Demokratie neu denken: Alain de Benoists The Problem of Democracy

Von F. Roger Devlin, übersetzt von Lucifex. Das Original Rethinking Democracy: Alain de Benoist’s The Problem of Democracy erschien am 14. Oktober 2011.

Alain de Benoist
The Problem of Democracy
Arktos Media, 2011

Diese täuschend kurze Studie der Demokratie beginnt bei dem bekannten Punkt, daß der Begriff in einem Zeitalter, in dem alle Regime behaupten, demokratisch zu sein, nicht mehr viel bedeuten kann. Benoist schlägt vor, daß der ernsthafte Forscher sich der Geschichte zuwenden und die Demokratie studieren sollte, wie sie tatsächlich existiert hat, lange vor der Moderne. Ein Muster, das schnell klar wird, ist die innige Verbindung zwischen Demokratie und westlicher Zivilisation:

Im Gegensatz zum Orient ist absolute Despotie in Europa immer außerordentlich selten gewesen. Ob in Rom, in der Ilias, im vedischen Indien oder unter den Hethitern, finden wir bereits zu einem frühen Datum die Existenz von Volksversammlungen sowohl für die militärische als auch zivile Administration.

Dies bedeutet nicht, daß die meisten westlichen Staatswesen Demokratien gewesen sind; sie sind in den meisten Fällen gemischte Regime gewesen, die demokratische Elemente enthielten. Doch selbst solche Elemente haben in der nichtwestlichen Welt generell gefehlt, wo schon das Wort für Demokratie ein neuer Import aus den europäischen Sprachen ist.

Spezifischer war die Demokratie ein Regierungssystem, das sich in klassischen Zeiten in Griechenland entwickelte. Benoist sucht als Nächstes wiederzuentdecken, was demokrateia für die Männer bedeutete, die sie erfanden. Seine Diskussion entwickelt sich dann zu einer Verteidigung dieses antiken Konzepts und zu einer entsprechenden Kritik an modernen „Demokratien“.

Der Kardinalpunkt, den man begreifen muß, ist, daß das klassische Verständnis „eine relativ homogene Gemeinschaft, die sich dessen bewußt ist, was sie zu einer solchen macht“ voraussetzte, oder „kulturellen Zusammenhalt und ein klares Gefühl einer gemeinsamen Zugehörigkeit.“

Je näher die Mitglieder einer Gemeinschaft einander sind, desto wahrscheinlicher haben sie gemeinsame Einstellungen, identische Werte und dieselbe Art, die Welt und soziale Bindungen zu sehen, und desto leichter fällt es ihnen, ohne Bedürfnis nach irgendeiner Form von Vermittlung kollektive Entscheidungen betreffend das Gemeinwohl zu treffen.

Die Bürger einer griechischen polis hatten eine gemeinsame Abstammung, eine gemeinsame Geschichte, eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Form der religiösen Kultausübung. Es ist ein müßiger Punkt, was demokrateia gewesen wäre, wenn eines oder mehrere davon gefehlt hätten.

Solch ein Regime unterschied sich von einer Oligarchie oder einer Tyrannei durch drei Formen bürgerlicher Gleichheit: Isonomie oder Gleichheit vor dem Gesetz; Isotimie oder gleiche Wählbarkeit für ein öffentliches Amt, und Isegorie oder gleiche Freiheit, sich in Angelegenheiten von öffentlichem Belang an seine Mitbürger zu wenden. Bürgerliche Gleichheit hat nichts mit natürlicher Gleichheit zu tun und hat keine Bedeutung außerhalb der Beziehung von Menschen zu der politischen Gemeinschaft, deren Mitglieder sie sind.

Athen

Athen ist die einzige antike Demokratie, über die wir ein beträchtliches Wissen haben. Wir wissen genug über Sparta und Rom, um nützliche Vergleiche zu ziehen, aber diese Staaten waren gemischte Regime mit nur gewissen demokratischen Aspekten.

Benoists allzu kurze historische Betrachtung geht hastig über die Solon’schen Reformen hinweg, obwohl diese gewiß eine demokratische Tendenz hatten. In früheren Zeiten war die Macht von den Eupatridai (den „Wohlgezeugten“) monopolisiert worden, einer Aristokratie, die typischerweise große Ländereien auf dem reichen Niederungsland Attikas besaß und Pferde züchtete. Bis zum frühen sechsten vorchristlichen Jahrhundert hatte diese Klasse viele der Kleinbauern des Hügellandes auf die Schuldensklaverei herabgedrückt. Als er einen Auftrag erhielt, die Gesetze zu reformieren, um die bürgerliche Eintracht wiederherzustellen, schaffte Solon die Schuldensklaverei ab und annullierte existierende Schulden. Diese Maßnahme wurde seisachtheia genannt, Abschüttelung von Lasten. Er ließ auch die gerade frei gewordene Klasse der Freibauern (Zeugetai oder Gefährten des Jochs) zur Teilnahme an der Versammlung zu. Aus diesen Gründen wurde Solon oft der Vater der athenischen Demokratie genannt. Aber die ärmeren, allgemein landlosen Männer, die Thetes genannt wurden, blieben weiterhin aus der Politik ausgeschlossen.

Benoist datiert die athenische Demokratie auf die Reformen von Kleisthenes 508 v. Chr. Vor dieser Zeit bestand die athenische Gesellschaft aus vier phylai oder Stämmen, die in phratria (Bruderschaften) und genē (Sippen) unterteilt waren. Athenische Bürgerlisten beruhten auf der Mitgliedschaft in phratria. Es überrascht nicht, daß die bürgerliche Loyalität gegenüber Athen oft den Ansprüchen der Sippe Platz machen mußte. Dies trug zur Errichtung einer Tyrannei durch die Familie der Peisistratiden noch zu Lebzeiten Solons bei.

Nachdem er die Peisistratiden zu stürzen geholfen hatte, führte Kleisthenes ein neues System der Erfassung der Bürger nach Wohnort oder deme, ungeachtet der Sippe oder des Stammes, ein. Die vier Stämme wurden tatsächlich abgeschafft und durch zehn neue Gruppierungen ersetzt. Obwohl immer noch phylai genannt, bestanden sie fortan aus demes statt aus Familien. Kleisthenes‘ großes Ziel war die Ersetzung von Verwandtschaftsbindungen durch spezifische politische oder bürgerliche Bindungen.

