Götter, Götter, Götter: Die Macht der alten Mütter

Maria lactans (stillende Maria)

Von „bast“, aus dem Historie-Magazin „Karfunkel“ Nr. 80 Februar-März 2009 (einschließlich der Bilder, außer jenem von der Mondsichelmadonna im Bonner Münster und jenen in meinem Anhang). Dort ist der Artikel unter dem Originaltitel „Götter, Götter, Götter, Teil 4: Die Macht der alten Mütter“ erschienen; das mit „Teil 4“ habe ich weggelassen, um den irrigen Eindruck zu vermeiden, daß die Teile 1 – 3 ebenfalls hier erschienen seien. Auch habe ich den vorletzten Abschnitt dieses Artikels, „Gott oder Göttin – die Standpunkte in der theologischen Diskussion“ hier weggelassen, weil es darin fast nur um die Auseinandersetzung innerhalb der christlichen Theologie und die – von „bast“ offenbar eher distanziert gesehene – „feministische Theologie“ geht, was hier nicht das Thema sein soll (man muß auch bei Angaben zu heidnischen Göttinnen immer aufpassen, daß man nicht feministischem Unsinn aufsitzt). Mir geht es hier hauptsächlich um die Kultkontinuität alter heidnischer Vorstellungen (hier vor allem am Beispiel der Göttinnen-Trinität), die unter christlicher Herrschaft fortlebte, sowie um die daraus erkennbare europaweite Verwandtschaft dieser heidnischen Kulturelemente untereinander.

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Das Bewußtsein für die Wanderungsbewegungen der Gottesvorstellungen ist so alt wie die Welt. Denn Religionen entstehen nicht im luftleeren Raum. Der Kirchenvater Augustinus sagt: „Die Wirklichkeit, die jetzt christliche Religion genannt wird, gab es schon bei den Alten, und sie fehlte nicht von Anbeginn des Menschengeschlechts, bis Christus im Fleische erschien, von wann ab die wahre Religion, die schon da war, begann die christliche zu heißen.“ Und das heißt, daß auch in Bezug auf die weiblichen Gottesbilder, die sich in der Verehrung der vielen heidnischen Göttinnen niederschlugen, mit einer Kultkontinuität im Rahmen des Christentums zu rechnen ist.

Belege dafür gibt es viele. Da ist zum Beispiel die Stadt Ephesus, in der die Göttin Diana verehrt wurde. Gerade hier errichtete der Apostel Paulus ein Zentrum seiner missionarischen Tätigkeit. Heute ist Ephesus die Stadt, die als Sterbeort der Gottesmutter Maria gilt. Diana waren im August Rituale gewidmet, die mit dem Untertauchen der Statue im Meer die Leben spendende Fruchtbarkeitsgöttin ehrten. Die katholische Kirche feiert am 15. August die leibliche Aufnahme Marias in den Himmel, und in vielen Gegenden wird der sogenannte Frauendreißiger begangen, in dem Kräuterbusche gesammelt werden, deren heilende Kräfte sich in Aufgüssen und Räucherungen entfalten. Das Pantheon ist heute der Verehrung aller Heiligen geweiht. Die Kirche Santa Maria sopra Minerva verweist schon mit dem Namen auf den Kultort, über dem sie errichtet worden ist, und die dreigestaltige Göttin, in deren Verehrung die Menschen früherer Zeiten sich die zyklischen Abläufe des Lebens vergegenwärtigten, zeigt sich im süddeutschen Raum heute in Gestalt der drei heiligen Madl.

