Die Kultur der Kritik (4): Die jüdische Beteiligung an der psychoanalytischen Bewegung

Von Prof. Kevin MacDonald, übersetzt vom libergraphiX-Verlag (ursprünglich – noch vor Erscheinen der deutschen Buchausgabe – auf „As der Schwerter“ veröffentlicht). Das Original „The Culture of Critique“ erschien 1998 bei Praeger Publishers und die mir vorliegende Paperback-Ausgabe 2002 bei 1st Books Library (ISBN 0-7596-7222-9).

Zuvor veröffentlicht:

Die Kultur der Kritik: Vorwort von Professor Kevin MacDonald

Die Kultur der Kritik: Vorwort von Professor Kevin MacDonald zur ersten Paperback-Ausgabe

Die Kultur der Kritik (1) – Juden und die radikale Kritik an der nichtjüdischen Kultur: Einführung und Theorie

Die Kultur der Kritik (2) – Die Boas’sche Schule der Anthropologie und der Niedergang des Darwinismus in den Sozialwissenschaften

Die Kultur der Kritik (3) – Juden und die Linke

Die jüdische Beteiligung an der psychoanalytischen Bewegung

Die vertraute Karikatur des bärtigen und ein Monokel tragenden Freud’schen Analytikers, der den liegenden Patienten auf Erinnerungen schief gelaufener  Reinlichkeitserziehung und auf die Eltern gerichtete Wollust untersucht, ist  gegenwärtig ein Anachronismus wie überhaupt die fachliche Praxis dieser  meist  inhaltsleeren und plaudernden Kunst. Wie eine solcherart ausgearbeitete Theorie so weitläufig akzeptiert werden konnte – ohne die Grundlage eines systematischen Beweises oder kritischer Experimente und angesichts des  chronischen Versagens der therapeutischen Interventionen in allen  hauptsächlichen Klassen der mentalen Erkrankungen (Schizophrenie, Manie  und Depression) – ist etwas, das die Soziologen der Wissenschaft und der  landläufigen Kultur erst noch erklären müssen. (Paul Churchland 1995, 181)

Die These dieses Kapitels ist, dass es unmöglich ist, die Psychoanalyse als eine „Wissenschaft“ oder genauer genommen als eine politische Bewegung zu verstehen, ohne die Rolle des Judaismus zu berücksichtigen. Sigmund Freud ist ein erstklassiges Beispiel für einen jüdischen Sozialwissenschaftler, dessen Schriften von seiner jüdischen Identität beeinflusst wurden, und für dessen negative Beifügungen in Bezug auf die nichtjüdische Kultur als Quelle des Antisemitismus.

Die Diskussion über die jüdische Beteiligung an der psychoanalytischen Bewegung war bis vor kurzem „im stillschweigenden Einverständnis jenseits der Grenzen des Erlaubten“ (Yerushalmi 1991, 98). Nichtsdestotrotz war die jüdische Beteiligung an der Psychoanalyse – der „jüdischen Wissenschaft“ – für jene innerhalb und außerhalb der Bewegung von Beginn an sichtbar:

Die Geschichte machte die Psychoanalyse zu einer „jüdischen Wissenschaft“.  Sie wurde fortlaufend als solche angegriffen. Sie wurde in Deutschland, Italien und Österreich vernichtet und als solche in alle vier Winde verstreut. Sie wird selbst jetzt noch weiterhin als solche von Freunden wie auch Feinden gleichermaßen wahrgenommen. Natürlich gibt es von nun an ausgezeichnete Analytiker, welche keine Juden sind… Aber die Vorhut der Bewegung blieb in  den vergangenen fünfzig Jahren vorwiegend jüdisch, wie sie es schon von  Beginn an war. (Yerushalmi 1991, 98)

Zusätzlich zur Verfassung des Kerns der Führung und der intellektuellen Vorhut der Bewegung stellten Juden auch die Mehrheit der Mitglieder der Bewegung. Im Jahre 1906 waren alle siebzehn Mitglieder der Bewegung jüdisch, und sie identifizierten sich sehr stark mit ihrem Judentum (Klein 1981). In einer Studie aus dem Jahr 1971 fanden Henry, Sims und Spray heraus, dass in ihrer Erhebung über amerikanische Psychoanalytiker sich 62,1 Prozent mit einer jüdischen kulturellen Affinität identifizierten, während nur 16,7 Prozent eine protestantische Affinität anzeigten und 2,6 Prozent eine katholische Affinität. Weitere 18,6 Prozent gaben keine kulturelle Affinität an, ein Prozentsatz, welcher beträchtlich über den anderen Kategorien der Fachkräfte für geistige Erkrankungen liegt und vermuten lässt, dass der Prozentsatz der Psychoanalytiker mit einem jüdischen Hintergrund sogar noch höher als 62 Prozent liegt (Henry, Sims & Spray 1971, 27).1

Wir haben gesehen, dass ein gemeinsamer Bestandteil der jüdischen intellektuellen Aktivität seit der Aufklärung in der Kritik der nichtjüdischen Kultur besteht. Die Ideen Freuds wurden oft als subversiv bezeichnet. Tatsächlich „war Freud davon überzeugt, dass es völlig in der Natur der psychoanalytischen Doktrin läge, schockierend und subversiv zu erscheinen. An Bord eines Schiffes nach Amerika fühlte er nicht, dass er dem Land ein neues Wundermittel bringe. Mit seinem typischen, trockenen Humor erzählte er den Mitreisenden: ‚Wir bringen ihnen die Pest’“ (Mannoni 1971, 168).

Peter Gay bezeichnet die Arbeit Freuds generell als „subversiv“ (1987, 140), seine Sexualideologie im Besonderen als „für ihre Zeit zutiefst subversiv“ (1987, 148), und er beschreibt sein Totem und Tabu als „subversive Mutmaßungen“ in Bezug auf die Analyse der Kultur enthaltend (1987, 327). „Während die Implikationen von Darwins Ansichten bedrohlich und beunruhigend waren, so waren sie doch nicht wirklich so ätzend, nicht wirklich so respektlos wie Freuds Ansichten über die kindliche Sexualität, die Allgegenwart der Perversionen und die dynamische Macht der unbewussten Triebe“ (Gay 1987, 144).

Es gab eine allgemeine Empfindung unter vielen Antisemiten, dass die jüdischen Intellektuellen in der Zeit vor 1933 die deutsche Kultur untergraben würden (Separation and Its Discontents, Kapitel 2), und die Psychoanalyse war ein Aspekt dieser Bedenken. Ein großes Maß der Feindseligkeit gegenüber der Psychoanalyse konzentrierte sich auf die empfundene Bedrohung der Psychoanalyse für die christliche Sexualethik einschließlich der Akzeptanz der Masturbation und des vorehelichen Geschlechtsverkehrs (Kurzweil 1989, 18). Die Psychoanalyse wurde zu einem Ziel der nichtjüdischen Herabsetzung der jüdischen Untergrabung der Kultur – „dem dekadenten Einfluss des Judaismus“, wie ein Autor es benannte (siehe Klein 1981, 144). Im Jahre 1928 reagierte Carl Christian Clemen, ein Professor für Ethnologie an der Universität Bonn, heftig auf Die Zukunft einer Illusion, Freuds Analyse des religiösen Glaubens vom Standpunkt der kindlichen Bedürfnisse aus. Clemen ließ sich Abfällig über die Tendenz der Psychoanalyse aus, überall Sex zu finden, eine Tendenz, welche er der jüdischen Zusammensetzung der Bewegung zuschrieb: „Man könnte dies mit den besonderen Kreisen erklären, aus denen ihre Befürworter und vielleicht auch die Patienten, welche sie behandelt, grundsätzlich herstammen“ (in Gay 1988, 537). Freuds Bücher wurden im Mai 1933 während der Bücherverbrennungen in Deutschland verbrannt, und als die Nationalsozialisten im Jahre 1938 in Wien einmarschierten, wiesen sie Freud an, das Land zu verlassen und den Internationalen Psychoanalytischen Verlag aufzugeben.

In den Vereinigten Staaten wurde Freud ab dem zweiten Jahrzehnt des Zwanzigsten Jahrhunderts eng mit der Bewegung für sexuelle Freiheit und soziale Reform in Verbindung gebracht, und er wurde so das Ziel der sozialen Konservativen (Torrey 1992, 16 ff.).2 Im Jahre 1956 dann beklagte sich ein Psychiater im American Journal of Psychiatry: „Ist es möglich, dass wir die Entsprechung einer weltlichen Kirche entwickeln, unterstützt von Regierungsgeldern, besetzt mit einem Apostelamt unter der Gürtellinie, das unwissentlich eine Brühe von existenziellem Atheismus, Hedonismus und anderen zweifelhaften religiös-philosophischen Inhalten zubereitet?“ (Johnson 1956,40).

Obwohl er Religion ablehnte, hatte Freud selbst eine sehr starke jüdische Identität. In einem Brief aus dem Jahre 1931 beschrieb er sich selbst als „einen fanatischen Juden“, und anlässlich einer anderen Gelegenheit schrieb er, er fände „die Anziehungskraft des Judaismus und der Juden so unwiderstehlich, die vielen dunklen Gefühlsmächte, je mächtiger je weniger sie sich in Worte fassen lassen, wie auch das klare Bewusstsein einer inneren Identität, der Verborgenheit der gleichen mentalen Konstruktion“ (in Gay 1988, 601). Bei einer weiteren Gelegenheit schrieb er von „fremdartigen geheimen Sehnsüchten“, welche sich mit seiner jüdischen Identität verbänden (in Gay 1988, 601). Spätestens ab 1930 entwickelte Freud auch eine starke Sympathie für den Zionismus. Auch sein Sohn Ernest war Zionist, und keines von Freuds Kindern konvertierte zum Christentum oder heiratete Nichtjuden.

Wie vom Standpunkt der sozialen Identitätstheorie aus zu erwarten ist, beinhaltete Freuds starker Sinn für seine jüdische Identität eine tiefe Entfremdung von Nichtjuden. Yerushalmi (1991, 39) merkt an: „Wir finden bei Freud einen Sinn für das Anders-Sein gegenüber Nichtjuden, welcher sich nicht nur als Reaktion auf den Antisemitismus erklären lässt. Obwohl der Antisemitismus es periodisch verstärkte oder veränderte, scheint dieses Gefühl primär gewesen zu sein, vererbt von seiner Familie und seinem frühen Milieu, und es verblieb sein Leben lang bei ihm.“

In einem enthüllenden Kommentar erklärte Freud: „Ich fühlte oft, als ob ich all die Hartnäckigkeit und all die Leidenschaften unserer Vorfahren geerbt hätte, als sie ihren Tempel verteidigten, obwohl ich mein Leben mit Freude für einen großen Augenblick wegwerfen könnte“ (in Gay 1988, 604). Seine Identität als Jude war somit mit einem Selbstkonzept verbunden, in welchem er selbstlos mit den Feinden der Gruppe kämpfte, in einem Akt heroischen Altruismus sterbend, während er die Gruppeninteressen verteidigte – eine spiegelbildliche jüdische Version des großen Finales in Wagners Nibelungenlied, welches ein Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie war (siehe Separation and Its Discontents, Kapitel 5). In Begriffen der sozialen Identitätstheorie hatte Freud somit einen sehr starken Sinn für Gruppenmitgliedschaft sowie einen Sinn für die Pflicht, altruistisch für die Interessen der Gruppe zu arbeiten.

Gay (1988, 601) interpretiert Freud dahingehend, dass er der Überzeugung war, seine Identität als Jude sei das Ergebnis seines phylogenetischen Erbes. Wie Yerushalmi (1991, 30) anmerkt, war sein Psycho-Lamarckismus „weder von Gelegenheiten noch von Umständen abhängig“. Freud erfasste, was Yerushalmi (1991, 31) die „subjektive Dimension“ des Lamarckismus nennt, das heißt das Gefühl einer machtvollen Bindung an die jüdische Vergangenheit, wie sie von der jüdischen Kultur geformt wurde, das Gefühl, dass man der Tatsache ein Jude zu sein, nicht entrinnen könne sowie „dass das, was man oft als tief und obskur fühlt, ein trällernder Draht im Blut“ sei. In der folgenden Passage aus Der Mann Moses und die monotheistische Religion wird behauptet, die Juden hätten sich zu einem moralisch und intellektuell überlegenen Volk geformt:

Der Vorzug, den die Juden über zwei Jahrtausende hinweg dem spirituellen Bestreben gaben, hatte natürlich seine Auswirkung; er half einen Schutzwall gegen die Brutalität und die Neigung zur Gewalt zu bauen, die gewöhnlich dort vorgefunden werden, wo die athletische Entwicklung das Ideal des Volkes  wurde. Die harmonische Entwicklung von spiritueller und körperlicher Aktivität, wie sie von den Griechen geleistet wurde, wurde von den Juden verleugnet. In diesem Konflikt fiel ihre Entscheidung wenigstens zugunsten dessen aus, was kulturell wichtiger war. (Freud 1939, 147; Rückübersetzung aus dem Amerikanischen)

Freuds Sinn für die jüdische Überlegenheit kann auch an einem Tagebucheintrag Joseph Wortis, basierend auf einem Interview mit Freud im Jahre 1935, ersehen werden: Freud gab den Kommentar ab, dass er die Nichtjuden als anfällig für „unbarmherzigen Egoismus“ ansehe, während die Juden ein überlegenes Familienleben sowie intellektuelles Leben hätten. Wortis fragte Freud dann, ob er die Juden als ein überlegenes Volk ansehe. Freud antwortete: „Ich glaube heutzutage sind sie es… Wenn man daran denkt, dass zehn oder zwölf der Nobelpreisträger Juden sind, und wenn man an die anderen großen Leistungen in den Wissenschaften und Künsten denkt, dann hat man allen Grund, sie als überlegen zu betrachten (in Cuddihy 1974, 36).

Des weiteren erachtete Freud diese Unterschiede als unveränderlich. In einem Brief aus dem Jahre 1938 beschreibt Freud die Aufwallung des Antisemitismus: „Es gibt wenig Grund für eine Änderung meines Urteils über die menschliche Natur, insbesondere der christlich-arischen Variante“ (in Yerushalmi 1991, 48). Noch würde sich Freuds Meinung nach der jüdische Charakter ändern. In Der Mann Moses und die monotheistische Religion erklärt Freud mit Bezug auf das Bedenken der rassischen Reinheit, welches in den Büchern Esra und Nehemiah (siehe A People That Shall Dwell Alone, Kapitel 2) sichtbar wird: „Es gilt als historisch gesichert, dass der jüdische Typus schließlich als Ergebnis der Reformen von Esra und Nehemiah im fünften vorchristlichen Jahrhundert fixiert wurde.“ „Freud war völlig davon überzeugt, dass, nachdem der jüdische Charakter in der Antike einmal erschaffen worden war, er konstant, unwandelbar, in seinen wesentlichen Qualitäten unauslöschlich geblieben sei“ (Yerushalmi 1991, 52).

Das offensichtliche Rasse-Denken und die eindeutige Erklärung der jüdischen ethischen, spirituellen und intellektuellen Überlegenheit, welche in Freuds letzter Arbeit, Der Mann Moses und die monotheistische Religion, enthalten ist, sollte nicht als Abweichung von Freuds Denken angesehen werden, sondern als zentral für seine Einstellung, wenn auch nicht für sein veröffentlichtes Werk, das aus einer viel früheren Periode datiert. In Separation and Its Discontents habe ich angemerkt, dass vor dem Aufstieg des Nationalsozialismus eine wichtige Gruppe jüdischer Intellektueller über einen ausgeprägten rassischen Sinn für die jüdische Volkszugehörigkeit verfügte und eine rassische Entfremdung von den Nichtjuden fühlte; sie gaben auch Erklärungen ab, welche sich nur als Anzeige eines Sinnes der rassischen jüdischen Überlegenheit interpretieren lassen. Die psychoanalytische Bewegung war ein wichtiges Beispiel für diese Tendenzen. Sie war charakterisiert von Ideen jüdischer intellektueller Überlegenheit, rassischen Bewusstseins, Nationalstolzes sowie jüdischer Solidarität (siehe Klein 1981, 143). Freud und seine Kollegen fühlten einen Sinn von „rassischer Verwandtschaft“ mit ihren jüdischen Kollegen und eine „rassische Entfremdung“ gegenüber anderen (Klein 1981, 142; siehe auch Gilman 1993, 12 ff.). Freud schrieb in Bezug auf Ernest Jones, einem seiner Jünger: „Die rassische Mischung in unserer Gruppe ist sehr interessant für mich. Er (Jones) ist ein Kelte und deshalb für uns nicht recht zugänglich, dem Teutonen (Jung) und dem mediterranen Mann (er selbst als Jude)“ (in Gay 1988,186).

Freud und andere frühe Psychoanalytiker unterschieden sich häufig auf der Grundlage der Rasse als Juden und bezogen sich auf Nichtjuden als Arier anstatt als Deutsche oder Christen (Klein 1981, 142). Er schrieb an C. G. Jung, dass Ernest Jones ihm das Gefühl „rassischer Entfremdung“ gäbe (Klein 1981, 142). Während der Zwanziger Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts wurde Jones selbst von den anderen Mitgliedern des geheimen Komitees Freud’scher Getreuer als nichtjüdischer Außenseiter angesehen, und dies obwohl er eine Jüdin geheiratet hatte. „In den Augen aller (jüdischen Mitglieder des Komitees) war Jones ein Nichtjude… Die anderen ergriffen jede Gelegenheit, ihm bewusst zu machen, dass er niemals dazugehören würde. Seine Fantasie in den inneren Kreis einzudringen, indem er das Komitee schuf, war eine Illusion, weil er immer ein unattraktiver kleiner Mann mit einem Frettchen-Gesicht, das sich flehend gegen das Glas presst, sein würde“ (Grosskurth 1991, 137).

Früh in ihrer Beziehung hatte Freud auch Verdachtsmomente gegen Jung. Sie waren das Ergebnis von „Sorgen aufgrund von Jungs ererbten christlichen und sogar anti-jüdischen Neigungen, tatsächlich auch hinsichtlich seiner Fähigkeit als Nichtjude die Psychoanalyse selbst völlig zu verstehen und zu akzeptieren“ (Yerushalmi 1991, 42). Vor ihrem Bruch beschrieb Freud Jung als eine „starke unabhängige Persönlichkeit, als einen Teutonen“ (in Gay 1988, 201). Nachdem Jung zum Vorsitzenden der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung ernannt worden war, kamen einem Kollegen Freuds Bedenken, weil „als Rasse“ Jung und seine nicht-jüdischen Kollegen „völlig verschieden von uns Wienern“ waren (in Gay 1988, 219). Im Jahre 1908 schrieb Freud einen Brief an den Psychoanalytiker Karl Abraham, in welchem Abraham als scharf beschrieben wird, während von Jung gesagt wird, er habe viel Élan – eine Beschreibung welche, wie Yerushalmi (1991, 43) anmerkt, eine Tendenz anzeigt, Individuen auf der Grundlage ihrer Gruppenzugehörigkeit als Stereotypen darzustellen (der intellektuell scharfe Jude und der energische Arier). Während Jung aufgrund seines genetischen Hintergrundes von Natur aus als verdächtig galt, war Abraham dies nicht. Freud schrieb, nachdem er taktvoll nachgeforscht hatte, ob Abraham Jude war, dass es für Abraham einfacher sei, die Psychoanalyse zu verstehen, da ihn mit Freud eine Rassenverwandtschaft (deutsch im Original; der Übersetzer) verbinde (Yerushalmi 1991, 42).

Freuds machtvoller rassischer Sinn für Schranken in Bezug auf die Innen- und Außengruppe, zwischen Juden und Nichtjuden, kann auch hinsichtlich der persönlichen Dynamik der psychoanalytischen Bewegung gesehen werden. Wir haben gesehen, dass die Juden zahlenmäßig innerhalb der Psychoanalyse dominierend waren, insbesondere in den frühen Entwicklungsstufen, als alle Mitglieder Juden waren. „Die Tatsache, dass diese Juden waren, war sicherlich kein Zufall. Ich denke auch, dass in einem tiefen, wiewohl uneingestandenen Sinn, Freud dies so auch wollte“ (Yerushalmi 1991, 41). Wie bei anderen Formen des Judaismus gab es ein Gefühl dafür, eine Innengruppe innerhalb eines spezifisch jüdischen Milieus zu sein. „Was auch immer die Gründe gewesen sein mögen – historisch, soziologisch – die Gruppenbande verliehen einen warmen Schutz vor der äußeren Welt. In sozialen Beziehungen mit anderen Juden formten Zwanglosigkeit und Vertrautheit eine Art innerer Sicherheit, ein ‚Wir-Gefühl‘, illustriert selbst durch die Auswahl der Witze und Geschichten, die innerhalb der Gruppe erzählt wurden“ (Grollman 1965, 41). Einen Beitrag zum jüdischen Milieu der Bewegung leistete auch die Tatsache, dass Freud von Juden ganz allgemein als Idol angesehen wurde. Freud selbst merkte in seinen Briefen an: „Von allen Seiten und Plätzen haben die Juden mich enthusiastisch für sich eingenommen“. „Die Art, wie sie ihn behandelten, als wäre er ein ‚gottesfürchtiger Oberrabbiner‘ oder ein ‚Nationalheld‘, war ihm peinlich“ und nebenbei sahen sie sein Werk als „echt jüdisch“ an (in Klein 1981, 85; siehe auch Gay 1988, 599).

Wie im Fall verschiedener jüdischer Bewegungen und politischer Aktivitäten, die in den Kapiteln 2 und 3 (siehe auch Separation and Its Discontents, Kapitel 6) besprochen wurden, nahm Freud schwere Lasten auf sich, um sicher zu stellen, dass ein Nichtjude, Jung, der Vorsitzende der psychoanalytischen Bewegung werden würde – ein Zug, der seine jüdischen Kollegen in Wien erboste, aber auch einer der eindeutig beabsichtigte, die sehr große Überrepräsentanz von Juden in der Bewegung in dieser Zeit abzuschwächen. Um seine jüdischen Kollegen von der Notwendigkeit von Jung als Vorsitzendem der Gesellschaft zu überzeugen, argumentierte er: „Die meisten von Ihnen sind Juden und deshalb sind sie nicht befähigt Freunde für die neue Lehre zu gewinnen. Die Juden müssen sich mit der bescheidenen Rolle der Bereitung des Bodens begnügen. Es ist absolut notwendig, dass ich mit der Welt der Wissenschaft Verbindungen knüpfe“ (in Gay 1988, 218). Wie Yerushalmi (1991, 41) anmerkt: „Um es sehr ungehobelt auszudrücken, Freud brauchte einen Goy, und zwar nicht irgendeinen Goy, sondern einen von wahrhaft intellektueller Statur und Einfluss“. Später, als die Bewegung nach dem Ersten Weltkrieg wieder begründet wurde, wurde ein weiterer Nichtjude, der schmeichlerische und unterwürfige Ernest Jones, Präsident der International Psychoanalytischen Vereinigung.

Interessanterweise, obwohl die akademische Welt sich einig ist, dass Freud eine ausgeprägte jüdische Identität hatte, nahm Freud wegen der Sorge, dass seine psychoanalytische Bewegung als eine spezifisch jüdische Bewegung angesehen und somit zum Brennpunkt des Antisemitismus werden würde, viel auf sich, um diese Identität vor anderen zu verhüllen. Während seine private Korrespondenz von einem starken Sinn einer jüdischen ethnischen Identität erfüllt ist, zeigen seine öffentlichen Erklärungen und Schriften einen „allgemein zurückhaltenden, distanzierten Ton“ (Yerushalmi 1991, 42), was das Bemühen um eine Täuschung anzeigt. In der Öffentlichkeit versuchte Freud auch das Ausmaß herunterzuspielen, in dem der Judaismus seine familiäre Umgebung während seines Aufwachsens durchdrang, seine religiöse Erziehung wie auch seine Kenntnis des Hebräischen, des Jiddischen sowie der jüdischen religiösen Traditionen (Goodnick 1993; Rice 1990; Yerushalmi 1991, 61 ff.).3

Auf eine Täuschung deutet auch der Beweis hin, dass Freuds Gefühl dafür, dass die Psychoanalyse weithin sichtbare Nichtjuden brauche, ihren Grund in der Tatsache hatte, dass er selbst die Psychoanalyse als Untergrabung der nicht-jüdischen Kultur ansah. Nach der Veröffentlichung von Der kleine Hans im Jahre 1908 schrieb er Karl Abraham, dass das Buch einen Aufruhr hervorrufen würde: „Deutsche Ideale wieder bedroht! Unsere arischen Kameraden sind wirklich völlig unverzichtbar für uns, anderenfalls würde die Psychoanalyse unter dem Antisemitismus zusammenbrechen“ (in Yerushalmi 1991, 43).