Jeder der zehn neuen „Stämme“ bestand aus drei Gruppen von demes oder Bezirken: einer aus den Ebenen, einer aus dem Hügelland und einer von der Küste. Die alte Eupatriden-Aristokratie war auf den Ebenen konzentriert, die unabhängigen Kleinbauern in den Hügeln, und die Küstengebiete waren gemischt. Daher zwang die Neuorganisation nicht nur verschiedene Familien, sondern auch verschiedene Gesellschaftsschichten zur Zusammenarbeit, was die Entwicklung politischer Fraktionen um Klasseninteressen verhinderte. Kleisthenes nannte dieses System isonomia oder Gleichheit vor dem Gesetz, aber es wurde allmählich als demokrateia bekannt. Dieser Begriff könnte ursprünglich genauso „Herrschaft durch die demes“ wie „Herrschaft durch das Volk“ (den demos) bedeutet haben.

Sechsundvierzig Jahre später wurde eine dritte und finale große Runde demokratischer Reformen unter der Führung von Ephialtes durchgeführt. Bis zu dieser Zeit war viel Einfluß durch den Areopag ausgeübt worden, einen Rat ehemaliger Amtsträger, der einigermaßen analog zum römischen Senat war. Der Areopag war eine Festung der Eupatridenmacht geblieben. Ephialtes übertrug all dessen politische Vorrechte an die Volksversammlung und beließ ihn als bloßes Gericht mit Rechtsprechungsbefugnis über Mord und bestimmte andere Kapitalverbrechen. Er öffnete die Teilnahme an der Versammlung auch für die Thetes. Das resultierende Regime wird oft als die radikale Demokratie bezeichnet.

Ephialtes selbst wurde im ersten Jahr der Durchführung seiner Reformen von einem aristokratischen Gegner ermordet, aber sie wurden von seinem Nachfolger Perikles konsolidiert. Innerhalb von etwa fünfzehn Jahren war die aristokratische Fraktion der Stadt buchstäblich auseinandergefallen. Athen blieb weiterhin, mit zwei kurzen Unterbrechungen, mehr als hundert Jahre lang bis zur makedonischen Eroberung von 338 v. Chr. demokratisch regiert. Die Volksversammlung erließ Gesetze, führte Krieg und schloß Frieden, ernannte Amtsträger und übte gerichtliche Funktionen aus.

451 v. Chr., zehn Jahre nach dem Tod von Ephialtes, wurde ein Gesetz erlassen, das die athenische Staatsbürgerschaft auf Männer beschränkte, die einem athenischen Vater und einer athenischen Mutter geboren worden waren. Diese Einschränkung der Zahl von Bürgern, die zur Teilnahme an der athenischen Politik berechtigt waren, mag dem modernen Leser als völlig undemokratische Maßnahme erscheinen, aber sie wurde von Zeitgenossen als eine natürliche Konsequenz der Demokratie selbst gesehen: die Ausdehnung politischer Rechte auf immer breitere Schichten der Bevölkerung schien ihnen eine entsprechende Verschärfung der Anforderungen für die Staatsbürgerschaft zu erfordern.

Die Athener betrachteten sich gern als autochthon: als die ursprünglichen Bewohner Attikas, unvermischt mit fremdem Blut. So wie jedoch Athen aufblühte, zog es Kaufleute aus ganz Griechenland und darüber hinaus an. Ausländische Händler und ihre Familien wurden metoikoi, Mitbewohner, genannt und bildeten mit der Zeit einen großen Bruchteil der ansässigen Bevölkerung. Mischehen begannen vorzukommen: ein ortsansässiger Thraker zeugte den athenischen Historiker Thukydides. Solche Ausländer durften Grund besitzen und genossen Bürgerrechte wie die Nutzung des Gerichtssystems, aber sie hatten keine politischen Rechte irgendwelcher Art.

Laut den gegenwärtig für unseren Gebrauch genehmigten Vorstellungen war solch eine Ausschließung eine Verletzung der „Menschenrechte“ dieser Ausländer und der unzumutbarste „Rassismus“. Und doch gibt es keine Anzeichen dafür, daß sie jemals gegen ihre Situation protestierten. Sie hatten eindeutig das Gefühl, daß die Vorteile des Lebens in Athen den Verlust jeglicher politischer Teilhabe aufwogen, die sie bei sich zu Hause genossen haben mochten. Falls es irgendwelche Unzufriedene unter ihnen gab, wurden sie von den Athenern zu schnell davongejagt, als daß sie Spuren in den historischen Aufzeichnungen hinterlassen hätten.

Sparta

Was von der Ethnographie und Verfassung des spartanischen Staates bekannt ist, bestätigt ebenfalls Benoists Behauptung der innigen Verbindung zwischen Demokratie und rassischer und gesellschaftlicher Homogenität. Die Spartaner behaupteten nie, autochthon zu sein; sie betrachteten sich als „reine Dorer“, deren Vorfahren ein Wanderleben geführt hatten, bevor sich sich als die Herren von Lakonia niederließen. Die früheren, nicht-dorischen Eingeborenen dieses Landes wurden, wenn sie Glückhatten, auf den Status von perioikoi oder „Herumwohnende“ ohne politische Rechte reduziert. Wenn sie weniger Glück hatten, wurden sie zu Heloten oder Sklaven des spartanischen Staates. Die Spartaner lebten in ständiger Furcht vor rachsüchtigen Aufständen dieser zahlanmäßig überlegenen Sklavenklasse und gingen hart mit ihr um. Spartaner gingen nie Mischehen mit den verachteten Eingeborenen Lakonias ein, ob perioikoi oder Heloten.

Die Menschen der Antike betrachteten die spartanische Verfassung als beispielhaftes „gemischtes“ Regime, das aus monarchischen, aristokratischen und demokratischen Elementen zusammengesetzt war: es kombinierte ein Doppelkönigtum mit einem Ältestenrat und einer Volksversammlung, die alle Gesetze genehmigen mußte. Doch ist es wichtig zu betonen, daß diese Kombination nur für spartanische Vollbürger galt, die eine kleine Minderheit der in spartanisch kontrolliertem Territorium lebenden Gesamtbevölkerung bildeten. Wenn man dieses Territorium als Ganzes betrachtet, muß das System als extrem enge Aristokratie betrachtet werden.

