Die Revolverhelden des Wilden Westens: Gespräch mit einem Gunfighter

Colt Single Action Army im Kaliber .38-40 Winchester mit 7 ½“ langem Lauf.

Von C. F. Eckhardt, aus Heft 10-1985 der „Schweizer Waffenmagazins“. (Bild nicht aus dem Artikel.)

Zuvor (auf Cernunnos‘ Insel) erschienen:
Die Revolverhelden des Wilden Westens,
Die Waffen der Revolverhelden des Wilden Westens,
Die Holster der Revolverhelden des Wilden Westens
Die Revolverhelden des Wilden Westens: Illusion und Wirklichkeit

Heck Perez hatte lange Zeit, bevor ich geboren wurde, als Ordnungshüter in einer Ölbohrstadt gewirkt. Als ich ihn kennenlernte, war er Besitzer einer Rinderfarm geworden und schon seit vielen Jahren erfolgreich als Viehzüchter tätig. Auch damals führte er noch seinen langläufigen Single-Action-Colt, einen .38-40er, mit sich, doch in diesen späteren Jahren reiste der eher im Handschuhfach seines Ford-Pickup mit als auf Hecks Hüfte. Jung und vorlaut, wie ich war, fragte ich Heck eines Tages, ob das Schnellziehen mit dem langen 7 ½“-Lauf denn nicht furchtbar schwierig gewesen sei.

„Ich glaube, ich habe nie einen Mann schnell ziehen gesehen, so wie sie’s in den Filmen und am Fernsehen tun“, antwortete Heck. „Nein, mein Junge, sowas habe ich in meinem ganzen Leben nie gesehen. Sonst hätte ich’s bestimmt nicht vergessen. Zwar bin ich an Orten gewesen, wo das hätte vorkommen können, aber es ist nie vorgekommen.

Ich selber habe mich ums Schnellziehen gar nie gekümmert. Wenn ich schon auf einen Mann losgehen musste, hätte ich ja ein verdammter Schwachkopf sein müssen, um den Colt dabei im Holster zu lassen. Ich ging natürlich mit gezogenem Colt los, falls das alles war, was ich bei mir hatte. Doch wenn ich wählen konnte, zog ich eine Schrotflinte mit abgesägtem Lauf alleweil vor. Gegen einen Sechsschüsser oder eine Büchse mochte es ein Gegner noch aufnehmen, aber die wenigsten hatten den Mumm, einer doppelläufigen Schrotspritze Widerstand zu leisten. Dafür waren wir Polizeimänner ja da, verstehst du, nicht um die Leute zu erschießen, sondern um dafür zu sorgen, dass sie hinter Schloß und Riegel und vor Gericht kamen, und dass wir dabei nicht umkamen.

Wenn ich an diese Fernseh-Sheriffs denke, die in einen Saal voll Killer hineinspazieren mit der Kanone noch im Holster, und dann womöglich noch mit einem dieser Burschen einen Boxkampf austragen! So haben wir das nicht gemacht, ganz und gar nicht! Nein, wir taten uns zusammen, unser sechs oder acht, und wir waren alle mit Flinten oder Büchsen bewaffnet, und dann schlichen wir uns an die Fenster und steckten alle gleichzeitig unsere Flintenläufe hinein, so dass die drinnen all die zehn- und zwölf-kalibrigen doppelläufigen Flinten auf sich gerichtet sahen, und dann brüllten wir: ‚Ergebt ihr euch jetzt, oder sollen wir schießen?’ Die meisten ergaben sich gleich.“

Die Sheriffs schossen nicht gern

„Manchmal hatte man allerdings fast keine andere Wahl, als jemanden zu erschießen. Es kam vor, dass einer entschlossen war, zu töten oder getötet zu werden, und wenn man lebend davonkommen wollte, musste man ihn wohl oder übel erschießen. Man hatte zwar nicht die Absicht, den Mann zu töten, verstehst du, aber zuweilen blieb einem gar nichts anderes übrig. Doch das war nicht leicht, mein Junge, und uns war es zuwider, und wenn du je einen Mann triffst, der dir sagt, Töten sei einfach und er tue das gern, dann hüte dich vor ihm wie vor einer Klapperschlange! Der ist wie ein Hund, der an frischem Blut Geschmack gefunden hat. Es bleibt dir nichts anderes übrig, als ihn zu erschießen, sonst wird er früher oder später über dich herfallen.“

„Haben Sie denn je so einen gekannt?“ fragte ich Heck.

