Ich werde nicht mein Vater werden

Von Jef Costello, übersetzt von Lucifex. Das Original I Will Not Become My Father erschien am 2. Juli 2018 auf Counter-Currents Publishing.

Als mein Vater letzten Monat starb, hatten wir seit Weihnachten nicht mehr miteinander gesprochen. Ein paar knappe Emails wurden ausgetauscht, aber das war es auch schon. Seht ihr, beim Weihnachtsessen hatte mein Vater enthüllt, daß er Geld an das SPLC spendete. Das kam bei mir nicht gerade gut an. Was sagt man seinem engsten Verwandten, wenn er verkündet, daß er die schlimmsten, widerlichsten Feinde unterstützt, die man hat?

Ich versuchte genau das zu sagen. Ich versuchte zu erklären, daß das SPLC ein Schwindelunternehmen ist, das Freunde von mir verleumdet hat und mit Freuden versuchen würde, mich zu vernichten (wenn sie herausfänden, wer ich wirklich bin). Aber meine Versuche waren halbherzig, da ich wußte, daß es wenig Chance gab, daß ich die Meinung meines Vaters ändern würde. Es gab auch keine Chance, daß ich die ganze Sache nicht persönlich nehmen würde – nachdem mein Vater über meine Ansichten und die Gesellschaft, in der ich verkehre, voll Bescheid wußte. Daher verbrachte ich den Rest unseres Weihnachtsessens (in einem Thai-Restaurant, ausgerechnet) großteils damit, schweigend mein Massaman-Curry anzustarren.

Ja, mein Vater verwandelte sich auf seine alten Tage in einen Liberalen – einen sehr unwahrscheinlichen Liberalen. Geboren im Süden in den 1930ern, ein Eagle Scout, ein Absolvent einer sehr prestigereichen Militärakademie und ein pensionierter Berufsoffizier des Militärs, paßte mein Vater nicht wirklich in das Profil des typischen Wählers der Demokratischen Partei. Und tatsächlich wählte er den Großteil seines Lebens republikanisch. Aber in seinen letzten paar Jahren begannen die Dinge radikal schiefzulaufen. Er begann die Aussagen der Fernsehsprecher nachzuplappern: „Rußland hat die Wahl gehackt!“ sagte er mir zu Thanksgiving 2016. Er verabscheute Trump (teilweise, sagte er, wegen seines Haars). Er bewunderte Gestalten wie Rachel Maddow und Stephen Colbert. Er bekam Junk-Mail von Chuck Schumer und Ärzte ohne Grenzen. Und so weiter. Christus, es war schlimm. Und rätselhaft.

Ich kehrte von dem, was ich schließlich als das SPLC-Weihnachten sah, mit sehr viel Zorn nach Hause zurück, und mit dem vagen Imperativ, daß ich irgendwie einen Weg finden mußte, damit umzugehen, wenn wir weiterhin eine Beziehung haben sollten. Aber ich würde lügen, wenn ich nicht zugeben würde, daß ich wenig Wunsch hatte, meinen Vater wiederzusehen. Die Spenden an Morris Dees empfand ich als den Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Ich wußte, daß ich das irgendwie überwinden müssen würde, und ich hatte genug Selbsterkenntnis, um zu begreifen, daß mein Zorn in Wirklichkeit Wurzeln hatte, die sehr tief reichten. Ich ertappte mich dabei, daß ich Vergnügen an einer imaginierten Konversation hatte, in der ich ihm sagte, daß ich Weihnachten nächstes Jahr anderswo verbringen würde. Und nur ein paar Tage, nachdem ich all das einem engen Freund anvertraut hatte, erhielt ich mitten in der Nacht einen Anruf, der mich darüber informierte, daß die Nachbarn meines Vaters ihn tot in seinem unversperrten Haus gefunden hatten.

Ja, ich bin einfach abergläubisch und schuldbewußt genug, um zu denken, daß das meine Bestrafung war. Ich hatte zugelassen, daß die Politik zwischen uns kam, und ich hatte beim Finden eines Weges zur Reparatur unserer Beziehung gezaudert. Nun würde ich nie die Chance bekommen. Seine Nachbarn informierten mich, daß er eine wochenlange Periode des Verfalls durchgemacht hatte, die zu seinem Tod führte. Mein Vater hatte mir nichts darüber gesagt; er hatte mich nicht darauf aufmerksam gemacht, daß etwas nicht in Ordnung war. Die Schlechten Gedanken waren somit unvermeidlich: als Reaktion auf meine Kälte hatte er die Hoffnung aufgegeben. Nachdem er sich nun völlig allein fühlte, hatte er sich zu sterben erlaubt. Bla bla bla. Als ich erstmals von seinem Tod hörte, hatte ich mir sofort Sorgen gemacht, daß es Selbstmord gewesen sei, teilweise weil das der Tod war, den sein eigener Vater gewählt hatte. Ich war erleichtert, als ich herausfand, daß die Ursache ein Herzinfarkt war. Und meine vernünftigere Seite schaltete sich nach einer Weile ein, um mich an die gemeine Ader meines Vaters zu erinnern, die (besonders in seinen letzten Jahren) mit einer herzlichen, sanften Güte koexistierte, die manchmal echt war und manchmal bloß eine Maske. Ich zog daher die Möglichkeit in Betracht, daß er mich über seinen Verfall und seinen bevorstehenden Tod als letzten Akt der Bosheit im Dunkeln gelassen hatte. Es war eine geringe Möglichkeit, aber ihr würdet sie für halbwegs plausibel halten, wenn ihr ihn gekannt hättet.

