Das geborstene Schwert (5): Tyrfing

„Incoming Sea at Rainbow Cleft“ von Ted Nasmith

Dies ist Poul Andersons allererster Roman, der 1954 erstmals veröffentlicht wurde und hier in der von ihm 1971 überarbeiteten Fassung, in der 1987 erschienenen deutschen Übersetzung von Rosemarie Hundertmarck vorliegt. Siehe dazu „Der Zauber des Nordens“: Einleitungen zu „Das geborstene Schwert“!

Zuvor erschienen:

Das geborstene Schwert (1): Skaflocs Geburt und Jugend
Das geborstene Schwert (2): Valgard
Das geborstene Schwert (3): Nach Trollheim
Das geborstene Schwert (4): Schwerttanz

XVIII

Skafloc und Frida suchten Unterschlupf in einer Höhle. Es war ein tiefes Loch in einer Klippe, die vom Meeresufer zurückfiel, ein gutes Stück nördlich von den Elfenhügeln. Dahinter lag ein im Frost erstarrter Wald, der nach Süden dichter wurde und im Norden in Moor und Hochland überging. Dunkel und öde war das Land, unbevölkert von Menschen oder Bewohnern des Feenreichs, und daher war der Ort so gut wie kein anderer zur Fortführung des Krieges geeignet.

Sie konnten nur wenige Magie benutzen, weil die Trolle sie sonst entdeckt hätten, aber Skafloc hatte Erfolg bei der Jagd, die er in Gestalt eines Wolfes, eines Otters oder eines Adlers unternahm, und er verwandelte Meerwasser in Bier. Bloß am Leben zu bleiben, war in dieser winterlichen Welt schon schwere Arbeit, und es war der härteste Winter, an den England sich seit der Eiszeit erinnerte. So war Skafloc die meiste Zeit des Tages auf der Suche nach Wild.

Feucht und kalt war die Höhle. Der Wind fing sich in ihrer Öffnung, und am Fuß der Klippe schäumte die Brandung. Aber als Skafloc von seiner ersten langen Jagd zurückkam, dachte er im ersten Augenblick, er sei an einen falschen Ort geraten.

Ein Feuer prasselte lustig auf einem Herdstein, und der Rauch wurde durch ein Rohr hinausgeleitet, das aus Zweigen und rohen Häuten hergestellt war. Andere Häute hielten die Kälte von Fußboden und Wänden ab, und eine hing vor der Öffnung und schützte den Innenraum vor dem Wind. Die Pferde waren im Hintergrund angepflockt und kauten das Heu, das Skafloc mit einem Zauberspruch aus Seetang hergestellt hatte, und die wenigen Waffen waren blankgeputzt und in einer Reihe aufgehängt, als sei dies eine Festhalle. Und hinter jeder Waffe steckte ein Sträußchen von roten Winterbeeren.

Frida saß vor dem Feuer und drehte ein Stück Fleisch an einem Spieß. Skafloc blieb wie gespannt stehen. Sein Herz setzte aus bei ihrem Anblick. Sie trug nur ein kurzes Hemd, und ihr schlanker, langbeiniger Körper mit den sanften Rundungen von Schenkeln und Taille und Brüsten wirkte im Feuerschein, als werde sie gleich wie ein Vogel entfliehen.

Sie sah ihn, und in dem geröteten, vom Rauch befleckten Gesicht unter dem verwirrten bronzefarbenen Haar leuchteten die großen grauen Augen froh auf. Wortlos sprang sie ihm in ihrer lieben, kindlichen Art entgegen, und für eine Weile hielten sie sich fest umschlungen.

Erstaunt fragte er: „Wie hast du denn das alles geschafft, mein Liebstes?“

Sie lachte leise.

„Ich bin kein Bär und auch kein Mann, daß ich mir einen Blätterhaufen zusammenscharre und das für den Winter meine Wohnung nenne. Einige dieser Häute hatten wir schon, und der Rest stammt von Tieren, die ich selbst erlegt habe. Oh, ich bin eine gute Hausfrau.“ Erschauernd drückte sie sich an ihn. „Du warst so lange weg, und die Tage waren so leer. Ich mußte mir irgendwie die Zeit vertreiben und mich genug beschäftigen, daß ich nachts schlafen konnte.“

Er streichelte sie mit bebenden Händen. „Dies ist keine Stätte für dich. Hart und gefährlich ist das Leben der Flüchtlinge. Ich sollte dich auf einen menschlichen Hof bringen. Dort könntest du unseren Sieg abwarten oder unsere Niederlage vergessen.“

„Nein – nein, das wirst du niemals tun!“ Sie faßte seine Ohren und zog seinen Kopf herab, bis sein Mund auf dem ihren lag. Dann stieß sie halb lachend, halb schluchzend hervor: „Ich habe gesagt, ich werde dich nicht verlassen. Nein, Skafloc, so leicht wirst du mich nicht los.“

„Um die Wahrheit zu sagen“, gestand er eine Weile später, „ich wüßte nicht, was ich ohne dich tun sollte. Es gäbe nichts mehr, was mir der Mühe wert schiene.“

„Dann verlaß mich nie, niemals wieder.“

„Ich muß doch auf die Jagd gehen, Geliebte.“

„Ich werde mit dir jagen.“ Sie wies auf die Häute und das bratende Fleisch. „Ich bin darin gar nicht so ungeschickt.“

„In anderen Dingen auch nicht“, lachte er. Doch gleich wurde er wieder ernst: „Es ist nicht nur Wild, das ich beschleiche, Frida. Auch Trolle jage ich.“

„Und diese Jagd will ich ebenso mitmachen.“ Das Gesicht des Mädchens wurde hart wie sein eigenes. „Glaubst du, ich hätte keine Rache zu nehmen?“

Er hob stolz den Kopf, und dann beugte er ihn wieder, um sie von neuem zu küssen, wie ein Fischadler, der auf seine Beute niederfährt. „Dann sei es so! Orm, der Krieger, würde Freude an einer solchen Tochter haben.“

Ihre Finger zogen die Linien seiner Wangenknochen und Kiefer nach. „Weißt du nicht, wer dein Vater war?“ fragte sie.

„Nein.“ Tyrs Worte fielen ihm wieder ein und schafften ihm Unbehagen. „Ich habe nie etwas darüber gehört.“

„Das macht nichts“, lächelte sie, „aber auch er könnte stolz auf dich sein. Ich glaube, Orm der Starke hätte all seinen Reichtum für einen Sohn wie dich hingegeben – nicht etwa, daß Ketil und Asmund Schwächlinge gewesen wären. Und da er dich nicht zum Sohn haben kann, muß er sich freuen, wenn er sieht, daß du der Mann seiner Tochter geworden bist.“

Als der Winter weiter fortschritt, wurde das Leben noch härter. Der Hunger war ein häufiger Gast in der Höhle, und die Kälte kroch durch die Felltür und in das Feuer, bis Skafloc und Frida sich nur noch erwärmen konnten, wenn sie sich unter Bärenfellen aneinanderdrängten. Tagelang ritten sie auf den schnellen Elfenpferden, die nicht in den Schnee einsanken, durch die weiße Leere und suchten nach Wild.

Hin und wieder kamen sie an den geschwärzten Trümmern einer Elfenbehausung vorbei. Dann wurde Skafloc bleich und sprach viele Stunden lang nicht. Gelegentlich tauchte auch ein halb verhungerter, in Lumpen gekleideter Elf auf, aber Skafloc machte keinen Versuch, eine Bande zu bilden. Das würde nur die Aufmerksamkeit des Feindes auf sich ziehen, ohne daß sie schon imstande wären, sich ihm zu stellen. Konnten sie Hilfe von außen bekommen, dann mochte es einen Sinn haben, sich zu sammeln.

Immerfort hielt er nach Trollen Ausschau. Wenn er eine Spur fand, trieben er und Frida ihre Pferde zu wildem Galopp an. Handelte es sich um eine große Schar, schossen sie aus der Ferne mit Pfeilen, wendeten die Pferde und rasten davon. Oder Skafloc wartete das Tageslicht ab, kroch in den Unterschlupf, den sich die Trolle zum Schlafen gesucht hatten, und schnitt ihnen die Kehlen durch. Waren es aber nicht mehr als zwei oder drei, griff er sie mit seinem Schwert an, dessen Sausen zusammen mit dem Zischen von Fridas Pfeilen der letzte Laut war, den sie hörten.

Gnadenlos war diese Jagd auf beiden Seiten. Oft verbargen sie sich in einer Höhle oder hinter einem umgestürzten Baum, während eine Schar von Trollen dicht an ihnen vorbeizog. Ihre Spuren verdeckte ein durch zauberkräftige Runen hergestellter dünner Schleier. Aber einem unmittelbar darauf gerichteten Blick hätte er nicht standgehalten. Pfeile und Speere und Schleudersteine zischten ihnen nach, wenn sie, nachdem sie zwei oder drei der Gesellschaft erschossen hatten, die Flucht ergriffen. Von ihrer Wohnhöhle aus sahen sie die Langschiffe der Trolle vorbeirudern, nahe genug, daß sie die Nägel auf den Schilden der Krieger zählen konnten.

Und es war kalt, kalt.

Aber bei diesem Leben fanden sie erst wirklich zueinander. Sie lernten, daß die körperliche Liebe nicht die wichtigste Bedeutung für ihre Gemeinsamkeit hatte. Skafloc fragte sich, wie er den Mut aufgebracht hatte, an einen Kampf ohne Frida zu denken. Viele Trolle waren an ihren Pfeilen gestorben, und noch mehr durch ihre kühnen Pläne zu Hinterhalten. Und die Küsse, die sie ihm in den kostbaren Augenblicken des Friedens gab, waren es, die ihn zu seinen eigenen Taten anspornten, und die Hilfe und der Trost, die sie zu jeder Stunde für ihn bereit hatte, hielten seine Stärke aufrecht.

