fast völlig ideologielos. (Durocher erwähnt passenderweise, wie er Mishimas Romane mögen wollte und es versuchte, aber nicht konnte.) Von daher ist Mishima ein blasser Schatten ultranationalistischer literarischer Zeitgenossen wie Shūmei Ōkawa, Hideo Kobayashi und Yasuda Yojūrō. Confessions of a Mask, sein autobiographischster Text und ein Romanstil (shishosetsu), den Kobayashi besonders als „populär“ verabscheute, „hatte darin nichts über politische Ereignisse zu sagen, die sein Leben beeinflußten. … Er wurde von seinen Zeitgenossen als apolitisch betrachtet.“[23] Er war weder politisch engagiert, noch besaß er irgendeine echte Gefühlstiefe in politischen Angelegenheiten, bis zu den 1960ern, als er um die 40 war und zunehmend pessimistisch und deprimiert wurde – hauptsächlich weil er alterte und vom Alter angewidert und entsetzt war.[24] In seinem Kommentar zum Hagakure flocht Mishima seine eigenen Ängste über das Altwerden und seine eigene Vorliebe für jugendliche Selbstmordfantasien ein, indem er seinen Lesern sagte, sie sollten für den Augenblick leben und mit einem kurzen Leben zufrieden sein, und man bekommt noch einmal das Gefühl persönlicher Einflechtungen, wenn er seine Leser informiert, daß „homosexuelle Liebe sehr gut zum Weg des Kriegers paßt.“[25] Otomo bemerkt, daß Mishimas Beziehung zum Hagakure einfach seltsam und großteils künstlich war, und verweist auf bessere, authentischere Beispiele für die Bushido-Ethik und für Heldentaten wie Budoshoshinshu und das Kōyō Gunkan, und er bemerkt zum Hagakure:

Ironischerweise ist der Text ein Beweis für das Fehlen des Codex. Es ist ein leerer Stil, der von jedem zu irgendeiner Zeit der Geschichte entlehnt werden kann, und er zeigt keine Kernkultur einer ostasiatischen Entität namens Japan mehr an. Tatsächlich hat es eine solche niemals angezeigt außer in der Nostalgie eines Mannes.[26]

In Wirklichkeit und trotz seiner Selbstdarstellung als die Verkörperung des Hagakure war Mishima seltsam unjapanisch, etwas, zu dem Stokes sich äußert („er war bemerkenswert unjapanisch“)[27], der ihm mehrmals begegnete, und das in verschiedenen Aspekten von Mishimas Leben bezeugt ist. Ryoko Otomo bemerkt, daß Mishima in Abweichung vom Zen-Buddhismus der Samurai „ein bestätigter Atheist war“.[28] Was Mishima im Zen und im Hagakure wirklich sah, soweit das aus seinen Romanen und seinen Aussagen gegenüber Journalisten festgestellt werden kann, war ein dunkler und tiefgreifender Nihilismus – etwas, von dem jeder Zen-Meister, einschließlich D. T. Suzuki, der in einem seiner einflußreichen Texte ein Kapitel mit dem Titel „Zen ist nicht nihilistisch“ hat, sagen würde, daß es für authentische Zen-Vorstellungen von „der Leere“ ein Greuel ist. Als er finanziell erfolgreich wurde, machte Mishima sich daran, ein großes „Anti-Zen-Haus“ westlichen Stils zu bauen, und Zen-Meister, mit denen er verkehrte, bemerkten später, daß Mishima „kein tiefgreifendes Studium der Philosophie“ betrieb.[29] Mishima wußte als dekadenter Städter nichts über die Natur und war anders als viele Japaner völlig unwissend in grundlegendster Botanik. Als er einmal einen Freund auf das Land begleitete, war er schockiert und verwirrt wegen des Lärms von Fröschen.[30] Er sagte Reportern einmal, daß sein durchschnittlicher Tag mit Aktivitäten im Fitnessraum verbracht wurde, gefolgt vom Herumlungern „in Jeans und einem Hawaiihemd“ in einem Haus, das von seinen Nachbarn und sogar von seinem Architekten als „kitschig“ bezeichnet wurde.