Die Wahrheit ist, daß, während das politische Zeug schlimm war, unsere Beziehung sich auch aus anderen Gründen zerfranst hatte. Seht ihr, in den letzten Jahren seines Lebens wurde mein Vater zu einem Horter von wahrhaft epischen Ausmaßen. Ein Hamsterer, der seiner eigenen Realityshow würdig war. Ein Sammelwütiger von einer ungewöhnlichen und auf perverse Weise faszinierenden Art. Und ich war geneigt zu denken, daß die Verschiebung seiner Ansichten hin zur depperten Linken nur ein Teil eines allgemeinen mentalen Niedergangs war. Es dauerte vier Wochen meines Lebens, all seine Besitztümer durchzusortieren, wobei ich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang arbeitete. Und je mehr ich enthüllte, desto offenkundiger wurde es für mich, daß mein Vater – um es so taktvoll wie möglich auszudrücken – geistig nicht ganz gesund war. Er funktionierte, aber…

Wie ich erwähnte, hatte mein Vater eine hervorragende militärische Karriere, während der er das Musterbeispiel von Ordentlichkeit, Organisation und Effizienz war. Der Sohn eines solchen Mannes zu sein, war kein Spaß. Mein Vater war typisch für viele Militärväter in der Hinsicht, daß er seine Arbeit nach Hause mitnahm. Und so wie seine Posten bedeutender wurden und seine Verantwortlichkeiten größer, begann er dazu zu neigen, seinen Frustrationen zu Hause Luft zu machen. Es gab Mißhandlungen, manche körperlich, aber großteils emotional. Während des Großteils meiner Kindheit und Pubertät empfand ich keine Wärme für meinen Vater. Und ich verabscheute das Militär. Ich verbrachte die ersten siebzehn Jahre meines Lebens in diesem Umfeld, und ich fand es nur graubraun und freudlos. Erst Jahre später erkannte ich, daß sie überhaupt irgendeine positive Wirkung auf mich gehabt hatte.

Das Militär hat eine komische Art, Männer zu denken zu veranlassen, daß sie, sobald sie einmal damit fertig sind, nie wieder irgendwelchen Anforderungen gerecht werden müssen. Der Vater eines meiner besten Freunde sagt gern, wenn seine Ärzte ihn ersuchen, Sport zu machen: „Ich schwor, als ich das Marine Corps verließ, daß ich nie wieder Sport machen würde!“ „Ich habe mein Teil getan“, ist die Philosophie vieler dieser Männer, und sobald sie in Pension gehen, wenden sie sich oft einem Leben zu, das in der einen oder anderen Art einem harmlosen, egozentrischen Sich-Gehen-Lassen gewidmet ist. Wären meine Eltern verheiratet geblieben, dann wäre meinem Vater dieses Schicksal vielleicht erspart geblieben, aber meine Mutter ließ sich mehrere Jahre nach seiner Pensionierung scheiden, da sie seine Unbeständigkeit und fehlende Kommunikationsbereitschaft nicht länger ertragen konnte. Erst nachdem meine Mutter starb und er ihr keine fette monatliche Alimente mehr bezahlen mußte, begann mein Vater seinen steilen Niedergang.

In einem seltenen Moment der Freimütigkeit und Selbstreflektion sagte mein Vater mir einmal, daß die Scheidung ihn schwer deprimiert hatte. Er begann damit fertigzuwerden, indem er verschiedene Hobbies pflegte, von denen manche Wiederbelebungen von Interessen waren, die er als Junge gehabt und dann aufgegeben hatte. Auf einer Ebene zeigte dies einige echte psychologische Einsicht von seiner Seite: er bewältigte seine Depression und Einsamkeit bewußt, indem er wieder Verbindung zu Dingen herstellte, die ihn in der Vergangenheit glücklich gemacht hatten. Zum Beispiel war er von alten Postkarten fasziniert. Daher begann er sie mit großer Ernsthaftigkeit zu sammeln, und eine Zeitlang war das seine Obsession. Wenn mein Vater sich für die Pflege irgendeines Interesses entschied, machte er keine halben Sachen. Am Ende wurden Tausende Dollars für Postkarten ausgegeben, die alle sorgfältig in Plastikschutzhüllen in großen Ordnern gesteckt wurden – und alle sorgfältig in endlosen Listen katalogisiert, die er auf seinem Computer führte.