Die soziale Identitätstheorie betont die Bedeutung positiver Zuordnungen in Bezug auf die Innengruppe und negative Zuordnungen in Bezug auf die Außengruppe. Freuds ausgeprägter Sinn für seine jüdische Identität wurde von Gefühlen intellektueller Überlegenheit gegenüber Nichtjuden begleitet (Klein 1981, 61). In einem frühen Brief an seine zukünftige Frau erklärte Freud: „In Zukunft, für den Rest meiner Lehrzeit im Hospital, denke ich, sollte ich versuchen, eher wie die Nichtjuden zu leben – bescheiden, die gewöhnlichen Dinge lernend und praktizierend und nicht um Entdeckungen bestrebt sein oder darum zu tief zu forschen“ (in Yerushalmi 1991, 39). Freud benutzte in dieser Passage das Wort Goyim in Bezug auf Nichtjuden, und Yerushalmi (1991, 39) kommentiert: „Die Hand ist jene von Sigmund; die Stimme ist jene von Jakob (Freuds die Religion überwachendem Vater)“. Es ist die Stimme von Absonderung und Entfremdung.

Eine Haltung jüdischer Superiorität gegenüber Nichtjuden charakterisierte nicht nur Freud sondern durchzog die gesamte Bewegung. Ernest Jones (1959, 211) erwähnt „den jüdischen Glauben, welchen sie in Bezug auf die Überlegenheit ihrer intellektuellen Kräfte oft auch anderen Menschen auferlegen“. „Das Gefühl jüdischer Superiorität befremdete viele Nichtjuden innerhalb der Bewegung und ermutigte viele, außerhalb der Bewegung die humanitären Forderungen der Psychoanalyse als scheinheilig fallen zu lassen“ (Klein 1981, 143) – ein Kommentar, welcher die Selbsttäuschung unter den Psychoanalytikern in Bezug auf ihre Motive nahelegt.

Freuds Entfremdung von den Nichtjuden beinhaltete auch positive Ansichten in Bezug auf den Judaismus und negative Ansichten über die nichtjüdische Kultur. Letztere wurde als etwas angesehen, das im Interesse der Führung der Menschheit auf ein höheres moralisches Niveau und der Beendigung des Antisemitismus erobert werden musste. Freud hatte ein Empfinden von „jüdischer moralischer Superiorität gegenüber den Ungerechtigkeiten einer intoleranten, unmenschlichen – tatsächlich antisemitischen – Gesellschaft“ (Klein 1981, 86). Freud „unterstützte jene in der jüdischen Gesellschaft (B’nai B’rith), welche die Juden dazu drängten, sich selbst als die Meister der demokratischen und brüderlichen Ideale zu betrachten“ (Klein 1981, 86). Er schrieb von seiner messianischen Hoffnung, die „Integration der Juden und der Antisemiten auf dem Boden der Psychoanalyse zu erreichen“ (in Gay 1988, 231), ein Zitat, das klar anzeigt, dass die Psychoanalyse von ihrem Begründer als ein Mechanismus zur Beendigung des Antisemitismus angesehen wurde.

 (Freud) war stolz auf seine Feinde – die drangsalierende römisch-katholische Kirche, die heuchlerische Bourgeoisie, das stumpfsinnige psychiatrische  Establishment, die materialistischen Amerikaner – so stolz, in der Tat, dass sie  in seinem Verstand zu mächtigen Hirngespinsten anwuchsen, wesentlich  böswilliger und bei weitem weniger gespalten als sie es in Wirklichkeit waren.  Er verglich sich mit Hannibal, Ahasver, Joseph, Moses, alles Männer mit einer historischen Mission und mächtigen Gegenspielern sowie schwierigen Schicksalen. (Gay 1988, 604)

Dieser Kommentar ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die Konsequenzen eines starken Sinnes für die soziale Identität: Freuds mächtiger Sinn für die jüdische Gruppenidentität resultiert in einem Denken in negativen Stereotypen über die nichtjüdische Außengruppe. Die nichtjüdische Gesellschaft und besonders die hervorstechendsten Institutionen der nichtjüdischen Kultur werden als stereotypisch, als böse betrachtet. Diese Institutionen wurden nicht nur als negativ angesehen, sondern auch der Akzentuierungs-Effekt (siehe Separation and Its Discontents, Kapitel 1) kam ins Spiel und resultierte in einer allgemeinen Zuschreibung von Homogenität in Bezug auf die Außengruppe, so dass diese Institutionen als viel weniger gespalten angesehen wurden, als sie es tatsächlich waren.

Betrachten Sie auch Sulloways (1979b) Beschreibung der Schöpfung von Freuds Selbstkonzept als Held, welche aus seiner Kindheit datiert und ihm von seiner Familie eingeimpft wurde. Die Intensität von Freuds jüdischer Identifikation sowie seines Selbstkonzeptes als jüdischer Held bestätigend, hatten alle Kindheitshelden Freuds einen Bezug zum Judaismus: Hannibal, der semitische Kämpfer gegen Rom; Cromwell, der den Juden erlaubte, England zu betreten; und Napoleon, der den Juden die Bürgerrechte verlieh. Früher beschrieb er sich selbst eher als einen „Eroberer“ denn als einen Mann der Wissenschaft.

Dieser Typus des messianischen Denkens war im Wien des fin de siècle unter jüdischen Intellektuellen verbreitet, welche versuchten eine „supranationale, supra-ethnische Welt“ (Klein 1981,29) zu erschaffen, eine Charakterisierung welche, wie wir in Kapitel 3 gesehen haben, auch auf die jüdische Beteiligung an radikalen politischen Bewegungen zutreffen würde. Diese Intellektuellen „drückten ihren Humanitarismus in Begriffen ihrer erneuerten jüdischen Selbstkonzeption aus… Sie teilten einen Glauben, dass die Juden für das Schicksal der Menschheit im Zwanzigsten Jahrhundert verantwortlich seien“ (Klein 1981, 31).

Viele frühe Vertreter sahen die Psychoanalyse als eine messianische Erlösungsbewegung an, welche den Antisemitismus beenden würde, indem sie die Welt von den Neurosen befreite, welche von der sexuell repressiven, westlichen Zivilisation erzeugt würden. Klein zeigt, dass einige von Freuds engsten Gefährten eine sehr klar artikulierte Konzeption der Psychoanalyse als einer jüdischen Mission für die Nichtjuden hatten – was man als eine einzigartige moderne Version des alten „Licht der Nationen“-Themas des jüdischen religiösen Denkens ansehen könnte, das unter den intellektuellen Apologeten des Reformjudentums in dieser Zeit sehr verbreitet war.

Somit waren für Otto Rank, der eine enge Vater-Sohn-Beziehung mit Freud entwickelte, die Juden in einzigartiger Weise dafür qualifiziert, Neurosen zu heilen und als Heiler der Menschheit zu handeln (Klein 1981, 129). Eine Variante der Perspektive Freuds entwickelnd, welche dieser in Totem und Tabu und Das Unbehagen in der Kultur benutzt, argumentiert Rank, dass während andere menschliche Kulturen ihre primitive Sexualität im Aufstieg der Zivilisation unterdrückt hätten, „die Juden spezielle Schaffenskräfte besäßen, weil sie in der Lage gewesen wären, eine direkte Beziehung zur ‚Natur‘, zur primitiven Sexualität aufrecht zu erhalten“ (Klein 1981, 129).4 Innerhalb dieser Perspektive resultiert Antisemitismus aus der Verleugnung der Sexualität, und die Rolle der jüdischen Mission der Psychoanalyse bestand darin, durch die Befreiung der Menschheit von ihren sexuellen Repressionen den Antisemitismus zu beenden. Eine theoretische Grundlage für diese Perspektive verschaffte Freuds Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, in denen die Aggression mit der Frustration der Triebe verbunden wird.

Klein zeigt, dass diese Konzeptualisierung der Psychoanalyse als eines erlösenden „Lichtes der Nationen“ unter den anderen jüdischen Vertrauten Freuds verbreitet war. So befürwortete Fritz Wittels die völlige Befreiung des sexuellen Ausdrucks und schrieb: „Manche von uns glaubten, dass die Psychoanalyse die Oberfläche der Erde verändern würde… und ein goldenes Zeitalter, in dem für Neurosen kein Raum mehr sein würde, einführte. Wir fühlten uns wie große Männer… Manche Menschen haben in ihrem Leben eine Mission“ (in Klein 1981, 138-139). Die Juden wurden als jene angesehen, welche die Verantwortung dafür trügen, dass die Nichtjuden zur Wahrheit und zum Adel des Verhaltens geführt werden würden. „Die Tendenz, den Juden und den Nichtjuden in eine Beziehung der fundamentalen Opposition zu versetzen, durchdrang selbst die Ausdrücke der Erlösung mit einer gegenteiligen Qualität“ (Klein 1981, 142). Die nichtjüdische Kultur war etwas, das im Kampf mit dem moralisch überlegenen, erlösenden Juden erobert werden musste: „Der Geist der Juden wird die Welt erobern“ (Wittels; in Klein 1981, 142). Einher mit Wittels Überzeugung in Bezug auf die Mission der Psychoanalyse ging eine positive jüdische Selbst-Identität; er beschrieb den konvertierten Juden als durch die „psychologische Unfähigkeit zur Heuchelei“ (Klein 1981, 139) charakterisiert.

Die Heilung der Aggression, welche für den Antisemitismus charakteristisch war, glaubte man, würde in der Befreiung der Nichtjuden von ihren sexuellen Verdrängungen liegen. Obwohl Freud selbst schließlich die Idee eines Todestriebes zur Erklärung der Aggression entwickelte, war es ein stetiges Thema der Freud’schen Kritik an der westlichen Kultur, das beispielsweise von Norman O. Brown, Herbert Marcuse oder Wilhelm Reich veranschaulicht wurde, dass die Befreiung der sexuellen Verdrängungen zu einer verringerten Aggression und in eine Ära der universellen Liebe führen würde.

Es ist deshalb von Interesse, dass die Frage, welche für Freud am wichtigsten gewesen scheint, als Jung und Alfred Adler wegen Ketzerei aus der Bewegung ausgeschlossen wurden, ihre Verwerfung der miteinander verbundenen Ideen der sexuellen Äthiologie der Neurose, der Ödipus-Komplex sowie die kindliche Sexualität waren.5 Sexuelle Verdrängung war in dieser Zeit in westlichen Gesellschaften hochgradig auffallend und unabweislich. Freuds Theorie kann somit als eine Erfindung angesehen werden, deren Nützlichkeit bei dem Angriff auf die westliche Kultur sich aus der intuitiven Plausibilität der Annahme ableitet, dass die Unterdrückung der Sexualtriebe in größeren Veränderungen des Verhaltens resultieren könnte, welche möglicherweise psychotherapeutische Auswirkungen haben könnten. Mehr noch, die Idee des Ödipus-Komplexes erwies sich als entscheidend für Freuds These von der Zentralität der sexuellen Verdrängung in Totem und Tabu – was Gay (1988, 329) als eine von Freuds „subversivsten Mutmaßungen“ bezeichnet und weiter unten detailliert diskutiert werden wird.

Dieser Glaube an die heilenden Kräfte der sexuellen Freiheit fiel mit einer linken politischen Agenda, welche unter der großen Mehrheit der jüdischen Intellektuellen dieser Zeit verbreitet war und durch dieses Buch hindurch besprochen wird, zusammen. Diese linke politische Agenda erwies sich als ein wiederkehrendes Thema durch die Geschichte der Psychoanalyse hindurch. Die Unterstützung für radikale und marxistische Ideale war unter den frühen Anhängern Freuds verbreitet und linke Haltungen waren auch später unter den Psychoanalytikern verbreitet (Hale 1995, 31; Kurzweil 1989, 36, 46-47, 284; Torrey 1992, 33, 93 ff., 122-123), wie auch bei freudianisch inspirierten Ablegern wie Erich Fromm, Wilhelm Reich (siehe unten) und Alfred Adler. (Kurzweil (1989, 287) bezeichnet Adler als den Anführer der Psychoanalyse der „ganz Linken“ und merkt an, dass Adler Ausbilder sofort als Radikale politisieren wollte anstatt darauf zu warten, dass die Perfektionierung der Psychoanalyse dies besorgen würde.) Der Gipfel der Vereinigung zwischen dem Marxismus und der Psychoanalyse ereignete sich in den Zwanziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts in der Sowjetunion, wo alle Spitzen-Psychoanalytiker Bolschewiken beziehungsweise Unterstützer Trotzkis waren oder zu den mächtigsten politischen Figuren des Landes gehörten (siehe Chamberlain 1995). (Trotzki selbst war ein glühender Enthusiast der Psychoanalyse.) Diese Gruppe organisierte ein von der Regierung finanziertes Staatliches Psychoanalytisches Institut und entwickelte ein Programm der „Pädologie“, das darauf abzielte den „neuen Sowjetmenschen“ auf der Basis psychoanalytischer Prinzipien, welche auf die Kindererziehung angewendet wurden, zu schaffen. Das Programm, welches sexuelle Frühreife bei Kindern ermutigte, wurde in staatlichen Schulen aufgelegt.

Es gibt auch Beweise dafür, dass Freud sich zu einem Führer in einem Krieg gegen die nichtjüdische Kultur konzeptualisierte. Wir haben gesehen, dass Freud ein hohes Maß an Feindseligkeit gegen die westliche Kultur hegte, insbesondere gegen die katholische Kirche und ihren Verbündeten, die österreichische Habsburgermonarchie (Gay 1988; McGrath 1974; Rothman & Isenberg 1974a).6 In einer bemerkenswerten Textstelle in Die Traumdeutung versucht Freud zu verstehen, warum er unfähig war Rom zu betreten und stellt sich die Frage, ob er die Fußstapfen Hannibals, des semitischen Anführers von Karthago gegen Rom in der Zeit der Punischen Kriege, zurückverfolge.

Hannibal… war der bevorzugte Held meiner späteren Schultage… Und als ich in den höheren Klassen zum ersten mal begann zu begreifen, was es bedeutet zu einer fremden Rasse zu gehören… stieg die Figur des semitischen Generals in meinem Ansehen noch höher. In meinem jugendlichen Geist symbolisierten Hannibal und Rom den Konflikt zwischen der Zähigkeit des Judentums und der Organisation der katholischen Kirche. (Freud, Die Traumdeutung; in  Rothman & Isenberg 1974a, 64)

Diese Textstelle zeigt eindeutig an, dass Freud sich selbst als Mitglied „einer fremden Rasse“ identifizierte, welche im Krieg mit Rom und dessen Tochterinstitution, die katholische Kirche, einer zentralen Institution der westlichen Kultur stand. Gay (1988, 132) erklärt: „Ein aufgeladenes und ambivalentes Symbol, Rom, stand für Freuds am mächtigsten verschlüsselte, erotische und nur leicht weniger verhüllte, aggressive Wünsche“.7 Rom war „ein höchster Preis und eine unfassbare Gefahr“ (Gay 1988, 132).

Freud selbst beschrieb seine „Hannibal-Fantasie“ als „eine der treibenden Kräfte meines geistigen Lebens“ (in McGrath 1974, 35).

Eine enge Verbindung herrscht zwischen dem Antisemitismus und Freuds Feindseligkeit gegenüber Rom. Freuds bewusste Identifikation mit Hannibal ereignete sich in Folge eines antisemitischen Vorfalls an dem sein Vater beteiligt war, der sich dabei passiv verhielt. Freuds Antwort auf den Vorfall war die Visualisierung „der Szene, in welcher Hannibals Vater, Hamilcar Barca, seinen Sohn vor dem Altar des Haushalts schwören ließ, Rache an den Römern zu nehmen. Seit dieser Zeit… hatte Hannibal immer einen Platz in meinen Fantasien“ (in McGrath 1974, 35). „Rom war das Zentrum der christlichen Zivilisation. Rom zu erobern, würde wirklich heißen, seinen Vater und dessen Volk zu rächen“ (Rothman & Isenberg 1974a, 62). Cuddihy (1974, 54) bringt denselben Gesichtspunkt vor: „Wie Hamilcars Sohn Hannibal, will er Rom stürmen und Rache nehmen. Er wird seine Wut kontrollieren, wie sein Vater es tat, aber er wird sie benutzen um schonungslos unter der schönen Oberfläche der Diaspora die mörderische Wut und Wollust, welche sich unter ihrer sogenannten Höflichkeit schlängelt, zu sondieren“.

Rothman und Isenberg (1974) argumentieren überzeugend, dass Freud Die Traumdeutung tatsächlich als einen Sieg über die katholische Kirche ansah und dass er Totem und Tabu als einen erfolgreichen Versuch betrachtete, die christliche Religion in Begriffen des Verteidigungsmechanismus und der primitiven Triebe zu analysieren. In Bezug auf Totem und Tabu erzählte Freud einem Kollegen, dass es dazu „dient, eine scharfe Trennung zwischen uns und jeder Art der arischen Religiosität zu ziehen“ (in Rothman & Isenberg 1974, 63; siehe auch Gay 1988, 326). Sie legen auch nahe, dass Freud bewusst versuchte seine subversive Motivation zu verbergen: Ein zentraler Aspekt von Freuds Traumtheorie ist, dass eine Rebellion gegen eine machtvolle Autorität häufig mittels einer Täuschung ausgeführt werden muss: „In Übereinstimmung mit der Stärke… der Zensur (des der Autorität trotzenden Individuums), findet es sich gezwungen… in Andeutungen zu sprechen… oder es muss seinen Widerwillen unter einer scheinbar unschuldigen Maske verbergen“ (Freud, Die Traumdeutung; in Rothman & Isenberg 1974a, 64).

Das bizarre Argument in Freuds (1939) Der Mann Moses und die monotheistische Religion ist recht eindeutig ein Versuch, die moralische Superiorität des Judaismus gegenüber dem Christentum aufzuzeigen. Freuds Feindseligkeit gegenüber der katholischen Kirche ist in seiner Arbeit offenkundig: „Die katholische Kirche, welche bis dahin der unversöhnliche Feind aller Gedankenfreiheit war und resolut jeder Idee Widerstand entgegengebracht hatte, dass diese Welt vom Fortschritt der Erkenntnis der Wahrheit regiert würde!“ (in Rothman & Isenberg 1974a, 67). Freud wiederholt auch seine Überzeugung, dass die Religion nicht mehr sei als eine neurotische Symptomatik – eine Ansicht, welche zuerst in Totem und Tabu (1912) entwickelt worden war.

Alle Religionen mögen Symptome einer Neurose sein, aber Freud glaubte klar daran, dass der Judaismus eine ethisch und intellektuell superiore Form der Neurose sei: Gemäß Freud „formte die jüdische Religion den Charakter der Juden zum Guten durch die Geringschätzung der Magie und des Mystizismus und ermutigte sie, auf dem Gebiet der Spiritualität und Sublimation Fortschritte zu machen. Das Volk, glücklich in seiner Überzeugung im Besitz der Wahrheit zu sein, überwältigt vom Bewusstsein das erwählte zu sein, begann alle intellektuellen und ethischen Leistungen hoch zu schätzen“ (Freud 1939, 109; Rückübersetzung aus dem Amerikanischen). Im Gegensatz dazu: „Die christliche Religion erreichte nicht die erhabenen Höhen der Spiritualität, zu welcher sich die jüdische Religion erhoben hatte“ (Freud 1939, 109; Rückübersetzung aus dem Amerikanischen). Freud argumentiert, dass im Judaismus die verdrängte Erinnerung an die Tötung der mosaischen Vaterfigur den Judaismus auf eine sehr hohe ethische Ebene hebe, während im Christentum die nicht verdrängte Erinnerung an die Tötung einer Vaterfigur schließlich einen Rückfall in das ägyptische Heidentum zum Ergebnis habe. Tatsächlich kann Freuds Formulierung des Judaismus sogar als reaktionär bezeichnet werden, weil sie an der traditionellen Idee festhält, dass die Juden ein auserwähltes Volk seien (Yerushalmi 1991, 34).

Freuds psychoanalytische Neuinterpretation kann als ein Versuch angesehen werden, den Judaismus in einer „wissenschaftlichen“ Weise neu zu interpretieren: die Schaffung einer säkularen, „wissenschaftlichen“ jüdischen Theologie. Der einzige wesentliche Unterschied zum traditionellen Bericht liegt darin, dass Moses Gott als die zentrale Figur der jüdischen Geschichte ersetzt. In dieser Hinsicht ist es interessant, dass Freud sich von früher Zeit an stark mit Moses identifizierte (Klein 1981, 94; Rice 1990, 123 ff.), damit eine Identifikation nahe legend, in welcher er sich selbst als einen Führer ansah, der sein Volk durch eine gefährliche Zeit führen würde. Unter der Voraussetzung von Freuds intensiver Identifikation mit Moses könnte man folgende Passage aus Der Mann Moses und die monotheistische Religion, welche sich angeblich auf die antiken Propheten, die Moses folgten, bezieht, auf Freud selbst anwenden: „Der Monotheismus versäumte es, in Ägypten Wurzeln zu fassen. Dasselbe hätte in Israel passieren können, nachdem das Volk die unbequeme und anspruchsvolle Religion, die ihm auferlegt war, abgeworfen hätte. Wie auch immer, aus der Masse des jüdischen Volkes erhoben sich wieder und wieder Männer, welche der verblassenden Tradition neue Farbe verliehen, die Vorwarnungen und Gebote Moses erneuerten und nicht ruhten, bis die verlorene Sache einmal mehr gewonnen war“ (Freud 1939, 141-142; Rückübersetzung aus dem Amerikanischen). Der Mann Moses und die monotheistische Religion verbindet den Monotheismus mit der Überlegenheit der jüdischen Ethik, aber nirgendwo macht Freud klar, wie eine Ideologie des Monotheismus möglicherweise in einem höheren ethischen Sinn resultieren könne. Wie in A People That Shall Dwell Alone (Kapitel 3) angezeigt wird, ist der jüdische Monotheismus eng mit Ethnozentrismus und der Furcht vor Exogamie verbunden. Wie ebenfalls in A People That Shall Dwell Alone (Kapitel 6) angezeigt wird, ist die jüdische Ethik grundsätzlich eine Stammesethik in welcher es große Unterschiede gibt, wie Individuen, abhängig davon ob sie Juden sind oder nicht,  behandelt werden.

Wie ich angemerkt habe, ist zu erwarten, dass empfundener Antisemitismus die Tendenz verschlimmert, die nichtjüdische Kultur einer radikalen Kritik zu unterwerfen. Es gibt überzeugenden Beweis dafür, dass Freud über den Antisemitismus sehr besorgt war, möglicherweise ging dies auf den antisemitischen Vorfall, in den sein Vater verwickelt war, zurück (beispielsweise Rice 1990; Rothman & Isenberg 1974a,b; Yerushalmi 1991). In der Tat, wie auf der Basis der sozialen Identitätstheorie zu erwarten ist, merkt Gay (1987, 138) an, dass Freuds jüdische Identität am intensivsten war, „wenn die Zeiten für die Juden am härtesten waren“.

Freuds Theorie des Antisemitismus in Der Mann Moses und die monotheistische Religion (Freud 1939, 114-117) enthält mehrere Behauptungen, dass der Antisemitismus grundsätzlich eine pathologische nichtjüdische Reaktion auf die jüdische ethische Superiorität sei. Freud weist verschiedene oberflächliche Gründe für den Antisemitismus zurück, obwohl er der Ansicht, dass Antisemitismus von jüdischem Widerstand gegen die Unterdrückung (offensichtlich ein Fall, in welchem der Judaismus in einem positiven Licht dargestellt wird) hervorgerufen wird, einen gewissen Glauben schenkt.

Aber Der Mann Moses und die monotheistische Religion erforscht die tieferen Gründe des Antisemitismus im Unbewussten: „Der Neid, den die Juden bei anderen Völkern hervorriefen, indem sie daran festhielten, dass sie das erstgeborene bevorzugte Kind des Gottvaters seien, wurde immer noch nicht von jenen anderen verwunden, als ob die letzteren dieser Annahme Glauben geschenkt hätten“ (Freud 1939, 116; Rückübersetzung aus dem Amerikanischen). Des weiteren wird gesagt, dass die jüdische Feierlichkeit der Beschneidung die Nichtjuden an „die bedrohliche Idee der Kastration und jene Dinge in ihrer anfänglichen Vergangenheit, die sie gerne vergessen würden“ (Freud 1939, 116; Rückübersetzung aus dem Amerikanischen) erinnere. Schließlich wird vom Antisemitismus gesagt, er sei das Ergebnis der Tatsache, dass viele Christen erst vor kurzem, aus einer erzwungenen Konvertierung von noch barbarischeren, polytheistischen Volksreligionen als das Christentum selbst resultierend, Christen geworden seien. Aufgrund der Gewalttätigkeit ihrer erzwungenen Konvertierungen haben diese Barbaren „ihren Groll gegen die neue Religion, welche ihnen aufgezwungen wurde, noch nicht überwunden und projektieren sie auf die Quelle, aus der das Christentum zu ihnen kam (das heißt der Juden)“ (Freud 1939, 117; Rückübersetzung aus dem Amerikanischen).