Und für sie war er der größte und tapferste und mutigste aller Männer, ihr Schwert und ihr Schild, ihr Liebhaber und ihr Eidbruder.

Vor sich selbst gestand sie sich sogar – und sie fühlte sich ein wenig schuldig, weil sie sich nicht sehr schuldig fühlte -, daß sie ihren Glauben nicht sehr vermißte. Skafloc hatte ihr erklärt, Worte und Zeichen ihrer Religion würden den Zauber, den er brauche, stören. Sie ihrerseits kam zu dem Schluß, es sei gotteslästerlich, sie allein zu ihrem Nutzen in einem Krieg zwischen zwei seelenlosen Stämmen einzusetzen. Es mochte besser, vielleicht sogar sicherer sein, Gebete ungesprochen zu lassen. Was den Krieg betraf, so war es der ihre, weil es Skaflocs Krieg war. Eines Tages, nachdem er gewonnen war, würde sie ihn dazu bringen, einem Priester zuzuhören, und sicher würde Gott einem solchen Mann wie ihm den Glauben nicht vorenthalten.

Hart war das Leben der Flüchtlinge, aber ihre Sinne wurden schärfer, ihre Sehnen stärker, und ihre Ausdauer wuchs. Der Wind peitschte ihr das Blut durch die Adern, bis es sang, die Sterne liehen ihren Augen ihre Helligkeit. In der ständigen Gefahr lernte sie jeden Augenblick des Lebens auszukosten.

Seltsam, dachte sie, auch wenn wir unter Hunger und Kälte und Angst leiden, hat es noch nie harte Worte zwischen uns gegeben. Sie dachten und handelten wie ein Mensch, als seien sie mit der gleichen Gußform hergestellt worden. Die einzigen Unterschiede, die es zwischen ihnen gab, waren die, die das Verlangen des anderen erfüllten.

„Ich habe mich einmal vor Imric gerühmt, ich hätte nie Furcht oder Niederlage oder Liebesweh kennengelernt“, sagte Skafloc.

Sie befanden sich in der Höhle, er hatte den Kopf in ihren Schoß gelegt und ließ sie sein windzerzaustes Haar kämmen. „Er antwortete, das seien die drei äußersten Grenzen des menschlichen Lebens. Damals verstand ich ihn nicht. Jetzt erkenne ich, daß er weise war.“

„Woher konnte er es denn wissen?“ fragte sie.

„Ich weiß es nicht, denn die Elfen erleben die Niederlage nur manchmal, die Furcht selten und die Liebe nie. Aber seit ich dich gefunden habe, meine Liebste, habe ich alle drei in mir selbst entdeckt. Ich war dabei, mehr Elf als Mensch zu werden. Du machst mich wieder zum Menschen, und das Elfentum in mir verblaßt.“

„Und mir ist, als sei etwas von diesen elfischen Eigenschaften in mein Blut gekommen. Ich fürchte, daß ich immer weniger daran denke, was recht und heilig ist, und immer mehr an das – was nützlich und unangenehm ist. Meine Sünden wachsen…“

Skafloc zog ihren Kopf zu sich herunter. „Daran tust du gut. Das Gerede über Pflicht und Gesetz und Sünde bringt nichts Gutes.“

„Du lästerst…“ begann sie. Er unterbrach sie mit einem Kuß. Sie versuchte, sich loszureißen, und es endete mit einem unter Gelächter geführten Ringkampf. Als sie damit fertig waren, hatte Frida ihre unheilvollen Ahnungen vergessen.

Nachdem die Trolle das Elfenland zu ihrer Zufriedenheit verwüstet hatten, zogen sie sich in ihre Festungen zurück und wagten sich nur noch in Trupps hinaus, die für einen Angriff zu groß waren. Skafloc, der durch die Jagd auf Rotwild für einen reichlichen Vorrat an gefrorenem Fleisch gesorgt hatte, wurde durch den Müßiggang mißmutig. Sein munteres Geplauder verstummte, und er konnte tagelang in verdrossenem Schweigen in der Höhle hocken.

Frida versuchte ihn aufzuheitern. „Jetzt ist die Gefahr nicht mehr so groß“, sagte sie.

„Was soll das nützen, wenn wir nicht kämpfen können?“ gab er zurück. „Wir warten nur noch auf das Ende. Alfheim stirbt. Bald wird jedes Land im Feenreich den Trollen gehören. Und ich – ich sitze hier herum!“

An einem anderen Tag ging er hinaus und sah einen Raben unter dem niedrigen Himmel die Flügel schlagen. Zu Skaflocs Füßen fuhr das Meer auf die Felsen los, rauschte und zog sich donnernd zu einem neuen Anlauf zurück, und da, wo die Gischt hängenblieb, gefror sie.

„Was gibt es Neues?“ rief Skafloc in der Rabensprache. Natürlich sprachen weder er noch der Rabe in den angegebenen Worten, denn die Sprache der Tiere und Vögel ist von anderer Art als die der Menschen, aber die Bedeutung war ungefähr diese.

„Ich komme aus dem Süden jenseits des Kanals und will meine Verwandten holen“, antwortete der Rabe. „Valland und Wendland sind von den Trollen erobert, Schonen steht kurz davor, und die Armeen des Erlkönigs weichen immer weiter auf seine mittleren Gebiete zurück. Gut ist der Schmaus, aber die Raben müssen sich beeilen, dorthin zu kommen. Denn der Krieg kann nicht mehr viel länger dauern…“

Bei diesen Worten stieg in Skafloc ein solcher Zorn auf, daß er einen Pfeil auf die Sehne legte und den Vogel erschoß. Als er jedoch tot zu seinen Füßen lag, verrauchte seine Wut und ließ eine Leere zurück, die sich langsam mit Kummer füllte.

„Es war eine böse Tat, dich zu töten, Bruder“, sprach er leise. „Du hast niemandem etwas zuleide getan, du tust eher etwas Gutes, indem du die stinkenden Überreste der Vergangenheit von dieser Welt wegräumst. Freundlich warst du und hilflos, und doch habe ich dich erschlagen, und meine Feinde lasse ich in Frieden sitzen.“

Er kehrte in die Höhle zurück, und auf einmal weinte er. Das Schluchzen zerriß ihm beinahe die Rippen. Frida hielt ihn in ihren Armen und murmelte ihm Trost zu wie einem Kind, und er weinte sich an ihrer Brust aus.

In dieser Nacht konnte er nicht schlafen. „Alfheim fällt“, sprach er vor sich hin. „Ehe der Schnee schmilzt, wird Alfheim nur noch eine Erinnerung sein. Nichts bleibt mir mehr, als gegen die Trolle zu reiten und so viele wie möglich mit in den Tod zu nehmen.“

„Sag das nicht“, antwortete Frida. „Es wäre Verrat an dir selbst – und an mir. Besser und tapferer ist es, zu leben und zu kämpfen.“

„Mit was zu kämpfen?“ fragte er bitter. „Die Elfenschiffe sind gesunken oder verstreut, die Krieger tot, in Ketten gelegt oder gejagt wie wir. Der Wind, der Schnee und die Wölfe hausen in den Burgen, und der Feind sitzt auf dem Hochsitz unserer Vornehmen. Allein sind die Elfen, nackt, verhungernd, waffenlos…“

Sie küßte ihn. Als sei es ein niederzuckender Blitz, erschien vor seinen Augen ein schimmerndes Schwert.

Frida fühlte, daß sein Körper steif wurde wie eine Eisenstange, und doch zitterte er, als werde diese Eisenstange von Hämmern geschlagen. Dann keuchte er in die Dunkelheit: „Das Schwert – das Namensgeschenk der Asen – aye, das Schwert…“

Namenlose Furcht erfüllte sie. „Was meinst du? Was ist das für ein Schwert?“

Er flüsterte es ihr ins Ohr, wie sie da eng aneinandergedrängt in Dunkelheit und Kälte lagen, als fürchte er, es könne sie jemand belauschen. Er erzählte, wie Skirnir das geborstene Schwert gebracht, wie Imric es in einer Wand der Verliese von Elfenhöhe versteckt und wie Tyr ihn gewarnt hatte, der Tag sei nahe, an dem er es brauchen werde.

Er fühlte, wie sie in seinen Armen zitterte, sie, die bewaffnete Trolle gejagt hatte. Mit erstickter Stimme sagte sie: „Das gefällt mir nicht, Skafloc. Es ist keine gute Sache.“

„Nicht gut?“ rief er. „Es ist die letzte große Hoffnung, die wir noch haben! Odin, der die Zukunft kennt, muß diesen Tag von Alfheims Not vorausgesehen – muß uns aus diesem Grund das Schwert gegeben haben. Waffenlos? Ha, wir werden ihnen das Gegenteil beweisen!“

„Es ist falsch, heidnische Dinge zu benutzen, besonders dann, wenn die Heidengötter sie bringen“, flehte sie. „Übles wird daraus entstehen. Oh, mein Liebster, vergiß das Schwert!“

„Es ist wahr, die Götter verfolgen damit zweifellos eigene Ziele“, räumte er ein, „aber diese Ziele brauchen nicht unbedingt den unseren entgegengesetzt zu sein. Ich stelle mir das Feenreich als ein Schachbrett vor, auf dem die Asen und Jötunen Elfen und Trolle hin- und herschieben. Das Spiel geht über unser Begreifen. Doch der kluge Schachspieler gibt acht auf seine Steine.“

„Aber das Schwert ist in Elfenhöhe versteckt.“

„Ich werde irgendwie hineingelangen. Mir kommt da bereits ein Gedanke.“

„Das Schwert ist geborsten. Wie willst du – wollen wir den Riesen finden, von dem gesagt wurde, er könne die Klinge heilen? Wie können wir ihn dazu bringen, es zu tun, wenn du die Waffe gegen seine Verwandten, die Trolle, benutzen willst?“

„Es wird sich ein Weg finden.“ Skafloc sprach mit eiserner Entschlossenheit. „Schon jetzt weiß ich ein Mittel, das Wie herauszufinden, mag es auch gefährlich sein. Ja, wir können versagen, aber das Geschenk der Götter ist unsere letzte Hoffnung.“

„Das Geschenk der Götter!“ Jetzt begann Frida zu weinen. „Ich sage dir, nichts als Leid kann daraus erwachsen. Ich fühle es in mir, kalt und schwer. Wenn du auf diese Suche gehst, Skafloc, sind unsere gemeinsamen Tage gezählt.“

„Willst du mich deswegen verlassen?“ fragte er entgeistert.