Listen zu machen war eine der Spezialitäten meines Vaters. Ich hatte lange gedacht, daß er das beim Militär gelernt hatte, aber mit der Zeit wurde mir klar, daß das irgendwie ein Teil seiner Verfaßtheit war, für den das Militär einfach eine gute Verwendung gefunden hatte. Daher war der Schreibtisch, den er in seinem Wohnzimmer hatte, buchstäblich mit Stapeln von Listen bedeckt. Und nicht nur welche über die Postkartensammlung. Zum Beispiel gab es Stapel von Steno-Zetteln voll mit Hunderten von Benutzernamen und Passwörtern. Er verwendete nie ein Passwort zweimal. Die Sicherheit muß streng gehandhabt werden! Alle waren zufällig erzeugte Reihen von Schriftzeichen, und alle wurden in Abständen geändert. Es war, als dächte er, er würde die Startcodes für die Doomsday Machine hüten.

Sobald all die Postkarten ordentlich abgelegt und katalogisiert waren, kamen sie in sorgfältig beschriftete Archivschachteln (mein Vater hatte eine schöne, gut leserliche Zeichnerschrift). Und dann wurden sie in Lagereinheiten deponiert und nie wieder gesehen. Mit der Zeit erwarb er sechs solcher Einheiten, die alle bis obenhin mit seinen Sammlungen vollgestopft wurden. Er bezahlte monatlich mehr für diese Einheiten als für seine Hypothek. Wohlgemerkt, er hatte die Einheiten erst aus Notwendigkeit gemietet, nachdem sein Haus komplett gefüllt war. Und wenn ich „komplett gefüllt“ sage, dann meine ich, daß jeder verfügbare Platz entweder von Möbeln eingenommen wurde oder von Stapeln verschiedener Art, einschließlich Stapeln von Schachteln. Sein Reserveschlafzimmer war so gesteckt voll, daß es unmöglich war, zur Tür hineinzugehen. Der Keller war komplett voll. Und sein Schlafzimmer sah völlig gefüllt aus, bis man erkannte, daß das Bett von Schachteln umgeben war, als hätte er sich ein Fort gebaut.

Sobald mein Vater der Postkarten einmal müde war, schritt er zu anderen Hobbies fort. Zum Beispiel sammelte er Flugzeug- und Schiffsmodelle. Tatsächlich so viele, daß sie ungefähr hundertfünfzig Schachteln füllten, die zwei Lagereinheiten einnahmen. Andere Sammlungen waren von Natur aus weniger eindrucksvoll. Er machte in den 1990ern eine Periode durch, in der er alles auf Videoband aufnahm, was ihn im Fernsehen interessierte. Vier Videorecorder waren aufgestellt, um den ganzen Tag lang aufzunehmen. Er sammelte schnell mehr an, als er Zeit hatte, um es anzusehen. Und so wurden die Bänder alle sorgfältig in sorgfältig beschriftete Archivschachteln gepackt (alle in alphabetischer Reihenfolge nach Titeln beschriftet: „A-B“, „B-C“ etc.) und in die Lagereinheiten gebracht, wo sie unabgespielt verblieben, bis ich sie alle rauswarf.

Manche der Artikel in den Einheiten waren mit nahezu zweieinhalb Zentimeter Staub bedeckt, in manchen Fällen mit Zeitungen bis zurück aus den 1970ern verpackt. Tatsächlich war dort so viel Staub, daß ein Freund, der sich erboten hatte, mir beim Durchsortieren zu helfen, eine schwere allergische Reaktion bekam und aufhören mußte. Ganz ehrlich gesagt war ich zufrieden, die Einheiten allein durchzusehen, da ich hohe Hoffnungen hatte, ich könnte eine epische Pornosammlung finden. Ich stellte mir meinen Vater als einen weiteren Ralph Whittington vor, den gefeierten „King of Porn“. Traurigerweise fand ich heraus, daß er in dieses Gebiet um vieles weniger Energie gesteckt hatte. Dennoch, was er hatte (alles DVDs und VHS-Bänder) war sorgfältig in langen Listen inventarisiert; Filmnamen, Namen von Darstellern, Zahl der Szenen etc. (Diese Listen waren das erste, das auf den Müll kam, sobald ich Zugang zu seinem Zuhause hatte.)