Eine selbstgefälligere und an den Haaren herbei gezogenere Theorie des Antisemitismus kann man sich kaum vorstellen.8 Die allgemeine akademische Gemeinschaft tendierte dazu, Der Mann Moses und die monotheistische Religion als „unbesorgt seltsam“ (McGrath 1991, 27) zu betrachten, aber dies gilt sicherlich nicht für Freuds andere Arbeiten. In dieser Hinsicht ist es interessant anzumerken, dass Freuds hochgradig einflussreichen (und gleichermaßen spekulativen) Arbeiten Totem und Tabu sowie Das Unbehagen in der Kultur die Ansicht vertreten, dass die Verdrängung der Sexualität, die während Freuds Leben in der westlichen Kultur so offensichtlich war, die Quelle der Kunst, der Liebe und sogar der Zivilisation selbst sei. Wie auch immer, Neurose und Unglücklich-Sein sind der Preis, der für diese Dinge zu zahlen sind, da die Neurose und das Unglücklich-Sein das unvermeidliche Resultat der Verdrängung des Sexualtriebes sind.

Wie Herbert Marcuse (1974, 17) bezüglich dieses Aspektes von Freuds Denken schreibt: „Der Gedanke, dass eine nicht-repressive Zivilisation unmöglich sei, ist ein Eckstein in Freuds Theorie. Wie auch immer, seine Theorie enthält Elemente, welche diese Rationalisierung durchbrechen; sie erschüttern die vorherrschende Tradition des westlichen Denkens und legen sogar ihre Umkehrung nahe. Seine Arbeit ist charakterisiert von dem kompromisslosen Bestehen auf dem Aufzeigen des verdrängten Inhaltes der höchsten kulturellen Werte und Leistungen.“

Die westliche Kultur wurde auf die Couch gelegt, und die Rolle der Psychoanalyse bestand darin, dem Patienten zu helfen, sich ein Stück weit an eine kranke, Geisteskrankheiten verursachende Gesellschaft anzupassen: „Indem die psychoanalytische Theorie anerkennt, dass die Krankheit des Individuums letztlich von der Krankheit seiner Zivilisation verursacht und aufrecht erhalten wird, zielt die psychoanalytische Therapie darauf ab, das Individuum zu heilen, so dass es weiterhin als Teil einer kranken Zivilisation funktionieren kann ohne sich ihr völlig zu ergeben“ (Marcuse 1974, 245).

Wie es auch mit einigen der oben beschriebenen, engen Gefährten Freuds der Fall war, sah sich Freud selbst als Sexualreformer gegen die westlichste aller kulturellen Praktiken, der Unterdrückung der Sexualität. Im Jahre 1915 schrieb Freud: „Die Sexualmoral – wie sie die Gesellschaft, in ihrer extremsten Form die amerikanische, definiert – erscheint mir völlig nichtswürdig. Ich befürworte ein unvergleichlich freieres Sexualleben“ (in Gay 1988, 143). Wie Gay (1988, 149) anmerkt, war dies eine Ideologie, welche „für ihre Zeit zutiefst subversiv war“.

Der wissenschaftliche Status der Psychoanalyse

Er (Nathan von Gaza) war ein herausragendes Beispiel eines hochgradig einfallsreichen und gefährlichen jüdischen Archetypus, welchem weltweite  Bedeutung zukommen sollte, als der jüdische Intellekt säkularisiert wurde.9 Er  konnte ein System von Erklärungen und Vorhersagen von Phänomenen  konstruieren, das sowohl in hohem Maße plausibel als gleichzeitig auch  genügend ungenau und flexibel war, um sich auf neue – und vielfach  unbequeme – Ereignisse einzustellen, wenn sie sich ereigneten. Und er hatte ein Talent dazu, seine Theorie von vielgestaltigem Typus zu präsentieren… mit gewaltiger Überzeugung und selbstsicherem Auftreten. Marx und Freud sollten über eine ähnliche Kapazität verfügen. (A History of the Jews, Paul Johnson 1988, 267-268)

Es gibt eine lange Geschichte gut belegter Forderungen, dass die Psychoanalyse eine Pseudowissenschaft sei. Selbst wenn man die seit langem bestehenden Einwände der experimentell arbeitenden Forscher aus der Mitte der Psychologie ignorieren würde, gibt es eine ausgezeichnete Ahnenreihe von hochgradig kritischen Abrechnungen mit der Psychoanalyse, die in den Siebziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts mit Gelehrten wie Henri Ellenberger (1970), Frank Sulloway (1979a), Adolph Grünbaum (1984), Frank Cioffi (1969, 1970, 1972), Hans Eysenck (1990), Malcolm Macmillan (1991), E. Fuller Torrey (1992), und vielleicht am berühmtesten, mit Frederick Crews (1993; Crews et al. 1995) zu erscheinen begann. Die folgende Textpassage fasst diese akademische Tradition zusammen:

Sollten wir deshalb schließen, dass die Psychoanalyse eine Wissenschaft sei?  Meine Evaluation zeigt, dass auf keiner der verschiedenen Ebenen, aus der sie  hervorging, Freuds Theorie eine war, aus der adäquate Erklärungen  generiert  werden konnten. Von Anfang an war viel von dem, was als Theorie durchging, als Beschreibung befunden worden, noch dazu als armselige Beschreibung… In jeder der späteren maßgebenden Entwicklungsthesen nahm Freud an, was erklärt hätte werden müssen…

Keiner seiner Nachfolger, einschließlich seiner revisionistischen Kritiker, die selbst Psychoanalytiker sind, forschte tiefer als Freud in den Annahmen, die  ihrer Praxis zugrunde lagen, insbesondere der Annahme, welche „der  grundlegenden Methode“ zugrunde liegt – der freien Assoziation. Keine Fragen kamen auf, ob diese Annahmen der therapeutischen Situation gerecht  würden; niemand hat versucht, aus diesem Kreis auszubrechen. (Macmillan 1991, 610- 612)

Was heutzutage als Schelte Freuds gilt, ist einfach die lange verschobene Konfrontation der Freud’schen Ideen mit denselben Standards der  Schlüssigkeit, Klarheit, Überprüfbarkeit, zwingenden Kraft sowie der  sparsamen Erklärungskraft, die im gesamten empirischen Diskurs vorherrscht.  Schritt für Schritt lernen wir, dass Freud die am meisten überbewertete Figur der ganzen Geschichte der Wissenschaft und Medizin war – eine, die  immensen Schaden durch die Propagierung von irrigen  Krankheitsursachen,  falschen Diagnosen sowie fruchtlosen Linien der  Nachforschung schuf.  Immer noch stirbt die Legende nur langsam und jene, die sie herausfordern, werden weiterhin wie tollwütige Hunde empfangen. (Crews et al. 1995, 298-299)

Selbst jene innerhalb des psychoanalytischen Lagers haben häufig den Mangel an wissenschaftlicher Genauigkeit der frühen Psychoanalytiker angemerkt und tatsächlich ist die wissenschaftliche Exaktheit ein anhaltendes Bedenken in psychoanalytischen Kreisen (beispielsweise Cooper 1990; Michaels 1988; Orgel 1990; Reiser 1989). Gay (1988, 235), der die Psychoanalyse eindeutig als Wissenschaft ansieht, erklärt zu den Psychoanalytikern der ersten Generation, dass sie „furchtlos einander die Träume deuteten; sie sich wegen des anderen Fehlleistung der Zunge oder des Stiftes die Beine ausrissen; frei, viel zu frei diagnostische Begriffe wie ‚paranoid‘ oder ‚homosexuell‘ verwendeten, um ihre Kollegen oder tatsächlich sich selbst zu charakterisieren. Sie alle praktizierten in ihrem Zirkel die wilde Art der Analyse, die sie in Bezug auf Außenseiter als taktlos, unwissenschaftlich und kontraproduktiv beschrieben“.

Gay (1988, 543) nennt Das Unbehagen in der Kultur „eines von Freuds einflussreichsten Schriften“. Es scheint jetzt offensichtlich, dass jene Theorie, die Freud in Das Unbehagen in der Kultur und seiner früheren Schrift Totem und Tabu entwickelte, auf einer Anzahl extrem naiver, vorwissenschaftlicher Konzeptualisierungen des menschlichen Sexualverhaltens und deren Beziehung zur Kultur beruhen. Es ist wert anzumerken, dass Freud gezwungen war, Edward Westermarcks Theorie über den Inzest, welche die Basis der modernen wissenschaftlichen Theorien über den Inzest ist, gesamthaft zu verwerfen, um zu seinen Ansichten zu gelangen (siehe MacDonald 1986).

Wie auch immer, mit dem Mittel dieser spekulativen Sprünge gelang es Freud die westliche Kultur als im Wesentlichen neurotisch zu diagnostizieren, während er auf der Grundlage der Argumente in Der Mann Moses und die monotheistische Religion offensichtlich die Ansicht vertrat, dass der Judaismus das Epitom der mentalen Gesundheit und der moralischen und intellektuellen Superiorität repräsentiere. Freud scheint sich wohl bewusst gewesen zu sein, dass seine hochgradig subversiven Mutmaßungen in Totem und Tabu völlig spekulativ waren. Als sein Buch von einem britischen Anthropologen im Jahre 1920 als eine „So-ist-es-eben“-Geschichte bezeichnet wurde, zeigte sich Freud amüsiert und erklärte nur, dass seine Kritik „einen Mangel an Fantasie“ (Gay 1988, 327) habe, offensichtlich ein Zugeständnis, dass die Arbeit schwärmerisch gewesen war. Freud erklärte: „Es wäre unsinnig bei diesem Material nach Exaktheit zu streben, wie es auch unvernünftig wäre, Gewissheit zu verlangen“ (in Gay 1988, 330). In ähnlicher Art beschrieb Freud Das Unbehagen in der Kultur als „eine im Wesentlichen dilettantische Grundlage“ auf welcher „sich eine spitz auslaufende, analytische Untersuchung erhebt“ (in Gay 1988, 543).

Peter Gay bezeichnet Freuds Vorschlag einer Lamarck’schen Vererbung von Schuld, welche diese Arbeiten durchläuft, als „schiere Extravaganz, gestapelt auf die frühere Extravaganz der Forderung, dass der Ur-Mord ein historisches Ereignis sei“. Wie auch immer, selbst diese Einschätzung verfehlt es, an die unglaubliche Verwerfung des wissenschaftlichen Geistes, der in diesen Schriften offensichtlich ist, heranzureichen. Es war mehr als Extravaganz. Freud akzeptierte eine genetische Theorie, die Vererbung erworbener Eigenschaften, welche, wenigstens zu jener Zeit als Das Unbehagen in der Kultur die Doktrin bestätigte, von der wissenschaftlichen Gesellschaft vollständig zurückgewiesen worden war. Dies war eine selbstbewusste, spekulative Theorie, aber Freuds Spekulationen hatten eindeutig eine Agenda. Anstatt Spekulationen zu tätigen, welche die moralische und intellektuelle Basis der Kultur seiner Tage bestätigen würden, waren seine Spekulationen ein integraler Teil seines Krieges gegen die nichtjüdische Kultur – so sehr, dass er Totem und Tabu als einen Sieg über Rom und die katholische Kirche ansah.

In ähnlicher Weise ist Freuds Die Zukunft einer Illusion ein schwerer Angriff auf die Religion im Namen der Wissenschaft. Freud anerkannte selbst, dass der wissenschaftliche Inhalt schwach sei und erklärte, „der analytische Inhalt der Arbeit ist dünn“ (in Gay 1988, 524). Gay (1988, 537) befindet, dass sie „hinter seinen sich selbst auferlegten Maßstäben zurückblieb“, was, wie wir schon gesehen haben, kaum einer Spekulation im Dienst einer politischen Agenda entgegen stand. Wie auch immer, wieder verwickelt sich Freud in eine wissenschaftliche Spekulation im Dienst einer Agenda der Untergrabung der Institutionen der nichtjüdischen Gesellschaft. Diese Art sich in Positur zu bringen war typisch für Freud. Beispielsweise merkt Crews (1993, 57) an, dass Freud seine Theorie darüber, dass Dostojewski kein Epileptiker gewesen sei, sondern vielmehr ein Hysteriker, der unter dem Erlebnis der Urszene litt, „mit einer typisch arglistigen Demonstration von Vorläufigkeit voranbrachte; aber dann, genauso typisch, fährt er fort, dies als fest gesichert zu behandeln“. Dostojewski war tatsächlich ein Epileptiker.

Die Theorie des Ödipus-Komplex, der frühkindlichen Sexualität sowie der sexuellen Äthiologie der Neurose – jene drei zentralen Doktrinen, welche Freuds radikale Kritik der nichtjüdischen Kultur zugrunde liegen – spielen in der zeitgenössischen allgemeinen Entwicklungspsychologie absolut keine Rolle. Vom Standpunkt der Evolutionspsychologie aus gesehen, ist die Idee, dass Kinder einer spezifischen Anziehungskraft ihres gegen-geschlechtlichen Elternteils ausgesetzt seien, hochgradig unplausibel, weil solch eine inzestöse Beziehung eine durch Inzucht bedingte Depression als Ergebnis hätte und die Wahrscheinlichkeit erhöhen würde, in Störungen zu resultieren, welche durch rezessive Gene verursacht werden (MacDonald 1986). Der Vorschlag, dass Knaben den Wunsch verspürten, ihren Vater zu töten, konfligiert mit der allgemeinen Bedeutung der väterlichen Versorgung mit Ressourcen im Verständnis der Evolution der Familie (MacDonald 1988a; 1992): Knaben, welche erfolgreich ihren Vater töteten und mit ihrer Mutter Sex hätten, würden nicht nur mit genetisch minderwertigen Nachkommen zurückbleiben, sondern wären auch um die väterliche Unterstützung und den väterlichen Schutz gebracht. Moderne Studien über die Entwicklung zeigen an, dass viele Väter und Söhne sehr enge, sich gefühlsmäßig erwidernde Beziehungen haben, die in der frühen Kindheit beginnen, und das normative Muster für Mütter und Söhne besteht darin, sehr vertraute und liebevolle, aber entschieden nicht-sexuelle Beziehungen zu haben.

Das fortwährende Leben dieser Konzepte in psychoanalytischen Kreisen ist Zeugnis für die fortgesetzte unwissenschaftliche Natur des ganzen Unternehmens. In der Tat bemerkt Kurzweil (1989, 89): „Zu Beginn versuchten die Freudianer die Universalität des Ödipus-Komplexes zu ‚beweisen‘; später nahmen sie ihn als bewiesen an. Schließlich führten sie nicht länger die Gründe dafür an, warum die frühkindliche Sexualität und ihre Konsequenzen in den kulturellen Monographien überall vorhanden sein sollten: sie akzeptierten es alle“.10 Was als Spekulation begann, welche erst noch empirische Bestätigung benötigt hätte, endete als grundsätzliche a priori Voraussetzung.

Von diesen Freud’schen Lehrsätzen angeregte Forschung endete schon vor langem oder hatte in einem bestimmten Sinn nie begonnen: Grundsätzlich hat die Psychoanalyse keine bedeutende Forschung in Bezug auf diese drei Freud’schen Konstrukte angeregt. Interessanterweise gibt es Beweise dafür, dass Freud die Daten, welche diesen Konzepten zugrunde liegen, betrügerisch darlegte. Esterson (1992, 25 ff.; siehe auch Crews 1994) argumentiert überzeugend, dass Freuds Patienten von sich aus keine Informationen über eine Verführung oder einer die Urszene preisgaben. Die Geschichten von einer Verführung, welche die empirische Basis für den Ödipus-Komplex verschafften, waren eine Konstruktion Freuds, der dann das Leid seiner Patienten über das Hören seiner Konstruktion als Beweis seiner Theorie auslegte. Dann arbeitete Freud an einer Täuschung, um die Tatsache zu verdunkeln, dass die Geschichten seiner Patienten Rekonstruktionen oder Interpretationen auf der Grundlage einer a priori Theorie waren. Freud veränderte auch im Nachhinein die Identität der eingebildeten Verführer von Nicht-Familienmitgliedern (wie etwa Bediensteten), weil die Ödipus-Geschichte Väter brauchte. Esterson bringt zahlreiche andere Beispiele von Täuschung (und Selbsttäuschung) vor und merkt an, dass sie auf typische Art in Freuds brillanten und hochgradig überzeugenden, rhetorischen Stil eingepasst waren. Sowohl Esterson (1992) als auch Lakoff und Coyne (1993, 83-86) zeigen, dass Freuds berühmte Analyse der Heranwachsenden Dora (in welcher deren Zurückweisung von pädophilen sexuellen Annäherungen eines älteren verheirateten Mannes auf eine Hysterie und sexuelle Verdrängung zurückgeführt wird) vollständig auf vorgefassten Ideen und Zirkelschlüssen basierte, in welcher die negative emotionale Antwort der Patientin auf die psychoanalytische Hypothese als Beweis dieser Hypothese konstruiert wird. Freud arbeitete mit ähnlich täuschenden Rekonstruktionen in einer früheren Phase seiner Theorie-Konstruktion, als er glaubte, dass die Verführungen sich tatsächlich ereignet hätten (Powell & Boer 1994). Es war eine Methodik, welche jedes gewünschte Resultat hervorbringen konnte.

Eine besonders unerhörte Tendenz besteht darin, den Widerstand und das Leid des Patienten als einen Anzeiger der Wahrheit der Psychoanalyse einzufordern. Natürlich waren die Patienten nicht die einzigen, welche der Psychoanalyse Widerstand entgegenbrachten, und alle weiteren Formen des Widerstands galten in ähnlicher Weise als Anzeiger der Wahrheit der Psychoanalyse. Wie Freud selbst bemerkte: „Man begegnet mir mit Feindschaft und ich lebe in solch einer Isolation, dass man annehmen muss, ich hätte die größten Wahrheiten entdeckt“ (in Bonaparte, Freud & Kris 1957, 163). Wie wir sehen werden, wurde der Widerstand gegenüber der psychoanalytischen „Wahrheit“ von Seiten der Patienten, abweichender Psychoanalytiker und selbst ganzer Kulturen als ein sicheres Zeichen der Wahrheit der Psychoanalyse und der Pathologie derer, die ihr widerstanden, angesehen.

Aufgrund dieser umformenden, interpretativen Art der Konstruktion der Theorie wurde die Autorität des Psychoanalytikers zum einzigen Kriterium der Wahrheit der psychoanalytischen Ansprüche – eine Situation, welche natürlich zu der Erwartung führte, dass die Bewegung – um erfolgreich zu sein – notwendigerweise hochgradig autoritär sein würde. Wie weiter unten ausgeführt wird, war die Bewegung von Anfang an autoritär und blieb es über ihre Geschichte hinweg.

Beachten Sie, dass die interpretative, hermeneutische Grundlage der Konstruktion der Theorie in der Psychoanalyse formal mit den Prozeduren der Kommentare des Talmud und der Midra in Bezug auf die Schriften identisch sind (Hartung 1995; siehe A People That Shall Dwell Alone, Kapitel 7). Psychoanalytiker tendierten zu der Annahme, dass die Übereinstimmung mit beobachtbaren Tatsachen ein adäquates Kriterium für eine wissenschaftlich akzeptable, kausale Erklärung wäre. Psychoanalytiker „bewohnen eine Art wissenschaftlicher Vorschule, in welcher niemand das Geheimnis der Erwachsenen ausplaudert, dass eine erfolgreiche kausale Erklärung differenziert sein muss; sie muss die Überlegenheit einer gegebenen Hypothese gegenüber all ihrer bestehenden Rivalen herstellen“ (Crews 1994, 40; kursiv im Text). Wie in Kapitel 6 ausgeführt werden wird, ist die Entwicklung übereinstimmender Theorien, welche mit der beobachtbaren Realität vereinbar jedoch bar jedes wissenschaftlichen Inhalts sind, ein Kennzeichen der jüdischen intellektuellen Bewegungen des Zwanzigsten Jahrhunderts.

Jeder Theoretiker der zeitgenössischen wissenschaftlichen Szene, der behauptete, dass sich Kinder normalerweise sexuell von ihrem gegen-geschlechtlichen Elternteil angezogen fühlten, würde dafür geächtet werden, eine psychologische Grundlage für die Annahme zu bieten, dass Kinder solchen Kontakt suchten. Ein auffallender Fehler, welcher Freuds Schriften durchzieht, ist die systematische Verschmelzung von sexuellem Verlangen und Liebe (siehe MacDonald 1986): „Zuallererst, in der Psychoanalyse hat es sich als besser erwiesen, von diesen Liebesimpulsen als sexuelle Impulse zu sprechen“ (in Wittels 1924, 141) – ein Kommentar, welcher die bewusste Natur dieser Verbindung nahelegt und gleichermaßen die nachlässige Art, in welcher die Psychoanalytiker ihre Hypothesen entwarfen, anzeigt. Tatsächlich führte Freud alle Typen der Lust als grundsätzlich verschiedene Manifestationen eines diesen zugrunde liegenden und einzigartigen aber unbegrenzt wandelbaren sexuellen Lustgefühls zusammen, einschließlich der oralen Befriedigung resultierend aus der Stillung mit der Brust, der analen Befriedigung als Ergebnis des Stuhlgangs, der sexuellen Befriedigung und der Liebe. Zeitgenössische Forscher haben meist vorgeschlagen, dass liebevolle Bindungen zwischen Eltern und Kindern für die Entwicklung wichtig seien und dass Kinder diese Bindungen suchten. Wie auch immer, die moderne Theorie und die empirischen Erhebungen sowie der evolutionspsychologische Ansatz bieten absolut keine Unterstützung für die Identifizierung liebevoller Bindungen mit sexuellem Verlangen oder für die Annahme, dass liebevolle Bindungen ein sublimiertes oder zurückverweisendes sexuelles Verlangen wären. Moderne Ansätze unterstützen stattdessen die Perspektive eines diskreten Systems, in dem sexuelles Verlangen und Zuneigung (sowie andere Quellen der Lust) recht verschiedene, unabhängige Systeme einbeziehen. Aus einer evolutionären Perspektive haben die machtvollen rührenden (Liebes-) Beziehungen zwischen Ehepartnern sowie zwischen Eltern und Kindern die Funktion einer Quelle der sozialen Bindekraft, deren ultimativer Zweck die Beschaffung eines hohen Grades an Unterstützung für die Kinder ist (siehe MacDonald 1992).

Diese Verschmelzung von sexuellem Verlangen und Liebe wird auch bei vielen psychoanalytischen Nachfolgern Freuds, einschließlich Norman O. Brown, Wilhelm Reich sowie Herbert Marcuse, deutlich, deren Arbeiten weiter unten besprochen werden. Der gemeinsame Faden, der diese Schriften durchzieht, ist, dass wenn die Gesellschaft sich irgendwie von der sexuellen Unterdrückung befreien könne, die menschlichen Beziehungen auf Liebe und Zuneigung basieren könnten. Angesichts der gegenwärtigen Forschung auf diesem Gebiet ist dies ein extrem naiver und gesellschaftlich zerstörerischer Standpunkt. Psychoanalytische Geltendmachungen auf das Gegenteil waren niemals mehr als Spekulationen im Dienst einer Kriegsführung gegen die nichtjüdische Kultur.

In seinen an Einblicken reichen Grübeleien über Freud verfolgt Cuddihy (1974, 71) Freuds Ansichten in dieser Sache auf die Tatsache zurück, dass die Heirat für Juden völlig utilitaristisch war (siehe A People That Shall Dwell Alone, Kapitel 7). Ein Jünger Freuds, Theodore Reik, erklärte, die ältere Generation der Juden vertrete die Überzeugung, dass „Liebe nur in Romanen und Theaterstücken gefunden werden könne“. „Liebe und Romantik hatten keinen Platz in der Judengasse (deutsch im Original; der Übersetzer)“. Liebe wurde somit von Freud als eine Erfindung der fremden nichtjüdischen Kultur betrachtet und war somit moralisch verdächtig. Ihre wahrhaft scheinheilige Natur als Tünche sowie ausschließlich als Sublimitation des sexuellen Instinktes würde von der Psychoanalyse entlarvt werden. Wie weiter unten umfänglicher erklärt werden wird, war dies eine verwüstende Analyse – eine Analyse mit wichtigen Konsequenzen für den sozialen Stoff der westlichen Gesellschaften im späten Zwanzigsten Jahrhundert.