„Ja, einen oder zwei. Aber meist war es so: Wenn ein Polizeimann viele erschossen hatte – und ich kannte ein paar solche Leute – dann hatte er es getan, weil er musste; weil die Typen, die er erschoss, entweder blindwütige Killer waren oder dafür bezahlt wurden, den Polizisten umzulegen. Der Sheriff Frank Hamer muss annähernd fünfzig Mann umgelegt haben, wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was man sich von ihm erzählt. Doch meist waren das Leute gewesen, die mit der Absicht, ihn zu erschießen, hergekommen waren, oder dann war es seinerzeit im Grenzkrieg vor dem Ersten Weltkrieg geschehen. Es heißt, zwischen Bronsville und Eagle Paß hätten bis 1918 insgesamt zweihundert Männer Geld dafür angenommen, dass sie Frank erschießen würden. Sie sollen alle dieselben grünen Halstücher getragen haben, damit sie sich gegenseitig erkannten und nicht etwa aufeinander schossen. Ob das wirklich stimmt, weiß ich nicht, jedenfalls wird es behauptet. Und hinter Gonzuallas, dem Ranger, der den Übernamen „Lone Wolf“ trug, müssen wohl fast ebenso viele hergewesen sein. Wieviele er insgesamt erschossen hat, weiß ich nicht, aber es war ein ganzer Haufen. Frank ist erst vor ein paar Jahren friedlich im Bett gestorben, und der alte „Lone Wolf“ war immer noch am Leben, als ich zuletzt von ihm hörte. Aber ich wette mit dir, dass von all den Burschen, die es auf die beiden abgesehen hatten, kaum ein Dutzend heute noch lebt.

Übrigens hat Frank auch den Clyde Barrow und diese Bonnie Parker erschossen, drüben in Louisiana, und es gibt Leute, die das als kaltblütigen Mord bezeichnen. Aber denen darfst du kein Wort glauben! Clyde Barrow war ein richtiger Feigling und eine Heulsuse. Lange, bevor er diese Frau kennenlernte, wurde er mal wegen Autodiebstahls ins Waco-Gefängnis gesteckt, und dort wimmerte er wie ein Säugling und versprach hoch und heilig, nie wieder sowas zu tun. Also ließ man ihn laufen, aber er war noch keine drei Stunden wieder auf freiem Fuß, als er schon wieder ein Auto klaute. Das war er nämlich, bevor er sich mit dieser Frau einließ: ein ganz gewöhnlicher kleiner Auto- und Ladendieb. Die wirklich Bösartige von den zweien war sie – kaltblütig wie eine Schlange! Oben bei Grapevine, nördlich von Dallas, haben die beiden an einem Nachmittag einen Streifenbeamten der Verkehrspolizei erschossen, und dabei hatte der angehalten, um ihnen behilflich zu sein, weil er dachte, sie hätten eine Autopanne. Einer der beiden schoss vom Auto aus auf ihn, aber niemand weiß, wer es war. Ich könnte mir vorstellen, dass es Bonnie Parker war, wegen dem, was gleich anschließend geschah. Der Polizist taumelte irgendwie rückwärts und fiel dann zu Boden, und da sprang sie aus dem Auto mit einer Pistole in der Hand, rannte zu ihm hinüber und schoss ihn in den Kopf. Dann rief sie Clyde zu: ‚Hast du gesehen, wie sein Kopf hochgehüpft ist, als ich auf ihn schoss? Wie wenn man auf eine Wassermelone schießt!’ So eine war das! Und dann beklagen sich die Leute noch, Frank hätte den beiden gar keine Chance mehr gelassen. Hat er auch nicht! Kein vernünftiger Mensch hätte das getan, nach allem, was geschehen war!“

Heck Perez’ Schießereien

„Waren Sie denn je in eine Schießerei verwickelt?“ fragte ich Heck Perez.