„Nein – o nein, mein Liebster…“ Sie klammerte sich an ihn. „Es ist nur, daß ich in meiner Seele fühle…“

Er zog sie enger an sich. Wild küßte er sie, bis sich ihr der Kopf drehte, und er lachte und war fröhlich. Schließlich blieb ihr nichts anderes übrig, als die angstvollen Gedanken zu verbannen, denn sie waren Skaflocs Frau unwürdig.

Aber in ihrer Liebe lag ein Schmerz, der vorher nicht dagewesen war. Ganz tief in ihrem Inneren fühlte sie, daß sie nicht mehr so oft zusammen sein würden.

XIX

Ein paar Stunden, bevor die nächste Nacht zu Ende ging, hielten sie nach einem rasenden Elfengalopp ihre Pferde an. Skafloc konnte nicht warten, wenn Alfheim im Sterben lag. Der Halbmond stand an einem wolkigen Himmel, und sein blasses Licht fiel durch die mit Eiszapfen behangenen Bäume auf den Schnee. Ihr Atem stieg als Rauchwolken in die stille, kalte Luft und schwebte davon wie Geister, die den Lippen Sterblicher entfliehen. Ein dichtes Gebüsch verbarg sie.

„Zusammen dürfen wir uns nicht näher an Elfenhöhe heranwagen.“ Skaflocs Flüstern hörte sich in der Stille unnatürlich laut an. „Aber ich kann es auf Wolfsfüßen bis zum Morgengrauen allein schaffen.“

„Warum diese Hast?“ Frida klammerte sich an seinen Arm, und er schmeckte Salz auf ihrer Wange. „Warum gehst du nicht wenigstens bei Tag, wenn sie schlafen?“

„Die Verwandlung ist bei Sonnenlicht nicht durchführbar“, erklärte er. „Und sobald ich einmal innerhalb der Burg bin, sind Tag und Nacht dasselbe; zu jeder Stunde wird ein Teil der Trolle schlafen, ein anderer wach sein. Aber drinnen finde ich Helfer. Dabei denke ich vor allem an Lia.“

„Lia…“ Frida biß sich auf die Unterlippe. „Mir gefällt es nicht, dieses ganze verrückte Unternehmen. Gibt es überhaupt keine andere Möglichkeit?“

„Keine, die mir gefällt. Du, meine Liebste, hast die schwerste Aufgabe – das gebe ich zu -, weil du hier warten mußt, bis ich zurückkehre.“ Er sah ihr in das beschattete Gesicht, als wolle er sich jeden einzelnen Zug einprägen. „Also, stelle ein Zelt aus den mitgebrachten Häuten auf, bevor die Sonne aufgeht, damit die Pferde vor ihrem Licht geschützt sind. Und denke daran, daß ich in Menschengestalt zurückkommen muß, weil ich dann eine Last zu tragen habe. Daher kann ich bei Tage gehen und werde bis zum Abend sicher sein, aber ich komme langsamer voran und werde nicht früher als morgen abend eintreffen. Sei nicht tollkühn, Prinzessin. Wenn Trolle in die Nähe kommen oder wenn ich bis zum dritten Abend nicht wieder da bin, fliehe. Gehe in die Welt der Menschen und des Sonnenscheins.“

„Das Warten kann ich ertragen“, antwortete sie tonlos, „aber daran zu denken, ich solle diesen Ort verlassen, ohne zu wissen, ob du lebst oder…“ sie schluckte – „oder tot bist, das mag meine Kräfte übersteigen.“

Skafloc sprang aus dem Sattel in den Schnee, der unter seinen Füßen knirschte. Schnell zog er sich nackt aus. Vor Kälte zitternd befestigte er das Otterfell um seine Lenden und die Adlerflügel an seinen Schultern, und über beides warf er das Wolfsfell.

Auch Frida stieg ab. Hungrig küßten sie sich. „Lebewohl, Geliebte“, sagte er. „Lebewohl, bis ich das Schwert bringe.“

Er wagte es nicht, länger bei dem leise weinenden Mädchen zu bleiben, wandte sich schnell ab und zog den grauen Pelz dichter um sich. Er ließ sich auf alle Viere niederfallen und sprach die notwendigen Worte. Dann fühlte er, wie sein Körper sich auflöste und neubildete, fühlte, wie seine Sinne sich wandelten. Und Frida sah, wie er sich – schnell, als schmelze er – veränderte, bis ein großer Wolf mit grün durch das Dunkel leuchtenden Augen neben ihr stand.

Die kalte Nase schmiegte sich für einen kurzen Augenblick in ihre Handfläche, und sie fuhr ihm durch den rauhen Pelz.

Er trabte davon.

Über den Schnee ging es, durch Busch und Strauch, schneller und ausdauernder als ein Mensch. Es war seltsam, ein Wolf zu sein. Das Zusammenspiel von Knochen, Muskeln und Sehnen war ganz anders als vorher. Der Wind fuhr ihm durch das Fell. Sein Sehvermögen war getrübt; die Welt war flach und farblos. Aber dafür hörte er den schwächsten Laut, das Seufzen und Flüstern im Wald. Die gewaltige Stille der Nacht war zu einem vielfältigen Murmeln geworden – viele dieser Töne waren für menschliche Ohren zu hoch. Und er roch die Luft, als sei sie ein Lebewesen, unzählige scharf voneinander zu unterscheidende Düfte umwehten seine Nase. Außerdem gab es Empfindungen, für die die Menschen keine Worte hatten.

Er war in einer neuen Welt, einer Welt, die sich in jeder Beziehung anders anfühlte. Und er selbst war auch anders geworden, nicht allein sein Körper, sondern auch seine Seele und sein Geist. Sein Verstand bewegte sich über wölfische Pfade, die schmaler, aber irgendwie kühner waren. In Tiergestalt war er nicht imstande, all die Gedanken zu denken, die er als Mensch hatte, und wenn er wieder zum Menschen geworden war, konnte er sich an das, was er als Tier gefühlt und gedacht hatte, nicht mehr erinnern.

Weiter und weiter! Die Nacht und die Meilen flohen unter seinen Füßen. Die Wälder waren voll verstohlenen Lebens. Er nahm den Geruch eines Hasen wahr – eines geängstigten Hasen, der sich ganz in der Nähe versteckte und die großen Augen auf ihn richtete – und in seinem Wolfsmaul lief das Wasser vor Gier zusammen. Aber seine Menschenseele trieb den Tierkörper weiter. Eine Eule schrie. Bäume und Hügel und eisbedeckte Flüsse rasten vorbei, der Mond schlich über den Himmel, und immer noch rannte er.

Endlich sah er Elfenhöhe. Es ragte vor den silbergesäumten Wolken auf, und auf den Spitzen seiner Türme ruhten die frostigen, kalten Wintersterne. Elfenhöhe, Elfenhöhe, die schöne Gefallene, stand jetzt wie eine Bedrohung schwarz vor dem Himmel!

Er legte sich flach auf den haarigen Bauch und glitt den Hügel hinauf bis an die Mauern. Jeder Wolfssinn war angespannt und erforschte die Umgebung. Waren Feinde in der Nähe?

Der schlangenhafte Trollgeruch erreichte ihn. Er ließ den Schwanz sinken und entblößte die Fänge. Die Burg stank nach Troll – und nach Schlimmerem, nach Furcht und Schmerz und erstickten Rachegelüsten.

Mit seinen schlechten Wolfsaugen konnte er den Rand der Mauer, an deren Fuß er hockte, nicht gut erkennen. Die Wachen, die über ihm hin- und herschritten, hörte und witterte er, und er zitterte vor Verlangen, ihnen die Kehlen durchzubeißen.

Ruhig, ruhig, ermahnte er sich selbst. Dann waren sie an ihm vorüber, und es war an der Zeit, von neuem die Gestalt zu wechseln.

Da er bereits ein Tier war, brauchte er dazu nichts anderes als seinen Willen. Er krümmte sich, fühlte sich schrumpfen und verändern, und sein Gehirn drehte sich. Dann hob er die langen Schwingen eines Adlers und stieg zum Himmel auf.

Jetzt waren seine Augen scharf, unmenschlich scharf, und die Herrlichkeit des Fluges, des Windes und der himmlischen Endlosigkeit sang durch jede einzelne Feder. Und doch war in dem einfachen Adlergehirn genug Willenskraft enthalten, daß er sich dem großartigen Rausch nicht hingab. Seine Augen waren keine Eulenaugen, und hier in der Luft gab er ein gutes Ziel für Trollpfeile ab.

Über die Mauer flog er und rauschte hinab in den Hof. Er landete im Schatten eines dicht mit Efeu bewachsenen Turms, und wieder überlief ihn das den Wechsel begleitende Erschauern. Sobald er ein Otter geworden war, wartete er eine Weile.