Als die Lagereinheiten ganz gefüllt waren, stand mein Vater anscheinend irgendwann vor einer Krise: sein Saustall wuchs ständig, aber er hatte nichts, wo er das Zeug hintun konnte. Er muß die Möglichkeit ausgeschlossen haben, eine siebente Einheit zu mieten, denn er begann Schachteln im Freien zu stapeln, hinter dem Haus. Er ließ sich von einem Nachbarn dabei helfen, sie mit einer wasserdichten Plane abzudecken. Was für wichtige Sachen fand ich in diesen Schachteln? Großteils alte Briefe und überholte elektronische Geräte. Ohne irgendeine Ironie waren die Schachteln mit alter Post beschriftet mit „Zum Durchsortieren und Wegwerfen.“ Es war diese Entdeckung, die mich mehr als irgendetwas anderes dazu zwang, mich der Frage nach der geistigen Gesundheit meines Vaters zu stellen. Was für ein Vorgang hatte diesen Mann denken lassen: „Ich habe einfach keine Alternative, als all diese alte Post hinter dem Haus zu stapeln und jemanden zu holen, der mir beim Zudecken hilft, sodaß sie sicher ist…“? Gab es irgendeinen Moment, wo er erwog, daß es besser sein könnte, sie einfach wegzuwerfen? Anscheinend nicht. Und was für ein „Freund“ würde ihm helfen, diesen Saustall mit einer Plane zu bedecken und sorgfältig mit undurchschaubaren Seemannsknoten zusammenzubinden?

Am Ende brauchte es vier Tage und ebenso viele Mannschaften, sein Haus und die Einheiten vollständig zu leeren. Da ist der Tag nicht mitgezählt, an dem ich einen Lastwagen voll von seinem Zeug zu mir nach Hause fuhr. Ich behielt etliche Erinnerungsstücke an seine Militärkarriere und alle familienbezogenen Sachen (einschließlich Fotos, von denen manche noch aus den 1890ern waren). Die Sammlungen, außer den einsamen, unerwünschten VHS-Bändern, wurden an Händler verkauft. Und der Rest wurde einfach als Müll abtransportiert. Dazu gehörte das Kernstück der traurigen, seltsamen Welt, die mein Vater geschaffen hatte, ein alter, fleckiger Lehnstuhl von unbestimmbarer Farbe. Nie war ich so froh, ein Möbelstück am Randstein stehen zu sehen.

Sobald einmal alles weg war, wurde eine weitere Schicht der Sauerei enthüllt – und wie es schien, eine weitere Schicht der Verrücktheit meines Vaters. Ich hatte seit mehreren Jahren gewußt, daß er ein Mäuseproblem hatte. Ich sah die immer die Fallen, wenn ich ihn besuchte, und manchmal sah ich zu, wenn er sie mit Erdnußbutter als Köder bestückte. Einmal sah ich tatsächlich eine Maus: einen verwischten kleinen grauen Fleck am Rand meines Sichtfelds, der um ein Möbelstück flitzte. Mein Vater erklärte, daß es ein allgemeines Problem in der Nachbarschaft sei und daß er es unter Kontrolle hätte. Es stellte sich heraus, daß das weit von der Wahrheit entfernt war. Denn als all der Müll entfernt war, waren buchstäblich überall Mäuseköttel – sogar hinter den Töpfen auf der Küchentheke. Brösel waren unter einen alten Toaster gefallen und jahrelang nicht entfernt worden, und die Mäuse hatten davon gespeist und ihre Kacke dort gelassen. Unter einem Schrank befanden sich die Überreste mehrerer Schokoriegel. Die Mäuse hatten anscheinend ein paar heruntergefallene Süßigkeiten verschwinden lassen und unter dem Schrank gefressen, wobei sie wiederum ihre Fäkalien als eine Art Visitenkarte hinterlassen hatten. In mehrere Archivschachteln waren Mäuse eingedrungen, und einiges von der alten Post war zerfetzt worden, um Nester zu bauen.

Ich hatte keine Ahnung vom Ausmaß des Schmutzes, bis dort ausgeräumt wurde. Trotz der schrecklichen Vollgeräumtheit erschien mir alles „sauber“, wann immer ich zu Besuch war. Sein Haus hatte einen antiseptischen, hotelartigen Geruch. Und mein Vater selbst war immer gut gepflegt und ordentlich gekleidet. In meiner Vorstellung wurde der Mäusedreck schnell sinnbildlich für das, was mich an der ganzen Situation am meisten beunruhigte. Hier war ein Mensch, der an der Oberfläche ein Musterbeispiel der Organisation, Effizienz, Planung und Pflichttreue war. Aber unter der Oberfläche war er ein Sauhaufen.