Die Spartaner betrachteten ihr politisches Regime eindeutig als mit der Mitgliedschaft in einem einzigen Clan verbunden, der eine gemeinsame Abstammung hatte. Zwei Punkte für Benoist.

Rom

Der Fall Rom scheint für die These des Autors weniger günstig zu sein. Die Römer bewahrten die überraschend wenig schmeichelhafte Tradition, daß Romulus seine Stadt ursprünglich bevölkerte, indem er entlaufenen Sklaven, Kriminellen und allen möglichen anderen Ausgestoßenen aus der Umgebung Asyl bot. Nachdem dies großteils Männer waren, überlebte die Stadt nur durch Entführung von Frauen von den nahegelegenen Sabinern über die erste Generation hinaus. Zwei von Roms sieben halblegendären Königen sollen etruskischer Herkunft gewesen sein; die Etrusker sprachen eine nicht-indoeuropäische Sprache und hatten ihren Ursprung vielleicht in Anatolien.

In seinen frühen Jahren stritt Rom genauso sehr wie alle anderen mit den unabhängigen latinischen Städten. An keinem Punkt ihrer Entwicklung war die Stadt die Hauptstadt eines kompakten, homogenen, auf Volkszugehörigkeit beruhender latinischer Nationalstaat; die historischen Aufzeichnungen widerstanden den kräftigsten Bemühungen von Historikern des neunzehnten Jahrhunderts, beeinflußt vom romantischen Nationalismus ihrer Zeit, ihr solch eine Interpretation anzuhängen.

Wichtiger vielleicht ist die Goßzügigkeit, mit der Rom Untertanen von bewiesener Loyalität das Bürgerrecht gewährte. Dies wurde zu der Zeit als ungewöhnlich betrachtet, doch gehörte es zu den wichtigsten Instrumenten der römischen Politik. Potentiell rebellische besiegte Völker wurden mit beschränkten Bürgerrechten besänftigt und, was entscheidend ist, mit der Möglichkeit, im Laufe der Zeit weitere Rechte und Status zu gewinnen. Es war ein Programm der Romanisierung und erwies sich als bemerkenswert wirksam, doch es beinhaltete einen großen Bruch mit der antiken kommunitären Natur der Politik.

Trotz dieser Liberalität bei der Gewährung des Bürgerrechts gab die römische Republik gleichzeitig ihrem Volksrat, dem concilium plebis, zunehmende Befugnisse; in anderen Worten, sie wurde allmählich demokratischer. Ein tieferes Studium der demokratischen Komponente der römischen Verfassung, als wir es hier unternehmen können, könnte einige Modifikationen zu Benoists These betreffend antike Demokratie und biologisch-kulturelle  Homogenität liefern, die er hauptsächlich auf den Fall Athen stützt.

Natürlich deutet nichts in der römischen Erfahrung auf die Machbarkeit demokratischer Regierung in einem Staatswesen hin, das aus verschiedenen „kontinentalen Bevölkerungsgruppen“ zusammengesetzt ist.

Demokratie, Gleichheit und Freiheit

Neben der Abhängigkeit von einer bereits existierenden Volksgemeinschaft unterschied sich die antike Demokratie von der modernen liberalen Demokratie in ihrem Konzept der Gleichheit, das in keiner Weise gegen Hierarchie oder Autorität stand. „Alle antiken Autoren, die die Demokratie lobten, haben sie nicht gepriesen, weil sie ein wesenhaft egalitäres Regime ist, sondern seil sie … eine bessere Auswahl der Elite ermöglicht.“

Wahlen (engl. elections, vom lateinischen eligere, „auswählen“) sind eine Form der Auswahl; schon das Wort „Elite“ hat dieselbe Etymologie. Ursprünglich drückte Demokratie einen Willen aus, Privilegien durch Verdienste zu einer Zeit zu ersetzen, in der das erstere nicht länger die logische Konsequenz des letzteren zu sein schien. Das Ziel war, Zufallsfaktoren (besonders Geburt) durch Fähigkeiten zu ersetzen. Es sind nicht Eliten, gegen die sie ist… Welches Regime strebt denn nicht nach Qualität in seiner Regierung? Wenn die Demokratie so viele Geister bezaubert hat, so liegt dies teilweise daran, daß sie als das beste Mittel gesehen wurde, um eine Fluktuation der Elite zu organisieren.

Eine Gleichheit, die sich von einer ererbten Mitgliedschaft ableitet, ist für uns sicherlich verständlich, wenn auch weniger vertraut als linkes Nivellieren. Sicherlich hängt jedoch Freiheit von Umständen ab und kann nicht als ererbter Status gedacht werden? Doch für die Menschen der Antike war es so:

Im Griechischen stammt Freiheit, so wie im Lateinischen, von jemandes Herkunft. Ein Freier, *(e)leuderos (griechisch eleutheros), ist hauptsächlich derjenige, der zu einem bestimmten Familienstamm gehört (vgl. das lateinische Wort liberi, Kinder). „Von gutem Stammbaum zu sein, heißt, frei zu sein“, schreibt Emile Benveniste; „es läuft auf dasselbe hinaus.“ Die indoeuropäische Wortwurzel *leudh- diente auch zur Bezeichnung von Menschen als zu einem bestimmten Volk gehörend (vgl. das altslawische ljudú, „Volk“, und das deutsche Leute). Diese Begriffe leiten sich alle von einer Wortwurzel ab, die die Vorstellung von „Wachstum und Entwicklung“ beschwört.

Häufige Einwände gegen die Demokratie

In seinem zweiten Kapitel versucht Benoist die Demokratie in ihrem ursprünglichen Verständnis gegen eine Anzahl häufiger Kritiken zu verteidigen: sie ist instabil, mit ständigen Fraktionskämpfen, die auf einen latenten Bürgerkriegszustand hinauslaufen; sie ist anfällig für Appelle an Sonderinteressen; tausend Narren summieren sich nicht zu einem weisen Mann; ihre Ableitung der Autorität von Zahlen ist unlogisch; sie segnet die Herrschaft der Mittelmäßigkeit, etc.