Mishima zog eine hastige Zweckehe durch, um seine sterbende Mutter zufriedenzustellen, und zeugte zwei Kinder, in deren Leben er im Stil der schlimmsten Ghettobewohner weitgehend abwesend war. Tatsächlich drückt er in mehreren seiner Romane, besonders Forbidden Colors, das voll von dem ist, was Stokes „morbide Sexualität“ nennt, Verachtung für Kinder, Familien und die normale, nicht-homosexuelle Familienstruktur aus, die das Rückgrat und die Zukunft aller Gesellschaften und Zivilisationen ist:

Geht in ein Theater, geht in ein Kaffeehaus, geht in den Zoo, geht in einen Vergnügungspark, geht in die Stadt, geht sogar in die Vororte; überall herrscht stolz das Prinzip der Mehrheitsherrschaft. Alte Paare, Paare mittleren Alters, junge Paare, Liebende, Familien, Kinder, Kinder, Kinder, Kinder, Kinder, und obendrein noch diese verdammten Kinderwagen – all diese Dinge in einer Prozession, eine fröhliche vorrückende Flut.

Im Gegensatz dazu pflegte Mishima als Homosexueller Fantasien von sich als Mitglied einer elitistischen Minderheit.

Ideologisch war Mishima bestenfalls plump und verwirrt. Er glaubte, daß Faschismus und Freud’sche Psychologie ideologisch miteinander verwandt seien,[31] und glaubte an die Wiedererrichtung eines japanischen Imperialismus, der Platz für die parlamentarische Demokratie schaffen würde.[32] Er beharrte indes darauf, daß „der Faschismus mit dem imperialen System unvereinbar sein wird.“ Außerdem behauptete er, japanische Rechte „bräuchten keine systematisierte Weltsicht zu haben“, vielleicht weil er selbst keine hatte, und daß sie „dennoch nichts mit dem europäischen Faschismus zu tun haben.“[33] In den frühen 1960ern war Mishima ein Autor dekadenter romantischer Romane, die politisch so schwach und tendenziös links waren, daß er von rechten paramilitärischen Gruppen Todesdrohungen bekam.[34] Schließlich entschied Mishima irgendwann in den späten 1960ern, und trotzdem er keine wirklich tiefen Gefühle für die Shinto-Religion empfand, daß es eine gute Idee wäre, wenn der Kaiser wieder in seinen Vorkriegsstatus als Gottheit eingesetzt würde, was Sir John Pilcher, den britischen Botschafter in Japan, dazu veranlaßte, Mishimas Fantasie, sich „in irgendeine Beziehung zum Kaiser“ zu stellen, als „schiere Torheit“ zu bezeichnen.[35] Mishima erforschte natürlich nie tiefer die Rolle des Kaisers im Zweiten Weltkrieg, und seine hauptsächliche Fixierung scheint allein die Entscheidung des Kaisers gewesen zu sein, alliierten Forderungen nachzukommen und „menschlich zu werden“. Obwohl Mishima in dieser Sache zunehmend lautstark wurde und sogar anfing, Geldspenden von konservativen Politikern für die Gründung einer kleinen paramilitärischen Gruppierung anzunehmen, die aus Liebhabern und Fans bestand, „definierte er seine Positionen nie klar“, und er war so schlecht darin, seine Ideen während seines versuchten Staatsstreichs gegenüber Soldaten zu artikulieren, daß er von den versammelten Soldaten einfach ausgelacht wurde.[36] Ob Mishima es voll ernst meinte oder nicht, ist natürlich eine andere Sache, obwohl sein selbstmörderischer Staatsstreichsversuch sehr kurz nach dem Niedergang seiner literarischen Karriere erfolgte, der so schnell war, daß Freunde ihm schrieben, „daß Selbstmord die einzige Lösung wäre“.[37] Der Selbstmord in der japanischen Kultur spielt natürlich ebenfalls eine entscheidende Rolle für diese Diskussion und wird weiter unten untersucht werden.