Drei Frauen, eine Göttin

Die Verehrung der Göttinnentrinität läßt sich in zahlreichen Religionen nachweisen, und auch dort, wo, wie bei Holle oder Perchta, eine Göttin im Zentrum des Kultes steht, sind die Aspekte der Bewältigung der Lebenszyklen deutlich erkennbar. Im keltischen Bereich verbindet sich die Vorstellung der dreigestaltigen Göttin mit dem Gedanken der Wiedergeburt. Die Eine in drei Personen konkretisiert sich z. B. in der Verehrung der Borbeth, die Heilung und Geborgenheit schenkt. Ihre Zeit ist der Neumond, ihr Symbol der Turm und ihre Wohnung die Anderswelt, in deren dunklem Schoß das neue Leben heranreifen konnte. Ihr folgt die lichte Wilbeth, deren Zeit der wachsende Mond ist. Ihr Gewand ist weiß, und als ihr Symbol trägt sie das Rad der Wiedergeburt. Die Fruchtbarkeit verkörpert Ambeth, die im Zeichen des vollen Mondes ein rotes Gewand trägt und deren Symbol die Schlange ist. Ebenso wie Demeter und Persephone oder die im Rheinland vielfach verehrten drei Matronen steht die dreigestaltige Göttin zugleich für die Lebensphasen der Jugend, der Fruchtbarkeit und des Alters. In vorgeschichtlicher Zeit finden sich Hinweise auf ihre Verehrung in Felsritzungen, die die Symbolzahl drei verwenden. Dabei treten vor allem drei Formen in Erscheinung: das Labyrinth, drei in Dreiecksform angeordnete Schälchen und drei nebeneinander verlaufende Linien.

Kultschalen treten auch einzeln auf, wie etwa im Thronsaal von Knossos auf Kreta, wo eine Schale von erheblichen Ausmaßen in den Felsboden eingearbeitet ist. Auch Fels- oder Fruchtbarkeitsrutschen wie die in Elvas in Südtirol und Kultfelsen, wie der heute Muttergottessitz genannte Stein bei Lajen in Brixen, werden mit der Verehrung der dreigestaltigen Göttin in Verbindung gebracht. Das gleiche gilt für die sogenannten Erdställe, auch Schrazllöcher genannt, die wie der Durchschlupf bei Roding in der Oberpfalz möglicherweise als alte Kultanlage dienten, in der Frauen im Durchkriechen der engen Tunnelanlage den Geburtsvorgang nachvollzogen.

Eng mit diesem Ritual verwandt ist das sogenannte Bögeln, das Durchschlüpfen durch ein natürliches oder künstliches Felsloch, das unheilvolle Einflüsse abstreifen, die Geburt erleichtern und gegen Rückenleiden helfen soll. Beispiele für solche noch begehbaren Durchschlüpfe finden sich u. a. auf dem Michelsberg in Bamberg, an der Wallfahrtskirche Marienstein bei Falkenstein in der Oberpfalz und in der Falkensteinkapelle zwischen St. Gilgen und St. Wolfgang in Österreich. Andere Durchschlüpfe sind im Laufe der Zeit stillgelegt worden. Ein Bußbuch aus dem 9. Jahrhundert verbietet den Brauch ausdrücklich. Auch Burkhard von Worms wendet sich gegen ihn. Doch die Aufnahme in Bußbücher ist häufig ein Beleg dafür, daß die inkriminierten Bräuche verbreitet waren. Dies gilt auch für die von Burkhardt kritisierte Sitte, den drei Frauen zwischen dem 21. Dezember und dem 6. Januar Speisen zu bereiten, damit sie ihre Häuser segneten.

Die Bethen oder das christliche Gewand der Göttin

In der christlichen Tradition findet sich als Pendant der dreigestaltigen Göttin die Verehrung der sogenannten drei Bethen. Ihr Name leitet sich etymologisch von bed oder beth ab. Mit seinem Bedeutungsfundus verbinden sich die Elemente Fruchtbarkeit, Erneuerung, Haus, Erdgrube und Erdmutter.

Zu ihrer konstanten Dreiheit gesellte sich eine Vielzahl von Namen. So nannte man Borbeth auch Cubet, Gberbet, Gwerbet, Guere, Gwer, Gwerget oder Warbede. Ihre Kultfarbe schwarz steht an manchen Orten in einer Kultkontinuität mit den sogenannten schwarzen Madonnen, die in Tschenstochau, Loreto, Montserrat, Montserrat, Brno, Einsiedeln, Altötting oder Telgte verehrt werden.