Die Probleme des Parteigeistes und der Sonderinteressen fügt der Autor nichts seiner zuvor erklärten Position hinzu, daß Demokratie Homogenität voraussetzt und bei deren Fehlen nicht praktikabel sein könnte. Über Skandinavien zum Beispiel schreibt er:

Diese demokratische Tradition ruht auf einer besonders starken kommunitären Einstellung – einer Neigung zum Zusammenleben, die Leute dazu bringt, gemeinsame Interessen vor allem anderen zu berücksichtigen. … Diese Tradition ist auf gegenseitige Unterstützung und ein Gefühl gemeinsamer Verantwortung begründet.

Es könnte einfach nicht möglich sein, Demokratie in Abwesenheit „einer besonders starken kommunitären Einstellung“ zu praktizieren.

Hinsichtlich der Unwissenheit und Unfähigkeit des gemeinen Volkes entlehnt der Autor ein Argument aus Webers Politik als Beruf: „In der Politik bedeutet Entscheidungsfindung nicht die Wahl zwischen dem, was wahr und was falsch ist; vielmehr bedeutet es, zwischen möglichen [praktischen] Optionen zu wählen.“ Er merkt an, daß es, wenn Wahrheit die bestimmende Größe des politischen Handelns wäre, dabei keine Wahlmöglichkeit gäbe, wohingegen Politik eben eine Kunst der Auswahl von Alternativen ist.

Die Idee, daß die Regierung in den Händen von „Wissenden“ liegen sollte, geht mindestens bis auf Platos Republik zurück. Für Plato jedoch bedeutet Wissen vorrangig das Wissen um „das Gute“ – des höchsten Wertes und telos menschlichen Handelns. Für den utopischen Philosophenkönig, der zu solchem Wissen fähig ist, wäre das Treffen politischer Entscheidungen tatsächlich auf eine Art von Kalkulation reduziert.

Ob zu recht oder unrecht, wenige unserer Zeitgenossen glauben an die Möglichkeit irgendeines Wissens um „das Gute“; für sie sind „Wissende“ bloß Spezialisten und Techniker. Solche Männer verstehen sich auf die Anwendung von Mitteln zu einem bestimmten Zweck, aber es fehlt ihnen fast definitionsgemäß die Perspektivenbreite, wie sie für die weise Wahl zwischen bestimmten Zwecken notwendig ist. Aus diesem Grund erweist sich die politische Herrschaft durch technische Experten oft als katastrophal.

Doch Benoist ist überraschend optimistisch bezüglich der Fähigkeit richtig informierter gewöhnlicher Leute zum Treffen von Entscheidungen hinsichtlich ihres eigenen Wohlergehens:

Die große Mehrheit der heutigen Bürger ist – besonders wenn sie ein klares Bewußtsein ihrer gemeinsamen Zusammengehörigkeit haben – völlig dazu fähig, wenn sie die Mittel zum Treffen echter Entscheidungen bekommen (ohne von Propaganda und Demagogie irregeführt zu werden), die politischen Handlungen zu identifizieren, die für das Gemeinwohl am besten geeignet sind.

Der Autor bekräftigt die Realität des Volksgeistes, der Geisteshaltung eines bestimmten Volkes, die sich in seiner Geschichte und in seinen Institutionen ausdrückt. Er bezeichnet diese Geisteshaltung als „gemeinsame Vision“ oder „kollektive Repräsentationen einer wünschenswerten soziopolitischen Ordnung“, die „jeder Person Gebote präsentiert, die über Einzelrivalitäten hinausweisen.“ Das National- oder Volksbewußtsein ist die fundamentale Quelle der Legitimität jedes Regimes, die über jedem Gesetz oder jeder Verfassung steht. Man versteht, warum Benoist auf Unverständnis seitens der englischsprachigen Politikwissenschaft mit ihren fortbestehenden positivistischen Inspirationsquellen gestoßen ist.

Probleme der Volkssouveränität

In seinem dritten Kapitel entwickelt Benoist zwei der Volkssouveränität innewohnende Schwierigkeiten. Die erste betrifft die Möglichkeit ungerechten und tyrannischen Handelns seitens des demos. „Die zugrundeliegende Eigenschaft der Volkssouveränität“, schreibt er, „ist, daß es im Prinzip nichts gibt, das sie beschränkt.“ Dies würde die Unterscheidung zwischen einer Demokratie unter der Herrschaft des Gesetzes und einer Ochlokratie oder der Herrschaft durch einen gesetzlosen Mob bedeutungslos machen. Wenn das Gesetz souverän ist, dann ist es das Volk nicht: daher gibt es keine Demokratie. Der Autor diskutiert dieses Dilemma, das vielleicht einfach in der Natur der Volksherrschaft liegt, bietet aber keine Lösungen dafür an.

Die zweite Schwierigkeit betrifft sowohl die Notwendigkeit von Pluralismus wie auch dessen notwendige Grenzen. Zum ersten Punkt betont Benoist, daß Mehrheitsabstimmung als bloße Technik für die Entscheidungsfindung gesehen werden sollte, nicht als Quelle von Autorität oder Wahrheit. Die Grundlage der demokratischen Legitimität ist nicht das Mehrheitsprinzip, sondern die Ernennung von Führern durch die Regierten.

Wo die Mehrheit mit der moralischen Autorität des demos als Ganzem ausgestattet ist, wie es sich Lenin und Robespierre vorstellten, bleiben der Opposition keine Rechte. Unter diesen Bedingungen wird die Mehrheit dauerhaft – und genau dies bedeutet das Ende der Demokratie. Eine politische Opposition ist daher von einem liberalen Theoretiker als „ein so wesentliches Organ der Volkssouveränität wie die Regierung“ beschrieben worden.

Benoist jedoch betrachtet diese Position als weniger als zufriedenstellend: „Es gibt ein großes Risiko, daß ‚Pluralismus‘, so wie er sich allmählich ausweitet, die Vorstellung von [einem] Volk auflösen könnte, welche eben die Grundlage der Demokratie ist.“ Übermäßig großzügige Einwanderungspolitik fällt einem da sofort ein.