Mishimas vorgeblicher Militarismus ist einiger Aufmerksamkeit wert. Ich komme aus einer Militärfamilie und habe viele Freunde im Militär. Eines der Dinge, die mich immer irritiert und amüsiert haben, ist der Unterschied zwischen dem, wie wirkliche Militärangehörige Themen wie „ein Krieger zu sein“ oder Kampf allgemeiner diskutieren, und wie es Militärfantasten tun. Unter Ersteren gibt es immer eine ironische, nüchterne, sogar bittersüße Sichtweise. Unter letzteren findet man leicht viel Gerede von Ruhm und Eroberungen, aber wenig Aktion. Mishima war sicherlich ein Militärfantast, der sogar nach seinem eigenen Einverständnis einen sexuellen Fetisch für die weißen Handschuhe hatte, die zu der japanischen Uniform getragen werden,[38] und er log während seiner eigenen medizinischen Untersuchung durch die Armee im Krieg, um den Militärdienst zu vermeiden: „Warum hatte ich so aufrichtig dreingeschaut, als ich den Armeearzt anlog? Warum hatte ich gesagt, daß ich seit einem halben Jahr leichtes Fieber gehabt hatte, daß meine Schulter schmerzhaft steif war, daß ich Blut spuckte und daß ich sogar letzte Nacht von Nachtschweiß getränkt gewesen war? … Warum bin ich so gerannt, als ich durch das Kasernentor durch war?“[39]

Als während des Krieges die Bomben fielen, erinnerte Mishima sich, „pflegte derselbe Ich schneller als alle anderen zu den Luftschutzräumen zu rennen.“[40] Stokes kommentiert treffend: „Hätte er in der Armee gedient, wenn auch nur für kurze Zeit, dann wäre seine Sicht auf das Leben in den Reihen später im Leben weniger romantisch gewesen“, aber stattdessen „blieb Mishima zu Hause bei seiner Familie, las No-Stücke, die Dramen von Chikamatsu, die mysteriösen Geschichten von Kyoka Izumi und Akinari Ueda, sogar das Kojiki und seine alten Mythen.“[41] Als er schließlich seine eigene paramilitärische Organisation gründete, kleidete er sie in „Uniformen wie aus einer Opera buffa, die den Spott der Presse auf sich zogen“, und Starrs kommentiert: „Er war genauso wenig ein wahrer ‚Samurai‘, wie er ein echter Polizist oder Luftwaffenpilot war, in deren Gewand er sich ebenfalls fotografieren ließ. Das ‚Samurai‘-Image war einfach eine von Mishimas Lieblingsmasken – und auch eine seiner durchsichtigsten.“[42]

Man könnte Spekulationen hinzufügen, daß Mishimas Militärfantasien eine Erweiterung seiner sexuellen Fixiertheiten waren, einschließlich eines möglichen Versuchs, einfach Macht über eine große Zahl sportlicher junger Männer zu gewinnen. Aber das wäre eine Bearbeitung eines allzu offensichtlichen Punktes. Nüchterner könnte man bloß auf die lächerliche Vorstellung eines Militärcoups verweisen, der von einem bipolaren, wehrdienstvermeidenden Stubenhocker (Hikikomori) angeführt wird, der, als er während der Aktion selbst konfrontiert wurde, den Anfang und das Ende seiner Kampfkarriere erlebte, als er mit einem antiken Schwert hektisch auf eine Handvoll unbewaffneter Männer einhackte. Der jüdische Akademiker und Japan-Experte Alan Tansman könnte sehr wohl selbst ein sexueller Perverser sein, aber man kann schwerlich seiner Behauptung widersprechen, daß „Mishima mehr eine Gestalt der Parodie als eine Kraft der Politik ist“[43], und Versuche, Mishima mit unserer Weltsicht in Verbindung zu bringen, liefern nur weiteres Wasser auf die jüdischen Mühlen.