Schwarze Madonna

Wilbeth heißt auch Bilbeth, Svilbeth, Firbeth, Fürbeth, Worbeth oder Bilmes. Ihr Radsymbol steht sowohl für die Sonne als auch für die zyklischen Kräfte des Mondes und die Kraft visionärer Wahrnehmung. Das englische Wort wheel für Rad hat gemeinsame Wurzeln mit dem keltischen Wortstamm für Seher, die man Veles oder Fili nannte.

Ambeth, Ampet, Aubet, Anbede, Ainbeth oder Enbede führt neben der Schlange auch den Kessel der Fülle mit sich, der auch als Kelch dargestellt sein kann. In Süddeutschland findet sich die Ikonografie der drei Bethen in der Verehrung der drei heiligen Madl Barbara, Catharina und Margareta wieder, deren Kürzel bemerkenswerterweise mit denen der drei weisen Könige Caspar, Melchior und Balthasar identisch sind. Barbara trägt als Symbole den Turm, häufig auch den Kelch. Catharinas Zeichen ist das Rad, Margareta wird von einem Drachen begleitet, in dem sich die Schlange der Ambeth verbirgt. Auch das Schwert als Zeichen geistiger Schärfe und Energie wird häufig zusammen mit Margareta abgebildet.

Neben der Bethen-Verehrung gibt es verschiedene Formen der Inkulturation religionsgeschichtlich älterer Göttinnenvorstellungen in die christliche Heiligenverehrung. Eine dieser Varianten ist die Umdeutung der Bethen in die heiligen Fides (Glaube), Spes (Hoffnung) und Caritas (Liebe), die ihrerseits mit der im römischen Götterhimmel üblichen Personifikation der Tugenden in Verbindung steht. Eine frühe Verehrung der drei ist aus der Kirche von Swisterberg in Weilerswist überliefert. Hier setzt die Tradition bereits im 12. Jahrhundert ein. Die meisten Fides-Spes-Caritas-Altäre finden sich heute jedoch in Kirchen, die im 16. Jahrhundert oder später gegründet worden sind. Daß ihre Verehrung kirchlich gefördert wurde, läßt sich nicht zuletzt daraus ersehen, daß der Kölner Erzbischof Fides, Spes und Caritas in seinem Sigel trug. Pistis, Elpis und Agape sind das griechischsprachige ostkirchliche Pendant der drei Tugenden. Sie gelten als Töchter der heiligen Weisheit, der Hagia Sophia, deren Legende Hroswith von Gandersheim um 950 bei den Klosterfrauen erfolgreich verbreitete und die zugleich eine wesentliche Rolle in der jüdischen Mystik spielte.

Frauenaltar der Hospitalkirche in Hof. Die Figur links hält wieder ein Schwert, soll also anscheinend Margarete/Ambeth darstellen, der Kelch der rechten deutet auf Barbara/Borbeth hin

Auch in Darstellungen der Gottesmutter Maria finden sich ikonographische Elemente, die auf eine Kultkontinuität der Bethenverehrung hinweisen. Die auf einer Mondsichel stehende Madonna des Bonner Münsters trägt beispielsweise ein rotes Kleid, einen schwarzen Mantel und einen weißen Schleier und greift so die Farbensymbolik des Bethenkultes auf. Auch die Verehrung der drei Marien, womit die Gottesmutter, Maria Magdalena und die sogenannte andere Maria gemeint sind, trägt einige Züge des Kultes der dreigestaltigen Göttin.

Die Mondsichel-Madonna am Vierungspfeiler im Hauptschiff des Bonner Münsters (Bild nicht aus dem Karfunkel-Artikel)

Ebenfalls in enger Verbindung mit der Gottesmutter und zugleich Trägerinnen der Symbole der dreigestaltigen Göttinnen sind vielfach die Darstellungen der Anna Selbdritt gemeinsam mit ihrem Enkel Jesus und ihrer Tochter Maria. Sie verweisen zugleich auf ältere Bildformen, auf denen Demeter, Persephone und deren Sohn zu sehen sind. Auch sie tragen, wie beispielsweise in Andechs, die Farben schwarz, weiß und rot.