In dieser Gestalt konnte er nicht ganz so gut riechen wie als Wolf, wenn auch besser als ein Mensch, aber seine Augen sahen weiter, und seine Ohren hörten ebenso gut. Auch hatte sein Körper die Fähigkeit, mit jedem Haar in Fell und Schnurrbart dem Menschen unbekannte Empfindungen aufzunehmen, und seine Schnelligkeit und Geschwindigkeit waren wie der Glanz seines Pelzes eine Freude für das eitle, übermütige Ottergehirn.

Er lag ganz still und spannte alle Sinne an. Er hörte überraschte Ausrufe von den Wehrgängen. Irgendwer mußte einen Blick auf den Adler erhascht haben, und so sollte er besser hier nicht trödeln.

Geschickt schlich er durch die Schatten an der Mauer entlang, Ein Otter war zu groß, um sicher zu sein – die Gestalt eines Wiesels oder einer Ratte wäre besser gewesen -, aber so mußte es auch gehen. Wie froh war er, daß Frida diese drei Zauberfelle mitgebracht hatte! Zärtlichkeit quoll in ihm auf, doch er konnte sich jetzt nicht damit aufhalten, an sie zu denken.

Eine Tür stand angelehnt, und durch die schlich er hinein, Er befand sich an der Rückseite des Gebäudes. Jeden Winkel und jede Ecke dieses Labyrinths kannte er. Mit zuckenden Schnurrbarthaaren sog er die Luft ein. Die Burg stank zwar nach Troll, aber außerdem lag der Geruch nach Schlaf schwer in der Luft. Insofern hatte er Glück. Er bemerkte ein paar Trolle, die umherliefen, aber denen konnte er leicht aus dem Weg gehen.

Er trottete an der Festhalle vorbei. Überall lagen betrunkene, schnarchende Trolle. Die Wandteppiche hingen in Fetzen, die Möbel waren zerkratzt und beschmutzt, und die aus Gold, Silber und Edelsteinen bestehenden Ornamente – die Arbeit von Jahrhunderten – waren gestohlen worden. Besser wäre die Burg von Kobolden erobert worden, dachte Skafloc. Die hatten wenigstens Manieren. Aber diese schmutzigen Schweine…

Er wand sich die Treppe hinauf zu Imrics Gemächern. Wer auch immer jetzt der Graf war, er würde höchstwahrscheinlich dort schlafen… und Lia bei sich haben.

Der Otter drückte sich gegen eine Wand und entblößte lautlos die nadelscharfen Zähne. Seine gelben Augen flammten. Um die nächste Biegung drang der Geruch nach Troll. Der Graf hatte eine Wache aufgestellt und…

Wie ein grauer Blitz war der Wolf über dem Troll. Der schlaftrunkene Krieger erkannte nicht, was das war, bis die Fänge in seine Kehle fuhren. Es rasselte laut, als er in seiner Rüstung zu Boden fiel. Er versuchte, das Tier von seiner Brust wegzustoßen, und dann starb er.

Skafloc duckte sich. Blut tropfte von seinen Kiefern. Es hatte einen sauren Geschmack. Das war schnell gegangen… nein, nirgendwo wurde Alarm geschlagen… schließlich war die Burg sehr groß. Er mußte es darauf ankommen lassen, daß die Leiche gefunden wurde, solange er noch im Gebäude war. Dann konnten sich die Trolle denken, was – nein, halt…

Skafloc verwandelte sich in einen Menschen und schlug mit dem Schwert des toten Trolls auf die Kehle ein, bis nicht mehr zu erkennen war, daß Zähne und nicht eine Klinge ihn ums Leben gebracht hatten. Mochten die glauben, der Wachtposten sei in einem Streit zwischen Betrunkenen erschlagen worden. Schlecht für sie, wenn sie es nicht glaubten! Mit diesen grimmigen Gedanken spuckte er Blut aus und wischte sich den Mund ab.

Wieder als Otter eilte er vorwärts. Am Kopf der Treppe war die Tür zu Imrics Räumen geschlossen, aber er kannte das geheime Zischen und Pfeifen, mit dem sich das Schloß öffnen ließ. Leise stieß er die Laute aus, schob die Tür mit der Nase einen Spalt auf und schlich hinein.

Zwei schliefen in Imrics Bett. Wenn der Graf erwachte, war das das Ende von Skaflocs Suche. Auf seinem geschmeidigen Otterbauch kroch er an das Bett, und jede Bewegung schien ihm die Lautstärke von Donnerschlägen zu haben.

Am Bett richtete er sich auf den Hinterbeinen auf. Lias Göttinnengesicht lag auf einem Kissen in einer Wolke silbrig-goldenen Haares. Neben ihr ruhte ein Kopf mit einer lohfarbenen Mähne und einem Gesicht, das sogar im Schlaf finster war – aber Zug um Zug glich es seinem eigenen.

Also war Valgard, der Übeltäter, der neue Graf. Skafloc konnte sich kaum beherrschen, die Wolfszähne in diese Kehle zu schlagen, mit dem Adlerschnabel nach den Augen zu hacken, mit der Otterzunge die herausgerissenen Eingeweide zu lecken.

Aber das waren Tierwünsche. Ihre Erfüllung würde zuviel Lärm machen und ihn das Schwert kosten.

Er berührte Lias glatte Wangen mit der Nase. Ihre langen Lider flatterten, und ihre Augen zeigten, daß sie ihn erkannte.

Ganz langsam setzte sie sich auf. Valgard bewegte sich im Schlaf und stöhnte. Sie erstarrte. Der Berserker sprach mit sich selbst. Skafloc verstand Wortfetzen: „…Wechselbalg – die Axt – o Mutter, Mutter!…“

Lia ließ ein Bein auf den Boden gleiten. Nur auf ihren kleinen Fuß gestützt, stand sie auf. Ihr weißer Körper schimmerte durch den dichten Schleier ihres Haares. Wie ein Schatten schlüpfte sie aus dem Raum, durch den nächsten, in einen dritten. Skafloc trottete hinterher. Sie schloß geräuschlos jede Tür.

„Jetzt können wir sprechen“, hauchte sie.

Er richtete sich als Mann auf, und sie fiel mit einem Laut, der halb ein Lachen, halb ein Schluchzen war, in seine Arme. Sie küßte ihn, bis ihn trotz all seiner Liebe zu Frida ein heißes Verlangen nach der schönen Frau überkam, die er in seinen Armen hielt.

Sie sah es und versuchte, ihn auf eine Liegestatt zu ziehen. „Skafloc“, flüsterte sie, „mein Geliebter.“

Er bezwang sich. „Ich habe keine Zeit“, erklärte er mit rauher Stimme. „Ich bin nur gekommen, um das geborstene Schwert zu holen, das mir die Asen zu meinem Namensfest geschenkt haben.“

„Du bist müde.“ Ihre Hände streichelten sein hageres Gesicht. „Du hast Kälte und Hunger ertragen und bist in ständiger Lebensgefahr gewesen. Ruhe dich bei mir aus, laß mich dich trösten. Ich habe ein Geheimzimmer…“

„Keine Zeit, keine Zeit“, wehrte er ab. „Frida wartet auf mich inmitten der Troll-Stellungen. Bring mich zu dem Schwert.“

„Frida.“ Lia wurde um einen Ton blasser. „Also ist das sterbliche Mädchen immer noch bei dir.“

„Aye, und sie ist ein tüchtiger Krieger für Alfheim gewesen.“

„Auch ich habe einiges ausgerichtet.“ Lias Gesicht zeigte eine eigentümliche Mischung ihres alten, bösartigen Humors und einer neuen Sehnsucht. „Valgard hat meinetwegen bereits den Trollgrafen Grum erschlagen. Er ist stark, aber ich beuge ihn.“ Sie kam ihm näher. „Er ist besser als ein Troll, er ist beinahe wie du – aber er ist nicht du, Skafloc, und ich habe es satt, Liebe heucheln zu müssen!“

„Oh, beeile dich!“ Er schüttelte sie. „Wenn man mich fängt, könnte das das Ende für Alfheim bedeuten, und die Gefahr wächst von Minute zu Minute.“

Eine Weile stand sie still da. Schließlich wandte sie ihre Augen ab und sah zu einem großen Glasfenster hinaus in eine Welt, wo die Wolken den Mond verschlungen hatten. Das Land lag schweigend und eisig in der Dunkelheit vor Sonnenaufgang. „Nun ja, natürlich hast du recht“, sagte sie. „Und was könnte verständlicher sein, als daß du es eilig hast, zu deiner Liebe – zu Frida – zurückzukehren?“

Sie drehte sich wieder zu ihm um und schüttelte sich vor lautlosem Gelächter. „Willst du wissen, wer dein Vater war, Skafloc? Soll ich dir erzählen, wer du wirklich bist?“

Er legte ihr eine Hand auf den Mund. Die alte Furcht überwältigte ihn. „Nein! Du weißt, welche Warnung Tyr ausgesprochen hat!“

„Versiegele meine Lippen mit einem Kuß“, verlangte sie.

„Ich kann nicht…“ Er gehorchte ihr. „Können wir jetzt gehen?“

„Kalt war dieser Kuß“, murmelte sie verzweifelt, „kalt, wie die Pflicht immer ist. Gut, machen wir uns auf den Weg. Aber du bist nackt und unbewaffnet. Da du das eiserne Schwert nicht in der Gestalt eines Wertieres forttragen kannst, muß du ein paar Kleider haben.“ Sie öffnete eine Truhe. „Hier sind Hemd, Hosen, Wams, Mantel – alles, was du haben willst.“

In fiebriger Hast streifte er die Sachen über. Sie waren mit edlen Pelzen besetzt und mußten aus Imrics Besitz für Valgard geändert worden sein, denn sie paßten ihm gut. An seinen Gürtel hing er ein Schwert. Lia warf über ihre eigene Nacktheit einen flammendroten Mantel. Dann führte sie ihn zu einer anderen Treppe hinaus.