Nachdem Mishimas Schriften und Handlungen politisch bestenfalls undurchsichtig sind, wundert es wenig, daß die meiste Aufmerksamkeit seiner Propagandisten sich auf die dramatische und quasi-traditionelle Selbstmordmethode fokussiert hat, die oft als eine dargestellt wird, die das Höchste an Ehre, maskulinem Mut etc. verkörpert. Solche Darstellungen lassen natürlich normalerweise weg, daß Mishima seinen Selbstmord jahrzehntelang in der Form schwuler Sexspiele geprobt hat und im Grunde ein Blutfetischist war. Ein breiteres Problem gibt es jedoch in der Natur der westlichen Bewertung des seppuku und des Selbstmords in der japanischen Kultur im Allgemeineren. Das aufschlußreichste Werk, das ich in dieser Sphäre gelesen habe, ist das des verstorbenen Toyomasa Fuse (1931 – 2019) gewesen, der Professor Emeritus an der York University und wahrscheinlich der führende Experte der Welt über Selbstmord unter den Japanern gewesen ist. In Suicide and Culture in Japan: A Study of Seppuku as an Institutionalized Form of Suicide erläutert Fuse, daß Selbstmord in Japan im Grunde aus einer servilen Position innerhalb einer sehr besorgten und neurotischen Gesellschaft stammt. Unnötig zu sagen, daß das weit davon entfernt ist, ein gesundes und lobenswertes Verhalten zu sein. Er bezeichnet seppuku als eine Form von „altruistischem Selbstmord“ und als Ausdruck von „Rollennarzissmus“, nachdem es eine

Reaktion auf ein fortgesetztes Bedürfnis nach gesellschaftlicher Anerkennung ist, das aus einer narzisstischen Beschäftigung mit dem Selbst hinsichtlich Status und Rolle resultiert. … Viele Japaner neigen dazu, sich übermäßig in ihrer sozialen Rolle zu engagieren, die von ihnen zur ultimativen Bedeutung im Leben gemacht worden ist. … Scham und Enttäuschung sind unter den Japanern so extrem, besonders in einer vermeintlichen Drohung mit dem Verlust von sozialem Status, daß das Individuum sich fortan kein Leben mehr vorstellen kann.[44]

Es steht außer Frage, daß das seppuku einen Platz unter den Samurai hatte, aber die wirkliche Natur seiner Praxis im Laufe der Zeit war komplex und wurde immer wieder neu interpretiert, wechselte zwischen einem freiwilligen Weg, die Ehre wiederherzustellen, und einer Form der Todesstrafe (währenddessen wurden Bauern einfach lebendig gekocht). Es wechselte auch in der Form, mit verschiedenen Arten von Schnitten im Bauch, und manchmal überhaupt ohne Schnitt in den Unterleib – das Individuum griff zeremoniell nach einem Messer, bevor es schnell enthauptet wurde. Starrs bemerkt, daß, während fehlgeleitete Westler Mishimas seppuku „naiv als in der besten Samurai-Tradition stehend akzeptiert“ haben,[45] es einfach Mishimas eigene Variation eines Themas war – dasselbe Thema, nach dem Hunderte serviler Japaner sich am Ende des Krieges wegen ihrer Beschämung, den Kaiser enttäuscht zu haben, vor dem Kaiserpalast die Bäuche aufschlitzten. Wiederum müssen wir fragen, zu einer Zeit, wo wir uns von einem hohen Maß an gesellschaftlicher Sorge und Beschämung in Europa loszureißen versuchen, ob es gesund oder hilfreich ist, Praktiken zu loben, die aus krankhaft schamzentrierten Kulturen stammen.

Wie Fuse anmerkt, ist die traditionelle europäische Reaktion auf seppuku Abscheu gewesen, nicht allein über den physischen Akt selbst, sondern auch wegen des servilen psychologischen und soziologischen Bodens, aus dem es stammt. Wegen des Unterschieds der Mentalitäten gibt es eine Komplikation dabei, wie Konzepte wie Ehre und Tapferkeit in diesem bestimmten Fall zu übersetzen sind. Seppuku scheint für einen Japaner sicherlich leichter durchzuführen sein als für einen Europäer. Mishima selbst, um dem Teufel Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wich in seinem Streben nach der brutalsten Methode nicht aus. Seine eigene Wunde stellte sich als dreizehn Zentimeter lang und stellenweise fünf Zentimeter tief heraus.[46] In älteren Zeiten pflegten diejenigen, die ausreichend Bescheid wußten, einen solchen Schnitt zu machen, der die Nierenvene oder die Aorta durchtrennte, was zu solch einem katastrophalen Blutverlust führte, daß der Tod fast sofort eintrat. Mishima scheint solches Wissen nicht gehabt zu haben und ließ qualvoll seine Eingeweide herausrutschen, während drei aufeinanderfolgende Versuche (durch einen Untergebenen und gerüchteweise Liebhaber) unternommen wurden, ihn zu enthaupten, von denen einer stattdessen eine massive Wunde an seinem Rücken öffnete.