Außerdem könnten bestimmte Personen sich gänzlich von der nationalen Volksgemeinschaft entfremdet fühlen. Doch sie könnten oft gewillt sein, an demokratischen Institutionen teilzunehmen, um solche Gemeinschaften zu untergraben und die Rechte demokratischer Staatsbürgerschaft abzuschaffen. Während des letzten Jahrhunderts waren Kommunisten das Musterbeispiel für solche Subversive; heute sind sie durch moslemische Einwanderer ersetzt worden. Sicherlich steht das Regime unter keiner Verpflichtung, sich zerstören zu lassen.

Während des Kalten Krieges versuchte die Bundesrepublik Deutschland auf diese Schwierigkeit durch Erlaß von Berufsverboten zu reagieren, um Subversive aus bestimmten sensiblen Arten von Arbeit draußenzuhalten. Doch solch ein Gesetz hat beträchtliches Mißbrauchspotential. Heute werden die Berufsverbote von Deutschlands globalistischer Elite schlicht mißbraucht, um patriotische Gegner der moslemischen Einwanderung oder der europäischen Integration zu schikanieren und zu demoralisieren – eine Opposition, bei der es ihnen gefallen hat, sie als wesenhaft „antidemokratisch“ zu erklären.

Manchmal heißt es, daß Loyalität zur Verfassung das Kriterium für die Unterscheidung zwischen loyaler und illoyaler politischer Opposition sei. Doch dies erscheint kaum als zufriedenstellend; patriotische Bürger könnten ebenfalls alle Arten weitreichender Verfassungsänderungen befürworten.

Benoist beschwört meisterhaft das Dilemma des Pluralismus, bevor er wie folgt schließt:

Pluralismus ist ein positiver Gedanke, aber er kann nicht auf alles angewandt werden. Wir sollten den Wertepluralismus, der ein Zeichen für das Auseinanderbrechen der Gesellschaft ist, nicht mit dem Meinungspluralismus verwechseln, der eine natürliche Konsequenz der menschlichen Vielfalt ist. … Ausdrucksfreiheit ist somit nicht dazu bestimmt, dort zu enden, wo sie in die Freiheit anderer eingreift (nachdem dies eine liberale Formel ist, bei der man leicht zeigen kann, daß sie kaum bedeutungsvoll ist), sondern vielmehr dort, wo sie im Gegensatz zum Allgemeininteresse steht, das heißt zur Möglichkeit einer Volksgemeinschaft, sich ein Schicksal in Übereinstimmung mit ihren eigenen Gründungswerten zu gestalten.

Es bleibt abzusehen, ob Standards wie „Meinungspluralismus, aber nicht Wertepluralismus“ oder „die Möglichkeit einer Volksgemeinschaft, sich ein Schicksal in Übereinstimmung mit ihren eigenen Gründungswerten zu gestalten“ sich als weniger mehrdeutig oder weniger anfällig für Korruption erweisen werden als Loyalität zur Verfassung oder Nichteingreifen in die Rechte anderer. Vielleicht ist keine mögliche gesetzliche Abhilfe gegen Subversion gleichzeitig eindeutig und unfähig zum Mißbrauch.

Repräsentative Demokratie

In seinem vierten Kapitel wendet Benoist sich der Kritik an der modernen repräsentativen Demokratie zu, die er als „aufs Engste mit der judeo-christlichen Moral und der Philosophie der Aufklärung verbunden“ sieht. Dieses Konzept der Demokratie ruht auf angeblichen Rechten, die allen menschlichen Wesen zu eigen sind. Aus solch einer Perspektive erscheinen Nationen als bloße Konglomerate von Menschen, die zufällig von der Geschichte zusammengeworfen wurden und ohne intrinsische Bedeutung sind. Statt Völkern sehen wir Massen: „flüchtige Vielzahlen isolierter und wurzelloser Individuen.“ Demokratie im klassischen Sinn wird unmöglich, denn es gibt kein Volk, an dessen Geschick irgendjemand teilhaben könnte.

Wahlen waren ursprünglich als Weg gedacht, gewöhnlichen Menschen die Teilhabe am öffentlichen Leben zu ermöglichen, indem sie ihnen bei der Ernennung ihrer eigenen Führer helfen. In zeitgenössischen Massendemokratien sind sie wenig Besseres als eine Travestie dieser Idee. Sie dienen stattdessen als „ein Weg zur Legitimierung der Macht, die Berufspolitiker über eine passive Bevölkerung ausüben“ (Benoist zitiert den Archäologen Paul Veyne).

In der demokratischen Theorie wollen Kandidaten gewählt werden, um ihr eigenes Programm für die Zukunft des Volkes umzusetzen. Die Kandidaten von heute übernehmen wahrscheinlich jede Idee, von der sie denken, daß sie zu ihrer Wahl führt. Wahlprogramme beruhen zunehmend auf Meinungsumfragen, die für alle Parteien dieselben Resultate ergeben. Wahlkampf besteht aus der Bemühung um die „Mitte“, wo Meinungen nichts weiter sind als „Eindrücke: vage, widersprüchliche und schlecht definierte Ideen, die von ihren Stimmungen und Schwärmereien abhängen und in ständigem Fluß sind.“

Wenn dieselben Techniken angewandt werden, um im selben Sumpf zu fischen, überrascht es kaum, daß „im Fall einer Finalen Abstimmung zwischen zwei Kandidaten das Ergebnis immer im Bereich 50/50 liegt: es wird zunehmend ungewöhnlich, daß Wahlen um mehr als einen winzigen Prozentanteil der Stimmen gewonnen oder verloren werden.“

Sobald er einmal gewählt ist, beeilt sich der Politiker, die Maßnahmen zu setzen, von denen er weiß, daß sie unpopulär sein oder gegen die Versprechungen verstoßen werden, die er zuvor gemacht hatte; demagogische Maßnahmen tauchen wieder auf, wenn neue Wahlen näherrücken. Wir mögen solches Verhalten tadeln, aber es ist eine natürliche Folge der unbestreitbaren Tatsache, daß Politiker ihre Position weit mehr ihren Parteien und finanziellen Unterstützern verdanken als den Wählern. Weder das Spiel um die Wahlkampffinanzierung noch die innere Struktur der modernen politischen Partei haben jedoch irgendetwas Demokratisches an sich.