Schließlich besteht ein weiterer allgemeiner Fehler und zwar einer, der die politische Natur von Freuds gesamter Agenda illustriert, darin, dass sexuelle Bedürfnisse als etwas angesehen werden, das eine mächtige biologische Basis hat (das Es), während Merkmale wie etwa Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit, Ordentlichkeit, Schuld sowie der Aufschub von Befriedigung (das heißt das System der Gewissenhaftigkeit der Persönlichkeitstheorie) von einer repressiven, eine Pathologie verursachenden Gesellschaft auferlegt werden. In einem Kommentar, welcher die Nützlichkeit dieser psychoanalytischen Begriffe im Krieg gegen die nichtjüdische Kultur anzeigt, erklärt James Q. Wilson (1993a, 104) ganz richtig, dass der Glaube, Bewusstsein „sei das Ergebnis einer Repression, ein nützliches Ding zu glauben sei, wenn man sich von den Zwängen des Bewusstseins befreien wollte – Bewusstsein wird zu einer ‚Besessenheit‘, welche einen daran hindert ’sich selbst zu finden’“. Tatsächlich ist die Gewissenhaftigkeit ein entscheidendes biologisches System, welches innerhalb der jüdischen Gemeinschaft intensiver eugenischer Selektion ausgesetzt war (siehe A People That Shall Dwell Alone, Kapitel 7). Eine evolutionäre Perspektive impliziert eher, dass beide Systeme eine mächtige biologische Grundlage haben und beide entscheidenden adaptiven Funktionen dienen (MacDonald 1995a, 1998c). Kein Tier und sicherlich auch kein Mensch waren je dazu in der Lage, sich ganz und gar der eigenen Befriedigung hinzugeben, und es gibt überhaupt keinen Grund anzunehmen, dass unsere Biologie ausschließlich darauf ausgerichtet sei, sofortige Befriedigung und Vergnügen zu erhalten. In der realen Welt verlangt das Erreichen evolutionärer Ziele, dass den Einzelheiten Beachtung gezollt wird, sorgfältige Pläne geschmiedet werden und die Befriedigung zurückgestellt wird.

Das fortgesetzte Leben dieser Begriffe innerhalb der psychoanalytischen Gemeinschaft bezeugt die Vitalität der Psychoanalyse als einer politischen Bewegung. Die weitere, selbst auferlegte Trennung der Psychoanalyse vom wissenschaftlichen Mainstream der Entwicklungspsychologie, wie sie von verschiedenen Organisationen, unterschiedlichen Journalen sowie einer größtenteils nicht überlappenden Mitgliedschaft angezeigt wird, ist ein weiterer Indikator dafür, dass die grundlegende Struktur der Psychoanalyse als einer geschlossenen intellektuellen Bewegung sich in die heutige Zeit fortsetzt. Tatsächlich entspricht die selbstauferlegte Absonderung der Psychoanalyse gut der traditionellen Struktur des Judaismus gegenüber der nichtjüdischen Gesellschaft: Es gibt eine Entwicklung paralleler Welten in Bezug auf den Diskurs über die menschliche Psychologie – zwei unvereinbare Weltanschauungen, welche ziemlich analog zu den Unterschieden in Bezug auf den religiösen Diskurs sind, der über die Zeiten hinweg die Juden von ihren nichtjüdischen Nachbarn trennte.

Die Psychoanalyse als eine politische Bewegung

Während Darwin nach weiterer Reflexion und der Verarbeitung fühlbarer  Schläge von rationalen Kritikern mit der Überarbeitung seines Werkes  zufrieden war, während er auf den Lauf der Zeit und das Gewicht seiner  Argumentation vertraute, orchestrierte Freud sein Buhlen um die öffentliche  Meinung mittels treuer Kader von Anhängern, gegründeten Zeitschriften,  ausformulierter Popularisierungen, welche das autorisierte Wort verbreiteten,  dominierter internationaler Kongresse über die Analyse, bis er sich zu  gebrechlich fühlte um ihnen beizuwohnen, sowie danach durch Ersatzpersonen wie seine Tochter Anna. (Gay 1987, 145)

Gelehrte haben anerkannt, dass die bewusst oppositionelle, subversive Haltung, welche für die Psychoanalyse charakteristisch ist, durch Methoden erreicht wurde, welche ganz und gar im Gegensatz zum wissenschaftlichen Geist stehen. Die wahrhaft unglaubliche Sache in Bezug auf die Geschichte der Psychoanalyse ist, dass Freud noch sechzig Jahre nach seinem Tod und hundert Jahre nach der Geburt der Psychoanalyse das Objekt solch intensiver schmeichlerischer Emotionen ist – eine weiterer Indikator dafür, dass die ganze Angelegenheit uns in ein Gebiet jenseits der Wissenschaft und in den Bereich der Politik und der Religion führt. Was Grosskurth (1991, 219) über sich selbst sagt, ist die einzig wichtige wissenschaftliche Frage: „Mich fasziniert die Tatsache, dass tausende von Menschen damit fortfahren, Freud zu idealisieren und zu verteidigen, ohne wirklich etwas über ihn als Person zu wissen.“ Es ist diese Fortführung der Bewegung und die Ehrfurcht vor ihrem Begründer, nicht der pseudowissenschaftliche Inhalt der Theorie, das von Interesse ist.

Ich habe bereits die bewusst spekulative Natur dieser subversiven Doktrinen angesprochen, aber ein weiterer wichtiger Aspekt dieses Phänomens ist die Struktur der Bewegung und die Art, auf welche mit Abtrünnigkeit innerhalb der Bewegung umgegangen wurde. Die Psychoanalyse „führte sich weniger wie ein wissenschaftlich-medizinisches Unternehmen auf, sondern eher wie ein Politbüro, das sich der Ausmerzung des Abweichlertums widmet“ (Crews 1994, 38). Es überrascht deshalb nicht, dass Beobachter wie etwa Sulloway (1979b) die „Kult-ähnliche“ Aura der Religion beschrieben, welche die Psychoanalyse durchdrang. Die Psychoanalyse wurde sowohl von Außenseitern als auch von Mitgliedern oft mit einer Religion verglichen. Gay (1988, 175) „merkt den beharrlichen Vorwurf an, dass Freud eine säkulare Religion begründet hätte“. Obwohl Gay den Vorwurf bestreitet, gebraucht auch er für die Beschreibung der Psychoanalyse Wörter wie etwa „Bewegung“ (1988, 180 passim), „Bekehrung“ (1988, 184) und „die Sache“ (1988, 201); er gebraucht „verirrter Jünger“ (1988, 485) zur Beschreibung eines Abtrünnigen (Otto Rank) und „rekrutieren“ (1988, 540), um Prinzessin Marie Bonaparte zu beschreiben. In ähnlicher Art spricht Yerushalmi (1991, 41) von Freud als jenem, der Jung „den Mantel der apostolischen Nachfolge“ verliehen habe. Und es bleibt mir nichts anderes übrig als anzumerken, dass der getreue Jünger Freuds, Fritz Wittels (1924, 138), berichtet, dass Freud, während der Zeit als sich Freud und Jung nahestanden, oft über Jung sagte: „Dies ist mein geliebter Sohn, von dem ich sehr angetan bin“.

Wittels beschreibt auch die „Unterdrückung der freien Kritik innerhalb der Gesellschaft… Freud wird als Halbgott oder sogar als Gott behandelt. An seinen Äußerungen ist keine Kritik erlaubt“. Wittels erzählt uns, dass Freuds Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie „die psychoanalytische Bibel sei. Dies ist keine reine Redewendung. Für die getreuen Jünger haben ihre eigenen Bücher keine weitere Bedeutung. Sie akzeptieren keine Autorität außer jener Freuds; sie lesen oder zitieren einander kaum. Wenn sie zitieren, dann von ihrem Meister, so dass sie das reine Wort verkünden können“ (1924, 142-143). Freud „hatte kaum das Verlangen, dass seine Gefährten Personen mit einer starken Individualität seien oder dass sie kritische oder ehrgeizige Kollaborateure seien. Der Bereich der Psychoanalyse war seine Idee und sein Wille, und er hieß jeden willkommen, der seine Ansichten akzeptierte“ (1924, 134).

Der Autoritarismus der Bewegung stieß manchen ab. Der einflussreiche Schweizer Psychiater Eugen Bleuler verließ die Bewegung im Jahre 1911 und erzählte Freud: „Dies ‚Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns‘ oder dieses ‚Alles oder Nichts‘ ist notwendig für religiöse Gemeinschaften und nützlich für politische Parteien. Ich kann deshalb das Prinzip als solches verstehen, für die Wissenschaft betrachte ich es jedoch als schädlich“ (in Gay 1987, 144-145).

Andere unabhängige Denker der Bewegung wurden einfach ausgeschlossen. Es gab gefühlsmäßig belastende, hochgradig politisierte Szenen als Adler und Jung von der Bewegung ausgeschlossen wurden. Wie oben angezeigt, hatten beide Individuen Perspektiven entwickelt, welche mit jenen Aspekten der psychoanalytischen Orthodoxie unvereinbar waren, die entscheidend für die Entwicklung einer radikalen Kritik der westlichen Kultur waren, und das Ergebnis war ein bitterer Riss. Im Falle Adlers machten einige Mitglieder der Bewegung und Adler selbst Versuche, die Differenzen zur Freud’schen Orthodoxie zu minimieren, zum Beispiel indem sie Adlers Ideen eher als Erweiterung von Freud betrachteten anstatt als Widersprüche. „Aber Freud war an solch erzwungenen Kompromissen nicht interessiert“ (Gay 1988, 222). Tatsächlich erklärte Jung im Jahre 1925, dass Freuds Haltung ihm gegenüber „die Bitterkeit einer Person ist, die völlig missverstanden wird und deren Benehmen immerzu auszusagen scheint: ‚Wenn sie nicht verstehen, dann müssen sie in die Hölle getreten werden’“ (in Ellenberger 1970, 462). Nach Jungs Lossagung von Freud erklärte er: „Ich kritisiere an der Freud’schen Psychologie eine gewisse Enge und Tendenz und an den ‚Freudianern‘ einen gewissen unfreien, sektiererischen Geist der Intoleranz und des Fanatismus“ (in Gay 1988, 238).

Die Lossagungen und Ausschlüsse von Jung und Adler waren frühe Anzeiger der Unfähigkeit jede Form von abweichender Meinung von der fundamentalen Doktrin zu tolerieren. Otto Rank wurde Mitte der Zwanziger Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts abtrünnig und wieder war das Problem fehlende Übereinstimmung mit der Wichtigkeit der fundamentalen Freud’schen Doktrin, dem Ödipus-Komplex. Die Lossagung war von einem hohen Maß an Charaktermord begleitet, der meist in Versuchen bestand, zu zeigen, dass Ranks Verhalten eine Indikation der Psychopathologie sei.

In jüngerer Zeit wurde Jeffrey Masson aus der Bewegung ausgeschlossen, nachdem er die Freud’sche Doktrin in Zweifel stellte, dass Berichte der Patienten über sexuellen Missbrauch Fantasien seien. Wie bei den anderen Abweichlern hat solch eine Ansicht eine radikale Kritik Freuds zur Folge, da sie eine Zurückweisung des Ödipus-Komplex mit sich bringt. Wie bei talmudischen Diskussionen konnte man Freud in Zweifel ziehen, aber die Hinterfragung musste „innerhalb eines gewissen Rahmens und innerhalb der Zunft erfolgen. Für die meisten Analysten ist es undenkbar aus dem Rahmenwerk herauszutreten und die ehernen Grundlagen der Psychoanalyse zu hinterfragen“ (Masson 1990, 211). Massons Ausschluss war nicht von einer wissenschaftlichen Debatte über die Genauigkeit seiner Behauptungen charakterisiert, sondern von einem stalinistischen Schauprozess vollendet mit einem Charaktermord.

In der Geschichte der Psychoanalyse besteht der Charaktermord typischerweise in der Analyse fehlender Übereinstimmung als Indikation einer Neurose. Freud selbst wurde „niemals müde, die notorische Behauptung zu wiederholen, dass die Opposition zur Psychoanalyse von ‚Widerständen‘ stamme“, die emotionalen Quellen entsprängen (Esterson 1992, 216). Beispielsweise rechnete Freud Jungs Abtrünnigkeit „starken neurotischen sowie egoistischen Motiven“ zu (in Gay 1988, 481).11 Gay (1988, 481) kommentiert: „Diese Unternehmen in Sachen Charaktermord sind Beispiele einer Art von aggressiven Analyse, welche Psychoanalytiker, Freud an der Spitze, gleichzeitig  missbilligten und praktizierten. Dies… war die Art, in der Analysten über andere und über sich selbst dachten“. Die Praxis war „Haus gemacht unter den Analysten, eine verbreitete berufliche Deformation“ (Gay 1988, 481). Man ist geneigt, die Ähnlichkeit dieses Phänomens mit der sowjetischen Praxis, Dissidenten in psychiatrische Anstalten einzuweisen, zu bemerken. Diese Tradition lebt weiter. Frederick Crews (1993, 293) jüngste Kritik der Psychoanalyse wurde von Psychoanalytikern als „zurechtgelegt von einem Unzufriedenen mit einer bösartigen Disposition in einem Zustand bitterer Wut“ porträtiert. Crews Verhalten wurde in Begriffen stümperhafter Übertragungen und schiefgegangener Ödipus-Komplexe erklärt.

Der wahrscheinlich erstaunlichste Fall ist Otto Ranks Brief aus dem Jahre 1924, in welchem er seine ketzerischen Aktionen seinen eigenen neurotischen, unbewussten Konflikten zuordnet und verspricht, die Dinge „nach der Entfernung meiner affektiven Widerstände“ objektiver zu sehen und anmerkt, dass Freud „meine Erklärungen zufriedenstellend fand und mir persönlich vergeben hat“ (Grosskurth 1991, 166). In dieser Angelegenheit „scheint Freud als ein Großinquisitor gehandelt zu haben, und Ranks unterwürfig ‚Geständnisse‘ könnten als Modell für die russischen Schauprozesse der Dreißiger Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts gedient haben“ (Grosskurth 1991, 167). Freud betrachtete die ganze Episode als Erfolg; Rank war von seiner Neurose geheilt worden, „genau wie wenn er durch eine richtige Analyse gegangen wäre“ (in Grosskurth 1991, 168). Es ist klar, dass wir es hier nicht mit gewöhnlicher Wissenschaft zu tun haben, sondern eher mit einer religiös-politischen Bewegung, in welcher die Psychoanalyse als Form der Gedankenkontrolle und als ein Instrument der Dominanz und interpersonellen Aggression dient.

Der Gipfel dieses autoritativen Aspekts der Bewegung war die Schaffung „einer engen, kleinen Organisation von Loyalisten“, deren Hauptaufgabe die Verhütung von Abweichungen von der Orthodoxie war (Gay 1988, 229-230). Freud akzeptierte die Idee enthusiastisch. „Was meine Vorstellungskraft sofort erfasste, war Ihre (Ernest Jones) Idee eines geheimen Rates, zusammengesetzt aus den besten und unseres Vertrauens würdigsten unserer Männer, um für die weitere Entwicklung der Psychoanalyse Sorge zu tragen und die Sache gegen Persönlichkeiten und Vorfälle zu verteidigen, wenn ich nicht mehr lebe… (Das Komitee würde) Leben und Sterben für mich einfacher machen… Dieses Komitee muss strikt geheim bleiben“ (in Gay 1988, 230; kursiv im Text).12

Die Arbeit des Komitees wird ausführlich bei Grosskurth (1991, 15; kursiv im Text) dokumentiert, welcher anmerkt: „Indem er darauf bestand, das Komitee müsse absolut geheim bleiben, verehrte Freud das Prinzip der Geheimhaltung. Die verschiedenen psychoanalytischen Gesellschaften, welche aus dem Komitee hervorgingen, waren wie kommunistische Zellen, in denen die Mitglieder ihren Führern ewigen Gehorsam gelobten. Die Psychoanalyse wurde durch die Gründung von Zeitschriften und dem Training von Kandidaten institutionalisiert; kurz, eine außergewöhnlich effektive, politische Einheit.“

Es gab wiederholte Ermahnungen an das Komitee, eine „einheitliche Front“ gegenüber jeder Opposition zu aufrechtzuerhalten, „die Kontrolle über die gesamte Organisation beizubehalten“, „die Truppen auf Linie zu halten“ und „dem Befehlshaber Bericht zu erstatten“ (Grosskurth 1991, 97). Dies ist nicht die Arbeit einer wissenschaftlichen Organisation, sondern eher einer autoritären religiös-politischen und quasi-militärischen Bewegung – etwas, das weit eher der Spanischen Inquisition oder dem Stalinismus ähnelt als dem, was wir uns gewöhnlich unter Wissenschaft vorstellen. Die autoritäre Natur der psychoanalytischen Bewegung wird durch die Persönlichkeiten der Mitglieder des Komitees veranschaulicht, von denen allen scheint, dass sie extrem unterwürfige Persönlichkeiten und eine vorbehaltlose Ergebenheit gegenüber Freud hatten. Tatsächlich scheinen die Mitglieder sich selbst als treue Söhne gegenüber der Vaterfigur Freud betrachtet zu haben (vervollständigt durch eine Geschwister-Rivalität bei der die „Brüder“ sich in die Position des Lieblings des „Vaters“ manövrierten), während Freud seine engen Gefährten als seine Kinder ansah, mit der Macht in deren persönliches Leben einzugreifen (Grosskurth 1991, 123; Hale 1995, 29). Für die Getreuen war die Wahrheit der Psychoanalyse weit weniger wichtig als ihr psychologisches Bedürfnis, von Freud geschätzt zu werden (Deutsch 1940).

Wie auch immer, diese Beziehungen gingen weit über reine Loyalität hinaus. „(Ernest) Jones hat die Tatsache aufgegriffen, dass ein Freund Freuds zu sein bedeutete, ein Speichellecker zu sein. Es bedeutete, sich selbst ihm gegenüber völlig zu öffnen, willens zu sein, ihm alles Vertrauen zu schenken“ (Grosskurth 1991, 48). „Jones glaubte, mit Freud (dem Vater) uneinig zu sein, sei gleichbedeutend mit Vatermord“, so dass, als Sandor Ferenczi mit Freud über die Realität des sexuellen Kindesmissbrauchs uneinig war, Jones ihn einen „mörderischen Verrückten“ (Masson 1990, 152) nannte.

In Bezug auf Ferenczi bemerkt Grosskurth: „Der Gedanke einer Meinungsverschiedenheit mit Freud war unerträglich“ (1991, 141). „Es gab Gelegenheiten in denen er (Ferenczi) gegen seine Abhängigkeit rebellierte, aber immer kehrte er reuig und unterwürfig zurück“ (1991, 54-55). Die Situation war für Kurt Eissler, den engsten Vertrauten in Anna Freuds innerem Zirkel in den Sechziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts, ähnlich: „Was er für Freud empfand schien an Verehrung zu grenzen“ (Masson 1990, 121). „Für ihn war ein Ding heilig und somit jenseits der Kritik: Freud“ (Masson 1990, 120). Unter den Jüngern war es verbreitet, Freuds persönliches Gehabe zu imitieren und selbst unter Analytikern, welche Freud persönlich nicht kannten, bestanden „intensive Gefühle, Fantasien, Übertragungen, Identifizierungen“ (Hale 1995, 30).

Dieser autoritäre Aspekt der Bewegung bestand noch lange nach der Auflösung des geheimen Komitees und lange nach Freuds Tod fort. Anna Freud erhielt von ihrem Vater einen Ring und hielt eine „spezielle Gruppe“ um sich herum, deren Existenz öffentlich nicht bekannt war (Masson 1990, 113). „Von jenem Augenblick an als Freud Jünger fand, war die Psychoanalyse immer eine halb geheime Gesellschaft. Diese Geheimniskrämerei hat nie aufgehört“ (Masson 1990, 209).

Die Tendenz abweichende Meinungen zu unterdrücken hielt in der Psychoanalyse lange nach den gut dokumentierten Tendenzen des Gründungsvaters und seiner Jünger an (Orgel 1990). „Die Psychoanalyse verlangte eine Loyalität, die nicht in Frage gestellt werden konnte, die blinde Akzeptanz der nicht untersuchten ‚Weisheit’“.

„Als Psychoanalytiker Erfolg zu haben, bedeutete ein Team-Spieler zu sein und die Arbeit anderer Analytiker im Team nicht zu hinterfragen“ (Masson 1990, 209, 70). Intellektuell abweichende Meinungen wurden von Vorgesetzten mit Erklärungen unterdrückt, dass die Zweifler ein weiteres Bedürfnis nach Analyse hätten, oder einfach durch die Entfernung der Abweichler aus den Schulungsprogrammen.

Ein weiterer Beweis für den eigentlich politischen Charakter der Psychoanalyse ist die einzigartige Rolle jener Jünger, welche in der Lage waren, ihre eigene Herkunft in direkter Linie bis zu Freud zurückzuverfolgen. „Die Idee, ein auserwählter Jünger zu sein, durch direkten Kontakt mit dem Meister privilegiert zu sein, hat überlebt und wird in den Prozeduren vieler Schulungsprogramme der Institute fortgesetzt“ (Arlow & Brenner 1988, 5; siehe auch Masson 1990, 55, 123). „Die intensiven Kindesbeziehungen der ersten Generation zu Freud wurden nach und nach durch hochgradig emotionale Beziehungen zu einem fantasierten Freud ersetzt, der immer noch der ursprüngliche Begründer war, aber auch zu Organisationen, zu Ebenbürtigen, zu Übergeordneten in der Institutshierarchie – und vor allem – zum Schulungsanalytiker, dem Analytiker des Schulungsanalytikers, und wenn möglich, bis zurück zu Freud und seinem Zirkel. Dies wurde zu einer Determinanten des psychoanalytischen Prestiges“ (Hale 1995, 32).

Anders als in der wirklichen Wissenschaft gibt es in der Psychoanalyse eine weiterführende Rolle für etwas, das man als die heiligen Texte der Bewegung bezeichnen könnte, Freuds Schriften, sowohl in der Lehre als auch in der zeitgenössischen psychoanalytischen Literatur. Studien über Hysterie und Die Traumdeutung sind fast hundert Jahre alt, aber sie bleiben Standarttexte in den psychoanalytischen Trainingsprogrammen. Es gibt eine „wiederkehrende Erscheinung in der analytischen Literatur von Artikeln, welche Freuds frühe Fallstudien überarbeiten, vertiefen, ausdehnen und modifizieren“ (Arlow & Brenner 1988, 5). Tatsächlich ist es bemerkenswert, psychoanalytische Zeitschriftenartikel einfach kritisch zu prüfen und herauszufinden, dass eine große Anzahl der Verweise sich auf Freuds Arbeit vor mehr als sechzig Jahren bezieht. Der Band des Jahres 1997 des Psychoanalytic Quarterly enthält siebenundsiebzig Verweise auf Freud in vierundzwanzig Artikeln. Nur fünf Artikel enthalten keinen Verweis auf Freud und von diesen enthält ein Artikel überhaupt keine Verweise. (Im Übereinstimmung mit der psychoanalytischen Tradition gibt es darin keine empirischen Studien.) Es scheint eine fortdauernde Tendenz zu geben, zu welcher Wittels (1924, 143) lange zuvor anmerkte: „Die getreuen Jünger schenken ihren Büchern wechselseitig keine Beachtung. Sie erkennen keine Autorität an außer Freuds; sie lesen oder zitieren sich gegenseitig nur selten. Wenn sie etwas zitieren, dann ist es vom Meister, so dass sie das reine Wort weitergeben.“

Der fortlaufende Gebrauch von Freuds Texten zur Instruktion und die fortdauernden Verweise auf Freuds Arbeit sind in einer wirklichen Wissenschaft einfach nicht vorstellbar. In dieser Hinsicht gilt, dass obwohl Darwin für seine wissenschaftliche Arbeit als Begründer der modernen Wissenschaft der Evolutionsbiologie verehrt wird, die Studien in Evolutionsbiologie sich nur selten auf Darwins Schriften beziehen, weil das Forschungsfeld sich so weit über seine Arbeit hinaus bewegt hat. On the Origin of Species und Darwins weitere Arbeiten sind wichtige Texte in der Geschichte der Wissenschaft, aber sie werden nicht für die gegenwärtige Instruktion gebraucht. Zudem wurden zentrale Hauptpunkte von Darwins Darstellung, wie etwa seine Ansichten über die Vererbung, von modernen Forschern komplett zurückgewiesen. Wie auch immer, bei Freud gibt es die anhaltende Treue zum Meister, wenigstens innerhalb wichtiger Untergliederungen der Bewegung.

Eine Begründung für den autoritären Charakter der Bewegung war, dass er wegen der irrationalen Feindseligkeit, welche die Psychoanalyse in den wissenschaftlichen und laienhaften Gemeinschaften erregte, notwendig sei (zum Beispiel Gay, 1987). Wie auch immer, Sulloway (1979a, 448; siehe auch Ellenberger 1970, 418-420; Esterson 1992, 172-173; Kiell 1988) befindet, dass die angeblich feindselige Rezeption von Freuds Theorien „eine der am besten verwurzelten Legenden“ der Geschichte der Psychoanalyse sei. Mehr noch, man könnte anmerken, dass Darwins Theorie während Darwins Leben ebenfalls intensive Feindseligkeit provoziert habe, und in jüngerer Zeit gab es ein hohes Maß an öffentlicher Feindseligkeit, die sich auf neuere Ausarbeitungen von Darwins Theorie mit Bezug auf das menschliche Verhalten richtete. Nichtsdestotrotz haben sich aus diesen theoretischen Perspektiven nicht jene autoritären, separatistischen Merkmale der Psychoanalyse entwickelt. Tatsächlich haben Evolutionsbiologen und Verhaltensgenetiker versucht die allgemeine Forschung in der Anthropologie, Psychologie, Soziologie und anderen Feldern mittels der Veröffentlichung von Ergebnissen in gängigen Zeitschriften und häufig durch den Gebrauch der allgemeinen Methodik zu beeinflussen. Meinungsverschiedenheit und Feindseligkeit für sich genommen müssen nicht zu Orthodoxie oder einer Abspaltung von der Universität führen. In der Welt der Wissenschaft führt Meinungsverschiedenheit zu Experiment und rationaler Argumentation. In der Welt der Psychoanalyse führt sie zum Ausschluss der Nicht-Orthodoxen und zur famosen Isolation von der wissenschaftlichen Psychologie.