Im keltischen Kulturkreis gingen einzelne Elemente des Kultes der dreigestaltigen Göttin in die Verehrung der heiligen Brigid über. Sie galt in ihrem Kloster in Kildare als Hüterin des Feuers, der Quellen und der vier Elemente. In Deutschland wurden einige Bethenkulte später der Notburgaverehrung gewidmet, zu deren Legendenfundus eine heilkundige Schlange zählt, die Kräuter in ihre Wunde bettet. Auch die Hirschkuh, Symboltier der keltischen Göttinnentradition wie auch der Diana-Artemis, hat in der Notburga-Legende eine neue Heimat gefunden. Das Ochsengespann, das ihren Wagen zieht, erinnert dagegen mehr an den Kult der Göttin Nerthus.

Neuer Wohnsitz: Märchenwald

Viele Geschichten über die alten Göttinnen sind heute im Gewand der Märchen überliefert, die häufig die Nachfolge frühgeschichtlicher Mythen angetreten haben. Ob es sich um die Sagen über die saligen Fräulein, die Weihnachtshexe Befana, die drei Jungfrauen oder Frau Holle handelt – die Märchen verweisen in mehr oder weniger deutlicher Weise auf Frömmigkeitsformen hin, die in früherer Zeiten Kultcharakter gehabt haben. Um ihre Symbolik zu entschlüsseln, bedarf es einer archäologisch anmutenden Kleinarbeit. Doch die Mühe verspricht Gewinn. Denn wenn man weiß, daß beispielsweise der Begriff salig nicht nur etwas mit heil, gesund und unverletzt zu tu hat, sondern auch die Wortwurzel für Salz, Salbei, Salbe oder Seele ist, bekommen die Märchen eine tiefere Dimension.

Manche dieser Geschichten sind erzählerisch überformt und verändert worden, weil sie den Sammlern, wie den Brüdern Grimm, allzu heidnisch erschienen oder der Verweis auf magische Fruchtbarkeitsrituale überdeutlich war. Dennoch bilden die Märchen eine Fundgrube für Symbole und Motive, die vorchristliche Gottesvorstellungen – wenn auch in verschleierter Form – bewahrt haben.

* * * Ende des Karfunkel-Artikels von „bast“ * * *

Ergänzender Anhang von Lichtschwert (alias Lucifex alias Deep Roots):

Daß Augustinus behauptet, die alten heidnischen Religionen seien auch schon eine Art Christentum gewesen, ist natürlich Kirchenpropaganda und ähnelt Mohammeds Behauptung, die Urreligion sei der Islam gewesen und wäre nur durch die Juden und Christen verfälscht worden. Für mich sieht es eher so aus, daß das Christentum auf vorhandene heidnische Kulturelemente – Feste, Symbole und Gottheiten – draufgepfropft worden ist, um es für die Europäer akzeptabler zu machen und das Heidentum zu verdrängen. Ein Beispiel dafür scheinen die Heiligen Drei Könige zu sein (von denen einer sogar schwarz ist), deren Festtag man auf den 6. Januar gesetzt hat, um die Bethen bzw. die Perchtl zu verdrängen. Waltraud Ferrari schreibt in ihrem Buch Alte Bräuche neu erleben – Fest- und Alltag im Rhythmus der Jahreszeiten:

Die Heiligen Drei Könige – 6. Jänner

Heute kennt man das Sternsingen, bei dem oft Jugendliche als Caspar, Melchior und Balthasar als Verkörperung der Weisen aus dem Morgenland unterwegs sind und für internationale Hilfsprojekte sammeln. Früher war dies ein Heischegang, der seit dem 16. Jahrhundert bekannt ist, wobei man damals die Gaben für sich selbst sammelte.