In einem Wort, die Demokratie ist krank, weil die Bürger nicht für Politiker stimmen können, von denen sie einen Handlungsweg erwarten können, der wohldefinierte Verpflichtungen widerspiegelt. Als Folge davon „erlebt das politische Leben liberaler Demokratien nun eine beispiellose Welle der Gleichgültigkeit und Apathie.“

Was der Autor hier als das Schicksal der Demokratie in der modernen Welt beschreibt, ist einfach bürokratische Korruption, ein Prozeß, der in Kontexten aller Art auftritt. Eine klare und (für Ihren Autor) schlüssige Art, das zu analysieren, liefert der Philosoph Alasdair MacIntyre. In MacIntyres Begriffen ist Demokratie eine Art von Praktik, d. h. eine gesellschaftlich etablierte kooperative menschliche Aktivität, die auf ein Gut abzielt. Andere Beispiele für Praktiken sind die Künste, die Wissenschaften, Geschichtsschreibung, Kriegführung und religiöse Kultausübung.

Wie alle menschlichen Praktiken erfordert demokratische Politik Institutionen, die sie unterstützen und pflegen, aber die Praktik ist nicht einfach mit ihnen äquivalent. Wie alle Institutionen erzeugen demokratische politische Institutionen ein System von Anreizen, das sich nur teilweise mit dem eigentlichen Ziel der demokratischen Praxis selbst deckt, nämlich dem Gedeihen der betreffenden politischen Gemeinschaft. Der Großteil der Energie, die in die Stimmenwerbung geht, ist auf das gerichtet, was MacIntyre die institutionellen Belohnungen nennen würde, die außerhalb der demokratischen politischen Praxis selbst liegen: Vergünstigungen durch ein Amt, Handel mit Patronage und so weiter.

Was in einem gesunden demokratischen Staatswesen die Vision eines Führers für die Bestimmung seiner Volksgemeinschaft sein könnte, wird somit durch ein „Programm“ ersetzt: eine auf Umfragen beruhende, zielgruppengetestete Liste von „Positionen zu den Fragen“, zur geringsten ideologischen Verpackung, die das von der Partei entworfene Nichts des Tages gegenüber den Massen vermarkten soll.

MacIntyre geht so weit, Tugend als das zu definieren, was es denjenigen, die menschliche Praktiken ausüben, ermöglicht, dem korrumpierenden Einfluß von Institutionen zu widerstehen. Im Sinne dieser Analyse läuft die Krise, die Benoist in demokratischen Institutionen identifiziert, ganz einfach auf einen Mangel an Tugend hinaus.

Der Leser wird vielleicht schnauben, daß er zu einem ähnlichen Schluß kommen konnte, indem er sich einfach die Art von Männern ansieht, die in zeitgenössischen westlichen Regimes in hohe Positionen aufsteigen. Dem stimme ich zu. Der Aufstieg moralischer Zwerge wie Bill Clinton, Tony Blair, Angela Merken et hoc geno omne ist die bestmögliche Bestätigung für die Richtigkeit dieser Analyse.

Reform der Demokratie

The Problem of Democracy ist eine ziemlich theoretische Abhandlung, und das Schlußkapitel über konkrete Reformen ist das kürzeste und skizzenhafteste in dem Buch. Benoist betont, daß Institutionen selbst weniger zählen als die Teilhabe des Volkes in ihnen. Zu den Orten für solche Teilhabe zählen Gemeindeversammlungen, Regionalversammlungen und Berufskörperschaften-

Dem Volk sollte Gelegenheit zum Entscheiden gegeben werden, wo immer es das kann; und wo immer es das nicht kann, sollte es die Gelegenheit bekommen, seine Einwilligung zu geben oder zu verweigern. Dezentralisierung, Delegierung von Verantwortlichkeiten, rückwirkende Einwilligung und Volksabstimmungen sind alles Maßnahmen, die mit allgemeinem Wahlrecht kombiniert werden könnten.

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The Problem of Democracy ist kein leichtverdauliches Werk. In Teilen kommt dies von der Gewohnheit des Autors, sich mittels Zustimmung oder Widerspruch zu einer Anzahl französischer und kontinentaleuropäischer Gestalten auszudrücken, die einem amerikanischen Publikum großteils unbekannt sind. Manche davon sind für sich genommen würdig Männer, während andere vergessenswerte Publizisten sind, die nur zitiert werden, um ein Argument anzubringen, aber der Unterschied mag dem Leser nicht immer klar sein. Die Herausgeber haben jedoch zwecks zusätzlicher Klarheit zahlreiche Fußnoten hinzugefügt.

Alain de Benoist ist seit den frühen 1970ern eine gefeierte und umstrittene Gestalt im französischen intellektuellen Leben sowie auch ein ungewöhnlich produktiver Autor gewesen. Seine Nicht-Rezeption in der englischsprachigen Welt kontrastiert seltsam mit dem Mob akademischer Akolyten, die frivole Gestalten wie Jacques Derrida umgeben. Das rezensierte Werk ist erst sein zweiter Titel, der auf Englisch erscheint, nach On Being a Pagan [PDF, 124 Seiten] im Jahr 2005.

Der Grund, warum die Dinge sich verspätet zu ändern beginnen, ist das jüngste Entstehen kleiner, nicht subventionierter Verleger wie Arktos, die sich eingeschaltet haben, um Arbeit zu machen, die das erstarrte akademische Verlagsestablishment schon vor Jahren hätte erledigen sollen. Arktos Media, Ltd. gibt es erst seit 2010, aber sie haben bereits die ersten beiden englischen Übersetzungen von Guillaume Faye herausgebracht und eine ganze Reihe angekündigt, die Benoist gewidmet ist. Dies zählt zu den ermutigendsten Entwicklungen der letzten paar Jahre.