Tatsächlich wird in Arbeiten, wie etwa Grosskurths (1991) The Secret Ring und Peter Gays Biografie, die autoritäre Natur der Bewegung vielfach kommentiert, aber Diskussionen über die Notwendigkeit des Autoritarismus als Ergebnis des externen Druckes auf die Psychoanalyse sind extrem vage oder fehlen fast völlig. Stattdessen erscheint der Antrieb zur Orthodoxie als direktes Ergebnis der Persönlichkeiten einer kleinen Gruppe von Getreuen und ihrer absoluten Verschreibung an die Sache ihres Meisters aus dem Inneren der Bewegung heraus.

In Anbetracht der Nützlichkeit der Psychoanalyse als Instrument der psychologischen Dominanz und Gedankenkontrolle lehnte Freud selbst es ab, analysiert zu werden. Freuds Ablehnung führte zu Schwierigkeiten mit Jung und viel später mit Ferenczi, welcher kommentierte, die Ablehnung sei ein Beispiel für Freuds Arroganz gewesen (Grosskurth 1991, 210-211). Im Gegensatz dazu benutzte Freud die Psychoanalyse, um zwei seiner glühendsten Jünger, Ferenczi und Jones, sexuell zu demütigen. Freuds Analyse jener Frau, die in Beziehungen zu Jones und Ferenczi verwickelt war, hatte zur Folge, dass die Frau die Männer verließ, jedoch mit Freud freundlich verbunden blieb (siehe Grosskurth 1991, 65). Grosskurth legt nahe, dass Freuds Aktionen ein Test für die Treue seiner Jünger gewesen sei und die Tatsache, dass Jones nach seiner Erniedrigung weiter in der Bewegung verblieb, zeigt das Ausmaß an, zu welchem die Gefolgsleute Freuds ihrem Meister unhinterfragte Ergebenheit zollten.

Ein Ethologe, der diese Vorfälle beobachtete, würde schließen, dass Freud sich wie der Inbegriff eines dominanten Männchens verhalten hätte, was Freud in Totem und Tabu mythologisch verarbeitete, allerdings nur symbolisch, denn Freud hatte scheinbar keine sexuelle Beziehung mit der Frau (obwohl er von Jones nichtjüdischer Freundin „gefangen genommen“ worden war (Grosskurth 1991, 651)). Unter diesen Umständen von der Tötung der Vaterfigur Abstand zu nehmen, galt als erfolgreiches Durchlaufen der ödipalen Situation – eine Anerkennung der Treue zu Freud, der Vaterfigur.

Außer zur Kontrolle seiner männlichen Handlanger nutzte Freud die Psychoanalyse zur Pathologisierung des weiblichen Widerstandes gegenüber sexuellen männlichen Annäherungen. Dies wird bei der berühmten Analyse der heranwachsenden Dora sichtbar, die die Annäherungen eines älteren, verheirateten Mannes zurückwies. Dora wurde von ihrem Vater zu Freud geschickt, weil dieser wollte, dass sie in die Annäherungen einwillige; eine Geste der Beschwichtigung, da der Vater eine Affäre mit der Ehefrau des Mannes hatte. Freud legte Doras Zurückweisung entgegenkommend als Unterdrückung amourösen Verlangens gegenüber dem Mann aus. Die Botschaft ist, dass vierzehnjährige Mädchen, welche die sexuellen Annäherungen älterer, verheirateter Männer zurückweisen, sich hysterisch verhalten. Ein Evolutionspsychologe würde ihr Verhalten als verständliche (und adaptive) Konsequenz ihrer evolvierten Psychologie interpretieren. In Anbetracht der allgemein positiven Einschätzung Freuds in den populären Medien der Fünfziger Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts meinte Donald Kaplan (1967), ein laienhafter Analytiker, der für Harper’s schrieb, dass Freud „seine vorzüglichste Findigkeit“ im Fall Dora ausgeübt habe: „Die drei Monate mit Freud könnten die einzige Erfahrung unanfechtbarer Integrität in ihrem langen, unglücklichen Leben gewesen sein.“ Lakoff und Coyne (1993) schließen ihre Diskussion über Dora mit dem Argument, dass die Psychoanalyse im Allgemeinen durch Gedankenkontrolle, Manipulation und Entwertung des Patienten charakterisiert sei. Crews (1993, 56) beschreibt auch einen „kaum zu glaubenden“ Fall, in dem Freud den Präsidenten der New York Psychoanalytic Society, Horace Frink, zu einer desaströsen Scheidung und Wiederverheiratung mit einer Erbin manipulierte; das letztere Ereignis war von einer beträchtlichen finanziellen Zuwendung an die psychoanalytische Bewegung begleitet. Frinks zweite Frau ließ sich später von ihm scheiden. Beide Scheidungen wurden von Episoden manischer Depression begleitet.

Eine wichtige Folge dieser Befunde ist, dass die Psychoanalyse viele Merkmale mit der Gehirnwäsche gemein hat (Bailey 1960, 1965; Salter 1998).13 Während der Lehrsitzungen wird jeder Einwand des zukünftigen Psychoanalytikers als Widerstand angesehen, der überwunden werden muss (Sulloway 1979b). Viele zeitgenössische Patienten fühlen, dass ihre Analytiker sich ihnen gegenüber aggressiv verhalten und sie in ergebene und passive Gefolgsleute ihres hochgradig idealisierten Analysten verkehren, eine Rolle, welche von der „unhinterfragten Autorität“ des Analysten erleichtert wird (Orgel 1990, 14). Masson (1990, 86) beschreibt seine Lehranalyse als „Aufwachsen mit einem despotischen Elternteil“, da die Qualitäten, welche von dem zukünftigen Analytiker verlangt werden, Demut und äußerster Gehorsam waren.

Ich vermute, dass die Prägung passiver und ergebener Anhänger auf dem Weg der Aggression und der Gedankenkontrolle, wie sie von der Psychoanalyse repräsentiert wird, schon immer ein wichtiger Teil des ganzen Projektes war. Auf einer tiefen Ebene impliziert die grundsätzlich pseudowissenschaftliche Struktur der Psychoanalyse, dass Streitigkeiten nicht auf wissenschaftliche Art geschlichtet werden können, mit dem Ergebnis, wie Kerr (1992) anmerkt, dass das einzige Mittel, welches Dispute löst, die Ausübung persönlicher Macht einschließt. Das Ergebnis davon ist, dass die Bewegung dazu verurteilt war, sich zu einer Orthodoxie der Mitte zu entwickeln, unterbrochen von zahlreichen sektiererischen Abweichungen, welche von Individuen herrühren, die aus der Bewegung ausgeschlossen wurden. Diese Ableger kopierten dann die fundamentale Struktur aller von der Psychoanalyse inspirierten Bewegungen: „Jede größere Meinungsverschiedenheit bezüglich der Theorie oder der Therapie schien eine neue bestätigende, soziale Gruppe zu verlangen, eine psychoanalytische Tradition, welche Abtrennungen zwischen Freud’schen Instituten in jüngerer Zeit zu bestätigen scheinen“ (Hale 1995, 26). Während wirkliche Wissenschaft in ihrem Kern individualistisch ist, besteht die Psychoanalyse in all ihren Manifestationen grundsätzlich aus einem Satz zusammenhängender, autoritärer Gruppierungen, welche sich um einen charismatischen Führer scharen.

Trotz des kompletten Fehlens von Unterstützung durch einen Kern wissenschaftlicher Forschung sowie der autoritären, hochgradig politisierten Atmosphäre der Bewegung, hat die Psychoanalyse bis vor kurzem „innerhalb ihres eigenen Bereichs und in der Lehre sowie im Studiengang der Medizinstudenten einen beachtlichen Ehrenplatz innegehalten“. Die American Psychatric Association (APA) „wurde über viele Jahre hinweg vor allem von medizinischen Psychoanalytikern geführt, sowohl als medizinischer Direktor in der Person von Dr. Melvin Sabshin als auch von einer Reihe psychoanalytischer Präsidenten“ (Cooper 1990, 182). Die APA hat die American Psychoanalytic Society in vielerlei Weise direkt und indirekt unterstützt. Die intellektuelle Glaubwürdigkeit der Psychoanalyse innerhalb der weiteren psychiatrischen Gemeinschaft sowie ein beträchtlicher Anteil ihrer finanziellen Ressourcen wurden deshalb nicht durch die Entwicklung eines Stammes wissenschaftlicher Forschung oder durch die Öffnung gegenüber alternativen Perspektiven erlangt, sondern durch politischen Einfluss innerhalb der APA.

Eine weitere Quelle finanzieller Unterstützung für die Psychoanalyse leitet sich aus ihrer Akzeptanz innerhalb der jüdischen Gemeinschaft ab. Juden waren als Patienten, welche um eine psychoanalytische Behandlung ersuchten, enorm überrepräsentiert; sie machten in den Sechziger Jahren sechzig Prozent der Antragsteller in psychoanalytischen Kliniken aus (Kadushin 1969). Tatsächlich beschreiben Glazer und Moynihan (1963, 163) eine jüdische Subkultur in New York im Amerika der Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts, in welcher die Psychoanalyse eine zentrale kulturelle Institution war, welche einige derselben Funktionen erfüllte wie die traditionelle religiöse Zugehörigkeit: „In Amerika ist die Psychoanalyse ein spezifisch jüdisches Produkt… (Die Psychoanalyse) war eine wissenschaftliche Form der Seelen-Wiederherstellung um diese ganzheitlich und abgehärtet zu machen, und sie schied sich, zumindest an der Oberfläche, vom Mystizismus, vom Willen und von der Religion sowie von all diesen anderen romantischen und obskuren Trends, die ihr rationaler Verstand zurückwies“ (Glazer and Moynihan 1963, 175). Patienten und Analytiker nahmen gleichermaßen an einer säkularen Bewegung teil, welche die entscheidenden psychologischen Merkmale des traditionellen Judaismus als einer separatistischen, autoritären und kollektivistischen Kult-ähnlichen Bewegung beibehielt.

Schließlich ist es vernünftig, zu schlussfolgern, dass Freuds wirklicher Analysand die nichtjüdische Kultur war und dass die Psychoanalyse grundsätzlich ein Akt der Aggression gegen diese Kultur war. Die Methodik und die institutionelle Struktur der Psychoanalyse kann als Versuch angesehen werden, mittels einer Gehirnwäsche die nichtjüdische Kultur dahin zu bringen, die radikale Kritik an der nichtjüdischen Kultur zu akzeptieren, welche die fundamentalen Postulate der Psychoanalyse zur Folge haben. Verpackt in einen wissenschaftlichen Jargon hing die Autorität des Analytikers zuletzt von einer hochgradig autoritären Bewegung ab, in welcher Misshelligkeit zum Ausschuss oder zu ausgefeilten Rationalisierungen, welche solches Verhalten als krankhaft erklärten, führte.

Tatsächlich, die folgende Passage, geschrieben von Karl Abraham, zeigt, dass Freud dachte, dass die Nichtjuden „innere Widerstände“, welche sich aus ihren rassischen Ursprüngen ergäben, überwinden müssten, um die Psychoanalyse akzeptieren zu können. Abraham mit Jung vergleichend, schrieb Freud: „Sie stehen aufgrund der Rassenverwandtschaft meiner intellektuellen Verfassung näher, während er als Christ und Sohn eines Pastors seinen Weg zu mir nur gegen große innere Widerstände finden kann“ (in Yerushalmi 1991, 42).

Die Akzeptanz der Psychoanalyse durch die Nichtjuden würde somit, in einem gewissen Sinn, die Eroberung der „angeborenen“ Tendenzen der Christen durch die Juden repräsentieren – der Sieg des semitischen Generals über seinen verhassten Feind, die nichtjüdische Kultur. Tatsächlich, Kurzweil zeigt, dass es die Tendenz abweichende Meinungen als krankhaft zu erklären, nicht nur innerhalb der Bewegung und in Bezug auf Abtrünnige gab, sondern auch oft auf ganze Länder angewendet wurde, in denen die Psychoanalyse keine Wurzeln schlagen konnte. So wurde der frühe Mangel einer positiven Rezeption der Psychoanalyse in Frankreich „einer irrationalen Abwehr“ (Kurzweil 1989, 30) zugeschrieben und eine ähnliche Situation in Österreich wurde auf „einen allgemeinen Widerstand“ (Kurzweil 1989, 245) zurückgeführt, wobei „Widerstand“ mit psychoanalytischen Konnotationen gebraucht wurde.

Die Psychoanalyse als Werkzeug der radikalen Kritik an der westlichen Kultur: Der weitere kulturelle Einfluss der Theorie Freuds

Weil Freuds Ideologie ganz bewusst subversiv war und vor allem weil sie dazu tendierte, jene westlichen Institutionen zu unterminieren, die Sex und Heirat umgaben, ist es von Interesse, die Auswirkungen dieser Praktiken aus einer evolutionären Perspektive zu betrachten. Die Eheschließung war im Westen lange monogam und exogam, und diese Merkmale kontrastieren stark mit den Merkmalen anderer strukturierter Gesellschaften, insbesondere mit Gesellschaften aus dem Nahen Osten, wie etwa das altertümliche Israel (MacDonald 1995b,c; A People That Shall Dwell Alone, Kapitel 8).

Freuds Ansichten in Totem und Tabu sowie Das Unbehagen in der Kultur repräsentieren das Versagen, die Einzigartigkeit der römischen und später christlichen Institutionen der Heirat und die Rolle der christlich religiösen Praktiken zur Herstellung eines einzigartig egalitären Systems der Partnerwahl, welches charakteristisch für Westeuropa war, zu erfassen.14 In Westeuropa hat die Repression gegen das Sexualverhalten grundsätzlich dazu gedient, die gesellschaftlich auferlegte Monogamie zu unterstützen, ein Partnerwahlsystem, in welchem die Unterschiede des Reichtums der Männer weit weniger mit dem Zugang zu Frauen und dem Fortpflanzungserfolg verknüpft sind als in traditionellen nicht-westlichen Zivilisationen, in denen Polygynie die Norm war. Wie auch in A People That Shall Dwell Alone (Kapitel 8) ausgeführt, bedeutet Polygynie einen sexuellen Wettbewerb unter Männern, bei dem reiche Männer Zugang zu einer ungemein disproportionalen Anzahl Frauen haben und Männer mit geringerem Status häufig unfähig sind, überhaupt eine Partnerin zu finden. Dieser Typus des Heiratssystems ist unter den traditionell strukturierten menschlichen Gesellschaften auf der Welt, wie etwa dem klassischen China, Indien, den muslimischen Gesellschaften sowie dem altertümlichen Israel sehr verbreitet (Betzig 1986; Dickemann 1979). Während arme Männer in solch einem System keine Partnerin finden können, werden Frauen zur beweglichen Habe reduziert und typischerweise als Konkubinen von wohlhabenden Männern erworben. Eine sozial auferlegte Monogamie repräsentiert somit ein relativ egalitäres Partnerwahlsystem für Männer.

Mehr noch, aufgrund des höheren Grades an sexueller Konkurrenz unter Männern ist der Status der Frauen in nicht-westlichen Gesellschaften unermesslich niedriger als in westlichen Gesellschaften, in denen sich die Monogamie entwickelt hat (MacDonald 1988a, 227-228; J. Q. Wilson 1993a). Es ist kein Zufall, dass sich die neue Bewegung für Frauenrechte eher in westlichen Gesellschaften entwickelt hat als in anderen strukturierten Gesellschaften der Welt. Die massiv verwirrende Charakteristik der Psychoanalyse wird auch bei Freuds engem Kollegen Fritz Wittels deutlich. Wittels erwartete, dass einer Ära der Befreiung und der sexuellen Freiheit von einer Gruppe jüdischer psychoanalytischer Messianisten die Tür geöffnet werden würde, aber seine Erwartungen basierten auf einem tiefen Missverständnis in Bezug auf Sex und die menschliche Psychologie. Wittels verdammte „unsere zeitgenössische, gottverdammte Kultur“ dafür, dass sie die Frauen in „den Käfig der Monogamie“ (in Gay 1988, 512) zwänge, ein Kommentar, welcher die Wirkungen des sexuellen Wettbewerbs zwischen Männern, wie er von der Polygynie repräsentiert wird, völlig missversteht.

Es gibt guten Grund anzunehmen, dass die Monogamie eine notwendige Bedingung für das besondere europäische Profil der Demographie des „niedrigen Drucks“, welches Wrigley und Schofield (1981) beschreiben, war. Dieses demographische Profil ist das Ergebnis später Heirat und Ehelosigkeit eines großen Prozentsatzes der Frauen in Zeiten ökonomischer Knappheit. Die theoretische Verknüpfung mit der Monogamie besteht darin, dass die monogame Ehe in einer Situation resultiert, in welcher die Armen beiderlei Geschlechts unfähig sind, einen Partner zu finden, während in polygynen Systemen ein Überschuss an armen Frauen nur den Preis von Konkubinen für reiche Männer senkt. So blieben zum Beispiel am Ende des Siebzehnten Jahrhunderts annähernd dreiundzwanzig Prozent der Individuen beiderlei Geschlechts im Alter zwischen vierzig und vierundvierzig Jahren unverheiratet, als Ergebnis veränderter ökonomischer Möglichkeiten sank dieser Prozentsatz jedoch zu Beginn des Achtzehnten Jahrhunderts auf neun Prozent, und es gab eine entsprechende Senkung des Heiratsalters (Wrigley & Schofield 1981). Wie die Monogamie war dieses Muster in den strukturierten Gesellschaften Eurasiens einzigartig (Hajnal 1965, 1983; MacFarlane 1986; R. Wall 1983; Wrigley & Schofield 1981).

Im Gegenzug scheint das demographische Profil des niedrigen Drucks wirtschaftliche Konsequenzen gehabt zu haben. Die Heiratsrate war nicht nur der hauptsächliche Dämpfer für das Bevölkerungswachstum, diese Antwort hatte besonders in England die Tendenz, sich etwas verzögert nach günstigen ökonomischen Veränderungen zu entwickeln, so dass während guter Zeiten eher eine Tendenz zur Kapitalakkumulation anstatt eines konstanten Drucks der Bevölkerung auf das Lebensmittelangebot bestand:

Die Tatsache, dass die gleitende Anpassung zwischen ökonomischen und demographischen Fluktuationen sich in solch einer gemächlichen Art vollzog  und dazu tendierte, große, wenn auch graduelle Schwankungen hinsichtlich der  Reallöhne herzustellen, bot die Möglichkeit, sich von der Falle des niedrigen  Einkommens zu lösen, von welcher manchmal angenommen wird, dass sie alle  vorindustriellen Nationen behindert hätte. Eine lange Periode steigender Reallöhne wird durch die Veränderung der Struktur der Nachfrage dazu  tendieren, der Nachfrage nach Gütern, welche nicht zu den grundlegenden  Lebensnotwendigkeiten gehören, einen disproportionalen Auftrieb zu  verschaffen und so jene Sektoren der Wirtschaft, deren Wachstum besonders  wichtig ist, wenn sich eine industrielle Revolution ereignen soll, begünstigen.  (Wrigley & Schofield 1981, 439; siehe auch Hajnal 1965; MacFarlane 1986)

Es besteht somit ein gewisser Grund anzunehmen, dass Monogamie, indem sie ein demographisches Profil des niedrigen Drucks als Ergebnis hat, eine notwendige Voraussetzung für die Industrialisierung war. Dieses Argument legt nahe, dass die gesellschaftlich auferlegte Monogamie – eingebettet in das religiöse und kulturelle Rahmenwerk der westlichen Gesellschaften – tatsächlich ein zentraler Aspekt der Architektur der westlichen Modernisierung gewesen sein muss.

Ein weiterer wichtiger Effekt der westlichen Institutionen in Bezug auf Sex und Ehe war die Erleichterung der hohen elterlichen Investitionen. Wie bereits angesprochen war der vielleicht grundsätzlichste Fehler, den Freud machte, die systematische Vermischung von Sex und Liebe. Dies war auch sein subversivster Fehler und man kann die absolut desaströsen Konsequenzen der Akzeptanz der Freud’schen Ansicht, dass die sexuelle Befreiung begrüßenswerte Auswirkungen für die Gesellschaft hätte, nicht genug betonen.

Im Gegensatz zur psychoanalytischen Perspektive ist die Evolutionstheorie kompatibel mit einer diskreten Systemperspektive, in welcher es mindestens zwei unabhängige Systeme gibt, welche das Fortpflanzungsverhalten beeinflussen (MacDonald 1988a, 1992, 1995a): Ein System ist ein System der Paarbindung, welches stabile Paarbindungen sowie hohe elterliche Investitionen erleichtert. Dieses System bringt notwendigerweise den Vater als Beschaffer von Ressourcen für die Kinder in die Familie ein, indem es eine Grundlage für enge gefühlsmäßige Bindungen (romantische Liebe) zwischen Mann und Frau verschafft. Sowohl in der Persönlichkeitspsychologie als auch in der Forschung in Bezug auf Beziehungen besteht hinreichender Beweis für solch ein System.

Das zweite System lässt sich als ein System der sexuellen Anziehung und Partnerwahl charakterisieren, welches die Partnerwahl sowie kurzfristige sexuelle Beziehungen erleichtert. Dieses System ist psychometrisch mit Extraversion, dem Trachten nach Sinneswahrnehmung, Aggression sowie anderen Triebsystemen verknüpft. Die psychologische Forschung legt die Hypothese nahe, dass Individuen, bei welchen diese Systeme besonders ausgeprägt sind, mehr Sexualpartner sowie ein relativ ungehemmtes Sexualverhalten haben. Diesem System, das bei jungen männlichen Erwachsenen am ausgeprägtesten ist, liegt ein Partnerwahlverhalten im Stil niedriger Investitionen zugrunde, bei welchem die Rolle des Mannes einfach in der Begattung der Frauen liegt und nicht so sehr in der Bereithaltung fortgesetzter Investitionen in den Nachwuchs. Viele menschliche Gesellschaften sind durch intensive sexuelle Konkurrenz zwischen Männern um die Kontrolle über eine große Anzahl von Frauen charakterisiert (beispielsweise Betzig 1986; Dickemann 1979; MacDonald 1983). Dieses männliche Trachten nach einer großen Anzahl von Partnerinnen und sexuellen Beziehungen hat nichts mit Liebe zu tun. Es ist ein definierendes Charakteristikum der westlichen Kultur, diese männliche Tendenz signifikant gehemmt und gleichzeitig die Paarbindung und die kameradschaftliche Heirat kulturell unterstützt zu haben. Das Ergebnis war ein relativ egalitäres Partnerwahlsystem mit hohen Investitionen.

Die psychoanalytische Betonung der Legitimierung der Sexualität und des vorehelichen Geschlechtsverkehrs ist deshalb grundsätzlich ein Programm, welches elterliche Stilarten mit niedrigen Investitionen fördert. Elternschaft mit niedrigen Investitionen ist mit frühreifer Sexualität, frühzeitiger Fortpflanzung, Mangel an Impulskontrolle und instabilen Paarbindungen verknüpft (Belsky, Steinberg & Draper 1991). Ökologisch ist eine Elternschaft mit hohen Investitionen mit dem Bedürfnis zur Erzeugung von kompetitivem Nachwuchs verknüpft, und wir haben gesehen, dass ein Aspekt des Judaismus als einer evolutionären Gruppenstrategie die Betonung der Elternschaft mit hohen Investitionen war (A People That Shall Dwell Alone, Kapitel 7). Auf die nichtjüdische Kultur angewendet, hätte das subversive Programm der Psychoanalyse den zu erwartenden Effekt, weniger konkurrenzfähige Kinder als Ergebnis zu haben; langfristig würde die nichtjüdische Kultur zunehmend durch Elternschaft mit niedrigen Investitionen charakterisiert werden und, wie weiter unten ausgeführt wird, gibt es Beweise dafür, dass die sexuelle Revolution, welche von der Psychoanalyse eingeleitet oder wenigstens in hohem Maße erleichtert wurde, tatsächlich diesen Effekt hatte.

