Hannus Bootswerft – Holz als Bootsbaumaterial (2): Die „richtige” Konstruktion eines hölzernen Bootes

Nachgebautes Wikinger-Langschiff „Havhingsten fra Glendalough“ („Seehengst von Glendalough“) im Museumshafen von Roskilde, Dänemark. (Bild vom Übersetzer aufgenommen und eingefügt)

Von Hannu Vartiala, übersetzt von Cernunnos. Das Original The „correct“ construction of a wooden boat erschien am 18. Oktober 2005 auf Hannu’s Boatyard.

Die Konstruktion eines typischen Holzbootes ist nicht so „falsch“ daß sie bei ordentlicher Oberflächenbehandlung und Pflege nicht Jahrzehnte hält. Aber es könnte fruchtbar sein, über Möglichkeiten nachzudenken, wie man es besser machen könnte. Es sollte möglich sein, ein Boot zu bauen, das Feuchtigkeitsveränderungen tolerieren und ohne irgendwelche Oberflächenbehandlung unbeschädigt bleiben würde.

Oder vielleicht ist das nur unbegründeter Optimismus 

Holzboote werden auf zwei prinzipiell verschiedene Arten gebaut, Kraweel und Klinker. Die Leute neigen dazu, die Unterschiede nur in den Arbeitsweisen zu sehen, oder im Erscheinungsbild. Aber der Unterschied reicht tiefer.

Kraweel- und Klinkerbau sind zwei verschiedene Ansätze zum Bau eines Bootes, das das Quellen und Schwinden des Holzes toleriert, ohne kaputtzugehen oder Lecks zu entwickeln.

Beide Typen können so gebaut werden, daß sie von Feuchtigkeit verursachte Dimensionsänderungen tolerieren. Aber der Bootsbauer muß den prinzipiellen Unterschieden der beiden verschiedenen Techniken gerecht werden:

  • Bei einem Kraweelboot führt jede Planke ihr eigenes Leben. Es gibt eine Fuge zwischen den Planken. Die Breite der Fuge ändert sich mit der Breite der Planken, wegen Feuchtigkeitsänderungen. Es muß irgendeine flexible Abdichtung der Plankenstöße geben. Die Abdichtung muß so flexibel sein, daß sie den Spalt in seinem schmalsten und breitesten Zustand füllt.
  • Bei einem Klinkerboot bildet die gesamte Rumpfhaut ein einziges Stück, es gibt keine Spalten zwischen Planken, wie sehr die Außenhaut auch quillt oder schwindet. Die anderen Strukturen (Spanten, Steven…) müssen sich in solcher Weise biegen, daß die Rumpfhaut frei aufquellen und schrumpfen kann.

Ein Kraweelboot

Die Plankengänge und die Spalten zwischen ihnen müssen so dimensioniert werden, daß die Planken, wenn sie am stärksten aufgequollen sind, nicht gegeneinander pressen (einander quetschen), sondern die flexible Abdichtung zwischen ihnen auf ihr dünnstes Maß zusammengepreßt wird.

Jeder Plankengang kann an jedem Spant und Steven mit nur einem Befestigungselement befestigt werden. Die Planken sollten radial gesägt sein, um das Quellen und Aufwölben zu minimieren.

Wenn die Planken am schmalsten sind, wenn sie trocken sind, muß die flexible Abdichtung sich immer noch ausdehnen, um den Spalt zwischen den Planken zu füllen. Planken sollen schmal sein, um mit nur einem Befestigungselement pro Spant auszukommen, und um die Spaltveränderungen innerhalb der Elastizitätsgrenzen der Abdichtung zu halten.

Und die Befestigungselemente sollen flexibler sein als Nägel oder Nieten, um zu verhindern, daß das Holz unter dem Kopf des Befestigungselements gequetscht wird. Möglicherweise ein flexibler „Polster“ unter jeder Planke zum Spant. Boote werden in der Praxis nicht so konstruiert.

Ein Klinkerboot

Das goldene Zeitalter des Baus von Klinkerbooten im Einklang mit der Natur des Holzes war das Wikingerzeitalter, etwa um die Jahre 800 bis 1000.

Eine Menge Details von vergrabenen und gesunkenen Wikingerschiffen sind dokumentiert worden. Die Konstruktionsweisen unterscheiden sich von modernen Booten. Manche erscheinen seltsam, manche sogar fehlgeleitet.