Tief, tief hinunter ging es. Der Schacht war kalt und still, aber es war eine angespannte Stille, die jeden Augenblick gebrochen werden konnte. Einmal kamen sie an einem Wachtposten vorbei. Skafloc griff nach dem Schwert an seinem Gürtel. Aber der Troll neigte nur den Kopf. Er hielt ihn für Valgard. In seinem Flüchtlingsleben hatte Skafloc sich einen Bart wachsen lassen, der voll, aber kurz geschnitten war wie der Valgards.

Schließlich erreichten sie die Verliese, wo nur in weiten Abständen verteilte Fackeln das feuchte Dunkel erhellten. Skaflocs Schritte hallten auf dem schlüpfrigen Boden der Gänge, in denen die Schatten undurchdringlich waren. Wortlos glitt Lia ihm voraus.

Sie kamen an eine Stelle, wo der Stein von einem helleren Mörtel unterbrochen war. Runen waren hineingekratzt. Dicht daneben befand sich eine geschlossene Tür. Lia wies darauf. „In dieser Zelle hat Imric die Mutter des Wechselbalgs gefangengehalten. Jetzt ist er selbst darin, über einem nie verlöschenden Feuer an den Daumen aufgehängt. Wenn Valgard betrunken ist, macht er sich oft das Vergnügen, ihn bewußtlos zu schlagen.“

Skaflocs Faust schloß sich so fest um den Schwertgriff, daß die Knöchel weiß hervortraten. Und doch konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, daß Imric nichts Schlimmeres geschah, als was er der Trollfrau – und wie vielen anderen? – angetan hatte. Hatte Frida – hatte der Weiße Christus, von dem sie ihm ein wenig erzählt hatte – nicht recht damit, daß böse Taten immer zu neuen bösen Taten und so letzten Endes zum Weltuntergang führten, daß es an der Zeit war, Stolz und Rache gegen Liebe und Verzeihen einzutauschen? War das vielleicht nicht unmännlich, sondern in Wahrheit das Schwerste, was ein Mann vollbringen konnte?

Aber Imric war sein Pflegevater, und Alfheim war seine Heimat, und aus welchem Grund sollte er eigentlich nicht erfahren, von wem er abstammte…? Er grub die Spitze des Schwerts heftig in die Wand.

Von oben drangen schwache Geräusche, rufende Stimmen und laufende Füße. „Sie haben Alarm geschlagen“, flüsterte Lia.

„Vielleicht haben sie den Wachtposten gefunden, den ich töten mußte.“ Skafloc grub tiefer. Der Mörtel löste sich nur langsam von dem Stein.

„Hat man dich hereinkommen gesehen?“ erkundigte sie sich.

„Es mag einer einen Blick auf mich erhascht haben, als ich in Adlergestalt war.“ Skaflocs Klinge brach durch. Er fluchte und grub mit dem restlichen Stück weiter.

„Valgard ist gewitzt. Berichtet man ihm von dem Adler, wird er sich denken können, daß der Krieger nicht auf normale Weise getötet wurde. Wenn er Männer ausschickt, die Burg zu durchsuchen, und sie uns finden…! Beeile dich!“

Der Lärm von oben dröhnte in ihren Ohren, aber lauter waren das Kratzen von Metall auf Stein und das Tropfen von jahrhundertealtem Wasser. Skafloc zwängte die abgebrochene Klinge in eine Ritze und benutzte sie als Hebel. Einmal – zweimal, und der Stein polterte heraus.

Er faßte in die sich dahinter auftuende Höhlung. Seine Hände zitterten, als sie das Schwert herauszogen.

Feuchte Erde hing an den beiden Hälften. Es war ein zweischneidiges Schwert gewesen und so groß und schwer, daß nur die stärksten Männer es schwingen konnten. Doch solange es auch begraben gewesen war, es zeigte keinen Rost, und die Kanten hatten nichts von ihrer Rasiermesserschärfe verloren. Stichblatt, Heft und Knauf schimmerten golden und waren so mit einem sich windenden Drachen graviert, daß sie seinen Schwanz, Körper und Kopf bildeten. Die glänzenden Beschläge waren wie ein Hort, auf dem er lag. Runen, die Skafloc nicht entziffern konnte, liefen die dunkle Klinge entlang. Er hatte das Gefühl, die mächtigsten davon seien auf dem Dorn verborgen.

„Die Waffe der Götter.“ Er hielt sie mit Grauen. „Die Hoffnung von Alfheim…“

„Hoffnung?“ Lia trat mit erhobenen Händen zurück, als wolle sie etwas abwehren. „Das bezweifle ich! Jetzt, wo wir das Ding haben, zweifle ich daran.“

„Was meinst du?“

„Kannst du es denn nicht spüren? Die Macht und den Hunger, die in dem Stahl verschlossen sind, versiegelt durch diese unbekannten Runen! Das Schwert mag von den Göttern geschickt sein, aber es ist kein Götterschwert. Es liegt ein Fluch darauf, Skafloc. Es wird allen in seiner Reichweite Verderben bringen.“ Sie zitterte vor einer Kälte, die nicht die der Verliese war. „Ich glaube… Skafloc, ich glaube, es wäre das beste, du würdest das Schwert wieder einmauern.“

„Welche andere Hoffnung haben wir?“ Er wickelte die Stücke in seinen Mantel und nahm das Bündel unter den Arm. „Gehen wir.“

Ungern führte Lia ihn an eine Treppe. „Jetzt wird es gefährlich“, raunte sie. „Wir können es kaum vermeiden, gesehen zu werden. Laß mich für uns beide sprechen.“

„Nein, denn dafür wirst du später büßen müssen, es sei denn, du kommst mit mir.“

Sie drehte sich mit strahlendem Gesicht zu ihm um. „Liegt dir an mir?“

„Natürlich, ebenso wie an ganz Alfheim.“

„Und… Frida?“

„An ihr liegt mir mehr als an der ganzen übrigen Welt, Götter und Menschen und Feenreich eingeschlossen. Ich liebe sie über alles.“

Lia schritt weiter. Ihre Stimme klang tonlos. „Ich werde fähig sein, mich selbst zu schützen. Ich kann Valgard sagen, du habest mich gezwungen oder getäuscht.“

Sie kamen auf dem zu ebener Erde gelegenen Stockwerk hinaus. Überall rannten Wachen, herrschten Tumult und Verwirrung. „Halt!“ befahl ein Troll, als er sie entdeckte.

„Willst du den Grafen anhalten?“ fragte Lia eiskalt.

„Verzeihung, Herr“, stammelte der Troll. „Es war nur, daß – ich dich gerade eben erst gesehen habe, Herr…“

Sie gingen hinaus auf den Hof. Jeder Nerv in Skafloc schrie danach, in Laufschritt zu fallen, jeder Muskel war verkrampft in Erwartung eines Rufes, der ihn entlarvte. Lauf, lauf! Die Aufgabe, langsam zu gehen, überstieg fast seine Kräfte.

Nur wenige Trolle waren draußen. Die ersten weißen Streifen der verhaßten Morgendämmerung zeigten sich im Osten. Es war sehr kalt.

Lia blieb vor dem westlichen Tor stehen und winkte den Wachen, es zu öffnen. Mit ausdruckslosem, blindem Blick sah sie Skafloc an.

„Von hier aus mußt du deinen Weg allein gehen“, sagte sie leise. „Weißt du, was du zu tun hast?“

„Irgendwie muß ich den Riesen Bolverk finden“, antwortete er, „und ihn dazu bringen, die Klinge zu heilen.“

„Bolverk – Übeltäter – schon sein Name ist eine Warnung. Allmählich kann ich mir denken, was für ein Schwert das ist und warum kein Zwerg es wagen würde, es neu zu schmieden.“ Lia schüttelte den Kopf. „Ich kenne den wild entschlossenen Zug um deinen Mund, Skafloc. Sämtliche Scharen der Hölle werden dich nicht aufhalten – nur der Tod könnte es tun. Aber was soll auf dieser Fahrt aus deiner lieben Frida werden?“ In den letzten Worten klang Hohn mit.

„Ich werde sie zwar zu überreden suchen, irgendwo an einem sicheren Ort auf mich zu warten, aber sie wird mitkommen.“ Skafloc lächelte voller Stolz und Liebe. Im dämmerigen Morgenlicht leuchtete sein Haar wie frostiges Gold. „Nichts kann uns trennen.“

„N-nein. Aber wer wird dir sagen, wie du den Riesen finden kannst?“

Skaflocs Gesicht wurde ernst. „Es ist nicht gut, so etwas zu tun, aber ich kann Tote erwecken. Die Toten wissen vieles, und Imric hat mich den Zauber gelehrt, der sie zum Sprechen bringt.“

„Dies ist eine verzweifelte Maßnahme, denn die Toten hassen es, in ihrem zeitlosen Schlaf gestört zu werden, und rächen sich dafür. Wie willst du dich gegen einen Geist verteidigen?“

„Ich muß es versuchen. Ich glaube, meine Magie wird so stark sein, daß ich nicht zu Schaden komme.“

„Du vielleicht nicht, aber…“ Lia machte eine Pause, bevor sie schlau fortfuhr: „Die fürchterlichste Rache, die ein Geist an dir nehmen könnte, würde sich gegen Frida richten.“ Sie sah, wie ihm das Blut aus Wangen und Lippen wich. Ihre eigenen waren noch weißer. „So viel bedeutet dir das Mädchen?“ flüsterte sie.