Es gab auch andere Dinge – kleine Dinge, die rückblickend als weitere Teile des Puzzles erschienen. Zum Beispiel waren da seine neurotischen Fahrgewohnheiten. Er hatte eine morbide fixe Vorstellung, daß Leute, die an Straßenecken standen, vor sein Auto laufen und niedergestoßen werden würden. Also hielt er immer an und winkte ihnen, sie sollten hinübergehen – oft lange bevor sie dazu bereit waren, sehr zu ihrem Befremden. Und wenn Verkehrsampeln gelb wurden, KNALLTE er immer die Bremse rein, aus Angst, er könnte von einer Überwachungskamera erwischt werden und einen Strafzettel zugeschickt bekommen. Mehrere Male, als ich mitfuhr, wurde er beinahe von hinten von Autos gerammt, die ein bißchen zu dicht aufgefahren waren.

Dies waren alles Anzeichen für „OCD“ [Zwangsneurosen], meinte ein Psychologe aus meiner Bekanntschaft. Und er hatte noch mehr zu sagen. Als er eine Beschreibung des Sammelns und Listenführens meines Vaters hörte, und daß seine Wände mit Bildern von nichts als Maschinen bedeckt waren (Flugzeuge, Hubschrauber, Schiffe), war mein Freund bereit, ihn irgendwo im „Autismusspektrum“ zu verorten. Das ergab für mich eine Menge Sinn. Aber was war mit dem Horten? Was mit dem irrationalen Aufheben von alter Post, VHS-Bändern, alten Kleidern, elektrischen Ventilatoren, überholten elektronischen Geräten, Post-it-Zetteln, Gummiringen, Markierstiften, Aktenordnern etc.? Eine Angststörung, wurde vorgeschlagen. Wenn er erwog, etwas wegzuwerfen, erlebte er Angst: „Aber was, wenn ich das brauche?“

Und Ängstlichkeit könnte auch seine politischen Ansichten erklären. Er hatte sein ganzes Leben mit der idealistischen Schleimerei über unser Land „aller Rassen, Glaubensbekenntnisse und Hautfarben“ gelebt, das ihm von der Kriegspropaganda, den Pfadfindern und dem Militär eingehämmert worden war. Aber ich vermutete, daß ihm bewußt war, daß all das am Auseinanderfallen war und daß die „Vielfalt“ sich als Fluch und nicht als Segen erwiesen hatte. Viele alte Leute kommen an einen Punkt, wo sie den Glauben brauchen, daß alles einfach genau gleich weitergehen wird, nachdem sie sterben, und daß alles gut werden wird. Was mein Vater mit seinen eigenen Augen im heutigen Amerika sah und was ich ihm unablässig berichtete, muß erschreckend gewesen sein. Bei meinen Gesprächen mit ihm über meine eigenen Überzeugungen nahm ich an, daß er ehrlich und offen sei. Großer Fehler. Und wenn ich alles noch einmal tun müßte, hätte ich ihn friedlich schlummern lassen.

Am Ende reagierte mein Vater auf seinen unterdrückten Schrecken vor dem, was Amerika geworden war, indem er auf stur schaltete und eine radikale Version des amerikanischen Staatsbürgernationalismus übernahm. Er war so ziemlich wie ein religiöser Mann, der von Zweifeln befallen wird und darauf reagiert, indem er voll fundamentalistisch wird. Tatsächlich hätte es vielleicht tatsächlich geholfen, wenn er eine echte Religion gehabt hätte, der er sich zuwenden konnte – wie sein Bruder, der in seinem Alter ein Laienprediger wurde. Aber mein Vater war eine Art flachseeliger Skeptiker, der reflexhaft der „Religion“ die Schuld an den Problemen der Welt zuschob. Das einzige in seinem Testament, das über Standardformulierungen hinausging, war ein Wunsch, daß an seiner Grabstätte kein Gottesdienst abgehalten werden sollte. Er konnte nicht nach oben streben, also strebte er nach außen und füllte immer mehr Raum mit Dingen, die er nicht mitnehmen konnte. Passenderweise gab es bei meinem Vater auch einen Dagobert-Duck-Aspekt. Er gab jeden Monat tausende Dollars für Lagereinheiten, Spielzeug und Kleidung aus (habe ich die riesige Garderobe erwähnt, die in Schachteln gelagert war, vieles davon immer noch in Plastikhüllen?). Und doch fuhr er in der Stadt herum und suchte nach den billigsten Benzinpreisen und beharrte darauf, seine Steuern selbst zu erledigen. Wenn er nur von Marleys Geist und dem Rest der Truppe besucht worden wäre.