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Siehe auch:

Anmerkungen zu Populismus, Elitismus und Demokratie von Greg Johnson

Das Wikingererbe am Beispiel Island (1) und Das Wikingererbe am Beispiel Island (2) von Jeffrey L. Forgeng und William R. Short (wegen der Thing-Kultur)

Robert Heinleins Sternenkrieger (1): Kapitel 1, (2): Kapitel 2, (3): Kapitel 3 und Robert Heinleins Sternenkrieger (4): Geschichte(n) und Moralphilosophie (wegen des darin geschilderten Staatsmodells)

„Aye“ oder „Nay“? Town Meetings in Strafford von Gerhard Waldherr

Zähmung der Eliten von Trainspotter

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Neue Kommentarpolitik auf „Morgenwacht“: Wie bereits hier unter Punkt 1 angekündigt, am Schluß dieses Kommentars wiederholt als Absicht geäußert und in diesem Kommentar endgültig festgelegt, werden neue Kommentatoren nicht mehr zugelassen und sind die Kommentarspalten nur noch für die bereits bekannte Kommentatorenrunde offen.

2 Kommentare

  1. Zum Thema Rom und Sparta gebe ich hier nochmals meinen Kommentar Nr. 33 aus dem AdS-Originalstrang zu Dialog auf der Nebukadnezar – reloaded wieder:

    Zu Karl Poppers Konzept der „Offenen Gesellschaft“ hätte ich einiges zu sagen. Wenn man Poppers ethnischen Hintergrund bedenkt, wird einem klar, warum er uns eine tribalistisch orientierte Gesellschaft als „geschlossen“ (Enge suggerierend) und „zum Totalitarismus neigend“ madig machen, als „Kollektivismus“ verdammen und als positiven Gegensatz die „offene“ (d. h. im Grunde multikulturelle) Gesellschaft anpreisen wollte (oh ja, all diese Mosaiksteinchen ergeben mit der Zeit wirklich ein immer vollständigeres Bild).

    Zu seiner Gegenüberstellung des gescheiterten „geschlossenen“ Sparta mit dem „offenen“ Rom ist zum einen zu sagen, daß Sparta ebenfalls kein monoethnischer Staat war. Die eigentlichen ethnischen Spartaner, die den Status von Vollbürgern (Spartiaten) hatten, machten nur eine Minderheit aus. Daneben gab es noch die „Periöken“ („Herumwohnenden“), die ethnisch dorischer Herkunft waren wie die Spartiaten selber und auch den spartanischen Dialekt sprachen; sie waren zwar persönlich frei, mußten jedoch Abgaben leisten und hatten keine politischen Rechte. Und die größte Bevölkerungsgruppe stellten die Heloten, deren Bezeichnung sich wahrscheinlich vom griechischen helein = nehmen, erobern ableitet. Wahrscheinlich waren sie die Nachkommen der nicht-dorischen Vorbevölkerung Lakoniens und Messeniens, die von den eindringenden Spartanern unterworfen und zu einer Art Staatssklaven gemacht worden waren. Als solche waren sie gedemütigte, rechtlose Bauern, deren Aufgabe in der Versorgung der Spartiaten bestand. Jedes Jahr wurde ihnen rituell der Krieg erklärt, worauf junge Spartiaten nachts ausziehen, Heloten aufspüren und töten durften.

    Dieses gespannte Verhältnis zwischen den Ethnien sorgte dafür, daß die Spartiaten ständig vor Aufständen auf der Hut sein mußten und deshalb, wie auch Egon Flaig in seiner „Weltgeschichte der Sklaverei“ schreibt, außenpolitisch öfters nicht handlungsfähig waren. Auch führte der Umstand, daß die Heloten für die Spartiaten arbeiten mußten, zu der ausschließlich politisch-militärisch ausgerichteten Lebensweise letzterer, was wohl (in Kombination mit immer wieder notwendiger Bekämpfung von Helotenaufständen) deren beständigen demographischen Niedergang zur Folge hatte. So gab es zu Beginn des 5. vorchristlichen Jahrhunderts etwa 8.000 wehrfähige Spartiaten; kaum 100 Jahre später waren es nur noch 5.000, und in der Mitte des 3. vorchristlichen Jahrhunderts nicht einmal mehr 1.000. Spartas Niedergang ist also kein Beleg für die angeblich nachteilige tribalistische Ausrichtung einer Gesellschaft, sondern die Folge des anhaltenden Versuchs, sich als in der Minderheit befindliche Herrenschicht über ein Fremdvolk im selben Land zu halten, um dieses ausbeuten zu können. Wie auch in anderen sklavenhaltenden Gesellschaften zeigte sich, daß die Stützung der Wirtschaft auf die Ausbeutung Unfreier zu einer Räubermentalität führt, die produktive Arbeit verachtet und zu einer Erschöpfung des Staatswesens führen muß, wenn man niemanden mehr ausrauben oder ausbeuten kann (arabisches Kalifat, osmanisches Reich!), oder wie im Fall der Spartaner zu einem demographischen Ausbluten in selbstzweckhaften Kriegen.

    Im Gegensatz dazu war Rom ebenfalls zunächst nur ein ethnisch homogener Stadtstaat, dessen Armee bis ins 2. vorchristliche Jahrhundert ein Milizheer war, „das Volk in Waffen“, das aus Bürgern rekrutiert wurde, die sich für die Dauer eines Krieges der militärischen Disziplin unterwarfen und danach wieder ins Zivilleben zurückkehrten. Die Soldaten waren begüterte Männer, in der Regel Bauern, die sich ihre Waffen und Ausrüstung selbst beschaffen konnten und die ihren Dienst im Heer als eine Pflicht sahen, die sie Rom schuldeten. Es war dieses Milizheer, das Italien eroberte, Karthago besiegte und Rom die Vormachtstellung im Mittelmeerraum erkämpfte.

    Die Motivation für diesen bewaffneten Dienst am Volk kam zunächst von der Bedrohung des anfänglich noch kleinen Roms durch Nachbarvölker wie die Etrusker, gegen die es einen anhaltenden Überlebenskampf zu führen hatte, sowie auch danach noch durch diverse andere Nachbarstämme. Beim Umgang mit letzteren nach dem Sieg über sie bewies Rom ein besonderes Geschick darin, diese nach und nach in das römische Staatswesen einzubeziehen und ihren Angehörigen schließlich das römische Bürgerrecht zu gewähren. Dies war anfänglich, als es noch um ethnisch nahe verwandte italische (latinische) Stämme ging, ein Erfolgsrezept, das eine relativ rasche territoriale Ausweitung ermöglichte. Später waren das nicht mehr so nahe verwandte, wenngleich immer noch indogermanische Völker, die nach diesem Prinzip ins Römische Reich einbezogen wurden, wie die Griechen in deren süditalienischen Kolonien (und später auch in Griechenland selber) sowie die keltischen Stämme in „Gallia cisalpina“, der Poebene. Was all diese Volksgruppen an dieses zunehmend multiethnischer werdende Reich band, war nicht etwa die multikulturelle „offene Gesellschaft“ an sich, wie Popper meinen würde, sondern neben der militärischen Macht Roms die materiellen Vorteile, die letzteres mit seinem Organisations- und Ingenieurstalent zu bieten hatte.

