Von der Science-Fiction- und Fantasy-Autorin Deborah J. Ross, übersetzt von Lucifex. Das Original Who Knew? The Secret History of the Pirates of the Caribbean, or What Disney Doesn’t Want You to Know erschien am 16. Februar 2010 auf Book View Café.
[Anmerkung des Übersetzers: Dieser Artikel einer anscheinend jüdischen Autorin (darauf deutet jedenfalls ihr Beitrag A Jewish Heroine of the Renaissance hin) auf Basis des Buches eines jüdischen Autors (siehe Link in meiner Nachbemerkung) gibt zwar eine recht apologetische Darstellung der Juden im Sinne der üblichen Verfolgungs- und Opferleier (Inquisitionsflüchtlinge), ist aber dennoch für uns recht aufschlußreich. Und Leser, die in der Judenfrage noch nicht ganz auf unserem Stand sind, können ihn dadurch nicht als etwas abtun, was böse Antisemiten sich aus den Fingern gesogen haben. Das Titelbild habe ich hinzugefügt.]
Jewish Pirates of the Caribbean: How a generation of swashbuckling Jews carved out an empire in the New World in their quest for treasure, religious freedom–and revenge [„Jüdische Piraten der Karibik: Wie eine Generation verwegener Juden sich in ihrem Streben nach Schätzen, Religionsfreiheit – und Rache – ein Imperium in der Neuen Welt schufen“] von Edward Kritzler
Was geschah 1492? Aller Wahrscheinlichkeit nach lautet die Antwort, die den meisten Amerikanern einfällt: „Kolumbus segelte über den blauen Ozean.“ Für Juden jedoch markiert das Datum die Vertreibung aus Spanien („konvertieren, wegziehen oder sterben“), gefolgt 1497 von der Vertreibung aus Portugal, kollektiv als die Sephardische Diaspora bekannt. Diejenigen, die nicht in der Lage waren zu fliehen, wurden zu „Conversos“ und für die meisten war diese Zwangsbekehrung nur eine Vorspiegelung.
Die Welt war ein gefährlicher Ort für Juden. Jedes Anzeichen von „Judaisierung“ zog die schnelle Aufmerksamkeit der Inquisition auf sich. Nur wenige Nationen, darunter Marokko und Holland, boten einen Rest von Sicherheit. Juden verbündeten sich mit verschiedenen Nationen und spielten die eine gegen die andere aus. Mitte der 1500er terrorisierte Sultan Suleimans Seebefehlshaber Barbarossa das Mittelmeer, aber der Mann, der die Seeschlachten tatsächlich anführte, war Sinan, „der berühmte jüdische Pirat“, der aus Spanien in die Türkei geflohen war. Sinan war berühmt für seine humane Behandlung von Gefangenen und seine magischen Kräfte (seine Kenntnis des Sextanten).
Die Entdeckung der Neuen Welt eröffnete neue Möglichkeiten. Juden gehörten zu den ersten Europäern [der Übersetzer räuspert sich], die die Karibik erforschten. Als Kartographen, Lotsen, Chirurgen, Schatzmeister, Übersetzer, Händler und Spione segelten sie mit Kolumbus wie auch mit da Gama und Cortes. Es ist nicht klar, ob Kolumbus selbst jüdischer Abstammung war, aber er verschaffte zusammen mit seinen Erben „heimlichen Juden“ eine Zuflucht vor der Inquisition. Weil es spanischen Conversos verboten war, sich in der Neuen Welt anzusiedeln, kamen sie als „Portugiesen“, und die Bezeichnung wurde zu einem Codewort für Conversos.
Die frühen jüdischen Siedler waren Händler und Schiffseigner und stützten sich auf ihre Fähigkeiten und Geschäftsmethoden (wie ein privates Banksystem, das Kreditbriefe ausgab, die weit weniger leicht gestohlen wurden als Edelmetall). Während des Großteils des sechzehnten Jahrhunderts befragte sie niemand allzu genau, solange sie vorgaben, Christen zu sein, und die Spanier mit einem Handelsnetzwerk versorgten. Um die Jahrhundertwende waren sie jedoch entbehrlich geworden. Die Inquisition brach mit voller Kraft über die jüdischen Gemeinschaften in Mexiko und Brasilien herein. Die Neue Welt war keine Zuflucht mehr.
Als Reaktion darauf konspirierte eine Handvoll von Juden mit Holland und England zwecks Eroberung einer Kolonie in der Neuen Welt. Ihre Inspiration war der Barbareskenpirat, „der Piratenrabbi“, Samuel Palache (dessen persönlicher Koch koschere Mahlzeiten für ihn zubereitete). Zu den Herausragendsten gehörten die Brüder Cohen Henriques, Moses und Abraham (der sich weigerte, seinen spanischen „Unterdrückernamen“ zu verwenden). Moses Cohen Henriques plante im Jahr 1628 die einzige erfolgreiche Kaperung einer spanischen Schatzflotte (im Wert von 1 Milliarde Dollar in heutiger Währung) in 200 Jahren und nahm daran (unter dem holländischen Admiral Piet Heyn) teil. In seinem späteren Leben herrschte er über seine eigene „Pirateninsel“ (vor Recife, gekauft mit seinem Anteil an der Beute) und wurde zum Ratgeber des berüchtigten Bukaniers Henry Morgan.