In dieser Hinsicht ist interessant anzumerken, dass ein wichtiger Aspekt der gesellschaftlichen Einsetzung der Monogamie in Westeuropa die Entwicklung der kameradschaftlichen Ehe war. Einer der besonderen Merkmale der westlichen Ehe ist, dass es einen Trend hin auf eine kameradschaftliche Heirat auf der Grundlage der Zuneigung und des Einverständnisses zwischen den Partnern gibt (beispielsweise Brundage 1987; Hanawalt 1986; MacFarlane 1986; Stone 1977, 1990; Westermarck

1922). Obwohl die Datierung dieser gefühlsmäßigen Revolution in den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten umstritten bleibt (Phillips 1988), haben mehrere Historiker auf die allgemeine Gültigkeit und die psychologische Bedeutung der liebevollen Beziehungen zwischen Eltern und Kind sowie Ehemann und Ehefrau in Westeuropa seit dem Mittelalter (Hanawalt 1986; MacFarlane 1986; Pollack 1983) oder spätestens seit dem Siebzehnten Jahrhundert (beispielsweise Phillips 1988; Stone 1977, 1990) hingewiesen. Stone merkt an, dass ab dem Achtzehnten Jahrhundert „selbst in großen aristokratischen Haushalten eine wechselseitige Zuneigung als eine notwendige Voraussetzung für die Eheschließung erachtet wurde“ (1990, 60).

In Anbetracht von Freuds Erbitterung gegen die westliche Kultur und die katholische Kirche im Besonderen ist es interessant, dass die Kirchenpolitik in Bezug auf die Ehe den größtenteils erfolgreichen Versuch einschloss, Einverständnis und Zuneigung zwischen Partnern als normative Merkmale der Heirat zu betonen (Brundage 1975, 1987; Duby 1983; Hanawalt 1986; Herlihy 1985; MacFarlane 1986; Noonan 1967, 1973; Quaife 1979; Rouche 1987; Sheehan 1978). Der Anti-Hedonismus und die Idealisierung der romantischen Liebe als Basis der monogamen Ehe haben periodisch auch säkulare westliche intellektuelle Bewegungen charakterisiert (Brundage 1987), wie etwa die Stoiker in der Antike (beispielsweise P. Brown 1987; Veyne 1987) oder die Romantiker im Neunzehnten Jahrhundert (beispielsweise Corbin 1990; Porter 1982).

Aus der evolutionären Perspektive befreit der Konsens die Individuen in dem Sinn, dass sie in der Ehe ihre eigenen Interessen verfolgen, worunter Verträglichkeit und eheliche Zuneigung fallen können. Obwohl sich Zuneigung sicherlich auch im Kontext arrangierter Eheschließungen ereignen kann (und dies wurde von einigen Historikern des republikanischen Rom betont (beispielsweise Dixon 1985)), wird das freie Einverständnis zur Eheschließung, wenn alle anderen Dinge gleich bleiben, wahrscheinlicher zum Ergebnis haben, dass die Zuneigung ein bedeutungsvolles Kriterium sein wird.

Tatsächlich sieht man in diesen Befunden einen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Judaismus als einer kollektivistischen Gruppenstrategie, in welcher individuelle Entscheidungen den Gruppeninteressen untergeordnet werden, gegenüber westlichen Institutionen, welche auf Individualismus basieren. Erinnern wir uns an das Material, welches in A People That Shall Dwell Alone (Kapitel 7) besprochen wurde und anzeigt, dass bis zum Ende des Ersten Weltkrieges arrangierte Eheschließungen unter Juden die Regel waren, weil die ökonomische Basis der Ehe zu wichtig war, um sie den Launen der romantischen Liebe zu überlassen (Hyman 1989). Obwohl die Elternschaft mit hohen Investitionen einen wichtigen Aspekt des Judaismus als einer evolutionären Gruppenstrategie bildete, wurde die Zuneigung bei der Heirat nicht als zentral für die Eheschließung angesehen, was zum Ergebnis hatte, dass, wie Cuddihy (1974) anmerkt, eine lange Reihe jüdischer Intellektueller sie als hochgradig verdächtiges Produkt einer fremdartigen Kultur betrachteten. Juden setzten bis weit ins Zwanzigste Jahrhundert auch die Heirat unter Blutsverwandten fort – eine Praktik, welche die grundsätzlich biologische Agenda des Judaismus herausstreicht (siehe A People That Shall Dwell Alone, Kapitel 8) – während die Kirche, wie wir gesehen haben, der Konsanguinität als Grundlage der Ehe seit dem Mittelalter erfolgreich entgegentrat. Der Judaismus fuhr somit fort, den kollektivistischen Mechanismus der sozialen Kontrolle des individuellen Verhaltens im Einklang mit Familien- und Gruppeninteressen Jahrhunderte nachdem im Westen die Kontrolle über die Heirat von der Familie beziehungsweise dem Klan auf die Individuen übergegangen war, weiter zu betonen. Im Gegensatz zum jüdischen Hervorheben der Gruppenmechanismen hat die westliche Kultur somit in einzigartiger Weise die individualistischen Mechanismen der persönlichen Anziehung und des freien Einverständnisses betont (siehe A People That Shall Dwell Alone, Kapitel 8).

Ich fasse zusammen, dass westliche religiöse und säkulare Institutionen ein hochgradig egalitäres Partnerwahlsystem, welches mit einer Elternschaft mit hohen Investitionen verbunden ist, als Ergebnis hatten. Diese Institutionen verschafften der Paarbindung, der Ehe und der Kameradschaft auf Grundlage der Heirat eine zentrale Rolle. Wie auch immer, als diese Institutionen Gegenstand der radikalen Kritik der Psychoanalyse wurden, begann man, sie als Ursache von Neurosen zu sehen, und die westliche Gesellschaft selbst wurde als krankhaft betrachtet. Freuds Schriften bezüglich dieser Frage (siehe Kurzweil 1989, 85 und passim) sind zum Platzen voll mit Geltendmachungen über die Notwendigkeit größerer sexueller Freiheit, um die entkräftende Neurose zu überwinden. Wie wir noch sehen werden, verwiesen spätere psychoanalytische Kritiker der nichtjüdischen Kultur darauf, dass die Unterdrückung der Sexualität zu Antisemitismus und einer Unmenge anderer moderner Übel führe.

Die Psychoanalyse und die Kritik an der westlichen Kultur

Die Psychoanalyse hat sich als wahrhafter Fund eines Schatzes an Ideen für jene erwiesen, welche die Absicht hegen, eine radikale Kritik an der westlichen Kultur zu entwickeln. Die Psychoanalyse beeinflusste das Denken auf einer langen Reihe von Gebieten einschließlich der Soziologie, der Kindererziehung, der Kriminologie, der Anthropologie, der Literaturkritik, der Kunst, der Literatur sowie der gängigen Medien. Kurzweil (1989, 102) bemerkt, dass „etwas wie eine Kultur der Psychoanalyse etabliert wurde“. Torrey beschreibt in allen Einzelheiten die Ausbreitung der Bewegung in den Vereinigten Staaten, ursprünglich durch die Aktionen einer kleinen Gruppe von überwiegend jüdischen Aktivisten mit Zugang zu den gängigen Medien, der akademischen Welt sowie den Künsten, hin zu einem überwältigenden Einfluss in den Fünfziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts: „Es ist ein weiter Weg von einer Ausgangsstellung unter New Yorker Intellektuellen zu einem weit verbreiteten Einfluss auf fast jede Phase des amerikanischen Lebens (Torrey 1992, 37) – was Torrey als „Angriff auf die amerikanische Kultur“ bezeichnet (1992, 127).

Und wie Shapiro (1989, 292) aufzeigt, hatte die übergroße Mehrheit der New York Intellectuals nicht nur einen jüdischen Familienhintergrund, sondern identifizierten sich auch stark als Juden. „Das Überraschende an den jüdischen Intellektuellen ist nicht, dass ihr Ausdruck ihrer jüdischen Identität so blass ausfiel, sondern dass sie den leichten Pfad der Assimilation ausschlugen. Dass angebliche „kosmopolitische“ Intellektuelle sich mit einer so engstirnigen Sache wie der jüdischen Identität beschäftigten, enthüllt den Einfluss, welchen die Jüdischkeit noch auf den kulturell Angepasstesten hat. Wie in Kapitel 6 aufgezeigt werden wird, waren die New Yorker Intellektuellen politisch radikal und von den amerikanischen politischen und kulturellen Institutionen zutiefst befremdet.

Die Psychoanalyse war eine hauptsächliche Komponente der Weltanschauung (deutsch im Original, der Übersetzer) dieser Intellektuellen. Die Studie Torreys (1992) zeigt eine weitgehende Überlappung zwischen der Psychoanalyse, liberal-radikaler Politik und der jüdischen Identifizierung unter der amerikanischen intellektuellen Elite seit den Dreißiger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts an. Torrey (1992, 95) beschreibt Dwight MacDonald als „einen der wenigen goyim in der New Yorker Intelligenz“, die in diese Bewegung, welche um die Zeitschrift Partisan Review versammelt war, verwickelt waren (siehe Kapitel 6). Angesichts dieser Verbindung zwischen der Psychoanalyse und der Linken überrascht es nicht, dass Frederick Crews Kritik an der Psychoanalyse (1993; Crews et al. 1995) als ein Angriff auf die Linke analysiert wurde: Eli Zaretsky (1994, 67) schrieb in Tikhun, einer Publikation, welche liberal-radikale Politik mit jüdischem Aktivismus kombiniert und als Zeitschrift der New York Intellectuals betrachtet wird (siehe Kapitel 6), dass Angriffe wie jener von Crews „eine Fortsetzung der Angriffe auf die Linke sind, welche mit der Wahl Richard Nixons im Jahre 1968 begannen… Sie führen die Ablehnung der revolutionären und utopischen Möglichkeiten fort, welche in den Sechziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts flüchtig erblickt wurden.“ Die Psychoanalyse war ein integraler Bestandteil der Bewegung der Gegenkultur der Sechziger Jahre; Angriffe auf sie waren gleichbedeutend mit einem Angriff auf einen Eckstein der liberal-radikalen politischen Kultur.

Mehr noch, das bei Torrey besprochene Material zeigt an, dass das Übergewicht der von der Psychoanalyse eingenommenen Juden unter der intellektuellen Elite sich in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fortsetzte. Torrey untersuchte einundzwanzig amerikanische Elite-Intellektuelle, welche ursprünglich von Kadushin (1974) auf der Grundlage der Bewertungen Ebenbürtiger als die Einflussreichsten eingeschätzt wurden. Von diesen einundzwanzig waren fünfzehn Juden und die Fragebögen sowie die Schriften dieser fünfzehn zeigen an, dass elf von ihnen „von der Freud’schen Theorie an einem Punkt ihrer Karriere signifikant beeinflusst wurden“ (Torrey 1992, 185). (Dies schließt drei Fälle ein, in welchen die Schriften von Wilhelm Reich, dem Anführer der Freud’schen Linken, einflussreicher waren als jene von Freud: Saul Bellow, Paul Goodman und Norman Mailer.) Zusätzlich wurde bei zehn der elf (Saul Bellow ausgenommen) festgestellt, dass sie zur selben Zeit ihrer Karriere liberale oder radikale politische Überzeugungen inne hatten.15

Die Verbindung zwischen der Psychoanalyse und der politischen Linken sowie die entscheidende Rolle der jüdisch kontrollierten Medien bei der Propagierung der Psychoanalyse kann angesichts der Tumulte in Verbindung mit Frederick Crews Kritik an der Kultur der Psychoanalyse vor kurzer Zeit gesehen werden. Die Originalartikel wurden in der New York Review of Books (NYRB) veröffentlicht – einem Journal, welches zusammen mit der Partisan Review und dem Commentary mit den New York Intellectuals verknüpft ist (siehe Kapitel 6). Wie Crews anmerkt, entspricht eine Veröffentlichung in der NYRB „fast einem Haustierbesitzer, der aus Nachlässigkeit oder aus Böswilligkeit seinen Wellensittich der Gnade einer immerzu lauernden Katze ausliefert“ (Crews et al. 1995, 288). Die Andeutung zeigt, dass Publikationen wie die NYRB und andere Zeitschriften, welche mit den New York Intellectuals verbunden waren, als ein Werkzeug der Propagierung der Psychoanalyse und ähnlicher Doktrinen dienten und diese über Jahrzehnte hinweg als wissenschaftlich und intellektuell respektabel darstellten, und sie legt auch nahe, dass wenn Crews seine Artikel in einem weniger auffälligen oder weniger politischen Medium publiziert hätte, diese sicherlich ignoriert worden wären, wie dies in der langen Geschichte der Psychoanalyse eine verbreitete Praxis gewesen war.

Mehrere prominente Freud’sche Kulturkritiker verblieben recht nahe an Freuds ursprünglichen Prämissen.16 Herbert Marcuse, ein Guru der Gegenkultur der Sechziger Jahre, war ein Mitglied der ersten Generation der Frankfurter Schule, deren Aktivitäten ausführlich in Kapitel 5 diskutiert werden. In Eros and Civilization akzeptiert Marcuse Freuds Theorie, dass die westliche Kultur als Ergebnis der Verdrängung der sexuellen Bedürfnisse pathologisch sei und huldigt Freud, welcher „die Arbeit der Verdrängung in den höchsten Werten der westlichen Zivilisation erkannte – was Unfreiheit und Leiden zur Voraussetzung hat und perpetuiert“ (Marcuse 1974, 240). Marcuse zitiert zustimmend Wilhelm Reichs frühes Werk als Musterbeispiel des „linken“ Flügels von Freuds Hinterlassenschaft. Reich „betont das Ausmaß, in dem die sexuelle Verdrängung im Interesse der Herrschaft und Ausbeutung verstärkt wird sowie das Ausmaß, in dem diese Interessen ihrerseits von der sexuellen Verdrängung verstärkt und reproduziert werden“ (Marcuse 1974, 239). Wie Freud weist Marcuse den Weg in eine nicht-ausbeuterische utopische Zivilisation, welche aus dem kompletten Ende der sexuellen Verdrängung resultieren würde; allerdings geht Marcuse über Freuds Ideen in Das Unbehagen in der Kultur nur in seinem noch größeren Optimismus in Bezug auf die positiven Effekte durch das Ende der sexuellen Verdrängung hinaus.

Tatsächlich beendet Marcuse das Buch mit einer kämpferischen Verteidigung der fundamentalen Bedeutung der sexuellen Verdrängung in Opposition zu verschiedenen „Neo-Freud’schen Revisionisten“ wie etwa Erich Fromm, Karen Horney und Henry Stack Sullivan. Interessanterweise behauptet Marcuse, der Neo-Freudianismus verdanke seinen Aufstieg dem Glauben, dass die orthodoxe Freud’sche Theorie der sexuellen Verdrängung nahe lege, Sozialismus sei unerreichbar (Marcuse 1974, 238-239). Jene Neo-Freud’schen Revisionisten können somit als Fortführung der psychoanalytischen Kulturkritik angesehen werden, allerdings auf eine Art, welche die ausschließliche Beschäftigung mit der sexuellen Verdrängung in den Hintergrund drängt. Diese Theoretiker – insbesondere Erich Fromm, der über eine sehr stark ausgeprägte jüdische Identität verfügte (Marcus & Tar 1986, 348-350; Wiggershaus 1994, 52 ff.) und sehr bewusst versuchte, die Psychoanalyse für eine radikale politische Agenda zu benutzen – können als optimistisch-utopisch angesehen werden.

Wie Marcuse war Fromm ein Mitglied der ersten Generation der Frankfurter Schule. Ein Eckstein dieses Ansatzes besteht darin, die zeitgenössische Gesellschaft als pathogen und die Entwicklung des Sozialismus als offene Tür für eine Ära der liebevollen menschlichen Beziehungen anzusehen. Diese Autoren waren hochgradig einflussreich, dazu ein Beispiel: „Eine ganze Generation Amerikaner mit College-Ausbildung wurde von Erich Fromms Argument in Escape from Freedom tief beeinflusst, dass der Nationalsozialismus das natürliche Ergebnis des Zusammenspiels zwischen einer protestantischen Empfindsamkeit und den im Kapitalismus inhärenten Widersprüchen sei“ (Rothman & Lichter 1982, 87). Fromm (1941) sah den Autoritarismus im Wesentlichen als Ergebnis einer unbewussten Furcht vor der Freiheit und einem folgerichtigen Bedürfnis nach Sicherheit durch den Anschluss an faschistische Bewegungen – ein Beispiel für die Tendenz unter jüdischen Intellektuellen Theorien zu entwickeln, in welchen Antisemitismus grundsätzlich das Resultat einer individuellen oder sozialen Pathologie von Nichtjuden ist. Fromm, wie die anderen Theoretiker der Frankfurter Schule, die in Kapitel 5 besprochen werden, entwickelte eine Ansicht, gemäß welcher sich psychologische Gesundheit bei Individualisten in einer Art und Weise ausdrücke, die sie ihre Potentiale erreichen ließe, ohne dass sie sich auf eine Mitgliedschaft in kollektivistischen Gruppierungen verlassen müssten: „Fortschritt für die Demokratie liegt in der Erweiterung der eigentlichen Freiheit, der Initiative und der Spontanität von Individuen, nicht nur bezüglich bestimmter privater oder spiritueller Angelegenheiten sondern vor allem in jener Aktivität, die für die Existenz jedes Menschen fundamentale Bedeutung hat, die Arbeit“ (Fromm 1941, 272). Wie in Kapitel 5 ausgeführt wird, ist der radikale Individualismus unter den Nichtjuden ein ausgezeichnetes Rezept für die Fortführung des Judaismus als einer kohäsiven Gruppe. Die Ironie (Scheinheiligkeit?) liegt darin, dass Fromm und die anderen Mitglieder der Frankfurter Schule als Individuen, welche sich stark mit einer hochgradig kollektivistischen Gruppierung (Judaismus) identifizierten, für die Gesellschaft als Ganzes einen radikalen Individualismus befürworteten.

John Murray Cuddihy hebt das unter psychoanalytischen Kritikern der westlichen Kultur verbreitete Thema hervor, anzunehmen, dass die Oberfläche der westlichen Artigkeit nur eine dünne Tünche ist, welche Antisemitismus und andere Formen der Geisteskrankheit überdeckt. Wilhelm Reich ist ein Musterbeispiel für diesen Trend – „des gewalttätigen Zusammentreffens der ’stammesmäßigen‘ Gesellschaft des shtetl mit der ‚zivilen‘ Gesellschaft des Westens“ (Cuddihy 1974, 111). In seinem Buch The Function of the Orgasm: Sex-Economic Problems of Biological Energy schrieb Reich (1961, 206-207; kursiv im Text): „Jene Kräfte, welche so lange von der oberflächlichen Tünche der guten Erziehung und der künstlichen Selbstkontrolle in Schach gehalten wurden, wurden nun von der Masse, die um Freiheit ringt, geboren und brachen sich Bahn: In den Konzentrationslagern, in der Verfolgung der Juden… Im Faschismus enthüllte sich die psychische Krankheit der Massen in unverhohlener Form.“

Für Reich beginnt die Panzerung des Charakters als ultimatives Resultat der Unterdrückung der sexuellen Orgasmen im zivilen Diskurs und endet in Auschwitz. Cuddihy merkt Reichs sehr weitreichenden Einfluss von den Vierziger Jahren bis in die Siebziger Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts hinein an, auf den Anarchisten Paul Goodman, den Dichter Karl Shapiro, die Romanautoren Stanley Elkin, Issac Rosenfeld und Saul Bellow bis zu den Psychotherapeuten „Fritz“ Perls vom Esalen Institute und Arthur Janov (Autor von Primal Scream) reichend. Goodman (1960), welcher zusammen mit Rosenfeld und Bellow zur Guppe der New York Intellectuals gehörte, die in Kapitel 6 besprochen werden, schrieb Growing Up Absurd: Problems of Youth in the Organized Society, eine hochgradig einflussreiche Anklage gegen die Gesellschaft, der vorgeworfen wird, durch ihr Bestehen auf Konformität und Verdrängung instinktive Bedürfnisse zu hintertreiben. Hier wurde der utopischen Gesellschaft von der revolutionären Vorhut der Studenten die Tür aufgehalten, und tatsächlich befindet eine Umfrage unter den Anführern der radikalen Students for a Democratic Society aus dem Jahre 1965, dass mehr als die Hälfte von ihnen Goodman und Marcuse gelesen hatten, ein viel höherer Prozentsatz als jener, der Marx, Lenin oder Trotzki gelesen hatte (Sale 1973, 205). In einem Artikel der im Commentary veröffentlicht wurde – an sich schon ein Indikator für das Ausmaß, zu dem die psychoanalytische Sozialkritik die intellektuellen jüdischen Zirkel durchdrungen hatte, fragt Goodman (1961, 203; kursiv im Text): „Was wäre, wenn die Zensur selbst als Teil einer allgemeinen repressiven Anti-Sexualität, das Übel verursachte und das Bedürfnis nach sadistischer Pornographie, verkauft mit kriminellem Gewinn, schürte?“ Ohne Erbringung irgendeines Beweises dafür, dass die sadistischen Bedürfnisse aus der verdrängten Sexualität resultierten, schafft es Goodman auf eine typisch psychoanalytische Art zu suggerieren, dass alles gut werden würde, wenn nur die Gesellschaft damit aufhörte, zu versuchen, die Sexualität zu kontrollieren.

Die desaströse Vermischung von Sex und Liebe in den Schriften Freuds und seiner Jünger wird auch in der literarischen Welt deutlich. Am Beispiel von Leslie Fiedler hebt Cuddihy (1974, 71) die Faszination der jüdischen Intellektuellen an der Kulturkritik Freuds und Marx‘ hervor – welcher von beiden auch immer zu einer bestimmten Zeit einem bestimmten Autor vielversprechender erschien. Aufwartende Liebe wurde als Sublimation demaskiert – ein ritualisierter Versuch die Grobheit des Geschlechtsverkehrs mit einer Frau zu vermeiden. Und Dickstein (1977, 52) merkt in Bezug auf Norman Mailer an: „Nach und nach, wie der Rest Amerikas, verlagerte er sich von einem Marx’schen auf ein Freud’sches Terrain. Wie andere Radikale der Fünfziger Jahre war er in der psychoanalytischen Sphäre am effektivsten und am prophetischsten, viel mehr als in der alten politischen… Wo Unterdrückung war, da lasst Befreiung sein: dies war nicht nur Mailers Botschaft, sondern jene einer ganz neuen Reihe eines Freud’schen (oder Reich’schen) Radikalismus, welche sehr viel dazutat, den intellektuellen Konsensus der Zeit des Kalten Krieges zu unterminieren.“

Obwohl die Arbeiten von Marcuse, Goodman, Fiedler und Mailer für die zutiefst subversiven Kulturkritiker, welche die Psychoanalyse hervorbrachte, gute Illustrationen sind, bleiben diese Arbeiten nur ein einzelner Aspekt eines unglaublich breiten Programms. Kurzweil (1989) verschafft einen umfassenden Überblick über den Einfluss der Psychoanalyse auf die Kulturkritik in allen westlichen Gesellschaften.17 Ein durchgehender Faden in dieser Literatur ist die Beschäftigung mit Entwicklungstheorien, welche eine radikale Gesellschaftskritik mit sich bringen. Die Anhänger von Jaques Lacan, dem französischen Literaturkritiker, beispielsweise, verwarfen eine biologische Interpretation der Triebtheorie, waren jedoch nichtsdestotrotz „so sehr wie ihre deutschen Kollegen darauf aus, den radikalen Standpunkt der Psychoanalyse wiederherzustellen“ (Kurzweil 1989, 78). Wie man von einer Nicht-Wissenschaft erwarten würde, hatte der psychoanalytische Einfluss einen wahrhaften Turmbau von Babel der Theorien auf dem Gebiet der literarischen Studien als Ergebnis: „In Amerika konnten sich nicht einmal die Mitwirkenden darauf einigen, worauf ihre Aktivitäten am Ende hinauslaufen oder was sie beweisen würden; sie alle hatten ihre eigenen vorgefassten Meinungen“ (Kurzweil 1989, 195). Lacans Bewegung zersplitterte nach dessen Tod in zahlreiche Gruppierungen, und jede dieser Gruppen behauptete, der legitime Nachkomme des Meisters zu sein. Die Lacan’schen Psychoanalytiker waren neben dem höchst einflussreichen Michel Foucault und Roland Barthes weiterhin ein Werkzeug in der radikalen Kulturkritik des Marxisten Louis Althusser. All diese Intellektuellen, einschließlich Lacan selbst, waren Jünger von Claude Lévi-Strauss (siehe Kapitel 2), der seinerseits von Freud (sowie Marx) beeinflusst war (Dosse 1997 I, 14, 112-113).