Eine Erklärung für das Horten, eine „Angststörung“, klingt zahm genug, bis man es konkretisiert und sich daran erinnert, daß er eine Plane über Schachteln mit alten Katalogen und Videorecordern legte, weil er „sie vielleicht brauchen könnte“. Das war einfach gestört. Und da gibt’s keinen Weg drumherum. Ich würde gern einen Weg finden, weil es mein eigener Vater war. Sein Verlust und das Danach waren auf mehreren Ebenen schwierig. Erstens war da der intensive Ärger darüber, diesen unverantwortlichen Sauhaufen aufräumen zu müssen. Dies war eine Reaktion, von der ich im voraus wußte, daß ich sie haben würde, und wo ich mir sicher bin, daß er wußte, daß ich sie haben würde. Aber irgendwie war das für ihn kein ausreichender Motivator, um etwas, selbst ein kleines bißchen, gegen den Saustall zu tun, zu dem seine Wohnsituation geworden war. Jedoch wechselte mein Groll sich mit Ärger ab. Ich verfluchte ihn, wenn ich über Stapel von Katalogen stolperte, und intonierte dann mit einem Seufzen: „mein armer Vater“, wenn ich noch eine traurige, seltsame Liste entdeckte. Wie konnte jemand, der einst so tipptopp und gutaussehend war, zu so etwas geworden sein? Es gab keinen Weg darum herum, was für ein trauriges Ende es war.

Und er wußte es. In den Tagen und Wochen nach seinem Tod berichtete so ziemlich jeder Freund und Nachbar, mit dem ich sprach, daß er sie nie in sein Haus ließ. Ich fand sogar heraus, daß er eine Weile eine Freundin gehabt hatte, aber sie brach die Sache ab, weil er sie nicht zu sich nach Hause lassen wollte. Ich fand auf seinem Computer einen Brief, den er an sie geschrieben hatte, und beging den Fehler, ihn zu lesen. Der Brief begann: „Liebe Evelyn, es tut mir sehr leid wegen meines Verhaltens in der Cheesecake Factory neulich abends, aber ich war nie sehr gut darin, über meine Gefühle zu reden…“ Sofort konnte ich die ganze Szene im Kopf rekonstruieren, beruhend auf seiner Beziehung zu meiner eigenen Mutter. Die arme Evelyn hatte ihn in irgendeiner emotionalen Sache ein bißchen bedrängt, und da er sich bedroht fühlte, hatte er die Beherrschung verloren, war ihr gegenüber explodiert und fühlte sich deswegen später elend. Es war einfach die Art von Sache, die seine Ehe ruiniert hatte. Er war sich dessen bewußt, und er fühlte sich deswegen enorm schuldig – was alles herauskam, als meine Mutter starb, Jahre nach der Scheidung.

Warum hatte er es also nicht vermeiden können, es wieder zu tun? Warum konnte er sich nicht beherrschen? Warum mußte er in dieselben mechanischen Muster verfallen, wie eine der Maschinen, die ihn faszinierten? Die Wahrheit ist, daß er sich wahrscheinlich dieselben Dinge fragte. Und das Durchsuchen der Trümmer des Lebens meines Vaters brachte mich dazu, lange und angestrengt über die Frage meiner eigenen Willensfreiheit nachzudenken. Mein Vater schien nicht anders gekonnt zu haben, als zu sein, wer er war. Wieder und wieder fragte ich mich, während ich den Mäusedreck wegsaugte, ob ich mich auf dasselbe Schicksal zubewegte. Eines Abends hatte ich einen Alptraum, daß ich bei meinem Vater fertig war und in meine eigene Wohnung zurückkehrte, nur um sie unerträglich schwach beleuchtet zu finden. Ich erwarb einen Sack Glühbirnen, und als ich sie installierte und einschaltete, sah ich zu meinem Schrecken, daß mein eigenes Zuhause voller Schachteln und Müll war und von Ratten wimmelte.

Wie die meisten von uns auf Seiten der Rechten glaube ich sehr an die Erklärungskraft der Genetik. Und während ich mich nicht als strikten genetischen Deterministen bezeichnen würde, glaube ich doch, daß sehr viel an uns, von dem wir uns vorstellen, daß wir es uns aussuchen, in Wirklichkeit genetisch fixiert ist. Aber nun betraf diese Theorie ein bißchen zu sehr mich selbst. Ich begann mich wie der Hauptcharakter in H. P. Lovecrafts „The Shadow Over Innsmouth“ zu fühlen, der mit Entsetzen entdeckt, daß er in Wirklichkeit von den „Fischmenschen“ abstammt, die er verabscheut, aber sich dann allmählich mit ihnen identifiziert und eins mit ihnen wird: „Irgendein furchtbarer Einfluß, fühlte ich, suchte mich allmählich aus der vernünftigen Welt des gesunden Lebens in unnennbare Abgründe der Schwärze und Fremdheit zu zerren; und der Prozeß zeigte sich stark an mir.“ Bin ich auf dem Weg dorthin, wo ich horte und Listen führe und so tue, als würde ich die Mäuseköttel nicht bemerken? Ist das der Abgrund der Schwärze und Fremdheit, der auf mich wartet. Oder wird mein Schicksal doch akzeptabler sein?