Schlußbetrachtung

Die hier untersuchten Fakten zeigen sicherlich die Unzulänglichkeiten des Mishima-Mythos auf, wie er in Winkeln der europäischen Rechten präsentiert wird. Ich habe Bowdens Vortrag erst gestern wieder angehört und lachte laut über Bowdens kurze Randbemerkung über Mishimas katastrophale Kindheit („er war ein leicht weibisches Kind“). Leider ist es, weil Bowden öfter sprach, als er ernsthafte Forschungsarbeiten zusammenstellte, unmöglich festzustellen, ob Bowden ein bewußter Förderer der Mishima-Propaganda oder ein ernsthafter, aber schlecht informierter Gläubiger an den Mishima-Mythos war. Ich weiß einfach nicht, wieviel Bowden über diese Sache gelesen hat. Wie Durocher habe ich auch Paul Schraders Mishima: A Life in Four Chapters angesehen, obwohl ich es als käsige, überholte und ziemlich manipulative Hagiographie befunden habe statt als Meisterwerk. Durocher kommentiert: „Man ist entweder die Art von Junge, der durch diese Art von Film herausgefordert, angespornt und inspiriert wird, oder vielleicht ist man gar kein Junge“, was ich nur als ironiegeladen betrachten kann, angesichts dessen, daß der Gegenstand des Films als Mädchen erzogen wurde und einmal, als von ihm erwartet wurde, sich wie ein Junge zu verhalten, bemerkte: „Die widerwillige Maskerade hatte begonnen.“[47] Schraders Dokumentation ist auch sehr gesäubert; laut Stokes liegt das an der strengen Kontrolle, die Mishimas Witwe und seine erweiterte Familie über die Produktion hatten, und ihrer Sorge wegen des Potentials für Peinlichkeiten.[48] Eine kleine Szene, die Mishima in einer Schwulenbar zeigte, war für die Familie genug, um den Vertrieb in Japan zu blockieren, und sie investierte sogar Geld, um Takeshi Muramatsu für das Schreiben einer 500seitigen Biographie zu bezahlen, deren zentrale Absicht es war, die japanische Öffentlichkeit davon zu überzeugen zu versuchen, daß Mishima heterosexuell war und bloß sein Leben damit verbracht hatte, um Stokes zu zitieren, „als Sodomit zu posieren.“ Ziemlich vorhersehbar überzeugte der Text niemanden, obwohl es vielleicht den Stolz der Familie ein wenig rettete, zu wissen, daß er da draußen war.

Wir kehren zurück zu den zentralen Fragen, wie und warum Yukio Mishima für uns relevant sein sollte. Keine Antworten sind im Leben, in der Politik und in den Handlungen einer Gestalt zu finden, die nicht nur nichteuropäisch und zutiefst unfaschistisch war, sondern auch seltsam unjapanisch. Ich behaupte, daß es einfach nichts Echtes von ihm zu lernen gibt, und wenige Leute, die etwas zur Unterstützung von Mishima geschrieben haben, können auf irgendetwas Greifbares außerhalb der amorphen Umrisse des Mishima-Mythos und eines Films verweisen, der viel Wert auf Stil und wenig auf Authentizität legt. Es gibt keinen einzigen Text, keine Abhandlung und kein Stück Authentizität außer einem finalen, radikal uneuropäischen und sadomasochistisch inspirierten Akt der Selbstzerstörung und des todbegrüßenden Nihilismus. Mishimas Monarchismus war servil und parodistisch, sein Militarismus homoerotisch, unehrlich und lächerlich, und sein Tod-als-politisches-Statement war psychosexuell und ermangelte letztendlich der Logik. Otomo hat wahrscheinlich recht damit, den versuchten Staatsstreich mehr als sexuell inspirierte Methode zu sehen, „die Kunst zu politisieren, statt einen Glauben an Ultranationalismus auszudrücken.“[49]