    Als sich das römische Imperium jedoch immer mehr über Italien hinaus ausdehnte, wurde es langsam ein Opfer des eigenen Erfolges, ohne es zunächst zu merken. Weil die Einbindung der annähernd gleichsprachigen Latiner gelungen war, versuchte man es mit Griechen und Kelten, und als auch das gelang, mit Ägyptern, Numidern, überlebenden Puniern, Phöniziern und sogar Arabern (mit Marcus Iulius Philippus, auch Philippus Arabs genannt, war im 3. nachchristlichen Jahrhundert sogar ein Sohn eines arabischen Scheichs römischer Kaiser gewesen). Solange das Reich weiterhin politisch und militärisch erfolgreich war, hielt es trotz der vielen Ethnien, aus denen es bestand, noch zusammen.

    Die Ausdehnung über Italien hinaus hatte jedoch zur Folge, daß das Milizsystem immer mehr an seine Grenzen stieß. Feldzüge hielten die daran teilnehmenden Bürger immer länger von ihren heimischen Bauernhöfen fern, und die Bewohner der diesen Kriegsschauplätzen näheren, ins Römische Reich eingegliederten Provinzen empfanden Rom gegenüber nicht dieselbe Loyalität, sodaß man immer mehr zu einem reinen Berufsheer überging. Und dies leitete neben anderen Faktoren den schleichenden militärischen Niedergang Roms ein.

    Denn diese Soldaten dienten zunächst 20, später 25 Jahre ihres Lebens in den römischen Legionen und durften in dieser Zeit nicht heiraten. Und wenn sie die Dienstzeit überlebten und eine zivile Existenz gründeten, waren sie für die damalige Zeit schon alt. Zwar hatten die Soldaten öfters eine eheartige Beziehung mit einer Frau, mit der sie auch Kinder zeugten, aber man kann davon ausgehen, daß Männer, die sich für den Dienst in der Armee entschieden, im Schnitt weniger Kinder hinterlassen haben als andere, die Zivilisten blieben, sodaß über die Generationen hinweg das kämpferische Element nach und nach aus der römischen Bevölkerung herausgezüchtet wurde (ein Faktor, der auch bei heutigen Wehrpflichtdiskussionen zu bedenken ist!).

    Zudem waren die römischen Feldherren darauf angewiesen, aus dem Dienst ausscheidende Veteranen mit einem Stück Land zu versorgen. Solange das Römische Reich sich weiter ausdehnte, stand solches Land zur Verfügung, auch wenn es im Zusammenhang mit Enteignungen der einheimischen Bevölkerung zu Unmut führte. Als jedoch infolge imperialer Überdehnung keine weitere Expansion mehr möglich war, weil das riesige Reich in einer Zeit, in der Armeen noch zu Fuß marschierten und die schnellsten Nachrichtenmittel in Meldereitern und Ruderschiffen bestanden, auf Krisen an der Peripherie nicht mehr ausreichend schnell reagieren konnte, gab es auch kein neues Land mehr, mit dem man Armeeveteranen nach Dienstende abfinden konnte. Die Rekrutierungsprobleme nahmen zu (wohl auch aufgrund des vorhin erwähnten dysgenischen Effekts auf die Wehrhaftigkeit), man war immer mehr auf Söldner aus fremden Völkern angewiesen, und als – wohl auch getrieben durch die Klimaabkühlung in der Spätantike und angelockt vom Reichtum Roms – immer mehr Völker aus Nord- und Osteuropa in den Mittelmeerraum drängten, war das Reich nicht mehr zu halten. Das „Amerika der Antike“, dessen Erfolgsgeschichte als monoethnisches Staatswesen eines militärisch und zivil leistungsfähigen Stammes begonnen hatte und dessen gelungene Einbeziehung ethnisch nahe verwandter Stämme seine Eliten dazu verleitet hatte, es aus ihrem persönlichen Ehrgeiz in guten Zeiten weit über das hinaus auszudehnen, was das römische Volk als solches gebraucht hätte, endete als gescheiterte „offene Gesellschaft“, deren multiethnisch zusammengesetzte Bevölkerungsteile auseinanderstrebten, als die Zeiten schlechter wurden und seine militärische Macht verfiel.

  2. Harald

     /  Oktober 29, 2017

    Die gleichen Faktoren, die für den Untergang Spartas und Roms ausschlaggebend waren (die dysgenische Verbindung von gewalttätigen Auseinandersetzungen mit sozialem Status / einer einzelnen Kaste) hat im Laufe des Mittealters auch die (großteils germanisch stämmige) Adelskaste geschleift und damit langfristig die Herrschaft der weißen Rasse (über Europa) beendet.
    Der Raum, der durch das Verschwinden der europäischen Adelsschicht geschaffen wurde, konnte von der bekannten jüdischen Fremdrasse aber auch den niederen Schichten wie der (nicht rein germanischen) Handwerkerschicht übernommen werden.

    Es ist davon auszugehen, dass das langfristige Ausbluten einer Herrscherkaste, die sich über die direkte und monopolistische Anwendung von physischer Gewalt zumindestens in Teilen definiert, bei den aktuellen falschen „Eliten“ bekannt ist und daher langfristig nicht mehr zu erwarten ist – diesen Fehler werden diese nicht machen.

    Bei der Neugestaltung einer weißen Gesellschaft ist daher darauf zu achten, dass es keine „privilegierten“ Schichten gibt, die von physischer Auseinandersetzung ausgenommen werden, da ansonsten die langfristige Dysgenik gesellschaftsgefährdend wirken wird.

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