Als ich einen Lastwagen voller Sachen meines Vaters, alle in etikettierten Archivschachteln, zu mir nach Hause fuhr, begann ich mich zu fragen, ob ich nicht „den verfluchten Hort“ in mein Leben einlud. Hätte ich mehr von dem Zeug des alten Drachen wegwerfen sollen? Nein, dachte ich, ich hatte nur behalten, was ich mußte: Sachen von Wert, ob sentimentalem oder anderem. Natürlich erkannte ich sofort, daß dies genau das war, was mein Vater sich selbst sagte. Ich begann eine irrationale Abneigung gegen das Zeug zu entwickeln, hatte das Gefühl, es behalten zu müssen, wollte es aber nicht anrühren; ich wusch mir immer wieder die Hände, nachdem ich mit den Schachteln hantiert hatte. Es war wahrscheinlich die Assoziation mit dem Mäusedreck. Und würde ich bei mir zu Hause überhaupt Platz für das Zeug haben? (Es stellte sich heraus, daß ich Platz hatte.) Ein „hilfreicher“ Freund schlug vor, ich sollte einfach eine Lagereinheit mieten. „Aber so fängt es an!“ rief ich als Antwort, entsetzt über den Vorschlag. Ich gelobte an Ort und Stelle, daß ich niemals so viel Zeug erwerben würde, daß ich es „lagern“ müßte. Ich las wieder einmal D. H. Lawrences Kurzgeschichte „Things.“ Und ja, ich hörte Tyler Durden in meinem Kopf: „Die Dinge, die du besitzt, besitzen am Ende dich.“

Dies war eine der Lektionen, die ich aus der ganzen Erfahrung mitgenommen hatte. In vieler Weise waren meine Eltern beide sehr feine Individuen, und insgesamt erhielt ich eine viel bessere Erziehung als die meisten Leute. Ich muß ihnen – besonders meiner Mutter – das Verdienst für viel von dem zuschreiben, was ich gern für meine „guten Punkte“ halte. Aber gleichzeitig waren sie abscheulich schwierige und fehlerhafte Menschen. Zusätzlich zu all den guten Beispielen, die meine Eltern mir gaben, erwiesen sie mir auch einen großen Dienst, indem sie Beispiele dafür abgaben, wie ich nicht sein wollte. Oft reagierte ich auf etwas, das sie sagten oder taten, indem ich dachte: „Also so will ich nicht werden.“ Und das finale Vermächtnis meines Vaters an mich war die beunruhigendste und wirksamste warnende Geschichte, die ich jemals hätte erhalten können.

Ja, ich glaube schon, daß die Genetik formt, wer wir sind. In gewisser Weise bestimmt uns die Genetik vollständig und ohne Spielraum. In anderer Weise läßt sie uns bloß in bestimmte Richtungen neigen. Ich sehe wirklich die Samen der Verrücktheit meines Vaters in mir: die Zwangsstörungen, den Asperger, die irrationalen Ängste. Aber der bedeutende Unterschied zwischen mir und meinem Vater scheint einfach zu sein, daß ich diese Dinge sehe. Ja, ich stelle mir vor, daß er ebenfalls Momente der Selbsterkenntnis hatte. Tatsächlich weiß ich, daß er sie hatte. Als ich erstmals das Ausmaß des Hortes meines Vaters entdeckte, als er noch lebte, war ich entsetzt und platzte heraus: „Du bist verrückt!“ „Wahrscheinlich ja“, antwortete er verlegen. Aber solche Momente der Klarheit schienen zu nichts zu führen.

Ab und zu sehe ich mich selbst in dieselben Richtungen tendieren wie mein Vater, wann immer ich zum Beispiel zögere, bevor ich alte Post wegwerfe. Aber jetzt habe ich gesehen, wo das alles hinführen kann. Und während die Genetik ein starker Einfluß ist, ist das der Wille auch. Ich glaube an die Macht des Willens, und an die Macht des Bewußtseins. In anderen Worten, ich glaube, wenn wir unsere Gewohnheiten und Tendenzen sehen können, haben wir bereits eine gewisse Distanz zu ihnen erreicht. Und diese Distanz ermöglicht es uns, zu widerstehen. Ich kenne mehrere Leute, die überhaupt keine Willenskraft haben – die sich ihrer Probleme oft sehr bewußt sind, aber machtlos sind, etwas dagegen zu tun. Ich bin nicht diese Art von Person. Ich habe einen starken Willen, und ich schrecke nicht vor Selbstkritik zurück (eigentlich ganz im Gegenteil).