„Ein paarmal“, sagte er. „Kann sein, dass ich mal einen Mann erschossen habe, aber ich bin nicht sicher, ob ich’s war oder mein Kollege. Wir schossen nämlich beide auf ihn, und er schoss auf uns. Und als sich der Rauch verzog, da war er tot. Ich bin also nicht sicher, wer ihn getroffen hat; das Zimmer war dunkel.

Wir hatten einen Haftbefehl gegen ihn wegen Mord. Genau genommen eigentlich vier. Einen aus Texas und drei weitere aus anderen Staaten. War ein recht hübscher Bursche, gut angezogen und redegewandt. Gab sich als eine Art Reisender aus. Er kam jeweils in eine Stadt, suchte sich eine reiche Witwe, machte sich an sie heran und bezirzte sie. Wenn sie ihn heiratete, schloss er hohe Versicherungen für sie beide ab, wobei die ihre an ihn ausbezahlt werden sollte und die seine an sie, und dann verfasste er sein Testament und setzte sie zu seiner Erbin ein und brachte sie dazu, ihn ihrerseits zu ihrem Erben einzusetzen. Sehr raffiniert ist er da vorgegangen. Danach lebten sie jeweils eine Zeitlang zusammen, bis ihr irgend etwas zustieß – hier in Texas brach jemand ins Haus ein, angeblich, um es auszurauben, und ermordete sie dabei. Darauf kassierte er die Versicherungssumme und die Erbschaft und begann dasselbe Spiel woanders von neuem.

Doch irgendwie ist ihm mal ein Schnitzer unterlaufen – ich weiß nicht, was für einer, ich habe die Untersuchung nicht durchgeführt – und man stellte, glaube ich, in Ohio einen Haftbefehl für ihn aus. Und das drang bis nach Texas und auch andernorts durch, und irgend jemand erkannte den Mann an dem Ort, wo ich arbeitete. Er war dort in einem Hotelzimmer und machte wieder einer Witwe den Hof.

Wir gingen also zu seinem Zimmer hinauf und klopften an die Tür, und als er fragte, wer das sei, riefen wir vorschriftsgemäß: ‚Polizei, wir haben einen Haftbefehl für Sie!’ Ich trat neben die Tür zur einen Seite und mein Kollege zur andern Seite, und schon schoss er mitten durch die Tür, genau dorthin, wo eben noch mein Hosenknopf gewesen wäre. Im Korridor hing an einer Kette eine elektrische Lampe, und mein Kollege zerschlug mit dem Revolverlauf die Glühbirne, damit wir kein Licht mehr im Rücken hatten, und dann brachen wir die Tür auf. Er schoss genau zwischen uns durch, aber dabei sahen wir sein Mündungsfeuer und schossen in seine Richtung. Jedesmal, wenn er schoss, konnten wir sein Mündungsfeuer sehen und schossen dorthin. Vermutlich machte er’s genauso. So schossen wir vielleicht vier-, fünfmal hin und her, da gab er plötzlich einen komischen Laut von sich und stand auf. Er war deutlich zu sehen mit dem Fenster im Rücken, aber er schoss nicht, also schossen wir auch nicht. Einen Moment lang dachten wir, er wolle sich ergeben. Er kam auf uns zu, vielleicht zwei, drei Schritte, und dann kippte er nach vorn und fiel aufs Gesicht, und er war mausetot, als wir zu ihm traten. Er hatte drei Schusslöcher in sich, und bis heute weiß ich nicht, wie viele von mir stammten. Wahrscheinlich hat es keine zehn Sekunden gedauert von dem Moment, als wir die Tür auftraten, bis er tot war, aber ich kann dir sagen, es ist mir wie zehn Stunden vorgekommen!

Ich hatte wahrhaftig keine Zeit, mich zu fürchten, solange die Schießerei im Gange war, aber als sie vorbei war, musste ich mich hinsetzen, mir zitterten fürchterlich die Knie, und als sie zu zittern aufhörten, musste ich schleunigst aufs Klo rennen. Das ist auch so etwas, das einem die Filme und das Fernsehen immer verschweigen: Es ist alles andere als angenehm, wenn jemand auf einen schießt.