Ein weit älterer, ebenfalls einer Dreiheit gewidmeter Brauch, der ursprünglich in der Nacht vom 5. auf den 6. Jänner gepflegt wurde, war der Besuch von drei weiblichen Perchteln. Die eine erschien ganz in Weiß, eine ganz in Rot und die dritte ganz in Schwarz, wobei überlange Haare die Gesichter bedeckten. Im steirischen Ennstal erschienen seinerzeit diese drei Perchteln abends in den Stuben, mit kleinen Besen, Bürsten oder Putzlappen versehen, um zu prüfen, ob alles sauber war. Vielleicht ein Hinweis auf die uralte weibliche Dreifaltigkeit, die drei Bethen. Mancherorts hieß es, C+M+B stehe eigentlich für C(K)atharina, Margaretha und Barbara. Der volkstümliche Merkspruch dafür lautete: „Catl Machs Bett.“

In den italienischsprachigen Familien in Südtirol und im Trentino kommt am 6. Jänner die Befana, die gute Fee in Gestalt einer alten Frau, die den Kindern Geschenke bringt.

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Hier haben wir also wieder die drei Farben Weiß, Rot und Schwarz, die auch in der traditionellen Beschreibung von Schneewittchen im Märchen vorkommt: Haut weiß wie Schnee, Lippen rot wie Blut und Haar schwarz wie Ebenholz. Ich vermute auch, daß das Wort Perchtl oder auch Berchtl sich nicht vom althochdeutschen peraht (für strahlend, hell, glänzend) ableitet, wie es meist heißt (die Perchtl heißt ja gerade weiter im Norden Holda oder Holle), sondern von Bethen, mundartlich Beachtln. Waltraud Ferrari über die Perchten:

Perchten

Das Wort Percht leitet sich von peraht (althochdeutsch strahlend, hell, glänzend) ab.

In einer Vielzahl unterschiedlicher Perchten werden die wichtigsten Prinzipien der Naturkräfte verkörpert: Fruchtbarkeit, Segen und Wohlwollen in den Schönperchten, die oft in der jeweiligen Landestracht erscheinen und meist prächtige Masken, einige mit riesigem Kopfputz, tragen. In den Schiachperchten, die häufig Elemente von Bär, Eber und Bock aufweisen, sind Zeugungskraft und Wildheit verkörpert, aber auch Übel, Tod und Zerstörung beziehungsweise die Abwehr dagegen. Sie alle gehören einem Geistervolk an, das unter der Führung der Frau Perchta/Berchta steht. Ursprünglich ist sie eine lichte, strahlende Gestalt, die Segen ins Haus trägt, Gutes belohnt und Gaben bringt, während sie Übles ahndet.

Die Perchta des alpinen Raumes heißt weiter im Norden Holda oder Holle, und als Frau Holle kennen wir sie im Märchen, wo sie ebenfalls belohnt und bestraft und den Winter bringt. Je nach Gegend trägt sie noch andere Namen. Im Burgenland und in der Oststeiermark kennt man sie als Pudlmuatta, im Tirolerischen als Stampa oder Sempermuatta, in Kärnten und Slowenien als Bechtrababa, in Südtirol und Oberitalien als Befana (deren Tag aber der 6. Jänner ist). Viele Sagen berichten von ihr und ihrem Geisterheer. Diesem Heer gehören die Unterirdischen und die Elbischen an, die manchmal auch das selige Volk genannt werden. Erst als das alte Wissen um diese Gestalten verloren ging, hieß es, in ihrem Gefolge zögen in den Winterstürmen die ungetauften Kinder und unerlösten Seelen greinend und jammernd über Land. Aus dem seligen Volk hatte man ein furchterregendes, dämonisches Totenheer gemacht, während der segensbringende Aspekt fast vergessen wurde.

In den Rauhnächten, die auch „Perchtl“- oder „Perchtennächte“ genannt werden, sollte Frau Perchta mit ihrem Gefolge ins Haus kommen und Segen bringen. Laut Überlieferung mussten Stube und Herd sauber sein, wenn die Perchtl das Haus besuchte. Der Herd als Sitz der Flamme war stets auch Sinnbild des Seelenfeuers. Und dieses Seelenfeuer galt es, rein zu halten, zum Beispiel durch Tugenden wie Hilfsbereitschaft, Fleiß, Mitgefühl oder Großzügigkeit. Wer dies vernachlässigte, wurde von der Percht bestraft, so berichten es viele Sagen.