„Aye. Mehr“, antwortete er mit schwerer Zunge. „Du hast recht, Lia, ich kann die Gefahr nicht eingehen. Lieber soll Alfheim fallen, als daß…“

„Nein, warte! Ich wollte dir einen Rat geben. Doch zuerst möchte ich eins feststellen.“

„Schnell, Lia, schnell!“

„Nur eins. Wenn Frida dich verlassen sollte – nein, nein, unterbrich mich nicht, um mir zu versichern, das werde sie niemals tun – wenn sie dich verlassen sollte, was würdest du dann tun?“

„Ich weiß nicht. Das vermag ich mir nicht vorzustellen.“

Sie lächelte ihr Katzenlächeln. Ihre Augen ruhten verträumt auf ihm. „Ich wollte nur den Vorschlag machen, du solltest nicht einen beliebigen Toten erwecken, sondern diejenigen, die dir helfen werden und deren eigene Rache du vollziehst. Ist nicht Fridas ganze Familie von Valgard erschlagen worden? Erwecke sie, Skafloc!“

Einen Augenblick stand er bewegungslos. Dann ließ er das Bündel mit dem Schwert fallen, riß Lia in seine Arme und küßte sie mit überströmender Dankbarkeit. Er nahm das Bündel wieder auf und eilte durch das Tor dem Wald entgegen.

Lia sah ihm nach, einen Finger an die brennenden Lippen gelegt. Wenn sie recht hatte mit ihrem Verdacht über das Schwert, würde von neuem geschehen, was in alter Zeit geschehen war. Sie begann zu lachen.

Valgard erfuhr, sein Ebenbild sei in der Burg gesehen worden. Seine Buhle, die benommen und zitterig aussah, erklärte mit hohler Stimme, es müsse ein Zauber über sie geworfen worden sein, als sie schlief, denn sie könne sich an nichts mehr erinnern. Aber es waren Fußabdrücke im Schnee, und die Trollhunde konnten schwächeren Spuren folgen.

Nach Sonnenuntergang setzte sich der Graf an die Spitze der berittenen Verfolger.

Frida stand in ihrem Gebüsch und starrte durch die nackten, vom Mondlicht geisterhaft umflossenen Zweige nach Elfenhöhe. Ihr war sehr kalt in dieser zweiten Nacht des Wartens, so kalt, daß sie es schon längst nicht mehr fühlte. Sie hatte im Zelt bei den Pferden gesessen, aber sie waren kühl und elfisch, nicht die warmen, süßriechenden Tiere ihrer Heimat. Seltsamerweise war es der Gedanke an Orms Pferde, der ihr ihre Einsamkeit zu Bewußtsein brachte. Ihr war, als sei sie das letzte lebende Geschöpf in einer Welt, in der es nur noch Mondlicht und Schnee gab. Sie wagte nicht, zu weinen. Skafloc, Skafloc! Lebte er noch?

Wind erhob sich und blies immer dickere Wolken über den Himmel. Der Mond schien vor großen schwarzen Drachen zu fliehen, die ihn andauernd verschluckten und gleich darauf wieder ausspien. Der Wind heulte und stöhnte um sie her, peitschte ihre Kleider, vergrub seine Zähne in ihrem Fleisch. Hoo, hoo, sang er und wirbelte plötzlich eine Schneewehe auf, hoo, halloo, auf zur Jagd!

Hoo, hoo! kam die Antwort von Trollhörnern. Frida fuhr zusammen. Die Furcht durchbohrte sie wie ein Dolch. Sie jagten – und welch ein anderes Wild konnte es sein als…

Bald hörte sie das Bellen der Hunde, näher, näher kamen die großen schwarzen Hunde mit den rotglühenden Augen. Oh, Skafloc! Frida taumelte vorwärts. Sie wußte nicht, daß sie schluchzte. Skafloc!

Wieder einmal wurde es stockfinster. Sie stieß gegen einen Baumstamm. Wild schlug sie auf ihn ein. Geh aus dem Weg, du Ding, Skafloc braucht mich – Oh!

Der Mond tauchte wieder auf, und sein Licht fiel auf einen Fremden. Groß war er und trug einen Mantel, der ihn wie Schwingen umflatterte. Alt war er, Haar und Bart waren lang und wolfsgrau in dem unsicheren Licht. Aber der Speer, den er trug, konnte keinem Sterblichen gehören. Obwohl ein breitrandiger Hut sein Gesicht beschattete, sah sie, daß er nur ein Auge hatte.

Aufkeuchend trat sie zurück, versuchte, den Himmel anzurufen. Seine Stimme, tief, langsam, unterbrach sie. „Ich bringe Hilfe, keinen Schaden. Willst du deinen Mann zurückhaben?“

Sie sank wie betäubt auf die Knie. Für einen kurzen Augenblick konnte sie meilenweit durch das Schneetreiben sehen, und vor ihr lag ein Hügel, den Skafloc hinauffloh. Waffenlos war er, erschöpft, er stolperte, und die Hunde waren ihm auf den Fersen.

Ihr Bellen füllte den Himmel.

Die Vision verblaßte. Sie blickte auf die dunkle Gestalt vor ihr. „Du bist Odin“, wisperte sie, „und ich darf mit dir nichts zu tun haben.“

„Trotzdem kann ich deinen Liebsten retten – und ich allein würde es tun, denn er ist ein Heide.“ Das eine Auge des Gottes hielt sie fest, als habe es sie aufgespießt. „Willst du meinen Preis bezahlen?“

„Was willst du?“ fragte sie entsetzt.

„Beeile dich, die Hunde werden ihn gleich zerreißen!“

„Ich will es dir geben – ich will…“

Er nickte. „Dann schwöre bei deiner eigenen Seele und allem was dir heilig ist, daß du mir das gibst, was unter deinem Gürtel ist, wenn ich komme, es zu holen.“

„Ich schwöre!“ rief sie. Tränen blendeten sie, Tränen der Erleichterung. Odin konnte nicht so unbarmherzig sein, wie es hieß, wenn er nicht mehr als ein bloßes Zeichen verlangte, nicht mehr als die Giftphiole, die Skafloc ihr gegeben hatte. „Ich schwöre es, Herr, und mögen Erde und Himmel mich verlassen, wenn ich meinen Eid breche.“

„Gut“, nickte er. „Nun sind die Trolle auf einer falschen Spur, und Skafloc ist hier. Frau, denke an dein Wort!“

Die Dunkelheit kehrte zurück, da eine Wolke den Mond verdeckte. Als sie vorüber war, war der Wanderer verschwunden. Frida bemerkte es kaum. Sie klammerte sich an Skafloc. Und er, verwirrt darüber, daß er den Fängen der Trollhunde irgendwie entrückt und sicher zu seiner Geliebten gebracht worden war, hatte doch noch Besinnung genug, ihr ihre Küsse zurückzugeben.

XX

Nicht länger als zwei Tage ruhten sie sich in der Höhle aus. Dann bereitete sich Skafloc zum Aufbruch vor.

Frida weinte nicht, aber sie fühlte die unvergossenen Tränen in ihrer Kehle. „Du glaubst, dies sei die Morgendämmerung für uns“, sagte sie einmal. „Ich sage dir, es ist der Abend.“

Erstaunt sah er sie an. „Wie meinst du das?“

„Das Schwert ist voll von Bösem. Was wir tun wollen, ist falsch. Es kann nichts Gutes daraus kommen.“

Er legte die Hände auf ihre Schultern. „Ich verstehe, daß es dir nicht gefällt, deine Verwandten in ihrem Schlaf zu stören. Mir gefällt es auch nicht. Aber wer von den Toten wird uns außer ihnen helfen und uns nichts antun? Bleibe hier, Frida, wenn du es nicht ertragen kannst.“

„Nein – nein, ich will auch am Rand des Grabes an deiner Seite sein. Es ist nicht so, daß ich mich vor meinen Leuten fürchte. Lebend oder tot lieben wir uns, und in diese Liebe bist jetzt auch du eingeschlossen.“ Frida senkte die Augen und biß sich auf die zitternde Unterlippe. „Wäre dir oder mir dieser Einfall gekommen, hätte ich keine so bösen Vorahnungen. Aber Lia wollte dir mit ihrem Rat keine Wohltat erweisen.“

„Warum sollte sie uns etwas Übles wünschen?“

Frida schüttelte den Kopf und wollte nicht antworten. Skafloc meinte nachdenklich: „Ich muß gestehen, daß mich dein Zusammentreffen mit Odin beunruhigt. Es liegt nicht in seiner Art, einen niedrigen Preis festzusetzen. Aber ich kann nicht erraten, hinter was er wirklich her ist.“

„Und das Schwert – Skafloc, wenn das geborstene Schwert wieder geheilt ist, wird eine entsetzliche Macht auf die Welt losgelassen werden. Sie wird unendliches Weh hervorrufen.“

„Für die Trolle.“ Skafloc richtete sich auf, so daß seine hellen Locken das rauchige Dach der Höhle berührten. Seine Augen verschossen in dem trüben Licht blaue Blitze. „Es gibt keinen anderen Weg, als den, den wir gehen, und hart genug wird er sein. Kein Mann kann seinem Geschick entkommen. Am besten ist, sich ihm mutig von Angesicht zu Angesicht zu stellen.“

„Und wir Seite an Seite.“ Frida barg ihren schimmernden Bronzekopf an seiner Brust, und jetzt flossen die Tränen in Strömen. „Nur um eins bitte ich dich, mein Liebster.“

„Was ist das?“

„Reite nicht heute abend. Warte einen Tag länger, nur noch einen Tag, und dann wollen wir gehen.“ Ihre Hände gruben sich in die Muskeln seiner Arme. „Nur noch einen Tag, Skafloc.“

„Warum?“ fragte er unwillig.

Sie wollte es nicht sagen, und er vergaß die Frage, als sie sich der Liebe hingaben. Aber Frida vergaß sie nicht. Auch als sie ihn ganz eng an sich drückte und seinen Herzschlag an ihrem Herzen spürte, dachte sie daran, und sie küßte ihn mit einem schmerzlichen Verlangen.

Sie wußte auf irgendeine Weise, daß dies ihre letzte Nacht war.