Die Frage stellt sich somit, ob unsere Verbindung mit solch einer Gestalt, die nach heutigem Jargon sicherlich ein clownhafter, homoerotischer Wignat war, mehr Positives als Negatives bringt, sowohl innerhalb der dissidenten Rechten als auch in breiteren Erwägungen von „Optik“ oder öffentlichem Image. Insbesondere sollten wir in Frage stellen, ob wir unsere Politik in einen Nexus stellen wollen, zu dem, um die Terminologie der Japan-Expertin Susan Napier zu entlehnen, „die Wechselbeziehung zwischen Homosexualität, Politik und der seltsamen Form von zu Gewalt neigendem psychosexuellen Nihilismus gehört, unter dem Mishima litt.“[50] Ich würde es verneinen.

Mitglieder der dissidenten Rechten mit einem Interesse an der japanischen Kultur sind aufgefordert, eine oder mehr der Kampfkünste zu erlernen, sich Aspekte des Zen anzusehen oder die Werke einiger der anderen hier erwähnten japanischen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts. Solche Unternehmungen werden bessere Früchte tragen, Vor allem jedoch gibt es keinen Vergleich dazu, Zeit mit der Erforschung der Leben von Helden aus dem eigenen Volk und der eigenen Kultur zu verbringen. Als Europäer sind wir so mit Auswahlmöglichkeiten verwöhnt, daß wir keine Zeit mit den abgelehnten, ausgestoßenen und schlimm geschädigten Mitgliedern anderer Gruppen zu verbringen brauchen.

Fußnoten:

[1] Siehe zum Beispiel Abel, T. (1978). Yukio Mishima: A psychoanalytic interpretation. Journal of the American Academy of Psychoanalysis, 6(3), S. 403–424; Piven, J. (2001). Mimetic Sadism in the Fiction of Yukio Mishima. Contagion: Journal of Violence, Mimesis, and Culture 8, S. 69-89; McPherson, D.E. (1986). A Personal Myth—Yukio Mishima: The Samurai Narcissus. Psychoanalytical Review, 73C(3): S. 361-378; Jerry Piven (2001). Phallic Narcissism, Anal Sadism, And Oral Discord: The Case Of Yukio Mishima, Part I. The Psychoanalytic Review: Vol. 88, No. 6, S. 771-791; Piven, J. S. (2004). The madness and perversion of Yukio Mishima. Praeger Publishers/Greenwood Publishing Group; Cornyetz, N., & Vincent, J. K. (Hrsg.). (2010). Perversion and modern Japan: psychoanalysis, literature, culture. Routledge.

[2] Ushijima, S. (1987), The Narcissism and Death of Yukio Mishima –From the Object Relational Point of View–. Psychiatry and Clinical Neurosciences, 41: S. 619-628.

[3] H. S. Stokes The Life and Death of Yukio Mishima (Cooper Square Publishers; 1st Cooper Square Press Ed edition, 2000), S. 40.

[4] Ebd., S. 41.

[5] Ebd., S. 47.

[6] Ebd., S. 47-

[7] Ebd., S. 42.

[8] John Money, Anthony J. Russo, Homosexual Outcome of Discordant Gender Identity/Role in Childhood: Longitudinal Follow-Up, Journal of Pediatric Psychology, Volume 4, Issue 1, March 1979, S. 29–41.

[9] Mize, Krystal & Shackelford, Todd K., Intimate Partner Homicide Methods in Heterosexual, Gay, and Lesbian Relationships Violence and Victims, 23:1.

[10] J. Piven The Madness and Perversion of Yukio Mishima (Westport: Prager, 2004), S. 2.

[11] Stokes, S. 43, 44.

[12] Ebd., S. 44.

[13] Ebd., S. 58.

[14] Ebd., S. 61.

[15] Ebd.

[16] Ebd.

[17] J. Piven The Madness and Perversion of Yukio Mishima (Westport: Prager, 2004), S. 3.