So geht eine Schießerei in Wirklichkeit vor sich, mein Junge, und nicht, wie das im Film gezeigt wird. Bevor es losgeht, kriegt man einen so trockenen Mund, dass man Watte ausspucken könnte, und man hat einen Klumpen im Bauch wie eine Kanonenkugel so groß. Und dann tut man eine kurze Zeitlang einfach, was man zu tun hat, und danach schlottern einem die Knie und man muss dringend aufs Klo. Solche Details werden in den Wildwestromanen und am Fernsehen immer unterschlagen. Wenn du mal darüber schreibst, dann vergiss nicht, auch das zu erwähnen.“

Danach: Alpträume und Whisky

„Und vergiss auch nicht, ihnen von den Träumen zu erzählen, das ist das Schlimmste an der ganzen Sache. Hinterher träumt man nämlich davon, und man sieht den Kerl auf sich zukommen, und man weiß, er ist ja schon tot, also kann man ihn nicht nochmals erschießen, aber er kommt trotzdem auf dich los und hat eine Waffe in der Hand und will dich töten, und dein Revolver funktioniert einfach nicht. Du versuchst zu schießen und es geht nicht, und er kommt immer näher, und dann erwachst du schweißgebadet und hast Angst davor, wieder einzuschlafen, weil du das nicht noch einmal träumen möchtest. Manchmal braucht es sehr viel Zeit und manch eine Flasche Whisky, bis man diese Träume wieder los wird.

Aber das Leben eines Polizisten bestand eigentlich nicht aus Schießereien. Gewiss hatten wir unsere Verbrecher, und manche waren genauso gefährlich wie die Gangster im alten Wilden Westen. Einige waren selbst noch alte Hasen. Ben Kilpatrick aus Eden, der zu Butch Cassidys Bande gehört hatte, ehe er zum ersten Mal im Gefängnis landete – man nannte ihn den ‚Großen Texaner’ – der kam 1912 drüben in Dryden ums Leben, und das war nur zwei Jahre, bevor ich in den Polizeidienst eintrat. Er hatte einen Zug überfallen, und der Paketpostmann hatte sich von hinten an ihn herangeschlichen und ihm mit einem Spitzhammer, der eigentlich zum Eishacken diente, den Schädel eingeschlagen. Ich war auch mal an der Jagd auf den alten Dock Newton und seine Brüder beteiligt, aber wir haben sie nicht erwischt. Matt Kimes habe ich auch mal gesehen, und das war einer der bösartigsten Killer, die es je gab.

Aber die Hauptbeschäftigung eines Polizeimanns war die Verhaftung von Betrunkenen und von Huren. Ich wette, ich habe für jeden Räuber, den ich je gesehen habe, 500 Betrunkene verhaftet, und für jeden Mörder deren 1000. Sie betranken sich jeweils mit illegalem Whisky und fielen dann einfach in den Dreck, und ich war die meiste Zeit damit beschäftigt, schlammverdreckte Besoffene ins Kittchen zu karren. Ich wette, während des Ölbooms waren’s sogar 5000 und 10.000 zu eins. So sah das Leben eines Ordnungshüters im Westen aus, als ich noch einer war, und nach allem, was mir die Veteranen erzählt haben, war’s zu ihrer Zeit genau gleich.“

Heck goss sich aus dem Thermoskrug noch eine Tasse Kaffee nach, und dann erörterten wir wohl zum tausendsten Mal die Frage, ob das neue Regierungsprogramm zur Ausrottung des Schraubenwurms wohl irgendwelche Auswirkungen auf den nächstjährigen Rotwildbestand haben würde.

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Neue Kommentarpolitik auf „Morgenwacht“: Wie bereits hier unter Punkt 1 angekündigt, am Schluß dieses Kommentars wiederholt als Absicht geäußert und in diesem Kommentar endgültig festgelegt, werden neue Kommentatoren nicht mehr zugelassen und sind die Kommentarspalten nur noch für die bereits bekannte Kommentatorenrunde offen.

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