Es war üblich, Speisen für Frau Perchta und ihr Gefolge auf den Stubentisch zu stellen, zum Beispiel eine Schale Milch oder drei Brote, in der Steiermark auch den Perchtelsterz. Auf dem Tellerrand wurden Löffel angelehnt, und wenn am nächsten Tag einer der Löffel heruntergefallen oder verrückt war, wusste man, die Gabe war angenommen worden. Dies galt als glückbringendes Zeichen.

Im Schweizerischen Wallis hieß es, man müsse in dieser Zeit Kerzen an den Gräbern der Toten anzünden, sonst würden sie die Häuser heimsuchen, in denen sie früher gelebt hatten.

Ein wichtiger Aspekt dieser Geschichten besteht im Prinzip der „Abrechnung“, was als „Bestrafung“ oder „Belohnung“ dargestellt wird. Nach alteuropäischer Überlieferung gehörten dem Geistervolk auch jene Mächte an, die den Ausgleich des Schicksals herbeiführten. Man sollte erkennen, wo man selbst etwas verursacht hatte, das Glück oder Unglück nach sich zog. Zugleich erfolgte der Hinweis, dass das Heilige nicht durch simple Neugier entweiht werden solle, denn die höhere Macht könne am besten dann wirken, wenn der Mensch respektvoll beiseite tritt und die Dinge geschehen lässt.

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Auffallend ist, daß zwar die Verehrung weiblicher heidnischer Gottheiten in christlicher Zeit unter der Tarnung verschiedener Formen von Marienverehrung in teils bis heute erhaltenes europäisches Brauchtum eingegangen ist, auch wenn dieser heidnische Hintergrund den meisten nicht mehr bewußt ist, dagegen aber männliche heidnische Gottheiten im heutigen Brauchtum fast völlig verdrängt sind, wenn man davon absieht, daß der originale Weihnachtsmann wohl Odin gewesen ist. Teils wird das auch an einer buchstäblichen christlichen Ver-Teufelung von Merkmalen männlicher heidnischer Götter und mythologischer Wesen liegen, zum Beispiel von Hörnern, Geweihen und Hufen, wie sie etwa der keltische Gott Cernunnos hatte:

„Council of Cernunnos“ von Emily Balivet

Dies betrifft auch Faune sowie die vor Thors Wagen gespannten Ziegenböcke. Wer verbindet mit Bockshörnern, Bockshufen und Bocksaugen nicht Teuflisches? Und diese Assoziation mit dem Bösen wird seit der Neuzeit auch in den Augen von NWO-Gegnern dadurch weiter bestärkt, daß die Freimaurer und die Satanisten diese Symbolik für sich übernommen haben.

Lassen wir uns aber davon nicht beirren und bemühen wir uns weiter darum, unsere heidnischen Wurzeln wiederzuentdecken, um herauszufinden, was sie heute noch für uns bedeuten können, und um auf dieser Grundlage zu einer den heutigen Umständen entsprechenden, für uns natürlichen Spiritualität und Lebenshaltung zu finden.

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Weiterer Lesestoff:

Imbolc: Das Fest zum Beginn der hellen Jahreshälfte

Beltane / Walpurgisnacht

Holunder: Früchte vom Baum der Seelen

Volkssaagen aus Österreich: Die Perchtl

Volkssagen aus Österreich: Rauhnächte

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Neue Kommentarpolitik auf „Morgenwacht“: Wie bereits hier unter Punkt 1 angekündigt, am Schluß dieses Kommentars wiederholt als Absicht geäußert und in diesem Kommentar endgültig festgelegt, werden neue Kommentatoren nicht mehr zugelassen und sind die Kommentarspalten nur noch für die bereits bekannte Kommentatorenrunde offen.

Ein Kommentar

  1. Auch in Tizians Bild Mariä Himmelfahrt ist die Farbenkombination Schwarz-weiß-rot enthalten: Maria steht in einem roten Kleid und einem schwarzen Mantel auf einer weißen Wolke.

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