Warum die Boote so konstruiert wurden, wie sie konstruiert waren, darüber ist erstaunlich wenig nachgedacht worden. Es scheint, daß es in der Wissenschaft der Archäologie nur üblich ist zu fragen: „was?“, aber nicht: „warum?“

Aber nachdem ich kein Archäologe bin, darf ich fragen: „warum?“ und an einer Antwort arbeiten. Hier ist eine:

Der Zweck der besonderen Konstruktionsdetails an Wikingerschiffen war zu verhindern, daß die Schiffe kaputtgingen, indem sie dem Holz das freie Quellen und Schwinden ermöglichten.

Mindestens drei besondere Konstruktionsdetails, die an Wikingerschiffen gefunden wurden, könnten mit gutem Verständnis des Feuchtigkeitsverhaltens von Holz erklärt werden:

  • Spanten, oder vielmehr deren Fehlen.
  • Die Art, wie die Rumpfplanken auf die Steven treffen.
  • Die Art, wie die Planken an den Spanten verzurrt sind.

Es sind jedoch nicht alle Details an allen Schiffen zu finden.

Spanten:

Die Spanten vieler Wikingerschiffe erstrecken sich nicht in einem Stück von Schergang zu Kiel zu Schergang. Die Spanten sind mehr wie eine Anzahl von Spantenstücken, die von einem sternförmigen Gitterwerk gestützt werden. Die Spanten der Schiffe Skuldelev 3 und Skuldelev 5 waren so konstruiert.

Das sternförmige Stützgitter (rot) besteht aus der Sitzbank, einem Bodentragbalken, zwei senkrechten Stützen dazwischen und einer einzelnen senkrechten Stütze zwischen dem Decksbalken und dem Kielspantstück (gelb).

Es gibt ein Spantenstück an jedem Punkt des Sterns. Am Sitzbankende (hellblau), an den Enden des Decksbalkens (hellgrün) und am unteren Ende der unteren senkrechten Stütze (gelb). Der Kiel (violett) ist ÜBERHAUPT NICHT am untersten Spantenstück befestigt. Die anderen Spantenstücke sind durch Laschings oder einen einzelnen Nagel und Laschings an der Beplankung befestigt. Aber die Spantenstücke sind nicht aneinander befestigt.

Die Konstruktion ist fest, soweit es den Druck gegen die Schiffsseiten betrifft. Viel fester, als es ein gewöhnlicher Spant wäre. Und doch ist sie sehr flexibel in der Richtung, in die die Schiffsbeplankung aufquillt und schrumpft. Quell- und Schwindkräften stehen nur die Biegebelastungen der Sitzbank und des Decksbalkens entgegen.

Wie die Rumpfplanken auf die Steven treffen:

Bei einem modernen Boot treffen die Rumpfplanken mehr oder weniger rechtwinklig auf die Steven. Die Enden der Planken reißen, weil die plumpe Befestigung am Steven nicht dem Quellen oder Schwinden der Planken nachgibt.

Bei einem Wikingerschiff wurden die letzten Planken nahe den Steven aus natürlich gekrümmtem Holz geschnitten. Auf diese Weise treffen die Planken mit fast paralleler Maserrichtung auf die Steven.

Steven und Planke quellen und schwinden beide in dieselbe Richtung – keine Belastung für einen der Teile.

Wie die Planken an den Spanten festgezurrt sind:

Die Planken von Wikingerschiffen waren mit Laschings aus Sehnen oder Fichtenwurzeln an den Spanten festgezurrt (Holz- und Eisennägel wurden natürlich auch verwendet).

Jeder moderne Mensch würde eine Plankenverlaschung ungefähr so ausführen: Löcher in die Planke bohren, die Lasching durch die Löcher führen, um den Spant und wieder zurück durch die Löcher.

Wie würde eine Lasching wie diese sich verhalten, wenn die Planke aufquillt? Sie sollte es der Planke ermöglichen, sich am Spant zu verschieben, damit die Planke frei aufquellen kann.

Aber die Planken quellen nicht nur in der Breite auf. Sie quellen auch in der Dicke. Was die Lasching spannt und die Struktur gerade dann versteift, wenn etwas Lockerheit gebraucht wird. Nun, sie wird locker sein, wenn die aufquellende Planke die Lasching aufreißt 

Aber die Wikinger verwendeten eine Lasching ungefähr wie diese:

Beim Zurechthauen der Planke wurden Holzklötze auf beiden Seiten jedes Spantenverlaufs stehen gelassen. Löcher für die Laschings wurden nur durch diese Klötze gebohrt, nicht durch die ganze Planke.