Gemeinsam mit Abraham Israel überredete Abraham Cohen Oliver Cromwell, Jamaikas jüdischer Gemeinschaft im Austausch gegen jüdische Unterstützung einer britischen Invasion zu Hilfe zu kommen (versüßt mit Versprechungen der Lage des geheimen Goldes von Kolumbus). Die zur Inbesitznahme ausgesandten englischen Streitkräfte hatten ihre Mühe, aber ein weiterer Jude, Simon de Caceres, schlug Cromwell einen anderen Weg vor, die Insel zu sichern – die Jäger von Hispaniola in Dienst zu nehmen, eine wilde Gruppe von Anarchisten, Häretikern und Gesetzlosen, die von der Rinderjagd zum Ausrauben von Booten übergegangen waren. Sie nannten sich Brüder der Küste. Ihr Hauptquartier befand sich auf Tortuga, und sie erhielten den Namen „Bukaniere“ vom „boucan“ oder Grünholzgrill, den sie zum Braten ihres Rindfleisches benutzten, bis die Spanier sie zu eliminieren versuchten, indem sie die Rinder töteten. De Caceres schlug vor, ihnen Kaperbriefe auszustellen, ihnen eine neue Basis in Port Royal auf Jamaika zu bieten und sie zu ermutigen, die Spanier in Schach zu halten. Die Piraten machten sich daran, spanische Reichtümer zu kapern, die dann über jüdische Händler verkauft wurden (die sie auch ausrüsteten und berieten). Somit ermutigten jüdische Händler und Schiffseigner die Bukaniere zur Führung eines Krieges gegen die Inquisition, der im schließlichen Fall des spanischen Imperiums in der Neuen Welt resultierte – und in der Schaffung von Zufluchtsorten, wo die Juden ihre Religion offen praktizieren konnten.
Zu guter Letzt schrieb der Pirat Jean Lafitte seine Findigkeit seiner jüdisch-spanischen Großmutter zu, einer Überlebenden der Inquisition.
Während es wahr sein mag, daß niemand die Spanische Inquisition erwartet, hätten die Spanier das schließliche Ergebnis nicht vorhersehen können. Die Vertreibung und Verfolgung der iberischen Juden, diente – weit davon entfernt, sie zu vernichten – als Anstoß für sie, Märkte und Handelsrouten sowie einen Militärgeheimdienst zu entwickeln, der ihnen half, ihre Sicherheit und Willkommenheit zu sichern. Der Preis für die Vorteile waren Verordnungen, die das offene Praktizieren nicht nur des Judaismus erlaubten, sondern auch anderer Religionen.
Sie können hier Interviews mit Edward Kritzler ansehen. Sehen Sie sich das an – es ist zum Totlachen.
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Deborah J. Ross hat seit den 1980ern Fantasy und Science Fiction geschrieben. Lesen Sie ihr neuestes Buch Hastur Lord, eine Darkover-Zusammenarbeit mit der verstorbenen Marion Zimmer Bradley.
Über Deborah J. Ross:
Ich begann 1982 als Deborah Wheeler professionell zu schreiben, mit Jaydium und Northlight (und dem Sammelband Other Doorways: Early Novels), und Kurzgeschichten in Asimov’s, The Magazine of Fantasy & Science Fiction, Realms of Fantasy und Star Wars: Tales from Jabba’s Palace. Nun unter meinem Geburtsnamen Ross, habe ich eine epische Fantasy-Trilogie geschrieben, The Seven-Petaled Shield. Meine Kollektion Azkhantian Tales enthält vier Kurzgeschichten, die in dieser Welt spielen. Book View Café bietet auch mein Sachbuch Ink Dance: Essays on the Writing Life an.
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Nachbemerkung des Übersetzers: Edward Kritzlers jüdische Identität wird im Nachruf der Jerusalem Post belegt, wo er gleich am Beginn des ersten Satzes als „Jewish-American author“ bezeichnet wird:
http://anonym.to/?http://www.jpost.com/Breaking-News/Jewish-pirates-author-Ed-Kritzler-dies-aged-69
Siehe auch:
Caribbean Project 9: Die jüdische Rolle in der amerikanischen Sklaverei von Hunter Wallace
Caribbean Project 10: Juden, Sklaverei und die niederländische Karibik von Hunter Wallace
Caribbean Project 11: Erforschung der niederländischen Karibik von Hunter Wallace
Caribbean Project 12: Der jüdische Exodus nach Barbados von Hunter Wallace
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Neue Kommentarpolitik auf „Morgenwacht“: Wie bereits hier unter Punkt 1 angekündigt, am Schluß dieses Kommentars wiederholt als Absicht geäußert und in diesem Kommentar endgültig festgelegt, werden neue Kommentatoren nicht mehr zugelassen und sind die Kommentarspalten nur noch für die bereits bekannte Kommentatorenrunde offen.
STEFAN MATUN
/ Februar 12, 2018Hat dies auf My Blog rebloggt.
Lucifex
/ Februar 12, 2018Da ist mir gleich wieder dieser Abschnitt aus Historischer Hintergrund zum Zweiten Weltkrieg von William Joyce eingefallen:
So haben die Juden es den Holländern gedankt, daß sie nach ihrer Vertreibung von der Iberischen Halbinsel und aus England dort Zuflucht erhalten haben!
Schon wieder dieser begriffliche Dauerbrenner mit den „Überlebenden“! Vor 1945 war es halt die Inquisition (und die „Pogrome“); mich würde interessieren, was die Juden diesbezüglich vor 1492 verwendet haben.
Lucifex
/ Februar 12, 2018Interessant ist auch der Abschnitt Piracy in Port Royal aus dem englischen Wiki-Eintrag über Port Royal (der deutsche ist viel kürzer); hier meine Übersetzung:
Unter 17th century economy im selben englischen Wiki-Artikel steht (Übersetzung wiederum von mir):
Lucifex
/ Januar 17, 2019Mit Erstaunen habe ich gerade festgestellt, daß es über den oben im Artikel erwähnten „Piratenrabbi“ Samuel Pallache sogar einen deutschen Wiki-Artikel gibt (einen umfangreicheren englischen sowieso).