Die zentrale Rolle der Psychoanalyse als Kulturkritik kann auch angesichts ihrer Rolle in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gesehen werden. T. W. Adorno, der Autor von The Authoritarian Personality, ist ein ausgezeichnetes Beispiel für einen Sozialwissenschaftler, der die Sprache der Sozialwissenschaft in den Dienst der Bekämpfung des Antisemitismus, der Pathologisierung der nichtjüdischen Kultur sowie der Rationalisierung des jüdischen Separatismus stellt (siehe Kapitel 5). Nach seiner Rückkehr nach Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg drückte Adorno seine Befürchtung aus, die Psychoanalyse könne „zu einer Schönheit werden, welche nicht länger in der Lage ist, den Schlaf der Menschheit zu stören“ (in Kurzweil 1989, 253). Schließlich wurde die Psychoanalyse in Deutschland vom Staat unterstützt, und jeder deutsche Bürger war zu dreihundert Stunden Psychoanalyse (in schweren Fällen mehr) berechtigt. Im Jahre 1983 untersuchte die Landesregierung von Hessen im Zuge der Finanzierung eines psychoanalytischen Institutes empirische Daten über den Erfolg der Psychoanalyse. Die Antwort der gekränkten Analytiker ist eine enthüllende Mahnung an die zwei zentralen Aspekte der psychoanalytischen Agenda, der Pathologisierung der Feinde sowie der Zentralität der Sozialkritik: „Sie erhoben sich zur Verteidigung der Psychoanalyse als Sozialkritik… (Sie attackierten) die unbewussten Lügen der (unbenannten aber identifizierbaren) Psychoanalytiker, ihre unglückliche Beziehung zur Macht und ihre häufige Vernachlässigung der Gegenübertragung.“ Das Ergebnis war eine Wiederbelebung der Psychoanalyse als einer Sozialkritik und die Produktion eines Buches, welches „ihre Kritiken auf jedes politische Thema ausdehnte“ (Kurzweil 1989, 315). Die Psychoanalyse kann nur durch ihre Nützlichkeit als Kulturkritik gerechtfertigt werden, unabhängig von den Daten über ihre Effektivität in der Therapie.18

Der einflussreichste Psychoanalytiker in Deutschland in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war der Linke Alexander Mitscherlich, der die Psychoanalyse als notwendig erachtete, um die Deutschen menschlich zu machen und „gegen die Inhumanität der Zivilisation zu verteidigen“ (in Kurzweil 1989, 234). Angesichts der Notwendigkeit die Deutschen nach der nationalsozialistischen Ära zu verändern, glaubte Mitscherlich, dass nur die Psychoanalyse für das deutsche Volk die Hoffnung auf Wiedergutmachung bereithalte: „Jeder Deutsche muss dieser Vergangenheit individuell mittels einer mehr oder weniger ‚pragmatischen‘ Freud’schen Analyse ins Gesicht sehen“ (in Kurzweil 1989, 275). Seine Zeitschrift Psyche nahm einen allgemein gegnerischen Standpunkt zur deutschen Kultur ein und kombinierte marxistische und psychoanalytische Perspektiven bei dem Versuch, ein „antifaschistisches Denken“ (in Kurzweil 1989, 236) zu fördern. Zur selben Zeit war in Deutschland auch der „Bernfeld Zirkel“ linker Psychoanalytiker aktiv, welche die „sozialkritischen Elemente der Psychoanalyse“ (in Kurzweil 1989, 234) hervorhoben.

Wie es allgemein auf diesem Gebiet typisch ist, produzierten diese Psychoanalytiker eine Überfülle von Theorien über den Antisemitismus, ohne sich für eine von ihnen zu entscheiden. Im Jahre 1962 organisierte Mitscherlich eine Konferenz mit dem Titel „Die Psychologischen und Sozialen Voraussetzungen des Antisemitismus: Analyse der Dynamik eines Vorurteils“, welche mehrere hochgradig phantasiereiche, psychoanalytische Theorien anbot, in denen der Antisemitismus als eine eigentlich soziale oder individuelle Pathologie der Nichtjuden analysiert wurde. Beispielsweise behauptete Mitscherlich in seinem Beitrag, dass Kinder durch den Zwang, ihren Lehrern zu gehorchen, Feindseligkeit entwickelten, dass dies dann zu einer Identifikation mit dem Aggressor und schließlich zu einer Verherrlichung des Krieges führe. Mitscherlich glaubte, dass der deutsche Antisemitismus „nur eine weitere Manifestation des infantilen deutschen Autoritarismus“ (in Kurzweil 1989, 296) sei. Béla Grunberger schlussfolgerte, dass „ödipale Ambivalenz gegenüber dem Vater sowie anal-sadistische Beziehungen in der frühen Kindheit das unwiderrufliche Erbe des Antisemiten sind“ (in Kurzweil 1989, 296). Martin Wangh analysierte den nationalsozialistischen Antisemitismus als Ergebnis gesteigerter ödipaler Komplexe, welche aus der Abwesenheit des Vaters während dem Ersten Weltkrieg resultieren: „Die Sehnsucht nach dem Vater… stärkte kindlich homosexuelle Wünsche, welche später auf die Juden projektiert wurden“ (in Kurzweil 1989, 297).

Schlussfolgerung

Wir beginnen zu erfassen, dass der Erfinder der Psychoanalyse im Grunde genommen ein visionärer, aber auch kalkulierender Künstler war, der damit beschäftigt war, sich selbst als Held eines vielbändigen, fiktiven Werkes zu  besetzen, welches zum Teil episch, zum Teil eine Detektiv-Geschichte und zum  Teil eine Satire auf das menschliche Selbstinteresse und den Lebenstrieb ist.  Diese wissenschaftlich Luft ablassende Realisierung… ist es, dem sich die Freud’sche Gemeinschaft stellen muss, wenn sie es kann. (Crews et al. 1995, 12-13)

Ich schlussfolgere, dass die Psychoanalyse grundsätzlich eine politische Bewegung war, welche über ihre Geschichte hinweg von Individuen dominiert wurde, die sich stark als Juden identifizierten. Ein damit zusammenhängendes Thema war, dass die Psychoanalyse durch eine intensive persönliche Einbringung charakterisiert wurde. Der intensive Grad persönlicher Verpflichtung gegenüber den psychoanalytischen Doktrinen und die intensive persönliche Identifikation mit Freud selbst sowie mit anderen in der direkten Linie der Nachfolge Freuds, legen nahe, dass für viele ihrer Praktiker die Teilnahme an der psychoanalytischen Bewegung tiefe psychologische Bedürfnisse in Verbindung damit, ein Mitglied einer hochgradig kohäsiven, autoritären Bewegung zu sein, befriedigten.

Es ist angesichts des klaren Sinnes der jüdischen intellektuellen, moralischen und tatsächlich auch rassischen Superiorität gegenüber den Nichtjuden, der die frühen Phasen der Bewegung durchdrang, keinesfalls überraschend, dass Außenseiter behaupteten, die Psychoanalyse habe nicht nur mächtige religiöse Untertöne, sondern sei auch darauf ausgerichtet, spezifisch jüdische Interessen durchzusetzen (Klein 1981, 146). Die Ansicht, die Psychoanalyse sei eine Bewegung, die von einem „speziellen Interesse“ geprägt sei, reicht bis in die heutige Zeit hinein (Klein 1981, 150).

Ich habe angemerkt, dass jüdische intellektuelle Aktivitäten, welche eine radikale Kritik der nichtjüdischen Kultur beinhalten, nicht so konzeptualisiert sein müssen, als dass sie darauf ausgerichtet seien, spezifische ökonomische oder soziale Ziele des Judaismus zu erreichen. Aus dieser Sicht könnte die psychoanalytische Untergrabung der moralischen und intellektuellen Basis der westlichen Kultur einfach aus sozialen Identitätsprozessen resultieren, in denen die Kultur der Außengruppe negativ bewertet werden würde. Wie auch immer, dies scheint hier nicht der Fall zu sein.

Eine Art, in der die Psychoanalyse spezifisch jüdischen Interessen gedient hat, ist die Entwicklung von Ideen in Bezug auf Antisemitismus, welche zwar den Mantel der Wissenschaft tragen, die Bedeutung der Interessenkonflikte zwischen Juden und Nichtjuden jedoch herunterspielen. Obwohl diese Theorien sich im Einzelnen sehr unterscheiden – und wie es für psychoanalytische Theorien ganz allgemein typisch ist, besteht keine Möglichkeit, sich empirisch für eine von ihnen zu entscheiden – wird Antisemitismus innerhalb dieses theoretischen Rahmens als Form einer nichtjüdischen Geisteskrankheit angesehen, welche aus Projektionen, Verdrängung sowie Reaktionsformationen resultiert, die letztlich von einer die Pathologie auslösenden Gesellschaft stammen. Jene Psychoanalytiker, die während der Zeit des Nationalsozialismus aus Europa in die Vereinigten Staaten auswanderten, erwarteten die Psychoanalyse „zur ultimativen Waffe gegen den Faschismus, den Antisemitismus und jede andere anti-liberale Neigung“ (Kurzweil 1989, 294) zu machen. Der einflussreichste dieser Versuche, der sich aus der Reihe der Studies in Prejudice ableitet, wird im nächsten Kapitel diskutiert werden, aber solche Theorien erscheinen weiterhin (beispielsweise Bergmann 1995; Ostow 1995; Young-Bruehl 1996). Nach der Diskussion zweier Beispiele aus diesem Genre, merkt Katz (1983, 40) an, dass „diese Sorte von Theorien so unwiderlegbar ist, wie es unmöglich ist, sie zu demonstrieren“ – eine Beschreibung, welche, wie wir gesehen haben, schon immer ein Kennzeichen des psychoanalytischen Theoretisierens war, unabhängig vom Thema. In beiden Fällen besteht keinerlei Verbindung zwischen dem historischen Narrativ des Antisemitismus und der psychoanalytischen Theorie, und Katz schlussfolgert, dass „die Tatsache, dass solche Analogien (zwischen Antisemitismus und bestimmten klinischen Fällen mit einer Geschichte obsessiven Verhaltens) weit hergeholt sind, scheint jene, die alle menschlichen Angelegenheiten in psychoanalytische Begriffen auslegen, nicht zu stören“ (Katz 1983, 41).

Wie auch immer, jenseits dieser offenkundigen Agenda zur Pathologisierung des Antisemitismus ist es bemerkenswert, dass innerhalb der psychoanalytischen Theorie die jüdische Identität für das Verständnis menschlichen Verhaltens irrelevant ist. Wie im Fall der radikalen politischen Ideologie ist die Psychoanalyse eine messianistische universalistische Ideologie, welche versucht, die traditionellen nichtjüdischen Sozialkategorien wie auch die Unterscheidung zwischen Juden und Nichtjuden zu untergraben, während sie die Möglichkeit einer Fortführung der jüdischen Gruppenkohäsion erlaubt, wenn auch in einer kryptischen oder semi-kryptischen Weise. Wie in der radikalen politischen Ideologie ist die soziale Kategorisierung in Juden und Nichtjuden von verminderter Bedeutung und hat keine theoretische Signifikanz. Wie im Fall der psychoanalytischen Theorien des Antisemitismus sagt die soziale Identitätstheorie voraus, dass der Antisemitismus in dem Maße, in dem er Teil der Weltsicht der Nichtjuden wird, minimiert werden wird.

Gilman (1993, 115, 122, 124) legt nahe, dass Freud, wie auch mehrere andere jüdische Wissenschaftler jener Zeit, als eine Reaktion auf die Ansicht, dass die Juden als „Rasse“ eine biologische Disposition zur Hysterie hätten, Theorien über die Hysterie entwickelte. Im Gegensatz zu dieser Argumentation auf rassischer Basis behauptete Freud eine universelle menschliche Natur – „die gemeinsame Basis menschlichen Lebens“ (Klein 1981, 71) und theoretisierte dann, dass sämtliche individuellen Unterschiede aus Umwelteinflüssen, welche letztlich von einer repressiven, unmenschlichen Gesellschaft ausgingen, resultierten. Obwohl Freud also selbst glaubte, dass die jüdische intellektuelle und moralische Überlegenheit aus einem Lamarck’schen Erbe resultiere und daher genetisch fundiert sei, leugnet die Psychoanalyse offiziell die Bedeutung der ethnischen Differenzen auf biologischer Basis, den theoretischen Vorrang ethnischer Unterschiede sowie den ethnischen Konflikt jeder Art ab. Innerhalb der Psychoanalyse wurde der ethnische Konflikt als sekundäres Phänomen angesehen, welches aus irrationalen Verdrängungen, Projektionen sowie Reaktionsformationen resultiere und eher ein Indikator für die nichtjüdische Pathologie sei als eine Reflexion über das tatsächliche jüdische Verhalten.

Ich habe angemerkt, dass es häufig eine Überlappung zwischen der Psychoanalyse und radikalen politischen Überzeugungen unter Juden gab. Das ist nicht allzu überraschend. Beide Phänomene sind eigentlich jüdische Antworten auf die Aufklärung und ihres verunglimpfenden Effektes auf die religiöse Ideologie als Grundlage der Entwicklung eines intellektuell legitimen Sinnes der Gruppenidentität sowie der individuellen Identität. Beide Bewegungen sind mit einem starken persönlichen Sinn für eine jüdische Identität sowie mit einer gewissen Form der Gruppenkontinuität des Judaismus kompatibel; tatsächlich argumentiert Yerushalmi (1991, 81 ff.) überzeugend, dass Freud sich selbst als Führer des jüdischen Volkes ansah und dass seine „Wissenschaft“ eine säkulare Auslegung fundamentaler jüdischer religiöser Themen verschaffte.

Die Ähnlichkeiten zwischen diesen Bewegungen sind jedoch weit tiefer gehend. Sowohl die Psychoanalyse als auch die radikale politische Ideologie präsentieren Kritiken, in denen die traditionellen Institutionen und sozio-religiösen Kategorisierungen der nichtjüdischen Gesellschaft negativ evaluiert werden. Beide Bewegungen, besonders die Psychoanalyse, präsentieren ihre intellektuellen Kritiken in einer Sprache der Wissenschaft und Rationalität, der lingua franca des intellektuellen Diskurses nach der Aufklärung. Wie auch immer, beide Bewegungen haben trotz der wissenschaftlichen Tünche eine ausgesprochen politische Atmosphäre. Solch ein Ergebnis ist vielleicht im Fall der marxistischen politischen Ideologie kaum überraschend, obwohl selbst der Marxismus von seinen Verfechtern häufig als „wissenschaftlicher“ Sozialismus beworben wurde. Die Psychoanalyse war von Beginn an bei ihrer Suche nach wissenschaftlichem Respekt von den klaren Untertönen, dass sie eine sektenhafte politische Bewegung sei, die sich als Wissenschaft ausgäbe, belastet.

Sowohl die Psychoanalyse als auch die radikale politische Ideologie resultierte häufig in der Empfindung einer persönlichen messianischen Mission zugunsten der nichtjüdischen Gesellschaft und versprach eine utopische Welt frei von Klassenkampf, ethnischen Konflikten und entkräftenden Neurosen. Beide Bewegungen entwickelten charakteristischerweise Konzeptionen einer jüdischen Gruppenidentität, welche die Nichtjuden in eine utopische Gesellschaft der Zukunft führen würde, das vertraute „Licht der Nationen“-Konzept, hier repräsentiert in komplett säkularen und „wissenschaftlichen“ Begriffen. Die sozialen Kategorisierungen, welche von diesen Bewegungen vertreten wurden, tilgten die gesellschaftliche Kategorisierung in Jude beziehungsweise Nichtjude komplett aus, und beide Bewegungen entwickelten Ideologien, in denen Antisemitismus grundsätzlich das Ergebnis von Faktoren war, die mit jüdischer Identität, jüdischer Gruppenkontinuität und der Ressourcenkonkurrenz zwischen Juden und Nichtjuden keinerlei Zusammenhang hatten. In den verheißenen utopischen Gesellschaften der Zukunft hätte die Kategorie Jude beziehungsweise Nichtjude keine theoretische Bedeutung, jedoch könnten die Juden damit fortfahren, sich als Juden zu identifizieren, und es würde eine Fortführung der jüdischen Gruppenidentität geben, während gleichzeitig eine hauptsächliche Quelle der nichtjüdischen Identität – die Religion und deren gleichzeitige Unterstützung für eine Elternschaft mit hohen Investitionen – als eine infantile Aberration konzeptualisiert wurde. Die universalistischen Ideologien des Marxismus und der Psychoanalyse waren somit in hohem Maße kompatibel mit der Fortführung des jüdischen Partikularismus.

Neben diesen Funktionen könnte der kulturelle Einfluss der Psychoanalyse den Judaismus tatsächlich auch durch die Steigerung der Unterschiede zwischen Juden und Nichtjuden in Bezug auf die Fähigkeit im Wettbewerb um Ressourcen begünstigt haben, obwohl es keinen Grund zur Annahme gibt, dass dies von den Anführern der Bewegung bewusst beabsichtigt wurde. Angesichts der hohen durchschnittlichen Unterschiede zwischen Juden und Nichtjuden in Bezug auf Intelligenz und die Neigung zur Elternschaft mit hohen Investitionen, gibt es guten Grund, anzunehmen, dass Juden und Nichtjuden sehr unterschiedliche Interessen bezüglich der Konstruktion der Kultur haben. Juden leiden in geringerem Maße unter der Erosion der kulturellen Unterstützung für eine Elternschaft mit hohen Investitionen als Nichtjuden, und Juden werden von einer Abnahme des religiösen Glaubens unter Nichtjuden begünstigt. Wie Podhoretz (1995, 30) bemerkt, ist es tatsächlich der Fall, dass jüdische Intellektuelle, jüdische Organisationen wie der American Jewish Congress sowie jüdisch dominierte Organisationen wie die American Civil Liberties Union (siehe das Vorwort zur ersten Paperback-Ausgabe) christliche religiöse Überzeugungen lächerlich machten, versuchten die öffentliche Stärke des Christentums zu unterminieren und den Kampf für uneingeschränkte Pornographie führten. Der Beweis in diesem Kapitel zeigt an, dass die Psychoanalyse als eine jüdisch dominierte, intellektuelle Bewegung ein zentraler Bestandteil dieses Krieges gegen die nichtjüdische Unterstützung für eine Elternschaft mit hohen Investitionen ist.

In dieser Hinsicht ist es interessant, dass Freud der Ansicht war, dass der Judaismus als Religion nicht länger notwendig sei, da er bereits seine Funktion als Schöpfer des intellektuell, spirituell und moralisch überlegenen jüdischen Charakters erfüllt habe: „Mit dem Schmieden des Charakters der Juden hat der Judaismus als Religion seine entscheidende Aufgabe erfüllt und kann nun daraus entlassen werden“ (Yerushalmi 1991, 52). Die Ergebnisse, die in diesem Kapitel zusammengefasst wurden, zeigen an, dass Freud die ethische, spirituelle sowie intellektuelle Superiorität der Juden als genetisch determiniert ansah und meinte, dass die Nichtjuden genetisch dazu veranlagt seien, Sklaven ihrer Sinne zu sein und einen Hang zur Brutalität hätten. Der überlegene jüdische Charakter sei genetisch über Generationen hinweg durch die Lamarck’sche Vererbung als Ergebnis der einzigartigen jüdischen Erfahrung festgelegt. Die Ergebnisse, welche in A People That Shall Dwell Alone (Kapitel 7) besprochen werden, zeigen an, dass es tatsächlich hinreichende Beweise für die Ansicht gibt, es bestehe eine genetische Basis für Unterschiede zwischen Juden und Nichtjuden hinsichtlich des IQ und der Elternschaft mit hohen Investitionen, welche letzten Endes auf jüdische Religionspraktiken über einen geschichtlichen Zeitraum zurückgehen (jedoch auf dem Weg eugenischer Praktiken und nicht etwa Lamarck’scher Vererbung).

Setzt man voraus, dass die Differenzen zwischen Juden und Nichtjuden ein genetisches Bindeglied haben, wären die Juden nicht in demselben Maße wie die Nichtjuden von der kulturellen Unterstützung für eine Elternschaft mit hohen Investitionen abhängig. Man kann deshalb erwarten, dass Freuds Krieg gegen die nichtjüdische Kultur durch die Erleichterung der Suche nach sexueller Befriedigung, der Elternschaft mit niedrigen Investitionen und der Abschaffung der sozialen Kontrolle in Bezug auf das sexuelle Verhalten sich auf Juden und Nichtjuden unterschiedlich auswirken wird und zum Ergebnis haben wird, dass der Wettbewerbsunterschied zwischen Juden und Nichtjuden, welcher angesichts des Materials, das in A People That Shall Dwell Alone (Kapitel 5 und 7) besprochen wird, bereits signifikant ist, weiter verschlimmert werden wird. Beispielsweise gibt es Beweise dafür, dass intelligentere, wohlhabendere und gebildetere Heranwachsende sich sexuell vergleichsweise langsamer entwickeln (Belsky 1991; Rushton 1995). Heranwachsende solcher Art werden sich mit höherer Wahrscheinlichkeit des Geschlechtsverkehrs enthalten, so dass die sexuelle Freiheit und die Legitimierung der außerehelichen Sexualität mit geringerer Wahrscheinlichkeit in früher Eheschließung, der Erziehung durch nur einen einzelnen Elternteil und anderer Typen der Elternschaft mit niedrigen Investitionen in dieser Gruppe resultieren wird. Eine höhere Intelligenz verbindet sich auch mit einem späteren Heiratsalter, einer niedrigeren Rate außerehelicher Geburten und niedrigeren Scheidungsraten (Herrnstein & Murray 1994). Hyman (1989) merkt an, dass im zeitgenössischen Amerika jüdische Familien im Vergleich zu nichtjüdischen Familien eine niedrigere Scheidungsrate (siehe auch Cohen 1986; Waxman 1989) sowie ein höheres Alter zur Zeit der ersten Eheschließung haben und mehr in die Bildung investieren. Befunde aus jüngerer Zeit zeigen an, dass das Alter beim ersten Geschlechtsverkehr bei jüdischen Heranwachsenden höher und die Rate der Schwangerschaften bei unverheirateten Teenagern niedriger ist als bei jeder anderen ethnischen oder religiösen Gruppe in den Vereinigten Staaten. Mehr noch, da Juden wirtschaftlich unverhältnismäßig wohlhabend sind, sind die Auswirkung von Scheidung und Versorgung durch einen einzelnen Elternteil für die Kinder unter Juden zweifellos sehr abgemildert, da die ökonomischen Belastungen, welche typischerweise eine Scheidung oder eine Versorgung durch einen einzelnen Elternteil begleiten, sehr viel geringer sind.

Diese Ergebnisse zeigen an, dass sich die Juden vom Trend hin zur Elternschaft mit geringen Investitionen, welcher für die amerikanische Gesellschaft seit der kulturellen Gegenrevolution der Sechziger Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts im Allgemeinen charakteristisch geworden ist, verhältnismäßig isoliert haben. Diese Befunde sind mit jenen Ergebnissen kompatibel, die bei Herrnstein und Murray (1994) besprochen werden und einen überwältigenden Beweis dafür erbringen, dass die negativen Auswirkungen der Verschiebungen, welche sich in den vergangenen dreißig Jahren bei westlichen Praktiken bezüglich Sex und Heirat eingestellt haben, disproportional stark am Ende der sozioökonomischen und auf die Intelligenz bezogenen Klassenverteilung gefühlt wurden und deshalb relativ wenige Juden einschlossen. Beispielsweise brachten nur zwei Prozent der weißen Frauen in Herrnstein und Murrays Spitzenkategorie der kognitiven Fähigkeiten (IQ-Minimum von 125) sowie vier Prozent der weißen Frauen in der zweiten Kategorie der kognitiven Fähigkeiten (IQ zwischen 110 und 125) außereheliche Kinder zur Welt, verglichen mit 23 Prozent in der vierten Kategorie der kognitiven Fähigkeiten (IQ zwischen 75 und 90) und 42 Prozent in der fünften Klasse der kognitiven Fähigkeiten (IQ unter 75). Selbst die Bereinigung um den Faktor Armut entfernt nicht den Einfluss des IQ: Frauen mit einem hohen IQ, die in Armut leben, haben eine siebenfach geringere Wahrscheinlichkeit ein uneheliches Kind zur Welt zu bringen als Frauen mit einem niedrigen IQ, die in Armut leben. Mehr noch, in der Zeit von 1960 bis 1991 stieg der Anteil der außerehelichen Geburten unter Schwarzen von 24 Prozent auf 68 Prozent, während sich der Anteil der außerehelichen Geburten bei Weißen von 2 Prozent auf 18 Prozent erhöhte. Da der durchschnittliche jüdische IQ in den Vereinigten Staaten bei etwa 117 liegt und der verbale IQ sogar noch höher ist (siehe A People That Shall Dwell Alone, Kapitel 7), ist dieser Befund kompatibel mit der Annahme, dass nur ein sehr kleiner Prozentsatz der jüdischen Frauen uneheliche Kinder zur Welt bringen und dass jene, die dies tun, zweifellos mit viel höherer Wahrscheinlichkeit reicher, intelligenter und hegender sind als die typische alleinerziehende Mutter aus niedrigeren kognitiven Klassen.