Die Sonne ging auf, glomm schwach um die Mittagszeit und versank wieder hinter schweren Sturmwolken, die von der See hertrieben. Ein Wind mit Wolfszähnen heulte über die Brecher, die sich auf den Felsen in einen schaumigen Tod stürzten. Gleich nach Anbruch der Dunkelheit war weit weg das Galoppieren von Hufen, schneller als der Wind, am Himmel zu hören, und ein Bellen und Winseln. Sogar Skafloc erschauerte. Die Wilde Jagd war unterwegs.

Sie bestiegen ihre Elfenpferde. Die beiden anderen hatten sie mit ihren Besitztümern beladen und führten sie, denn sie rechneten nicht damit, daß sie zurückkehren würden. Skafloc hatte sich das in ein Wolfsfell gewickelte Schwert auf den Rücken gebunden. Seine Elfenklinge hing in einer Scheide an seiner Seite, in der linken Hand hielt er einen Speer, und beide Reiter trugen unter ihren Pelzen Helm und Harnisch.

Im Wegreiten sah Frida zurück zu der Höhle. Kalt und dunkel war sie, aber sie waren dort glücklich gewesen. Sie riß ihre Augen los und hielt sie von nun ab unerschütterlich nach vorn gerichtet.

„Los!“ rief Skafloc, und sie fielen in vollen Elfengalopp. Der Wind biß und peitschte sie. Gischt und Schaum trieben von der See her durch die Luft, weiß unter dem fliehenden, immer wieder von Wolken verschluckten Mond. Die See brauste lärmend vom Horizont aufs Land zu und zerbarst auf Strand und Felsen. Wenn die Brecher zurückschäumten, rasselten die Steine, als ob ein im Eis gefesseltes Ungeheuer sich stöhnend wälzte.

Schnell, schnell jetzt, ihr besten aller Pferde, schnell an der See entlang nach Süden, zermalmt das Eis unter euren Hufen, schlagt Funken aus den Felsen, Galopp, Galopp! Lauft durch den mondweißen Vorhang aus Hagelschloßen, durch Dunkelheit und Feindesland. Schnell, schnell nach Süden zu einem Grabhügel, der einen großen Toten birgt!

Ein Trollhorn kreischte, als sie an dem Hafen von Elfenhöhe vorbeirasten. Auch mit ihrer Hexensicht konnten sie die Burg nicht erkennen, aber sie hörten Hufschläge hinter sich. Bald verklangen sie; die Trolle ritten nicht so schnell, und sie würden ihnen zu dem heutigen Ziel auch nicht folgen.

Schnell, schnell durch Wälder, wo der Wind sich in vereisten Ästen fing, wo sie sich unter Bäumen ducken mußten, die mit ihren nackten Zweigen nach ihnen griffen – über gefrorene Sümpfe, über dunkle Hügel, hinunter in das flache Land und über schneebedeckte Felder – Galopp, Galopp!

Frida erkannte die Landschaft. Immer noch trieb der Wind Hagelkörner vor sich her, aber die Wolken wurden dünner, und die Mondsichel warf Licht auf Ackerland und Pferche. Sie erinnerte sich an diesen Fluß und jenen kleinen Bauernhof, hier hatte sie mit Ketil gejagt, dort hatten sie und Asmund einen ganzen faulen Sommertag lang geangelt, auf der Wiese dort hatte Asgerd für sie beide Ketten aus Gänseblümchen geknüpft – wie lange war das her?

Die Tränen gefroren ihr auf den Wangen. Sie fühlte Skaflocs Hand auf ihrem Arm, und sie lächelte ihm zu. Ihr Herz ertrug diese Rückkehr kaum, aber er war bei ihr, und solange sie zusammen waren, gab es nichts, was sie nicht auf sich nehmen würde. Auf ihren keuchenden, zitternden Pferden ritten sie schweigend, Hand in Hand, ganz langsam an die Stelle, wo einmal Orms Hof gestanden hatte. Sie sahen große Schneewehen, aus denen schwarze, verkohlte Balken ragten. Und oben an der Bucht erhob sich der Grabhügel.

Ein Feuer flackerte auf seiner Spitze mit bläulich-weißen Flammen – wärmelos, freudlos züngelten sie hoch hinauf in die Dunkelheit. Frida bekreuzigte sich schaudernd. So hatten die Grabfeuer der alten heidnischen Helden nach Sonnenuntergang gebrannt. Vielleicht hatte ihr unheiliges Vorhaben das hier entzündet; es konnte kein christlich geweihter Boden sein, in dem Orm lag. Aber mochte er auch noch so weit in das namenlose Land des Todes gewandert sein, er blieb ihr Vater.

Sie konnte keine Furcht vor dem Mann empfinden, der sie auf seinen Knien geschaukelt und ihr Lieder vorgesungen hatte, daß die Halle dröhnte. Trotzdem zitterte sie am ganzen Körper.

Skafloc stieg ab. Seine Kleider waren schweißdurchtränkt. Noch nie hatte er den Zauber angewendet, den er heute nacht machen wollte. Er schritt auf den Hügel zu – und blieb stehen und griff nach seinem Schwert. Schwarz im Licht des Mondes und des Feuers saß oben auf dem Grab eine schwarze Gestalt. Wenn er gegen einen Geist kämpfen mußte…

Frida wimmerte mit der Stimme eines verlorenen Kindes: „Mutter!“

Skafloc nahm ihre Hand. Zusammen stiegen sie den Hügel hinauf. Die Frau, die dort saß, ohne sich vor dem Feuer zu scheuen, hätte beinahe Frida sein können, dachte Skafloc bestürzt. Sie hatte ihr süßes Gesicht, ihre weit auseinanderstehenden grauen Augen, ihr rötlich schimmerndes braunes Haar. Aber nein, nein… sie war älter, ausgehöhlt von Sorgen, ihre Wangen waren eingefallen, ihre Augen starrten leer hinaus aufs Meer, ihr Haar flatterte im Sturm. Auf ihrem abgemagerten Körper trug sie über Lumpen einen dicken Pelzmantel.

Als Skafloc und Frida in den Lichtkreis traten, wandte sie langsam den Kopf. Ihr Blick blieb auf Skafloc haften.

„Willkommen, Valgard“, sprach sie ausdrucksvoll. „Hier bin ich. Du kannst mir kein Leid mehr zufügen. Du kannst mir nur noch den Tod geben, und das ist mein größter Wunsch.“

„Mutter.“ Frida sank vor der Frau auf die Knie.

Älfrida starrte sie an. „Das scheint meine kleine Frida zu sein – aber du bist tot. Valgard hat dich weggeführt, und danach kannst du nicht mehr lange gelebt haben.“ Sie schüttelte den Kopf, lächelte und breitete die Arme aus. „Es ist gut von dir, daß du dein stilles Grab verlassen hast und zu mir gekommen bist. Ich bin so einsam gewesen. Komm, mein totes Kind, komm, leg dich an meine Brust, und ich will dich in den Schlaf singen, wie ich es getan habe, als du noch klein warst.“

„Ich lebe, Mutter, ich lebe – und du lebst…“ die Tränen erstickten ihre Worte. „Sieh mich an, fühle, ich bin warm, ich bin am Leben. Und das hier ist nicht Valgard, es ist Skafloc, der mich vor ihm gerettet hat. Es ist Skafloc, mein Herr, ein neuer Sohn für dich…“

Älfrida stand auf. Sie stützte sich schwer auf den Arm ihrer Tochter. „Ich habe gewartet“, sagte sie. „Ich habe hier gewartet, und sie haben mich für wahnsinnig gehalten. Sie bringen mir Essen und was ich sonst benötige, aber sie halten sich nicht auf, weil sie sich vor der Verrückten fürchten, die ihre Toten nicht verlassen will.“ Sie lachte ganz, ganz leise. „Was ist denn Verrücktes dabei? Verrückt sind diejenigen, die ihre Lieben im Stich lassen.“

Forschend blickte sie in das Gesicht des Mannes. „Du bist Valgard sehr ähnlich“, fuhr sie auf die gleiche ruhige Art fort. „Du bist so groß wie Orm, und du siehst zur Hälfte wie er und zur Hälfte wie ich aus. Aber deine Augen sind freundlicher als die Valgards.“ Wieder war ihr leises Lachen zu hören. „Sie sollen noch einmal sagen, ich sei verrückt! Ich habe gewartet, das ist alles, ich habe gewartet, und jetzt sind aus Nacht und Tod zwei meiner Kinder zu mir zurückgekommen.“

„Vielleicht werden vor Sonnenaufgang noch mehr kommen“, sagte Skafloc.

Er und Frida führten sie den Hügel hinab.

„Mutter lebt“, flüsterte das Mädchen. „Ich dachte, auch sie sei tot, aber sie lebt, und sie hat im Winter ganz allein hier gesessen… Was habe ich getan?“

Sie weinte, und Älfrida tröstete sie.

Skafloc wagte nicht, länger zu zaudern. Rings um den Hügel steckte er seine Zauberstäbe. Auf seinen linken Daumen steckte er den Bronzering mit dem Feuerstein. Mit erhobenen Armen stellte er sich an der Westseite des Grabes auf. Im Osten rollte die See, und der Mond floh durch zerfetzte Wolken. Der Wind trieb Hagelschloßen herbei.

Skafloc sprach den Zauber. Er erschütterte seinen Körper und verbrannte seine Kehle, aber er zog die Zeichen mit den erhobenen Händen.

Das Feuer loderte auf. Der Wind kreischte wie ein Luchs. Wolken verschluckten den Mond. Skafloc rief:

Erhebt euch, Krieger,
gefallene Häuptlinge!
Skafloc weckt euch,
singt euch wach.
Ich beschwöre euch,
scheidet von Hel.
Es zwingt euch
mein Zauber.