[18] R. Starrs Deadly Dialectics: Sex, Violence and Nihilism in the World of Yukio Mishima (Honolulu: University of Hawaii Press, 1994), S. 35.

[19] R. Starrs (2009) A Devil of a Job, Angelaki: Journal of the Theoretical Humanities, 14:3, S. 85-99, S. 85 & 87.

[20] Stokes, S. 103 + 136.

[21] Starrs, A Devil of a Job, 89.

[22] Stokes, S. 91.

[23] Ebd., S. 95.

[24] Ebd., S. 95 + 102.

[25] Ebd., S. 266.

[26] Ryoko Otomo, The Way of the Samurai: Ghost Dog, Mishima, and Modernity’s Other, Japanese Studies 21 (1), S. 31-43, S. 41.

[27] Stokes, S. 5.

[28] Otomo, S. 40.

[29] Stokes, S. 278.

[30] Ebd. S. 110.

[31] Starrs, Deadly Dialectics, S. 24.

[32] Otomo, S. 39.

[33] Ebd.

[34] Stokes, S. 295.

[35] Ebd., S. 277.

[36] Ebd., S. 273.

[37] Ebd., S. 281.

[38] Ebd., S. 57.

[39] Ebd., S. 81.

[40] Ebd., S. 76.

[41] Ebd., S. 81.

[42] Starrs, Deadly Dialectics, S. 7.

[43] Tansman, A. (2009). The Aesthetics of Japanese Fascism. University of California Press, S. 257.

[44] Fusé, T. Suicide and Culture in Japan: A Study of Seppuku as an Institutionalized Form of Suicide Social Psychiatry (1980) 15: S. 57, S. 61.

[45] Starrs, Deadly Dialectics, S. 6.

[46] Stokes, S. 34.

[47] Ebd., S. 48.

[48] Ebd., S. 267.

[49] Otomo, S. 40.

[50] Napier, S. (1995). Reviewed Work: Deadly Dialectics: Sex, Violence and Nihilism in the World of Yukio Mishima by Roy Starrs  Monumenta Nipponica, 50(1), S. 128-130.

*     *     *

Neue Kommentarpolitik auf „Morgenwacht“: Wie bereits hier unter Punkt 1 angekündigt, am Schluß dieses Kommentars wiederholt als Absicht geäußert und in diesem Kommentar endgültig festgelegt, werden neue Kommentatoren nicht mehr zugelassen und sind die Kommentarspalten nur noch für die bereits bekannte Kommentatorenrunde offen.

Ein Kommentar

  1. Vielleicht interessiert dieser Link:
    https://huaxinghui.wordpress.com/2017/12/31/die-holle-der-vollkommenheit/

    Als Resident in Hong Kong seit 1972, mit Interesse in Geschichte und Anthropologie (ohne offiziellen Abschluss in Japanologie) fällt es auf, wie oft die „Gelehrten“ daneben liegen.
    In Hong Kong hiess es, wann immer ein Manager der englischen Konglomerate bemerkte, dass er nach Jahren die Gesellschaft anfängt zu verstehen, wuerde es Zeit ihn auszuwechseln. MaW: eine Tiefenanalyse der orientalischen Seele, geschweige denn der chinesischen oder japanischen muss scheitern. Am „gefährlichsten“ ist es, wenn man MEINT verstanden zu haben (Ich spreche Chinesisch und Japanisch).
    Das Problem faengt schon bei unserem eigenen Verständnis des Faschismus an, dazu kommt dann das ebensolche Mangel an Verständnis bei den Asiaten. Um 1930 gab es z.B. in China die „Blue Shirt Society“, die sich an Mussolini orientierte. Mishimas Novelle „Der Goldene Temple“ ist ein wesentlich gelungeneres z.T. autobiographisches Werk. Die Übersetzungen sind gut, aber eben nur Annäherung, und daran muss die gesamte Detailanalyse scheitern. Für die westliche „Rechte“ ist Mashima wie die Verwendung nur eines Essstäbchen. Ebenso ist die Verwendung des Wortes „Rechte“ in Japan. Man sollte sich zuerst mit der Meji-Restauration befassen.
    NG

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