Die sexuelle Revolution hatte somit wenig Auswirkungen auf die elterlichen Investitionen unter den Menschen in den höchsten Kategorien der kognitiven Fähigkeiten. Diese Ergebnisse sind hochgradig kompatibel mit den Befunden von Dunne et al. (1997), dass die Vererbbarkeit des Alters des ersten Geschlechtsverkehrs seit den Sechziger Jahren gestiegen ist. In ihrer jüngeren Kohorte (zwischen 1952 und 1965 geboren) machten die genetischen Faktoren 49 Prozent der Varianz unter den Frauen und 72 Prozent der Varianz unter den Männern aus, dabei gab es keine gemeinsamen Umwelteinflüsse. In der älteren Kohorte (zwischen 1922 und 1952 geboren) gingen 32 Prozent der Varianz unter den Frauen und keine Varianz unter den Männern auf genetische Einflüsse zurück, wobei es in diesem Fall für beide Geschlechter eine signifikante gemeinsame Umweltkomponente gab. Diese Ergebnisse zeigen an, dass die Erosion der traditionellen westlichen Kontrolle der Sexualität sich weit mehr auf jene auswirkte, welche eine genetische Neigung zu einer frühreifen Sexualität hatten, und in Verbindung mit den oben präsentierten Ergebnissen, dass Nichtjuden von diesen Veränderungen weit mehr betroffen wurden als Juden.

Obwohl zweifellos auch andere Faktoren mitspielen, ist es bemerkenswert, dass der steigende Trend zu Elternschaft mit niedrigen Investitionen in den Vereinigten Staaten größtenteils mit dem Triumph der Psychoanalyse und der radikalen Kritik an der amerikanischen Kultur, wie sie vom politischen und kulturellen Erfolg der Bewegung der Gegenkultur in den Sechziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts repräsentiert wurde, zusammenfällt. Seit dem Jahre 1970 ist die Rate der Alleinerziehenden von einer aus zehn Familien auf eine aus drei Familien gestiegen (Norton & Miller 1992), und es gibt dramatische Steigerungen der sexuellen Aktivität von Teenagern sowie der Geburten durch unverheiratete Heranwachsende (Furstenberg 1991). Es gibt ausgezeichnete Beweise für einen Zusammenhang zwischen alleinerziehenden Heranwachsenden, Armut, Bildungsmangel und schwachen Entwicklungsergebnissen von Kindern (beispielsweise Dornbusch & Gray 1988; Furstenberg & Brooks-Gunn 1989; McLanahan & Booth 1989; J. Q. Wilson 1993b).

Tatsächlich verzeichnen all diese negativen Trends in Hinsicht auf die Familie sehr große Steigerungen, die sich in der Mitte der Sechziger Jahre entwickelten (Herrnstein & Murray 1994, 168 ff.; siehe auch Bennett 1994; Kaus 1995; Magnet 1993), einschließlich der Steigerungen von Trends hin zu niedrigeren Raten von Eheschließungen, „verheerenden“ Steigerungen an Scheidungsraten (siehe Kapitel 5) und Raten außerehelicher Geburten. Im Fall der Raten der Scheidungen und unehelichen Geburten zeigen die Ergebnisse in den Sechziger Jahren eine maßgebliche Verschiebung der zuvor existierenden Trendlinien nach oben an, und diese zu dieser Zeit etablierten Trendlinien setzen sich bis in die Gegenwart fort. Die Sechziger Jahre waren somit eine Zeit des Umbruchs in der amerikanischen Kulturgeschichte, eine Ansicht, welche mit Rothman und Lichters (1996, xviiiff) Interpretation der Verschiebung in Richtung auf einen „nachdrücklichen Individualismus“ unter den kulturellen Eliten in den Sechziger Jahren und der Abnahme der externen Kontrollen des Verhaltens, das der Eckstein der zuvor dominierenden protestantischen Kultur war, vereinbar ist. Sie merken den Einfluss der Neuen Linken bezüglich der Herstellung dieser Veränderungen an, und ich habe hier die enge Verbindung zwischen der Psychoanalyse und der Neuen Linken betont. Beide Bewegungen wurden von Juden angeführt und dominiert.

Die sexuelle Revolution ist „der offensichtlichste Schuldige“, der dem Niedergang der Bedeutung der Ehe und dem begleitenden Anstieg der Elternschaft mit niedrigen Investitionen zugrunde liegt (Herrnstein & Murray 1994, 544):

Was einen an der „Sexuellen Revolution“ der Sechziger Jahre, wie sie zu Recht genannt wird, verblüfft, ist wie revolutionär sie war, sowohl hinsichtlich der Empfänglichkeit als auch in der Realität. Im Jahre 1965 gaben 69 Prozent der amerikanischen Frauen und 65 Prozent der Männer im Alter unter 30 Jahren an, dass vorehelicher Sex immer oder fast immer schlecht sei; ab dem Jahr 1972 sanken diese Zahlen auf 24 Prozent beziehungsweise 21 Prozent… Im Jahre 1990 glaubten nur sechs Prozent der britischen Männer und Frauen im  Alter unter 34 Jahren, dass dies immer oder fast immer falsch sei. (Himmelfarb  1995, 236)

Obwohl wenig Grund besteht, anzunehmen, dass der Kampf für sexuelle Freiheit, der für die Psychoanalyse so zentral war, die Absicht hatte, die durchschnittliche Fähigkeit der Juden im Ressourcenwettbewerb mit den Nichtjuden zu begünstigen, könnte der intellektuelle Krieg der Psychoanalyse gegen die nichtjüdische Kultur tatsächlich in einem erhöhten Konkurrenzvorteil zugunsten der Juden, über die Verringerung der theoretischen Unterscheidung zwischen Juden und Nichtjuden und der Bereitstellung eines „wissenschaftlichen“ Grundes für die Pathologisierung des Antisemitismus hinaus, resultiert haben. Es ist auch ein Krieg, der eine Gesellschaft als Ergebnis hatte, welche in steigendem Maße in eine disproportionale jüdische „kognitive Elite“ und eine wachsende Masse von Individuen gespalten ist, die intellektuell inkompetent sowie als Eltern unverantwortlich sind, die immer mehr nach staatlicher Beihilfe verlangen und zu kriminellem Verhalten, psychiatrischen Störungen und Suchtverhalten neigen.

Obwohl die Psychoanalyse, insbesondere in den Vereinigten Staaten, nun im Abstieg begriffen ist, legt ihr historischer Hintergrund nahe, dass andere ideologische Strukturen versuchen werden, einige derselben Ziele zu erreichen, welche die Psychoanalyse verfolgte. Wie über seine gesamte Geschichte hinweg, zeigt der Judaismus auch weiterhin eine außerordentliche ideologische Flexibilität bei der Erreichung des Ziels der Legitimierung der Fortsetzung der jüdischen Gruppenidentität und des genetischen Separatismus. Wie in Kapitel 2 angezeigt wurde, fahren viele jüdische Sozialwissenschaftler damit fort, an einer Sozialwissenschaft zu arbeiten, welche den Interessen des Judaismus dient, und eine mächtige Kritik gegen Theorien zu entwerfen, welche als im Widerspruch zu diesen Interessen stehend angesehen werden. Der beginnende Niedergang der Psychoanalyse als Waffe in diesen Kämpfen wird im Zusammenhang mit dieser Anstrengung langfristig wenig Bedeutung haben.

  1. Die ethnische Zusammensetzung des Vorstandes der Redaktion des Psychoanalytic Quarterly ist überwiegend jüdisch, was anzeigt, dass die Psychoanalyse grundsätzlich eine ethnische Bewegung bleibt. Der Herausgeber, sechs von sieben Mitherausgebern sowie 20 von 27 Vorstandsmitgliedern der Redaktion des Bandes des Jahres 1997 haben jüdische Familiennamen.
  2. Die anhaltende Rolle der Psychoanalyse in der Bewegung für sexuelle Befreiung kann anhand einer Debatte aus jüngerer Zeit in Bezug auf Sexualität im Heranwachsenden-Alter gesehen werden. Ein Artikel in der Los Angeles Times (15. Februar 1994, A1, A16) vermerkte die Opposition der American Civil Liberties Union and Planned Parenthood (ACLU) gegenüber einem Schulkurs, welcher die Abstinenz der Teenager befürwortete. Sheldon Zablow, ein Psychiater und Sprecher zugunsten dieser Perspektive, erklärte: „Wiederholte Studien zeigen, dass, wenn man versucht, sexuelle Gefühle zu unterdrücken, diese später in weit gefährlicheren Formen auftreten können – sexueller Missbrauch und Vergewaltigung“ (Seite A16). Diese psychoanalytische Fantasie verband sich mit Zablows Behauptung, dass sich Abstinenz in der menschlichen Geschichte noch nie hätte durchsetzen lassen – eine Behauptung, welche seine Unkenntnis historischer Daten über das menschliche Sexualverhalten im Westen (einschließlich jüdischen Sexualverhaltens) anzeigt, wenigstens vom Mittelalter bis ins Zwanzigste Jahrhundert (beispielsweise Ladurie 1986). Ich bin mir keiner geschichteten traditionellen menschlichen Gesellschaft bewusst, welche die Ansicht vertreten hätte, dass es unmöglich oder nicht wünschenswert sei, die sexuelle Aktivität von Heranwachsenden zu verhindern, insbesondere in Bezug auf Mädchen. Wie Goldberg (1996, 46) anmerkt: „In der Welt liberaler Organisationen wie der ACLU… ist der jüdische Einfluss so profund, dass für Nichtjuden manchmal die Unterscheidung zwischen ihnen und der formalen jüdischen Gemeinschaft verschwimmt“.
  3. Was auch eine Täuschung nahelegt, ist, dass zwei der jüdischen Mitglieder von Freuds Geheimkomitee (Otto Rank und Sandor Ferenczi) ihre Namen änderten, um nicht-jüdisch zu erscheinen (Grosskurth 1991, 17).
  4. Rank verfügte über eine ausgeprägte jüdische Identität und sah den Assimilationsdruck, welcher von der deutschen Gesellschaft in dieser Zeit ausging, in sehr negativen Begriffen – als „moralisch und spirituell zerstörerisch“ (Klein 1981, 130). Rank hatte aber auch eine positive Einstellung gegenüber dem Antisemitismus und dem Assimilationsdruck, weil diese die Entwicklung jüdischer Erlösungsbewegungen wie die Psychoanalyse förderten: „Rank glaubte, dass die Reaktion der Juden auf die Bedrohungen innerer und äußerer Repression sie antrieben ihre Beziehung zur Natur zu bewahren und, im Rahmen dieses Prozesses, sich dieser speziellen Beziehung bewusst zu werden“ (Klein 1981, 131). Rank, dessen ursprünglicher Name Rosenfeld war, scheint während eines Teils seines Lebens ein Krypto-Jude gewesen zu sein. Er nahm einen nichtjüdischen Namen an und konvertierte im Jahre 1908 zum Katholizismus, als er sich an der Universität Wien einschrieb. Im Jahre 1918 konvertierte er zum Judentum zurück, um eine jüdische Ehe einzugehen.
  5. Adler „hinterfragte offen Freuds fundamentale These, dass die frühe sexuelle Entwicklung entscheidend für die Charakterbildung sei“ (Gay 1988, 216-217) und vernachlässigte den Ödipus-Komplex, die kindliche Sexualität, das Unbewusste sowie die sexuelle Etiologie der Neurosen. Stattdessen entwickelte Adler seine Ideen über „organische Inferiorität“ und die vererbte Etiologie der „analen“ Charaktermerkmale. Adler war ein begieriger Marxist und versuchte aktiv eine theoretische Synthese zu kreieren, in welcher die psychologische Theorie utopischen Sozialzielen diente (Kurzweil 1989, 84). Nichtsdestotrotz bezeichnete Freud Adlers Ansichten als „reaktionär und rückschrittlich“ (Gay 1988, 222), vermutlich weil aus Freuds Sicht die soziale Revolution, welche von der Psychoanalyse in Aussicht gestellt wurde, von diesen Konstrukten abhing. Freuds Handlungen in Bezug auf Adler sind völlig verständlich unter der Annahme, dass seine Akzeptanz der „verwässerten“ Adler’schen Version der Psychoanalyse Freuds Version der Psychoanalyse als einer radikalen Kritik der westlichen Kultur zerstört hätte.  In ähnlicher Weise wurde Jung von der Bewegung ausgeschlossen als er Ideen entwickelte, welche die Zentralität der sexuellen Verdrängung in Freuds Theorie verunglimpften. „Jungs hartnäckigste Meinungsverschiedenheit mit Freud, welche durch die gesamte Abfolge seiner Briefe wie ein unheilvoller Subtext verläuft, beinhaltete, was er einmal taktvoll als Jungs Unfähigkeit die Libido zu definieren bezeichnete – was übersetzt bedeutet, dass er unwillig war, Freuds Begriff, der sie nicht nur für die Sexualtriebe stehen ließ, sondern für eine allgemeine mentale Energie, zu akzeptieren“ (Gay 1988, 226; siehe auch Grosskurth 1991, 43). Wie Adler verwarf auch Jung die sexuelle Krankheitsursache der Neurosen, die kindliche Sexualität sowie den Ödipus-Komplex; und wie Adlers Ideen und anders als diese fundamentalen Freud’schen Doktrinen ist die Idee einer Libido, welche auf das sexuelle Verlangen beschränkt bleibt, von geringem Nutzen für die Entwicklung einer radikalen Kritik der westlichen Kultur, da Freuds Theorie, wie hier angezeigt, von der Zusammenführung von sexuellem Verlangen und Liebe abhängt.  Wie auch immer, zusätzlich entwickelte Jung die Ansicht, dass religiöse Erfahrung eine sehr wichtige Komponente der mentalen Gesundheit sei: Freud dagegen blieb dem religiösen Glauben gegenüber feindselig eingestellt (tatsächlich schreibt Gay (1988, 331) von Freuds „boxendem Atheismus“). Wie an anderer Stelle in diesem Kapitel angezeigt, zentral für das, was man als Freuds Pathologisierung des Christentums bezeichnen könnte, ist seine Ansicht, dass der religiöse Glaube nicht mehr als eine Reaktionsbildung zur Vermeidung von Schuldgefühlen als Konsequenz eines anfänglichen ödipalen Ereignisses oder, wie in Die Zukunft einer Illusion entwickelt, nur kindischer Gefühle der Hilflosigkeit sei. Somit scheint eine zentrale Funktion von Totem und Tabu der Kampf „gegen alles, das arisch-religiös ist“, zu sein, ein Kommentar, welcher sofort Freuds Agenda illustriert, nicht nur die Religion zu diskreditieren, sondern die nichtjüdische Religion im Besonderen und das Ausmaß enthüllt, zu welchem er seine Arbeit als einen Aspekt des Wettbewerbs zwischen ethnischen Gruppierungen ansah.
  6. Es ist wert anzumerken, dass ein frühes Mitglied der psychoanalytischen Bewegung, Ludwig Braun, glaubte, dass Freud „echt jüdisch“ sei und dass solcherart jüdisch zu sein neben anderem bedeute, dass man „eine mutige Bestimmung zu kämpfen und dem Rest der Gesellschaft, seinem Feind, Widerstand entgegenzusetzen“ (Klein 1981, 85) hätte.
  7. Selbst ein Psychoanalytiker, stellt sich Gay vor, dass eine erotische Botschaft der oberflächlichen Bedeutung der Aggression sowie der Feindseligkeit gegenüber der westlichen Kultur zugrundeliegt.
  8. Andere psychoanalytische Interpretationen des Antisemitismus als einer pathologischen nichtjüdischen Reaktion auf die jüdische Superiorität erschienen in dieser Zeit. Im Jahre 1938 erklärte Jacob Meitlis, ein Psychoanalytiker des Yiddish Institute of Science (YIVO): Wir Juden wussten immer, wie man spirituelle Werte respektiert. Wir bewahrten unsere Einheit durch Ideen, und wegen dieser überlebten wir bis zum heutigen Tag. Einmal mehr sieht unser Volk dunklen Zeiten entgegen, was uns zwingt, all unsere Stärke zu sammeln, um alle Kultur und Wissenschaft unbeschadet durch die gegenwärtigen schweren Stürme zu bewahren“ (Yerushalmi 1991, 52). Der Antisemitismus wird hier als jener Preis konzeptualisiert, den die Juden für die Last zu zahlen haben, die Schöpfer und Verteidiger der Wissenschaft und Kultur zu sein. (Verschiedene andere Theorien des Antisemitismus werden weiter unten und in Kapitel 5 diskutiert.)
  9. Nathan von Gaza verschaffte im Siebzehnten Jahrhundert die intellektuelle Grundlage für die unselige, messianische Shabbateanische Bewegung.

10) Ähnliches gilt für die französische psychoanalytische Bewegung Mitte der Sechziger Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts: „Die Lehrsätze der ‚linguistischen‘ Psychoanalyse wurden zu Voraussetzungen. Schon bald stellte niemand mehr in Frage, ob eine selbstbewusste Disposition wirklich eine verletzliche unbewusste Struktur verstecken könne…: die meisten französischen Intellektuellen akzeptierten, dass sowohl das bewusste als auch das unbewusste Denken in Übereinstimmung mit linguistischen Strukturen organisiert sei“ (Kurzweil 1989, 245).

  1. Die Unterstellung egoistischer Motive ist besonders interessant. Wie in Kapitel 6 diskutiert werden wird, sind alle jüdischen intellektuellen Bewegungen, die in diesem Band besprochen werden grundsätzlich kollektivistische Bewegungen, die eine autoritative Unterwerfung unter eine hierarchische Autorität verlangen. Egoistische Motive sind deshalb mit diesen Bewegungen unvereinbar: Solche Bewegungen entwickeln sich durch die Unterordnung des Selbstinteresses unter die Gruppenziele. In Kapitel 6 werde ich argumentieren, dass Wissenschaft von Natur aus ein individualistisches Unternehmen ist, in welchem es nur eine minimale Loyalität zur Innengruppe gibt.
  2. Fritz Wittels datiert das Verlangen nach einer „strikten Organisation“ auf Diskussionen zwischen Freud, Ferenczi und Jung zurück, welche sich auf der Reise in die Vereinigten Staaten im Jahre 1909 ereigneten. „Ich glaube, es gibt guten Grund anzunehmen, dass sie die Notwendigkeit für eine strikte Organisation der psychoanalytischen Bewegung diskutierten. Fortan behandelte Freud die Psychoanalyse nicht mehr als einen Zweig einer reinen Wissenschaft. Die Politik der Psychoanalyse hatte begonnen. Die drei Reisenden legten ein Gelübde auf die gegenseitige Treue ab und stimmten überein, die Kräfte zur Verteidigung der Doktrin gegen alle Gefahren zu vereinigen.“ (1924, 137).
  3. Wittels (1924, 143-144) erzählt die Interpretation eines wiederkehrenden Traumes von Monroe Meyer, eines Studenten der Psychoanalyse, in welchem sich Meyer nach dem Verzehr eines großen Stückes Beefsteak in der Gefahr sieht, vollgestopft zu sein. Die Interpretation, welche Wittels bevorzugt, entspricht jener von Stekel, der anmerkt: „Es scheint mir, dass das Beefsteak die unverdauliche Analyse repräsentiert. Mein unglücklicher Kollege ist gezwungen, jede Woche sechsmal eine Weisheit zu schlucken, welche ihn zu ersticken droht. Der Traum ist die Art, auf welche der innere Widerstand gegen die Analyse sich Ausdruck erwirkt.“ Was auch immer man von dieser Auslegung halten mag, Wittels Kommentare zeigen an, dass schon in den Zwanziger Jahren ergebene Jünger innerhalb der psychoanalytischen Bewegung die Gefahr realisierten, dass die Psychoanalyse leicht zu einer Form der Gehirnwäsche werden könne.
  4. Dieses Versagen, die egalitäre Natur der westlichen sexuellen Sitten zu verstehen, wurde auch bei Heinrich Heines nachdrücklicher Opposition gegenüber der bürgerlichen Sexualmoral im Neunzehnten Jahrhundert sichtbar. Wie Freud sieht Heine die sexuelle Emanzipation als eine Sache der Befreiung von Zwängen an, welche von der unterdrückenden und übermäßig spirituellen, westlichen Kultur auferlegt wurden. Wie auch immer, Sammons (1979, 199) merkt an, dass „in der Öffentlichkeit der Mittelschicht sexuelle Zügellosigkeit schon lange als charakteristisches Übel der Aristokratie angesehen worden war, während sexuelle Zucht und Respekt für frauliche Tugend mit bürgerlicher Tugend assoziiert wurden. Indem er so ungehalten gegen diese Tabus anging, lief Heine die vertraute Gefahr, nicht als Befreier wahrgenommen zu werden, sondern als launischer Aristokrat und der Widerstand, den er generierte, war keineswegs auf die konservative Öffentlichkeit beschränkt.“ Tatsächlich waren die Bedenken bezüglich der Kontrolle des aristokratischen Sexualverhaltens der Männer aus der Mittel- und Unterschicht ein markantes Merkmal des Diskurses über Sexualität im Neunzehnten Jahrhundert (siehe MacDonald 1995b,c). Reiche Individuen werden durch die Lockerung der traditionellen westlichen Sexualsitten mit Sicherheit weit mehr begünstigt als jene, die ihnen untergeordnet sind.
  5. Die vier jüdischen Elite-Intellektuellen in dieser Studie, welche, wie es scheint, von Freud nicht beeinflusst waren, waren Hannah Arendt, Noam Chomsky, Richard Hofstadter und Irving Kristol. Von diesen kann eigentlich nur Noam Chomsky als jemand betrachtet werden, dessen Schriften von seiner jüdischen Identität und seinen spezifisch jüdischen Interessen nicht hochgradig beeinflusst wurden. Zusammengenommen zeigen diese Befunde an, dass die amerikanische Intellektuellenszene in bedeutendem Maße von spezifisch jüdischen Interessen dominiert wurde und dass die Psychoanalyse ein wichtiges Werkzeug zur Förderung dieser Interessen war.
  6. Beispielsweise akzeptiert Norman O. Browns einflussreiche Schrift Life against Death: The Psychoanalytical Meaning of History (1985; ursprünglich veröffentlicht im Jahre 1959) völlig Freuds Analyse der Kultur, wie sie in Das Unbehagen in der Kultur skizziert wird. Brown findet, dass die wichtigste Freud’sche Doktrin die Unterdrückung der menschlichen Natur sei, insbesondere die Unterdrückung des Strebens nach Lust. Diese durch Verdrängung verursachte Neurose ist ein universales Charakteristikum der Menschen, aber Brown behauptet, dass die intellektuelle Geschichte der Verdrängung ihren Ursprung in der westlichen Philosophie und westlichen Religion hätte. In Begriffen, welche in hohem Maße in Erinnerungen an Freuds frühe Gefährten schwelgen, verweist Brown auf eine utopische Zukunft, in welcher es eine „Wiedererrichtung des Körpers“ und eine komplette Befreiung des menschlichen Geistes geben werde.
  7. Interessanterweise merkt Kurzweil (1989, 244) an, dass die Psychoanalyse für die Kulturkritik sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Frankreich zentral war, die Rolle des Marxismus jedoch in der kritischen Analyse der zwei Länder differiert hätte. In den Vereinigten Staaten, in denen der Marxismus ein Anathema war, kombinierten die Kritiker Marx und Freud, während in Frankreich, wo der Marxismus viel eher verwurzelt war, die Psychoanalyse mit der strukturellen Linguistik kombiniert wurde. Das Ergebnis war, dass „die radikalen Forderungen der Psychoanalyse in beiden Ländern auf der Opposition zum vertrauten und akzeptierten theoretischen Diskurs und zur existierenden Befangenheit basierten.“
  8. Als weiteres Beispiel beschreibt Kurzweil ein Projekt, in welchem zwanzig Vollzeit beschäftigte Psychoanalytiker daran scheiterten, die antisozialen Tendenzen von zehn abgebrühten Kriminellen mittels eines liberalen Rehabilitationsprogrammes zu verändern. Das Scheitern des Programms wurde der Schwierigkeit zugeschrieben, die Wirkung früher Erfahrungen umzukehren, und es gab Stimmen, welche eine präventive Psychoanalyse für alle deutschen Kinder forderten.

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Fortsetzung:  Die Kultur der Kritik (5): Die Frankfurter Schule für Sozialforschung und die Pathologisierung nichtjüdischer Gruppenloyalitäten

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Neue Kommentarpolitik auf „Morgenwacht“: Wie bereits hier unter Punkt 1 angekündigt, am Schluß dieses Kommentars wiederholt als Absicht geäußert und in diesem Kommentar endgültig festgelegt, werden neue Kommentatoren nicht mehr zugelassen und sind die Kommentarspalten nur noch für die bereits bekannte Kommentatorenrunde offen.

Ein Kommentar

  1. Bin auf den fünften Teil gespannt. Habe auch gerade Ärger mit einem Psycho-Honk der mich mollathisieren will…

    Frohes Neues noch.

    MFG

    Sebastian-Maximilian

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