Der Hügel stöhnte. Höher und Höher loderte die eisige Flamme auf seiner Spitze. Skafloc sang weiter:

Das Grab steht offen,
Geht, ihr Toten!
Gefallene Helden,
fahrt zur Erde.
Steht auf, ergreift
Schwerter voll Rost,
gebrochene Schilde
und blutige Lanzen
.

Das Grab barst, und in der Öffnung standen Orm und seine Söhne, von Feuer umloht. Der Häuptling rief:

Wer bricht das Grab
und bringt uns zurück?
Wer ruft uns
mit Runen und Zauberliedern?
Weiche vor der Toten
Wut, Fremder!
Laß die Verstorbenen
liegen im Dunkel
.

Orm stützte sich auf seinen Speer. Es hing noch Erde an dem Häuptling, und er war blutlos und mit Rauhreif bedeckt. Seine Augen blickten ohne Lidschlag in die Flammen, die ihn umzüngelten. Zu seiner Rechten stand Ketil, steif und bleich, und die klaffende Wunde in seinem Schädel hob sich schwarz von seinem Haar ab. Asmund, links von Orm in Schatten eingehüllt, hielt die Arme über der Speerwunde in der Brust gekreuzt. Skafloc konnte hinter ihnen undeutlich das im Hügel verborgene Schiff und die darin erwachenden Männer sehen.

Er unterdrückte die Furcht, die ihn von der Grabesöffnung her anwehte, und fuhr fort:

Nie kann Drohen
mir nehmen den Mut.
Gebunden durch Runen
bist du, Krieger.
In deinen Rippen
sollen Ratten nisten,
hältst du dein Wissen
geheim vor mir
.

Orms Stimme erschallte wie aus weiter Ferne:

Tief ist der traumlose
Todesschlaf, Zauberer.
Erweckte Tote
sind wild vor Zorn.
Geister nehmen
grausame Rache,
raubst du ihren Knochen
die Ruhe im Grab
.

Frida trat vor: „Vater!“ rief sie. „Vater, erkennst du mich nicht?“

Orms Augen flammten über sie hin, und sein Zorn milderte sich ein wenig. Er neigte den Kopf und stand inmitten des wirbelnden, zischenden Feuers. Ketil ergriff das Wort:

Wir grüßen dich,
goldhaarige Frau.
Schönes Mädchen,
Schwester, willkommen!
Voll von Asche
und eisig kalt
ist das Grab.
Du gibst uns Wärme
.

Älfrida schritt langsam auf Orm zu. In dem ruhelosen, hitzelosen Feuerlicht sahen sie sich an. Sie ergriff seine Hände; sie waren kalt wie die Erde, in der sie gelegen hatten. Orm sprach:

Nicht traumlos, schrecklich
war der Tod.
Liebste, deine Tränen
ließen mich leiden.
Geifer von Schlangen
tropfte giftig auf mich,
wenn ich hörte
im Tod dich weinen
.

Eines erflehe ich
von dir, Älfrida.
Lebe in Frohsinn,
lache, singe.
Tod ist dann
ein tiefer Schlaf,
ich ruhe in Frieden,
von Rosen umduftet
.

„Dazu habe ich nicht die Kraft, Orm“, sagte sie. Sie berührte sein Gesicht. „Es ist Eis in deinem Haar und Eis in deinem Mund. Du bist kalt, Orm.“

„Ich bin tot. Das Grab liegt zwischen uns.“

„Dann laß es nicht länger zwischen uns liegen. Nimm mich mit dir, Orm.“ Seine Lippen berührten die ihren.

Skafloc aber wandte sich an Ketil:

Sprich, Toter,
wo wohnt der Schwertschmied,
den ich brauche,
Bolverk der Riese?
Auch verkünd mir
ehrlich, Krieger,
was hab ich zu tun,
daß er hämmert für mich?

Ketil antwortete:

Dein Forschen, Zauberer,
wird furchtbar enden.
Unheil bringt es
über dich.
Such nicht Bolverk.
Sorgen bringt er.
Verlasse uns jetzt,
da du noch lebst
.

Skafloc schüttelte den Kopf. Da stützte sich Ketil auf sein Schwert und sang:

Im Norden, in Jötunheim,
nahe Utgard,
weit im Berge
wohnt der Riese.
Die Sidhe schenken dir
ein Schiff, ihn zu finden.
Sage ihm, Loki
singt vom Schwertspiel
.

Jetzt ließ sich Asmund von da, wo er mit dem Gesicht im Schatten stand, vernehmen, und seine Stimme klang traurig:

Bruder, Schwester,
ein bitteres Los
ward euch beiden
durch den Willen der Nornen.
Wir wünschten, ihr hättet
uns nicht erweckt.
Gezwungen zur Wahrheit
sind wir durch den Zauber
.

Frida grauste es. Sie konnte nicht sprechen, sie drängte sich dicht an Skafloc, und auf ihnen beiden ruhten die traurigen, weisen Augen Asmunds. Langsam sang er, während die weißen Flammen seine dunkle Gestalt umspielten:

Gültig ist das Gesetz
auch im Grab.
Schwer wird es mir,
doch sprechen muß ich.
Deine Eltern, Skafloc,
sind Orm und Älfrida.
Fridas Bruder
bist du, Skafloc.

Willkommen, Bruder,
tapferer Krieger!
Schwester, unwissend
schuldig geworden.
Geheiligte Bande
bricht eure Liebe.
Geht nun, Kinder.
Glücklos seid ihr.

Der Hügel schloß sich mit einem Grollen, das die Erde erbeben ließ. Das Feuer erlosch, und das schwache Mondlicht war wieder zu sehen.

„Mutter“, flüsterte sie, „Mutter!“

Aber der Hügel lag leer unter dem Mond. Älfrida wurde von Menschen nie mehr gesehen.

Der neue Tag stahl sich über das Meer. Der Himmel war niedrig und schwer, die Wolken hingen herab, als seien sie über dem leeren weißen Land festgefroren. Ein paar Schneeflocken wirbelten vorbei.

Frida saß auf dem Hügel und starrte ins Weite. Sie weinte nicht. Sie glaubte, nie mehr weinen zu können.

Skafloc, der die Pferde in einem Dickicht vor der Sonne geschützt hatte, kehrte zurück. Er setzte sich neben sie. Sein Gesicht und seine Stimme waren so trübe wie der Morgen. „Ich liebe dich, Frida.“

Sie sprach kein Wort.

Nach einer Weile fuhr er fort: „Ich kann nicht anders, als dich lieben. Was bedeutet schon der Zufall, daß wir vom gleichen Blut sind? Gar nichts bedeutet er. Ich weiß von Völkern, menschlichen Völkern, bei denen solche Heiraten üblich sind. Frida, komm mit mir, vergiß das verfluchte Gesetz…“

„Es ist Gottes Gesetz“, entgegnete sie ebenso tonlos wie er. „Wissentlich kann ich es nicht brechen. Meine Sünden wiegen bereits zu schwer.“

„Ich finde, ein Gott, der zwei Liebende wie uns trennen will, ist es nicht wert, daß man sein Gebot beachtet. Sollte er es wagen, mir in die Nähe zu kommen, würde ich dafür sorgen, daß er heulend nach Hause läuft.“

„Aye, ein Heide bist du!“ flammte sie auf, „erzogen von seelenlosen Elfen, für die du sogar die Toten zu neuer Qual erweckst.“ Ihre Wangen färbten sich schwach. „Geh doch zurück zu deinen Elfen! Geh zurück zu Lia!“

Er stand auf, weil sie es tat. Er versuchte, ihre Hände zu fassen, aber sie riß sich los. Seine breiten Schultern sanken herab.

„Keine Hoffnung?“ fragte er.

„Keine.“ Sie wandte sich ab. „Ich werde den Hof eines Nachbarn aufsuchen. Vielleicht bekomme ich eine Möglichkeit, das, was ich getan habe, wiedergutzumachen.“ Plötzlich drehte sie sich wieder um und sah ihn an. „Komm mit mir, Skafloc! Komm, vergiß dein Heidentum, laß dich taufen und mach deinen Frieden mit Gott.“

Er schüttelte den Kopf. „Nicht mit diesem Gott.“

„Aber… aber ich liebe dich, Skafloc. Ich liebe dich zu sehr, als daß ich deine Seele einmal an einem anderen Ort als im Himmel wissen möchte.“

„Wenn du mich liebst“, stieß er erstickt hervor, „bleibe bei mir. Ich werde dich nur wie – wie ein Bruder berühren. Aber bleibe bei mir.“

„Nein“, sagte sie. „Lebewohl.“

Sie lief davon. Er folgte ihr. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen. Als er sie überholt hatte und vor ihr stehenblieb und sie dadurch zwang, ebenfalls stehenzubleiben, sah sie, daß seine Lippen verzerrt waren, als werde ihm ein Messer in der Brust umgedreht.

„Willst du mich nicht einmal zum Abschied küssen, Frida?“ fragte er.

„Nein.“ Sie sprach so leise, daß er sie kaum hören konnte, und sie sah ihn dabei nicht an. „Ich wage es nicht.“

Und sie entfloh.

Er stand und sah ihr nach. Das Licht schlug kupferfarbene Funken aus ihrem Haar, und dieses Haar war die einzige Farbe in einer Welt aus Weiß und Grau. Sie lief um ein paar Bäume und verschwand außer Sicht. Langsam ging Skafloc in der anderen Richtung davon, hinaus aus dem verbrannten Hof.

Fortsetzung: Das geborstene Schwert (6): Jötunheim

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Neue Kommentarpolitik auf „Morgenwacht“: Wie bereits hier unter Punkt 1 angekündigt, am Schluß dieses Kommentars wiederholt als Absicht geäußert und in diesem Kommentar endgültig festgelegt, werden neue Kommentatoren nicht mehr zugelassen und sind die Kommentarspalten nur noch für die bereits bekannte Kommentatorenrunde offen.

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