Jedoch reduzieren die Lektionen hier sich nicht einfach auf einen Imperativ, das Horten und Listenführen durch schiere Willenskraft zu vermeiden. Ein weiterer Aspekt beim Niedergang meines Vaters ist einer, zu dem ich mich bisher nicht geäußert habe, der aber jetzt für meine Leser vielleicht offenkundig ist: die völlige Trivialität seiner Anliegen. Sein Niedergang war nicht nur ein Problem des ungehemmten Anhäufens. Er hatte auch mit der völlig trivialen Natur seiner Interessen und Beschäftigungen zu tun. Mein Psychologenfreund sagte mir: „So wie die Menschen altern, schrumpfen ihre Welten.“ Das würde ich so sagen. Bis zum Ende war mein Vater eindeutig miniaturisiert worden – wie Stephen Boyd in Fantastic Voyage. Ein Leben, das dem Ansammeln von Postkarten und Spielzeug gewidmet war, dem sorgfältigen Listenführen, und das alles wurde außer Sicht verstaut, wo man es nicht einmal genießen konnte.

Im Gegenzug habe ich mein Leben Dingen gewidmet, die zählen – und ich sehe nicht, daß sich das in meinem Alter ändert. Mein Vater hatte einmal ein sinnvolles Leben, aber wie ich sagte, flog das alles aus dem Fenster, als er aus dem Militär ausschied und beschloß, sich der Habgier zu widmen. Ich nehme an, daß da etwas poetisch Passendes dran ist: nach Jahren der Sicherung des Strebens nach dem „American Dream“ beschloß er vielleicht einfach, damit zu beginnen, ihn zu leben. Im Gegensatz dazu besteht das, was mein Leben sinnvoll macht, darin, daß ich tue, was ich kann, um meine Rasse und meine Kultur zu retten – und ich würde so weit gehen zu sagen, daß es nichts Wichtigeres gibt als die Sache, die ich erwählt habe. Was mein Leben sinnvoll macht, sind genau die Engagements, die leider meinen Vater so erschreckten und empörten. („Ich denke, du bist krank!“ schrie er mich einmal an. Oh welche Ironie…)

Am Ende macht das wett, was immer ich für einen Saustall hinterlasse. Meinen Erben (beide Kameraden in der Bewegung) werden ein paar Stapel alter Post bleiben, aber während sie sie in Müllsäcke schmeißen, werden sie sagen: „Ja, aber er half die weiße Rasse zu retten.“ Sie werden vielleicht nicht wissen, was sie mit meiner Sammlung von „Dark Shadows“-Fanartikeln tun sollen, aber während sie sie auf eBay listen, werden sie sagen: „Ja, aber er schrieb für Counter-Currents.“ Tatsächlich könnten sie beim Möbelrücken sogar ein paar Mäuseköttel finden (obwohl ich das bezweifle). Aber während sie sie wegsaugen, werden sie sagen: „Ja, aber immerhin schrieb er The Importance of James Bond & Other Essays und Heidegger in Chicago. Und er schrieb sogar noch wichtigere Sachen unter anderen Pseudonymen…“

Am Ende macht es nichts, wenn wir einen großen Sauhaufen machen, solange wir es im Namen von etwas Großem tun. Solange wir an etwas Wichtiges glauben und für etwas kämpfen, das zählt – und das weiter tun, bis zum Ende. Solange wir groß bleiben und nicht schrumpfen. Abe ich werde das schaffen, ohne einen Saustall anzurichten, der meine Erben belastet. Die letzten Jahre meines Vaters können nicht besonders glücklich gewesen sein. Ich hoffe, er ruht in Frieden. Aber Gott sei mein Zeuge: Ich werde nicht er werden.

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Siehe auch Mein Kodex und Mein Kodex, Fortsetzung von Jef Costello, das Interview Genetik und Erziehungseinfluß: „Tausende von Müttern wurden zu Unrecht beschuldigt“ sowie Das Gewicht der Dunkelheit von mir.

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Neue Kommentarpolitik auf „Morgenwacht“: Wie bereits hier unter Punkt 1 angekündigt, am Schluß dieses Kommentars wiederholt als Absicht geäußert und in diesem Kommentar endgültig festgelegt, werden neue Kommentatoren nicht mehr zugelassen und sind die Kommentarspalten nur noch für die bereits bekannte Kommentatorenrunde offen.

Ein Kommentar

  1. Bärenstark und schön auch mal sowas zu lesen. Warum er nicht so werden wird wie sein Vater habe ich schon am Anfang des Textes gewusst da ich die gleiche Situation habe und zu der Erkenntnis gekommen bin. 😀
    Ich war aber als Jugendlicher immer fasziniert von solchen Fragen wie groß das Universum ist o.ä.. Ist die Frage ob das sein und mein Vater jemals beschäftigt hat oder sie damals schon einen kleinen Horizont hatten…

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