Eine extrem arbeitsaufwendige Struktur. Was ist der Zweck?

Wenn die Planke aufquillt, quillt der Klotz auf der Innenseite nach innen und lockert die Lasching, was der Planke ermöglicht, aufzuquellen und sich seitlich zu verschieben. Und natürlich ist es eine gute Idee, keine Löcher in seinen Bootsrumpf zu machen. Es könnte auch schön sein, eine gerissene Lasching unterwegs erneuern zu können, ohne unter das Schiff zu müssen 

Wenn Strukturen wie diese gut sind, warum sind sie aufgegeben worden? Warum überlebten sie nicht bis heute?

Ich vermute, das „schneller, mehr“ kam des Weges. Die oben beschriebenen Konstruktionen sind arbeitsaufwendig, besonders ohne Verwendung von Elektrowerkzeugen. (Warum haben die Wikinger also nicht einfach angefangen, Elektrowerkzeuge zu verwenden? )

Wikinger haben vielleicht im Mittelmeer Kraweelschiffe mit ihren durchgehenden Spanten gesehen. „Hey, so kann man mehr Schiffe schneller bauen. Mehr Schiffe, mehr Eroberungen. Laßt die alten grauköpfigen Bootsbauer ihre ‚richtigen Bauweisen’ behalten.“

Das einzige bekannte Dokument, das den Bau von Wikingerschiffen beschreibt, der Wandteppich von Bayeux, gibt einen Hinweis auf den Stand des Schiffbaus am Ende der Wikingerzeit:

Der Wandteppich beschreibt die normannischen Angriffsvorbereitungen vor der Schlacht von Hastings im Jahr 1066. Man war in großer Hast (daher der Name Hastings? ). Eine große Marine wurde schon gestern benötigt. 600 Schiffe wurden gebraucht, um 10.000 – 12.000 Männer und 2.500 Pferde über den Ärmelkanal zu tragen. Die Langlebigkeit der Schiffe war belanglos.

Boote und Bootskonstruktion sind immer verbessert worden. Aber auf Grundlage wovon? Auf der Grundlage dessen, was Vater tat. Vor dem Beginn des 20. Jahrhunderts gab es kaum so etwas wie „geschriebene Geschichte.“ Bootsbauer kannten nur die Verfahrensweisen der Zeit gerade vor ihnen, nur die Verfahrensweisen der vorherigen Generation. Niemand konnte über das hinaus zurückschauen. Noch konnte irgendjemand wissen, wie die Dinge anderswo waren.

Nun, wo die Geschichte bekannt ist, können wir ein Gedankenspiel anstellen, das nie zuvor möglich war. Wir können tausend Jahre zurückspringen und ein Konstruktionsdetail nehmen. Und anfangen, dieses Detail mit modernen Werkzeugen und Materialien zu verbessern. Wir werden sicher zu etwas völlig anderem gelangen als das, was tausend Jahre der Entwicklung von Generation zu Generation erbrachte. Möglicherweise zu etwas Besserem!

Wenn man die Strukturen eines Wikingerschiffes als Ausgangspunkt nimmt, könnte es heute möglich sein, ein hölzernes Boot zu konstruieren, das selbst bei schlechter Wartung langlebig wäre. Ein Gedankenspiel wie dieses war nie zuvor möglich. Aber spielt irgend jemand das Spiel?

Diese Jungs scheinen ein paar gespielt zu haben 

Noch einmal der „Seehengst von Glendalough“ (Bild vom Übersetzer eingefügt).

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Hinweis des Übersetzers: Wer mehr über Wikinger und ihre Zeit lesen möchte, wird hier fündig: Das Wikingererbe am Beispiel Island, Teil 1 und Teil 2 von Jeffrey L. Forgeng und William R. Short sowie Die Mythologie und Religion der Wikingerzeit von Rudolf Simek.

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Neue Kommentarpolitik auf „Morgenwacht“: Wie bereits hier unter Punkt 1 angekündigt, am Schluß dieses Kommentars wiederholt als Absicht geäußert und in diesem Kommentar endgültig festgelegt, werden neue Kommentatoren nicht mehr zugelassen und sind die Kommentarspalten nur noch für die bereits bekannte Kommentatorenrunde offen.

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